Auguste Supper
Herbstlaub
Auguste Supper

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                          Abend

Die Räder schlagen. Hastend trägt der Zug
Mich durch das fremde Land der Nacht entgegen.
Ich bin allein, und auf der Seele Flug
Will sich ein wandermüdes Bangen legen,
Ein Sehnen nach der Heimat, die sie ahnt,
Nach der sie weint bei jedem Abendnahen,
Wie Kinder weinen, wenn der Tag entschwand,
Eh Kinderschlaf sie tröstend will umfahen.
Rasch stirbt der Tag. In seinem letzten Glanz
Liegt alles Land, das mir vorübergleitet.
Um grüne Wiesen dunkler Hecken Kranz,
Und nun ein See, in Fluten hingebreitet.
Ein Schifflein seh ich treiben auf der Flut.
Weit draußen ziehts. Der Schiffer sucht den Hafen,
Um in der trauten Heimat sichrer Hut
Nach langem, mühevollem Tag zu schlafen.
Ich seh ihm nach. Mir ist das Herz so schwer,
Als läg' es hoffnungslos in tausend Banden.
Da hör ich's rufen aus der Tiefe her,
Die niemand kennt: »Sag an, wo wirst Du landen?
Wo liegt Dein Ziel? Wann endigt Deine Fahrt?«
Ich fahre auf. Die Stirne ist mir heiß 18
Von jähem Schrecken. Wem, wem galt dies Fragen?
Dem Mann im Schifflein, oder mir? Wer weiß?
Und könnt ich, galt es mir, die Antwort sagen? –
Stumm bleibt die Seele, schaut mich traurig an.
Ihr ist kein Wissen, ist sonst nichts beschieden,
Als ihre Sehnsucht nach dem Kanaan,
Dem Heimatlande aller Wandermüden.

Die Wolke glüht. Als selge Insel ruht
Sie hingelagert in dem Meer von Flammen.
Und in der goldnen Ferne strömt die Flut
Des stillen Sees mit all dem Glanz zusammen.
Das Schifflein zieht. Ein lichter Streif im Kiel
Will meiner Seele seinen Kurs verraten.
Es hastet nicht; doch näher kommt's dem Ziel:
Der fernen Insel mit den Goldgestaden.

Die Räder schlagen. Hastend trägt der Zug
Mich durch das fremde Land der Nacht entgegen.
Ich schließ die Augen, denn ich sah genug.
Nun mag sich draußen all das Dunkel legen.
Glückvolle Fahrt, mein Schiff! Ich hab ein Zeichen,
Daß wir die sel'ge Insel bald erreichen. 19


                          Traum

Ich ging zur Mittagszeit am heißen Tag
Den öden Weg, auf dem die Sonne lag.
Ein gellend Zirpen hart am riss'gen Pfad,
Ein jäh Verstummen, wenn mein Tritt sich naht.
Wo ist mein Ziel, wo find ich endlich Ruh?
Bald fallen mir die heißen Augen zu.
Ich sinke auf die Schollen, und ich schau
Verschwommnen Blicks ins grelle Himmelsblau.
Und der Gedanken uferlose Flut
Versandet still in all der dumpfen Glut.
Jetzt rieselt Licht und Glanz auf mich herab,
Ich fühl' mich frei und stark und riesengroß.
Das Irdische, es gleitet von mir ab
Wie eine Hülle, die in nichts zerfloß.
Das Neue macht mich schauern bis ins Mark:
Ich bin ein Gott, den jene Hülle barg. –

Da seh ich ferne auf verschneitem Feld
Ein ärmlich Hüttlein, das ein Licht erhellt.
Der trübe Schein, er zittert durch die Nacht.
Wer wohl so spät noch bei dem Lichte wacht?
Mein Gottesauge dringet mühlos ein
Und sieht im Hüttlein einen offnen Schrein. 20
Ein Weib kniet dort. Sie schaut mich weinend an.
»Sie sagen, Gott, du habst mir dies getan,
Und deine Hand, so heißt's, schlug solche Wunde,
Und du seist Liebe, Liebe sagen sie – –«
–   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –

