Auguste Supper
Auf alten Wegen
Auguste Supper

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Übernatürliche Kräfte

An einem regnerischen Apriltag kam er auf den Hof. Barfuß und barhaupt, das Gewand zerschlissen und die Füße wundgelaufen, so hinkte er herein, und man nahm ihn auf aus Menschlichkeit. In der Scheune wies man ihm sein Lager im Heu an, in der Küche bei den Dienstleuten durfte er essen.

Ein paar Tage lang wurde er betastet, beschnüffelt, beargwohnt wie ein Hund, der sich um die Ecke seines Reviers gewagt hat; dann war er aufgesaugt vom neuen Kreis, und bald gehörte der Michel zum Hof, so gut wie die Roßknechte und die Stalldirn. Er war anstellig und zu mancher Arbeit zu gebrauchen, die den anderen zu gering oder zu zeitraubend, zu nebensächlich war. Er wurde der dienstbereite Knecht der Knechte, die verläßliche Hilfskraft der Mägde, das Faktotum des hochgebietenden Verwalters, der ein strenger Herr war.

Die Schweine, die Schafe, die Hühner liebten den Michel; den Kühen war er sympathisch, den Pferden zum wenigsten nicht widerwärtig. Wenn er auf bloßen Füßen lautlos durch ihren Stall huschte, ließen sie die Ohren spielen und stampften ein wenig; ja, der zierliche Schimmel verstieg sich oft zu einem kleinen 103 Wiehern, das wie leises Lachen klang. Aber am besten verstand sich Michel mit den Tauben. Auf sein lockendes Pfeifen kamen sie von den Dächern herab und flatterten um ihn her und vor seinen Füßen, ja, ein blaugrauer Täuberich ließ sich oft auf dem struppigen Kopf des zugewanderten Stromers nieder. Dann grinste der Michel und redete mit den Vögeln in der Mundart seiner Heimat, die die Leute vom Hof nur mit Mühe verstanden und nur dann, wenn der Fremdling seiner flinken Zunge die Zügel anzog, daß das Tempo langsamer wurde.

Der Spaß mit den Tauben gefiel besonders den Mägden. Aber eine unter ihnen, die älteste und rangerste, die über mehr Lebenserfahrung verfügte als die anderen zusammen, wurde doch einst stutzig und spürte die geheimen, um nicht zu sagen: die okkulten Kräfte, die hinter der Zutraulichkeit der sonst scheuen Vögel stecken mußten.

Da wurde sie vorsichtiger im Umgang mit dem Zugereisten, zurückhaltender, gedankenvoller. Wenn er nach Feierabend von seinen Wanderungen und Abenteuern erzählte, machte sie im stillen ihre Abzüge und Ergänzungen; sie legte sich Michels Leben und Taten so zurecht, wie es ihre heimliche Erkenntnis ihr eingab. Bald schon merkte Michel die Veränderung in der Gesinnung der Obermagd, die sich nicht nur in allerlei Redensarten, sondern sogar in verminderten 104 Fleischrationen und ähnlichen Maßnahmen auswirkte; ja, die es dahin brachte, daß die Gestrenge dem Michel für seine Dienstbereitschaft und Geschäftigkeit nicht mehr dankte.

Wenn er ihr ungeheißen Holz zum Kochen herzuschleppte, die Kartoffeln aus dem Keller holte, die stumpfen Messer wetzte – niemals erklang ein freundliches Wort des Dankes aus dem herben Mund der Aeltlichen, denn sie wußte und bedachte, daß jeder Dank eine Brücke, eine geheimnisvolle Verbindung schlägt zum Bedankten, und davor fürchtete sie sich, als vor etwas Dunklem und Gefährlichem.

Das ist ja auch, beiläufig gesagt, der Grund, warum so viele dem Herrgott niemals danken. Sie fürchten, dadurch mit ihm in Verbindung und damit um ihre schöne Freiheit zu kommen und dann geschädigt und gehemmt zu sein in ihren edelsten Menschenrechten, von der Spekulation an der Börse bis zum Spekulieren über die letzten Dinge.

Lange Zeit war Michel Philosoph genug, um über das Verhalten der Magd hinwegzusehen. Aber auch bei ihm kam der Tag, da die Philosophie versagte.

