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Viertes Kapitel

Wie ein Lauffeuer hatte sich das Gerücht, Lätitias Bräutigam sei zurückgekehrt, in der Nachbarschaft verbreitet. In Silverton lebten nur noch wenige Leute, die sich seiner Abreise, und noch viel, viel weniger, die sich der Zeiten erinnerten, wo er als Pensionär in der alten Pfarre zu Newton-Poppleford gelebt und angefangen hatte, Lätitia den Hof zu machen.

Und diese wenigen, die sich seiner noch erinnerten, hatten immer prophezeit, er werde nicht mehr wiederkehren, und waren nun ebenso enttäuscht wie überrascht, als er dennoch wiederkam.

Nach zwanzig Jahren! Das sprach doch der natürlichen Ordnung der Dinge Hohn. Man mißbilligte überhaupt derartige lange Verlobungen, die völlig aus der Mode waren!

Ehe er noch eine Woche in Silverton geweilt hatte, verbreiteten sich alle möglichen Gerüchte über ihn in der Nachbarschaft. Leute, die ihm auf einsamen Feldwegen oder auf den Landstraßen der Umgebung mit Cynthia begegnet waren, wollten darauf schwören, er sei zurückgekommen, um sich mit dem jüngeren Fräulein Primrose zu vermählen.

Unter der Zahl der Leute, die ihnen bei ihren Spaziergängen an den taufeuchten Juniabenden begegnet waren, befand sich auch Cynthias demütiger Verehrer. In seiner linkischen, schüchternen Weise griff er im Vorübergehen an seine Mütze, und Cynthia lächelte ihn an, in der nämlichen Weise, wie sie auch die schwerfälligen Rinder anlächelte, die er vor sich hertrieb, und der Pfarrer nickte ihm freundlich zu und richtete einige Fragen über den Stand der Felder und der Ernte an ihn, während der einfältige Bursche kein Auge von dem glühenden Gesicht des jungen Mädchens verwandte. Aus ihren Zügen leuchtete ihm ein Glanz entgegen, wie er ihn noch in keines Weibes Antlitz gesehen hatte: aber ach! dieser Glanz leuchtete nicht ihm.

Bei dieser Entdeckung bohrte er nicht, wie ein gebildeterer Mensch an seiner Stelle wohl gethan hätte, wütend den Absatz in den Rasen, sondern er behandelte seine armen, geduldigen Kühe äußerst schlecht, versetzte dem alten Schäferhund, der ihm unterm Hofthor begegnete, einen Rippenstoß, rührte sein Abendessen nicht an und legte sich in äußerst schlechter Laune zu Bett.

Am nächsten Tag mußten einige fette Hühner, die für Ulysses' Mittagessen bestimmt waren – Lätitia schlachtete jetzt sozusagen täglich das gemästete Kalb – ins Myrtenhäuschen gebracht werden. Da unsre Penelope gerade im Garten Erbsen pflückte, was sie niemand andrem anvertraute, weil Leah zu unachtsam war, und das »Kind«, wie sie sagte »keine glückliche Hand« für Gartenarbeit hatte, konnte Dick Holders ungestört einen Augenblick in der Küche verweilen, wo er seine Hühner ablieferte.

Selbst Leahs keineswegs scharf beobachtenden Augen entging es nicht, wie blaß er war unter seinen Sommersprossen. Da in Silverton gerade die Johannismesse stattfand, so glaubte sie, er habe des Guten etwas zu viel gethan.

»Wann hat denn Fräulein Cynthia Hochzeit?« fragte er möglichst gleichgültig.

»Fräulein Cynthia? Die heiratet doch gar nicht! 's ist ja das alte Fräulein!«

»Die Alte?«

Leah nickte bejahend und grinste dazu.

»Die Geschmäcker sind verschieden,« meinte sie kopfschüttelnd.

»Du machst dir einen Jux mit mir, Leah, 's kann doch nicht die Alte sein!«

»'s ist so wahr wie das Evangelium,« behauptete sie und zeigte, vor Vergnügen grinsend, zwei Reihen blendend weißer Zähne. »Ja wohl, sie heiratet demnächst und geht dann mit ihm fort.«

»Und Fräulein Cynthia?«

»O, die muß eben noch eine Weile warten, wie andre Leute auch!« Dabei schüttelte Leah den Kopf und legte so viel Ausdruck, als ihr überhaupt möglich war, in ihre runden Augen.

»Sie wird wohl nicht zu lange warten müssen,« erwiderte Dick Holders und wandte sich seufzend ab; denn eben kam Cynthia, von der Sonne bestrahlt, den Gartenweg heraus, und dieser Anblick benahm ihm den Atem und machte ihm Herzklopfen.