Da brach ein geller Schrei aus meinem Munde.
Ich wachte auf. Fern sank die Sonne nieder.
Ins stille Abendgold sprach ich hinein:
Nimm, Unbekannter, all das Gotttum wieder!
Es ist schon schwer genug, ein Mensch zu sein. 21


          Das Holz von San Felice

Weit aus der Ferne in rollenden Wogen
Kommt das atmende Meer gezogen
An den einsamen, sonnigen Strand von Felice.
Weiße Felsen wie nackte Rippen,
Steilabfallende, jähe Klippen
Recken sich vor in die blauen Fluten,
Als riefen sie herrisch den Wogen zu:
Hier legt euch nieder und kommt zur Ruh!
Aber wandern müssen die Wellen.
Ihre weißen Kämme zerschellen
Schäumend am Stein und fort und fort
Donnert die Brandung an jenem Ort.
Oft hat das Meer nach stürmischen Tagen
Allerlei Beute ans Ufer getragen.
Zwischen den Klippen in Schlick und Tang
Suchen halb gierig, halb scheu und bang
Die von Felice gestrandetes Gut,
Wie es herausspeit die schäumende Flut.

Einmal nach einer stürmischen Nacht
Hat das Meer einen Balken gebracht.
Auf seinem Rücken in wildem Stolz 22
Trug es daher das schwarze Holz,
Warf es ans Ufer, als sei's zu schwer,
Donnernd sprühte die Brandung umher.
Von San Felice die suchenden Leute
Fanden im Morgengrau die Beute,
Strafften die Arme und griffen an.
Aber das war umsonst getan.
Reglos, trotz Keuchen und wildem Geschrei
Verharrte der Balken, als wär' er von Blei.
Stundenlang währte das grimmige Mühen,
Aber er ließ sich nicht höher ziehen.
Perlender Schweiß trat auf die Leiber
Sehniger Männer, es keuchten die Weiber.
Und als der Tag in Düster zerronnen,
War noch kein Schrittchen im Sand gewonnen,
Und es raunte ein höhnend Rieseln
Aus den meernassen Uferkieseln
Hinter den Leuten von San Felice.

Letzte Helle lag auf den Wogen,
Die, geglättet nach Sturm und Graus,
Langsam gegen die Ufer zogen.
Zwischen den Klippen trat still heraus
Peter, des Dorfes seltsamster Sohn.
Einsam schritt er, wie oftmals schon, 23
Wenn die Nacht mit samtenem Flügel
Streifte das Meer und die felsigen Hügel,
Wenn das Treiben der Menschen schwieg
Und das heilige Dunkel stieg
Nackt und lautlos vom Meer ans Land,
Wenn es sich lagerte auf den Sand
Und mit den Augen schwarz und stumm
Starrte ins Leere, ringsum, ringsum.
Einen Narren mit leisem Schauer
Schalt man drum Peter, den Geigenbauer.
Zwischen Felsen und Tang und Sand
Einsam auch heute der Peter stand.
Kommende Wogen vor seinen Füßen
Stäubten und schäumten, als sei's ein Grüßen,
Und ihn durchschauerte Glück und Stolz.
Plötzlich sah er das schwarze Holz
Vor sich am Ufer und legte sich nieder
Auf den Balken und dehnte die Glieder.
Lautlos kam eben der Mond gezogen
Seinen ewigen einsamen Weg;
Auf die atmenden Meereswogen
Malte er flimmernd den Silbersteg.
Peter der Narr saß traumverloren,
Hatte der eigenen Seele nicht acht,
Und da drang es zu seinen Ohren 24
Wie ein Singen, ein Geigen sacht,
Wie ein Singen aus Himmelsweiten,
Aus der Heimat der Lieder her,
Wie ein Klingen aus allen Zeiten,
Aus der ewigen Liebe Meer.
Peter der Narr legte zitternd das Ohr
Dicht an den Balken und sprang empor
Als ein Beglückter, dem Gottes Gnade
Hellte verworrene Lebenspfade.
Tief aus dem Holze erklang dem Gesellen
Liederrauschen, wie starke Quellen,
Die verschlossen im Berge rieseln.
Wieder kniete er in den Kieseln.
Taumelnd, als hätte er sich berauscht,
Sprang er empor, als er lang gelauscht.
Tat sich wie zu einem Kinde bücken,
Nahm spielend das Holz auf den schmächtigen Rücken,
Trug es, als wär' es ein leichtes Rohr,
Zu seiner Hütte am Berg empor,
Legte es nieder und schloß das Tor.

