Auguste Supper
Auf alten Wegen
Auguste Supper

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Galgenstrick

Man nannte ihn im engeren und wohl auch im weiteren Kreis einen Galgenstrick.

Er wußte es und grämte sich nicht. Aenderte sich auch nicht. Name und Ruf waren ihm Schall und Rauch.

Als er noch ein kleiner Junge war, drohte ihm ein Nachbar: »Ich werde deinem Vater sagen, was du für ein Schlingel bist.« Treuherzig erwiderte er: »Das braucht's nicht; mein Vater weiß es selbst.«

So war es geblieben.

Natürlich brachte er es nicht weit auf unserer im Moralischen verankerten – oder nur verstrickten? – Welt.

Ein wenig dichten, musizieren, zeichnen und im übrigen für des Leibes Nahrung und Notdurft ein – –. Doch der Beruf tut hier nichts zur Sache.

Einst saß er nachts auf einem Haufen geklopfter Steine an der weißen Landstraße.

Seine Füße brannten. Er war weit gelaufen und dazu schlecht beschuht. Lächerliche finanzielle Gründe spielten da herein.

Dieses In-die-Welt-hineinlaufen, bis die Nacht sank und die Sohlen von den Stiefeln fielen, gehörte zu 91 seinen Leidenschaften. Er sah nach den Sternen, die durch die Sommernacht glänzten, und dachte, wie gut es doch sei, daß man die nicht mit einer Stange herunterschlagen könne. Er nicht und kein anderer. Denn da oben, unerreichbar und ewig lockend, seien sie am schönsten.

In einiger Entfernung kam jetzt etwas Dunkles auf der Straße daher. Ein Wagen mit zwei Pferden, deren schlechtsitzende Hufeisen klapperten.

Schon wollte er sich freuen, weil da vielleicht Gelegenheit war, heimzufahren. Aber die losen Eisen ließen ihn ergrimmen. Ein Schandkerl, solch ein Fuhrmann, der seinen Gäulen nicht für gutes Schuhwerk sorgt!

Er trat jetzt mitten auf die Straße, damit das Fuhrwerk nicht achtlos an ihm vorüberfahren könne.

Die Pferde trotteten, von keinem Ruf zurückgehalten, vorwärts, bis sie ihm fast ins Gesicht pusteten. Dann standen sie, schnupperten an seinem dünnen Kittel und schienen sich zu freuen, in der dunklen Einsamkeit einen Menschen zu finden.

Er fluchte ein wenig. Aber es galt nicht den Gäulen, sondern dem Fuhrmann. »Kannst du, beim Zeus, nicht halten, wenn einer mitten auf der Straße steht?«

»Mach', daß d' heimkommst,« lallte eine verschlafene Stimme heiser.

»Darum will ich ja mir dir fahren.« Flink schwang er sich auf den Bock. 92

Still, langsam, ohne Lenkung, trotteten die Gäule weiter. Ganz nahe blitzte bisweilen der Fluß im Sternenschein auf. Waldgekrönte, jenseitige Hügel zogen schwarze Linien in den Himmel. Wie eine gekrümmte Schlange lag die weiße Straße vor den Pferdefüßen.

Der Fuhrmann schlief. Er roch nach Schnaps und Schnapsersatz. Sein Nebensitzer stieß ihn manchmal an, damit er nicht völlig zusammensinke. Der dunkle Kastenwagen grillte dann und wann in einer ungeschmierten Achse. »Was fährst du denn?« fragte der Wanderer.

Lang keine Antwort. Dann ein Schlucken, ein halbes Lachen, ein Lallen: »Einen Galgenstrick.«

Der Frager wunderte sich, woher ihn der Berauschte kenne. Doch grübelte er nicht darüber. Er war ja nicht heimlich aus der Welt, auch solch ein Jammerkerl mochte von ihm wissen.

Jetzt schnarchte der Säufer.

Der andere nahm ihm voll Zorn die Zügel aus der Hand. Er schämte sich vor den Gäulen. Schlecht beschlagen und ungeleitet mußten sie nicht nur die Last des Wagens, sondern auch noch solch einen ekelhaften Burschen durch die Nacht hinschleppen! Leise, ganz leise fing er ein Liedchen zu pfeifen an. Nicht für sich, nicht zu seiner Freude, sondern für die Gäule, daß die einen besseren Begriff von Menschen kriegen sollten. 93

»Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen,« pfiff er.

