Auguste Supper
Auf alten Wegen
Auguste Supper

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Dichtung und Wahrheit

Franzanton, der frühere Kupferschmied, kann Geschichten erzählen, daß einem vor Erstaunen das Wasser aus den Augen läuft.

Aber daß er schlechtweg lügt, das wird kein Einsichtiger behaupten können. Wie das metallische Flimmern ins graue Gestein, so ist in seinen Erzählungen die Wahrheit eingesprengt, und wenn die Sonne eines guten Glaubens darauf scheint, sticht mancher heimliche Glanz daraus hervor.

Eine von des Alten Geschichten heißt so: »Im Spätherbst schloß ich mein Geschäft. Zehn meiner Leute übernahm England, zehn Amerika. Ich gab ihnen vorher meine Instruktionen. Leute, sag' ich, ihr geht jetzt in die Konkurrenz! Ihr werdet wissen, was ihr zu tun habt. In einem Jahr muß in Amerika und in England die Industrie ruiniert sein. Und wenn euch einer fragt, dann sagt: Das haben wir beim Franzanton so gelernt. Gut! – Also! –

Mich wollten sie auch in Amerika. Direktor sollte ich werden in einer Fabrik, aber ich mochte nicht. Ich weiß schon: in ein paar Jahren hätten sie mich zum Präsidenten gewählt, und da stirbt selten einer eines natürlichen Todes. Gut – Also! – Jetzt was tun? 97 Vom Geld leben? Dazu ist der Franzanton noch zu rüstig. Auch hatte ich keins. So fang ich einen Hausierhandel an. Der Schreiner Link in Ueberbach hat mir einen Kasten gemacht. Einen Bauchkram heißen sie es, weil man ihn nicht auf dem Buckel trägt. Schön war der Kasten. Man hat das Holz dazu von weither kommen lassen. Wenn mir's recht ist, von Afrika. Aber der Link ist dabei ein wenig ins Sargmachen hineingekommen. Und so fragten mich die Leute: Franzanton, was bringst du in dem Kindersarg?

Wenn ich zehnerlei hatte, dann wollten sie gewiß elferlei. Bot ich Stecknadeln an, so brauchten sie Schuhschmiere, und hatte ich Schuhschmiere, so liefen sie barfuß und benötigten Hustenzucker.

Darum bin ich ein Zündholzmann geworden, daß die Leute nichts mehr von mir sollten verlangen können als Zündhölzer.

Ich hab meinen Handel gut umgetrieben, und zum Nötigsten hat mir's auch immer gereicht. Denn die gute Luft, das ist das Nötigste.

Wie's aber ans Essen ging, hat's mit dem Geld gespannt.

Vom Trinken will ich gleich gar nicht reden. Wasser allenfalls. Aber das tut meiner Natur nicht gut.

So geh ich einmal meines Wegs und denk an nichts. Ein kalter Morgen war's, und mich fror an den Händen, das weiß ich noch. 98

Auf einmal sah ich am Boden eine Amsel, wie sie an dürren Lindennüssen herumpickt.

Ei, denk ich da, was so ein schwarzer Vogel kann, das kann der Franzanton auch.

Weit und breit kein Mensch. Die leeren Aecker weiß vom Reif, der in der Nacht gefallen ist. Die zwei großen Lindenbäume, die ganz allein mitten im ebenen Feld stehen, haben alle Blätter und Nüsse abgeschüttelt.

Ich stell meinen Kasten ins nasse Laub und setze mich darauf. Eine tote Maus lag nicht weit von mir.

Das sag ich nur, damit man sieht, daß ich die Geschichte nicht geträumt habe.

So fang ich an, Lindennüsse zu essen. Die Amsel hüpft immerzu vor mir auf und ab und sieht zu, ob ich's auch recht mache. Je nun, was ein fixer Kerl ist, der kann bald alles. Auch mit verklammten Händen Lindennüsse essen, wenn er Hunger hat für fünf Pfund fetten Schweinsbraten.

Aber es mag sein, daß ich's doch nicht ganz recht machte. Vielleicht aß ich zu viel Schalen mit, oder was weiß ich.