An einem wunderschönen Samstagabend, als der graue Täuberich wieder zutraulich auf seines Freundes Kopf geflogen war und da herumgepickt hatte, als säße er im schönsten Gerstenfeld, da stieg die sittliche Entrüstung im Busen der Magd so hoch, daß sie 105 beschloß, dem unheimlichen Treiben heimlich ein Ende zu machen.

Es dämmerte schon, da stieg sie zum Taubenschlag empor, fing den Täuberich und riß ihm mit der Kraft, die das Bewußtsein des Rechttuns verleiht, den schillernden Kopf ab.

Wenn das grausam war, so möget ihr auch all die frommen Knechte Gottes grausam schelten, die je zu seiner Ehre oder aus Sorge um seine Ehre Köpfe abgerissen und abgehackt haben.

Ueberdies bereitete die Magd aus dem hingemordeten Täuberich einen leckeren Sonntagsbraten für den Verwalter und tilgte so von ihrem Verhalten auch den letzten Schimmer des Unrechts, was den anderen Eiferern nicht gelungen ist.

So sehr aber die Magd – wir wollen sie »Anna« nennen; sie hieß aber in Wirklichkeit bedeutend anders – sich ihrer reinigenden Tat freuen wollte – es war ein Stachel in ihr, eine Unruhe, ein Gefühl nahenden Unheiles, über das kein Mittel sie hinwegbrachte.

Wenn sie oft minutenlang in der Nacht schlaflos lag – sofort stieg das Bild des Michel vor ihr auf, rachedrohend, unheilkündend. Bei Tag aber brannte etwas in ihr wie heimliches Feuer, wenn sie den Michel so heiter und sorglos hantieren sah, als sei überhaupt nichts geschehen.

Aus dieser Unrast heraus ist es zu verstehen, daß sie 106 den Dienstbereiten immer mehr in Anspruch nahm. Es war, als wollte sie die Probe machen, wie stark man seine Geduld belasten dürfe, wie weit man sich gegen ihn vorwagen könne, ohne auf das gefürchtete Dämonische zu stoßen, das doch ohne Zweifel, auch wenn der Michel kein Wort darüber verlor, um den Taubenmord wissen mußte.

Und so kam es denn, wie es kam.

An einem Abend, der so wunderschön war wie der, an dem der Täuberich starb, erwischte der Michel die Anna hinter der Scheune in stiller Einsamkeit. Und er, der als ein Sohn seiner Zeit die Gleichberechtigung der Geschlechter längst anerkannte, haute sie so gründlich durch, als wäre sie sein schwächerer Mitknecht.

Das war eine natürliche Sache. Unnatürlich aber, oder übernatürlich war, daß die Anna keinen Laut von sich gab. Vielleicht war es das Grauen vor dem Dämonischen, das ihr den Mund verschloß, vielleicht auch gehörte sie zum Stamm jener Weiber, die wissen, daß sie Prügel brauchen und die darum Prügel lieben.

Michel aber, der an jenem Abend auf seelische Vorgänge nicht achtete, haute immer kräftiger zu. Ja, er verstieg sich so weit, der Verstummten alles vorzurücken, was er vom ersten Tage an gegen sie auf dem Herzen hatte. Darunter war auch das, daß sie ihm nie für etwas dankte. Heute sollte sie es nachholen.

Es mutet roh an, wenn man es niederschreibt; in 107 Wirklichkeit aber war es eine erzieherische Tat ersten Ranges, daß Michel der Anna hinter der Scheune das Danken beibrachte, so sehr das Mädchen aus seinem okkulten Vorurteil heraus sich dagegen sträubte.

Und nun war es geschehen; sie hatte gedankt.

Es ist nicht mehr viel zu erzählen. Wie es die ahnende Seele des ältlichen Mädchens vorausgesehen hatte, war durch das Dankeswort – auch wenn es ein erprügeltes war – die magische Verbindung geknüpft zwischen dem Dankenden und dem Bedankten.

Michels Fleischrationen wurden größer und immer größer, bis alle merkten, wie es zwischen den zweien stand.

Es verwunderten sich aber alle über den Michel, denn er war ein ganz stattlicher Kerl und ein paar Jahre jünger als die Großmagd.

Wer aber etwas weiß von übernatürlichen Kräften, der wundert sich nicht; oder er wundert sich über die Großmagd, die doch, wenn auch nur ahnungsweise, vom Dämonischen wußte und dennoch –

Aber darüber wundern sich dann wieder die anderen nicht. 108



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