Auguste Supper
Herbstlaub
Auguste Supper

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                    Der Stammbaum

Dein Wollen quillt in tausend Wesen auf,
Und deine Kraft durchströmt Millionen Sonnen.
Du tust dir nie genug, nie stockt dein Lauf,
Nie bist du satt von selgen Schaffens Wonnen.

Bin ich von deinem Stamm, Herr, bin ich's nicht?
Da gilt nur eine Probe unter allen:
Wenn ich zerbreche, müd und ohne Licht,
So muß ich doch noch deinen Namen lallen.

Dies Lallen, dieses eingehüllte Tun,
Dies Greifen, Herr, nach dir, es ist mein Zeichen,
Mein Stammesmerkmal. Niemals kann ich ruhn,
Drum muß mein Stammbaum bis zu dir, Herr, reichen. 8


              Dem Menschensohn

Dir kann ich glauben.
Ein gerader Strahl
Des vollen, ungebrochnen Lichtes stahl
Zu meiner Seele sich von deinem Mund.
Was rechts und links, was oben oder unten
In irrem Glanze lockt zu allen Stunden,
Es hellt nicht auf des Lebens dunkle Bahn,
Wie es der klare Schein aus dir getan.

Dir kann ich glauben.
Klingen macht ein Ton
Von deiner Harfe meine Leier schon.
Was nicht verwandt, das ruft kein Tönen wach.
Ob durch die Welt sonst tausend Lieder schallen,
Mein Saitenspiel stimmt nicht zu ihnen allen.
Nur deinen Klängen schwingt die Seele nach
Und fühlt im Tiefsten, daß ihr Meister sprach.
Dir kann ich glauben. 9


                        Schächer

Von meinem Fenster aus seh ich den Hügel
Mit den drei Kreuzen in der Ferne ragen.
Und wenn die Dämmrung naht mit grauem Flügel,
Dann muß auch ich mein Kreuz zu jenen tragen.
Aufatmend steh ich still, wenn ich erklommen
Den steilen Weg, der tennenhart und schmal.
Hoch über mir seh ich die Sterne kommen,
Und in der Tiefe schläft das weite Tal.

Die hinter mir, die Drei an ihren Pfählen,
Sie seufzen, wie vom Todesschlaf erwacht.
Der Erste fragt: »Kommst du uns neu zu quälen?
Was hat dich auf den Berg des Fluchs gebracht?
Du wähnst vielleicht, der dort in unsrer Mitte,
Der helfe sich und uns und dann auch dir? –
Spar deinen Atem, wenn dies deine Bitte!
Er hilft dir heut so wenig wie einst mir.«

»Still!« hör am andern Fluchholz ich den Zweiten.
»Hat dich die lange Qual noch nichts gelehrt?
Wir tragen billig diese bittren Leiden,
Denn unsre Taten sind nichts Bessres wert.
Der aber dort ist ohne Fehl gewandelt 10
Und unverschuldet trifft ihn solche Not,
Nie hat er Ungeschicktes je gehandelt.
Geh in dich, Frevler, fürchte dich vor Gott.«
Laut wie ein Schrei dann noch: »Wirst du, Herr, gehen
Einst in dein Reich, so denke auch an mich!«
–   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –   –

Ich kann des Dritten Antlitz nicht mehr sehen,
Weil jeder Tagesschein um mich verblich.
Nur noch mein eignes Kreuz kann ich umfangen,
Schwarz ragt es auf, so hoch wie nie zuvor.
Ich lausche bang in zitterndem Verlangen,
Doch dröhnt mir nur das eigne Blut im Ohr.

Ich habe mir die Lippen wund gebissen.
Soll jeder Schächer ohne Antwort sein?
Da hat ein Strahl die finstre Nacht zerrissen:
»Ihr geht noch heut mit mir zum Lichte ein!« 11


                          Seligkeit

Wie möcht ich, daß das Jenseits mich empfänge,
Wenn hinter mir die Türen gehen zu?
Wart ich auf Engelschöre, Lobgesänge,
Auf eine tatenlose, ew'ge Ruh?
Auf Ströme, die im Paradiese fließen,
Auf Palmen, die an ihren Ufern stehn,
Auf Wunderblumen, die der Flur entsprießen,
Darauf der Sel'gen weiße Füße gehn?
Will ich mit eines heißer'n Eifers Gluten
Aufs neue tauchen in des Lernens Flut
Und kühn mit Gottes echten Wünschelruten
Ergründen, was mir noch verborgen ruht?
Möcht als ein Sturm ich durch die Lande ziehen,
Als Flamme lodern auf Befehl des Herrn,
Als blutig Licht in seinem Dienst erglühen,
Das All durchrasen als ein neuer Stern? –
Wie stolz dies alles! Aber – soll ich's sagen? –
Mich lockt es nicht, wenn heut die Stunde schlägt:
Ich seh das Kleid, das ich bis jetzt getragen,
Es ist zerrissen, und ist rings besteckt.
Durch spitze Dornen mußt ich's manchmal schleifen,
Da gab s denn Fetzen, gab selbst rieselnd Blut. 12
Hart mußt am Schmutz ich oft vorüberstreifen,
Der Regen fiel, es brannte Sonnenglut.
Da ist mir nun, ich will es gern gestehen,
Klingt es auch stumpf und nüchtern fast ins Ohr,
Als könne mir nichts Lieberes geschehen,
Denn daß beim Austritt aus dem Erdentor
Mir Gottes Stimme aus der Weltentiefe
Ganz väterlich und schlicht entgegenriefe:
»Mein Kind, jetzt zieh nur rasch den Kittel aus,
Du bist zu Haus.« 13


