Auguste Supper
Herbstlaub
Auguste Supper

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                    Erinnerung

Nun sind die Nächte wieder da,
Die Sommernächte, schwerer Düfte voll.
Der Glühwurm schimmert, wie ich einst es sah,
Da noch das Herz mir jung im Busen schwoll.
Wem gilt das Leuchten? Stumm schau ich hinaus
Ins schwüle Locken um mein einsam Haus.
Mir ist das Haar gebleicht. Schwer ist der Fuß.
Was soll mir aus der Ferne dieser Gruß,
Dies heiße Rufen?

Die Nacht schaut still und groß mir ins Gesicht.
»Versteh doch recht! Ich rufe, locke nicht.
Ich komm zu dir, nicht du sollst zu mir kommen.
In meinem Mantel trag ich Schätze schwer
Aus der Erinnrung tiefster Tiefe her.
Nichts, was du hattest, wird dir je genommen.
Versagt dein Fuß, o, so erwarte still,
Was ich dir leise, leise bringen will.
Du darfst dir nur die Hände füllen lassen.«

Die Nachtigall schlägt jetzt im Blütenbaum
Die ganze Nacht.
Und oben glühn die alten, goldnen Gassen. 68


                  Landfahrer

Fiedel am Kinn steht der Knabe dort.
Schon geht der Sommer zur Neige.
»Sieh nur, Mutter, der Blätter viel
Wirbeln hernieder zu Tanz und Spiel,
Alle verlockt meine Geige.«

Frierend, mit hochgezogenem Knie,
Kauert die Mutter am Wege.
»Nicht zum Tanze eilt Blatt um Blatt:
Jedes sucht sich die letzte Statt,
Wo sich's zum Sterben lege.«

Und der Knabe, verstört und scheu,
Senket Fiedel und Bogen.
Ueber die Höhe streicht kalt der Wind,
Schweigend und frierend sind Mutter und Kind
Weiter durchs Land gezogen. 69


                    Frühling

Nun singt die Welt aus tausend Kehlen
Das alte Lied von Lenz und Lust.
Und du, mein Herz, du wolltest fehlen,
Du wolltest schweigen, meine Brust?

Nimm noch einmal die Kraft zusammen,
Reiß dich empor, so geht es schon.
Laß lodern deines Opfers Flammen
Vor Frühlings hohem Gnadenthron!

Und hast du keine andern Gaben,
So schleppe deine Schmerzen her!
Du mußt doch Tränen, Träume haben
Und eine Sehnsucht heiß und schwer!

Das trag herzu und wirf es nieder,
Und du wirst sehen, wie es geht:
Es wandelt alles sich in Lieder,
Sobald ein Lenzhauch drüber weht. 70


                  Kritik

Die junge Lerche steigt empor
Mit sonnighellem Jubilieren.
Und alsobald beginnt der Chor,
Der unten lauscht, zu kritisieren.

Bachstelze wippt mit ihrem Schwanz.
»Dies nenn ich schamlos, unverhohlen:
Denn Text und Melodie sind ganz
Aus meinem Liederbuch gestohlen.«

Goldammer schüttelt streng den Kopf:
»Die Schule fehlt, das ist die Sache.
So singt ein hergelaufner Tropf.
Man höre doch, wie ich es mache!«

Frau Wachtel murrt im Ährenfeld:
»Es ist so, wie ich lang schon sage:
Die junge Musikantenwelt
Verbummelt mehr mit jedem Tage.«

Die Eule krächzt: »Gott, welch Organ!
Der Vortrag ohne jede Größe.
Wenn Einer schon nicht singen kann,
Dann geb er sich doch keine Blöße!« 71

Im Buschwerk sitzt die Nachtigall
Und lauscht beglückt und hingerissen
Dem süßen, jubelhellen Schall,
Den alle hart zu tadeln wissen.

Sie lauscht noch, als er längst verklang
Und ruft zurück all seine Schöne.
Dann seufzt erschauernd sie und bang:
»Find ich wohl jemals solche Töne?« 72


Der Eine und der Andere

Der Eine tat sich viel zu gut
Auf seines Glaubens Stärke.
Der Andre aber baute mehr
Auf seiner Hände Werke.

Und einmal stiegen unsre Zwei
Einträchtiglich zu Schiffe,
Da kam ein Sturm und warf mit Macht
Das Fahrzeug auf die Riffe.

Und alsobald der Eine schrie
Nach Gürtel, Kork und Tauen,
Der Andre aber half behend
Den Kindern und den Frauen.

Der Eine schwamm im Kork ans Land.
Nie läßt der Glaube sinken.
Der Andre ging zu spät von Bord,
Mußt rettungslos ertrinken.

Und somit kann das kleinste Kind
Sich's aus den Fingern saugen,
Ob Glaube oder Werke mehr,
Sobald es ernst wird, taugen. 73


                Jägerpech

Mein Bub steht vor dem Tulpenbeet
Und starret nach den Blüten.
Wird er sie brechen? – aber dann
Mag er vor mir sich hüten!

Er lauert, zittert, hebt die Hand,
Und seine Augen flammen.
Und jetzt – ein Sprung – den größten Kelch
Drückt jauchzend er zusammen.

Dann bricht er sacht den Stengel ab
Und kommt erregt gegangen.
»Sieh, Mutter, eben hab' ich da
Die Sonne eingefangen!«

Und zitternd löst die kleine Hand
Sich von der roten Blüte,
In der mein Bub die Sonne wähnt
Wie Zucker in der Düte.

Weit reißt er seine Augen auf
Und starrt und starrt, und endlich
Schaut er mir kläglich ins Gesicht
Und stammelt: »Ei, wie schändlich! 74

»Nun meinst du gar am Ende noch
Ich habe dich belogen? –
Nein, nein, ich habe sie gehabt,
Sie ist mir nur entflogen.

»Ich fang' sie wieder, Mütterlein.
Wenn heut' nicht, so doch morgen.
Und daß sie dann mir nicht entwischt,
Dafür will ich schon sorgen.«

Ich nickte stumm. – Was konnt' ich auch
Dem dummen Büblein sagen? –
Geb Gott, daß er sein Leben lang
Mög' nach der Sonne jagen! 75


                Zwei Märchen

Zu den Füßen der Ahne bin ich gesessen
An einem sonnigen Frühlingstag.
Die Amseln sangen im Gartenhag
Und alles Winterleid war vergessen.

Ich sprach von Liebe, die mir geworden,
Von kommenden Zeiten voll Glück und Lust,
Mir hob sich selig die junge Brust,
Ich sah des Lebens geöffnete Pforten.

Die Alte streichelte mir die Hände,
Sah mir in die Augen weich und lang.
Dann sprach sie leise und seltsam bang:
»Es ist ein Märchen, ich kenne das Ende.«

Nach sturmbewegten, nach langen Jahren
Saß mir zu Füßen ein Enkelkind,
Es spielte der lenzdurchtränkte Wind
Mit ihren blonden, lockigen Haaren. 76

Da sprach ich zu ihr von vielem Schweren,
Von kurzem Glück und langem Leid,
Wie es die harte Erdenzeit
Pflegt Erdenkindern zu bescheren.

Da fing sie lachend sich an zu recken.
»O Ahne, sieh das Sonnenlicht!
Komm, laß dich küssen und leugne nicht:
Es war ein Märchen, um mich zu schrecken. 77



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