Kurz und gut, auf einmal sehe ich, daß die Amsel lacht. Wer das noch nicht gesehen hat, der kann sich's auch nicht vorstellen. Beschreiben läßt sich's nicht. Ich meine erst, es sei Hunger oder Schwäche, daß ich Dinge sehe, die gar nicht da sind. 99

Aber da nickt die Amsel und sagt: »Ja, ja, es ist schon so. Die Lindennüsse in den nüchternen Magen und weil's Martinitag ist – das macht's.«

Ich will eine Antwort geben, da fängt mein Kasten unter mir zu wackeln an, als wollte er mich nicht mehr leiden, und schon liege ich im Lindenlaub.

Wär's nicht heller Morgen gewesen, oder hätte ich in den letzten vier Wochen Geld gehabt zu einem Schoppen, so hätte mich nichts gewundert.

Aber so nüchtern ist überhaupt seit dem neugeschaffenen Adam kein Mensch gewesen, wie damals der Franzanton.

Eine Weile bleibe ich so liegen und denke: wenn die Welt verrückt ist, muß wenigstens ich vernünftig bleiben. Da hüpft die Amsel ganz nahe her und pickt sogar an meiner Tasche. Sie hat vielleicht gemerkt, daß ich im Sommer, wenn ich auf meinen Besitzungen zum Angeln gehe, die Regenwürmer in dieser Tasche habe.

Gut! – Also! – Sie findet nichts. Das letzte Brosamlein habe ich selbst den Abend vorher zum Nachtmahl verspeist. Da stellt sie sich vor mich hin – mein Lebtag seh ich's – sperrt den gelben Schnabel weit auf, sagt: »Pfui Teufel«, fällt um und ist tot. – –«

Als Franzanton so weit war mit seiner Geschichte, zog er die Schultern ein, starrte vor sich hin und schüttelte den grauen Kopf. Nur ein Böswilliger oder ein 100 hoffnungsloser Banause hätte da übersehen können, daß die goldenen Wahrheitsfunken aus dem Erzählten sprühten, wenn man es nur von der richtigen Seite betrachtete.

Jetzt schaute der Alte auf und fuhr fort: »Vorher und nachher ist mir so nichts passiert. In der Gegend dort sagen sie, unter den Linden liege irgendwo ein Schatz begraben und eine Amsel müsse ihn hüten. Ei, sage ich, ihr Hornochsen, warum habt ihr dann die Amsel verhungern lassen? Da fielen alle über mich her und schrien, ich hätt' einen Rausch. Aber das muß ich besser wissen. – – –«

Ein Unvorsichtiger fragte: »Franzanton, ist deine Geschichte aus?«

Der Alte kam wie aus weiter Ferne zurück, und seine wässerigen Augen glitzerten. »Warum nicht gar! Das Beste kommt erst. Ich hab die Amsel zu einem Tierarzt getragen, der hat sie wieder zum Leben gebracht.

Im Frühling darauf bin ich mit ihr hinaus zu den Linden. Der Tag war so warm wie im Maien, obgleich es erst März war. Und meine Amsel – nicht faul – fängt gleich von dem vergrabenen Schatz an. Haarklein sagt sie mir, wo er liegt und wie ich ihn heben soll. Gut – Also –«

Er schwieg und nickte mit lächelndem Mund, wie versunken in schönes Erinnern.

»Was war's denn?« kam eine törichte Frage. 101

Er zog sein Schnupftuch, schneuzte sich und steckte es wieder ein, wie einer, der eine Unmenge Zeit hat.

»Zehn goldene Badewannen und ein silberner Backtrog lagen zu oberst. Was unten war, weiß ich nicht. Mir war's zu dumm.«

»Was war dir zu dumm?«

»Das mußt du noch lang fragen? – Daß kein Kupfer herauskam, natürlich. Ich bin doch ein Kupferschmied. Wegen Gold und Silber heb ich die Hand nicht. – –«

So endigt dann die Geschichte.

Aber manche wollen's auch nicht besser haben. 102



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