                      Blindekuh

In mancher rätselvollen, stillen Nacht
Bin ich herzklopfend aufgewacht
Und hab in all die Dunkelheit hineingetastet.
Verborgner Gott, wo du auch seist, sieh her,
Wie ich mich quäle, ruhelos und schwer,
Wie meine dumpfe Sehnsucht niemals rastet.
Ach, daß ich so geblendet bin!
So augenlos! Ein Molch, der durch die Klüfte
Des Daseins kriecht und freie Himmelslüfte
Nur wie aus einem tiefen Traume kennt.

Bist du verstummt, Herr, über Land gezogen?
Schläfst du, wie jener falsche Gott,
Den der Prophet bedeckt mit Spott?
Bist du versunken in der Zeiten Wogen?
Sternlos die Nacht. Ich weiß nicht, wie's geschah,
Daß zitternd ich erwacht –
Und Er war da.

Ich sah ihn nicht. Ich fühlte nur im Raum
Sein Nahesein. Da atmete ich kaum.
Trotz tiefster Nacht deckt ich die Augen zu.
Es hört dein Knecht, o Herr, jetzt rede du! 14
Wie Wogenrauschen klang es ferneher,
Wie wenn ans Ufer rollt ein atmend Meer.
Ein ewig Dröhnen, rätselvoll dem Ohr,
Aus unbekannten Tiefen schwoll empor.
Und langsam löste sich daraus ein Sinn.
Ich lag und wartete und lauschte hin.
Da ist, was ich vernahm: »Dies blöde Kind!
Da taumelt es nun hin und wähnt sich blind
Und weiß nicht mehr, daß es die Binde trägt,
Die ihm für eine Kürze umgelegt.
Kennst du das Spiel nicht, das auf weitem Plan
Die Kinder spielen, wenn der Lenz begann?
Dies frohe Tasten, Suchen auf der Flur
Verbundnen Augs, nur nach der Stimme Spur?
Du Kind der Erde trägst zur Zeit die Binde.
So trag sie fröhlich, wie's zum Spiele paßt.
Ich sorge, daß mich deine Hand nicht finde,
Die immerzu im Dunkel nach mir faßt.
Ich halt mich still und husche rasch vom Ort,
Sobald du meinst, du greifest mein Gewand.
Ich rufe »hier« und bin derweil schon dort,
Wo eben noch mein blasser Schatten stand.
Warum dies Spiel? Frag nicht und laß die Tränen.
Ich weiß den Grund, dies mach dich still und froh.
Wie kannst du dich von mir verlasten wähnen! 15
Horch auf mein »hier«, ruf' unverdrossen: »wo?«
Vertraue mir, daß ich die Stunde finde,
Da blinden Tastens endlich sei genug.
Dann fällt von selbst die dunkle Augenbinde,
Die noch ein Jeder, der mich suchte, trug.
Bis dorthin »hier« und »hier«.«– Ein selger Schauer
Rann durch die stille Tiefe jener Nacht.
Da hab zum erstenmal ich ohne Trauer
Die gottesblinden Augen zugemacht. 16


                          Frage

Bist du der Ozean, sind wir die Wellen?
Wer bist du? sprich! Und welcher Art sind wir?
Bald Schaumgekräusel, spielend über dir,
Bald Wogenberge, die gar rasch zerschellen?
Die einen aus der Tiefe aufgewühlt,
Erbarmungslos zu weißem Gischt zerschlagen:
Die andern träumend an das Land gespült,
Indes die dritten schwere Schiffe tragen?

Und unter allen du in sel'ger Ruh,
Still in der Tiefe, ewig, ewig du?
Wenn wir kaum aufgeschäumt zu Leid, zu Glück,
So sinken wir zu dir, in dich zurück.

Herr, hörst du mich? Darf ich dir Fragen stellen?
Bist du der Ozean, sind wir die Wellen? 17



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