Und jetzt schüttelte er ein wenig an den Zügeln. Sofort, als hätten sie nur darauf gewartet, fielen die Gäule in einen ganz fröhlichen Trab, so daß plötzlich der Nachtwind dem Pfeifenden das Lied von den Lippen hinwegnahm.

Flott ging es voran. Die Windungen der ins Flußtal gebetteten Straße blieben eine nach der andern zurück, die Sterne im Wasser, die schwarzen Linien am Horizont kamen ins Gleiten. Fremd und über die Maßen schön schienen die großen, kahlen, einsamen Bäume da und dort an der Straße vorbeizuwandern.

Jetzt bogen die immer lebhafter werdenden Gäule unter den lauten, kosenden Zurufen ihres neuen Lenkers auf einen steinigen Weg ein, der, die Straße kürzend, einen Hügel überquerte.

Er ließ ihnen den Willen, weil er wußte, daß heimeilende Gäule im Weg nicht irren.

Den Hügel mit den kahlen Flanken, den oben ein Birkenwäldchen krönte, kannte er. Eben da, wo jetzt der Wagen mir tollem Gepolter vorüberratterte, mochte wohl der Anger liegen, auf dem man gefallenes Vieh, zu Tode geschundene Gäule verscharrte.

Schwarze Nacht deckte die Stätte. Als kleiner Junge hatte er weite Streifzüge hierher gemacht, von einem Gefühl herbeigezogen, das Mitleid, Neugier, 94 Grauen, unverstandener Schmerz um alle Kreatur war. Tannenzweige, leere Schneckenhäuschen, abgestreifte Schlangenhäute, schimmernde Quarzbrocken – alles kostbare Beute aus Feld und Wald – hatte er zum Totenopfer für die Verscharrten herzugeschleift.

Vielleicht witterten die Gäule die verrufene Stätte. Oder scheuten sie vor dem schrecklichen Gepolter ihres eigenen Wagens? Es ging wie im Flug vorüber.

Und jetzt war's ganz still; als sei ein samtenes Polster unter die Pferdehufe, unter den Wagen gebreitet.

Der Lenker sah zurück. Es kam ihm vor, als hätte die Ladung ihre dunklen Umrisse verändert, mehr sah er nicht.

Die Höhe war erreicht. Sand und Heide weithin und drüben das Birkenwäldchen. Er kannte auch diese Stätte. Hier hatte man einst die aufgeknüpft, die Mein und Dein böswillig verwechselten.

Aber er selbst war im hellen Sonnenlicht, wenn der Frühlingshauch, der Sommerwind durch die Schleier der Birken ging, oft dagesessen, die Fiedel unterm Kinn oder Verse machend. Gestohlen hatte er dabei nach Herzenslust, ohne daß ihm etwas Uebles dafür widerfahren wäre.

Vielleicht kam ihm das jetzt in den Sinn und machte ihn keck. Einen langen höhnenden Blick warf er auf den Schnarchenden, dann verhielt er die Gäule, sprang vom Bock und schirrte aus. Leis und flink tat er die 95 Handgriffe; man sah, sie waren ihm vertraut wie einem, der sich seine Kindheit hindurch am liebsten in den Ställen herumtrieb.

Dann schwang er sich auf den Sattelgaul, trabte davon und verschwand in der Nacht. Von fernher klapperten die schlechten Eisen.

*

Das weiß noch jedermann dort in der Gegend, daß etwas Unheimliches geschah, als Fuhrmann Zeitler den fremden Selbstmörder nach der Anatomie zu überführen hatte. Bis auf den Sandberg bei Werlingen, wo früher der Schindanger lag und der Galgen stand, kam er mit seiner Ladung. Dort muß ihm der ††† begegnet sein, denn er fiel in einen tiefen Schlaf.

Als er am Morgen erwachte, waren die Gäule fort und der Wagen leer.

Auf dem verrufenen Anger fand man die Kiste, die den toten Fremdling barg. Vielleicht war er auch so eine zu Tode geschundene Kreatur gewesen.

Die Gäule aber standen bei Tagesanbruch vor der Türe des nächsten Hufschmieds. Die Eisen waren gelockert, viele Nägel fehlten. Die hatte wohl der ††† mitgenommen, um sie zu seinen höllischen Zwecken zu verwenden. Denn dazu könne man sie brauchen, sagte der Galgenstrick. 96



 << zurück weiter >>