Andern Tages, als man am Strand
Jenen Balken nicht wieder fand,
Hieß es, das Meer nach der Hunde Weise
Pflege die ausgeworfene Speise
Schon nach Stunden wieder zu fressen.
So war fürs Erste das Holz vergessen. 25

Gleich einem Sterne, der einsam wacht,
Blinkte ein Licht nun in jeder Nacht
Oben am Berge aus Peters Haus
Auf das träumende Meer hinaus.
Wenn um die Hütte lärmte der Tag,
Peter der Narr im Schlafe lag.
Nur in der heiligen Stille der Nacht
Hat er sich hinter sein Werk gemacht.
Alle die Lieder, die in den Tiefen
Eingebettet im Holze schliefen,
Meißelte kunstvoll er heraus,
Baute ihnen ein neues Haus,
Baute zur Freiheit ihnen die Steige,
Schuf aus dem Holz eine singende Geige.
Und was vom Balken übrig blieb,
Alles, was abfiel bei Schnitt und Hieb,
Wär es auch nur ein ärmlicher Span,
Alles wurde zu Hauf getan.
Und als in stürmischer Lenzesnacht
Peter den letzten Wirbel gemacht,
Stieg mit der fertigen Geige er
Froh wie ein Sieger hinab ans Meer.
Aber eh' er die Hütte schloß,
Legt' er den Brand an den Holzesstoß, 26
Schob ihn noch sorglich und dicht zusammen,
Daß nichts entgehe den fressenden Flammen. –
Dort, wo die Woge am Stein zerschellt,
Hat sich der Narr in die Klippen gestellt.
Mitten in heulenden Sturmes Toben
Hat er die Geige ans Kinn gehoben.
Und durch der Brandung donnerndes Brausen,
Durch das Zischen und Heulen und Sausen
Schwoll jetzt ein Lied so süß und bang,
Wie es nimmer auf Erden klang.
Was von Liebe und Leid und Lust
Jemals durchströmte die Menschenbrust,
Jegliche Sehnsucht, die heiß und schwer
Flutete durch die Zeiten her, –
Alles ertönte und ward zum Klang,
Als die fertige Geige sang.
Während der Narr in den Klippen geigt,
Oben am Berge die Lohe steigt.
Obdach und Habe stürzen zusammen
Unter den prasselnden, fressenden Flammen.
Heimatlos nach dem letzten Ton
Geht der Narr durch die Nacht davon.

Ein unbekannter Geiger zieht
Durchs Land, so hört man sagen.
Wo in den Gassen klingt sein Lied, 27
Die Herzen höher schlagen.
Da ist kein Leid, das wie ein Kind
Mit Tränen nicht entschliefe,
Sobald der Geiger leis und lind
Ein Lied holt aus der Tiefe.
Und keine Freude glüht so hell,
Die nicht noch höher steige,
Wenn jener fahrende Gesell
Ans Kinn nimmt seine Geige.
Und den, zu dem die Weise sprach,
Umwittern tiefe Schauer:
Er schaut dem fremden Spielmann nach
Mit Sehnsucht, Glück und Trauer.

Es schleicht sich eine Mär durchs Land.
Niemand kann sagen, wie sie entstand.
Nagend wie Wasser am Ufersaum
Frißt sie sich weiter und schafft sich Raum.
Zu San Felice raunen die Leute
Seltsame Dinge und glauben's bis heute.
Sagen und glauben, der Balken schwer,
Den einst ans Ufer geworfen das Meer,
Um dann nach einer nur kurzen Rast
Weiterzutragen die furchtbare Last, – 28
Jener Balken, er sei der Stamm,
Dran gehangen das Gotteslamm.
Auf dem Meere müsse er wandern
Friedlos von einer Küste zur andern.
Wenn an den Klippen der stürzenden Welt
Einst die letzte Woge zerschellt,
Dann erst komme das Holz zur Ruh. – –
Fahrender Spielmann, was lächelst du? – – 29



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