»Ja wohl, sie muß eben ihre Zeit abwarten, wie andre Leute auch,« wiederholte Leah nachdrücklich; »sie hat weit und breit keinen Liebhaber, der kommt und sie heimholt, wie das alte Fräulein. Wenn sie dasitzt mit ihrer ewigen Näherei, und die beiden haben so ein Gethue, und sie muß das Küssen und Kosen immer mit ansehen, da wird's ihr ganz übel, wie andern Leuten auch, und schon oft hab' ich sie weinen sehen, wenn sie glaubte, es merke es niemand, als wolle ihr das Herz brechen, wie andern Leuten auch!«

Allein die schmachtenden Blicke Leahs machten auf Dick Holders gar keinen Eindruck; er wandte der Küchenthür den Rücken und wiederholte auf dem ganzen Heimweg immer wieder leise die Worte: »Sie hat keinen Liebhaber, der kommt und sie heimholt.«

Am Fuß des Hügels, auf dem das Myrtenhäuschen stand, begegnete er dem Manne, der gekommen war, das alte Fräulein Primrose heimzuholen; unwillkürlich griff er an die Mütze; aber plötzlich überkam ihn so heftig die Empfindung, dieser Mann habe ihn beleidigt, daß sich sein sommersprossiges Gesicht mit glühender Röte bedeckte.

»Der, und Fräulein Primrose heiraten!«

Aber warum nicht, und was ging es schließlich ihn an? Dick Holders sah dem Pfarrer nach, bis er in seinem wohlgebürsteten, feinen schwarzen Tuchrock mit gemächlichem, sicherem Schritt in Fräulein Lätitias Gartenthür verschwand; dann lenkte Dick seine Schritte dem väterlichen Hause zu und behandelte die milden Kühe und den alten Hund, nebst all den übrigen, geduldigen, stummen Geschöpfen in seinem Bereich schlechter denn je, ließ sein Essen unberührt stehen und benahm sich überhaupt in allen Stücken wie ein liebekranker Schäfer. Er war wütend über sich selbst und über Cynthia, am allermeisten aber über Fräulein Primroses Bräutigam.

Der hochwürdige Basil Haworth hielt seine guten Vorsätze länger, als man von den Eintagsfliegen, aus denen sich der zu den »unteren Regionen« führende Mosaikboden zusammensetzt, gemeiniglich anzunehmen pflegt, er hielt sie genau vierundzwanzig Stunden lang.

Als er am Tag nach seinem unwandelbaren Entschluß das Haus seiner Verlobten betrat, war diese von ihrem täglichen Besuch bei ihren »lieben Armen« in Little Silver noch nicht zurückgekehrt: aber Cynthia war da und ging im Garten spazieren.

Der lange, schwüle Julitag war beinahe unerträglich gewesen, und Cynthia hatte die grobe Armenarbeit, die ihr nachgerade ganz verhaßt geworden war, beiseite geworfen, um etwas Luft zu schöpfen.

Als sie langsam den Gartenweg hinaufging, fiel der letzte Glanz der Abendröte auf sie, bestrahlte ihr rotgoldenes Haar, warf über ihre weichgerundete Wange denselben rosigen Duft wie über den an der Mauer reifenden Pfirsich und hob die edlen Formen ihrer schönen Gestalt liebevoll hervor.

Sie trug einige Rosen an der Brust; in dem weißen, schmiegsamen Sommerkleid, das in weiten schleppenden Falten zur Erde floß, kam jede Linie ihres herrlichen Wuchses zur Geltung, und über ihr lag die feurige Glut des Sonnenuntergangs.

Als sie so lichtumflossen unter dem Eingang einer Gaisblattlaube stand, gesellte sich Basil Haworth zu ihr – er hatte keine andre Wahl, denn im Haus war kein Mensch – und schritt dann neben ihr den Gartenweg hinab.

In dem engen grünen Garten, unter dem Schatten der Bäume, war die Luft so dumpfig und schwül, daß sie hinaustraten, um sich auf die dahinter liegende sammetweiche Wiese zu begeben, auf der Schafe weideten und über der hoch oben am Himmel eine Lerche ihr schmetterndes Lied ertönen ließ. Schmale, ausgetretene Staffeln führten vom Garten auf die Wiese hinab; seit sie überhaupt gehen gelernt hatte, war Cynthia viele hundert Male diese Stiege hinabgeklettert, was für ein so junges, kräftiges Menschenkind wie sie, gar keine Sache war. Da sie seine Unterstützung ablehnte, wandte sich Basil ab und ließ dem eigensinnigen Mädchen den Willen. Im Grunde genommen, war es ihm nicht leid, daß er ihr nicht behülflich sein durfte, denn wie konnte er mit seinem feierlichen vierundzwanzig Stunden alten Entschluß sich getrauen, ihre weiche, warme Hand zu berühren, während er doch schon am ganzen Leibe erbebte, wenn ihn auch nur ihr Kleid streifte.

Wie ehedem der heilige Antonius, so wandte auch Lätitias Bräutigam dem Versucher den Rücken und blickte hinaus auf die in der Ferne im Abendsonnenschein verschwimmenden Hügel. Mochte Cynthia sehen, wie sie die Stufen hinunterkam – sie hatte es ja schon tausendmal gethan – warum sollte sie es jetzt nicht können?

Plötzlich wurde ein unterdrückter Schrei und der dumpfe Fall eines Körpers hinter ihm hörbar, und als er hastig herumfuhr, lag Cynthia wie ein Häuflein Elend auf dem Wiesengrund. Ihr Fuß, der sonst niemals strauchelte, hatte sich in dem leichten schleppenden Rock verfangen, als sie ihren gewohnten Sprung machen wollte, und so war sie zu Falle gekommen.

Mit tödlich blassem Antlitz lag sie regungslos da, den Fuß unter sich. Zärtlich richtete er sie in seinen Armen auf, und mit Todesangst im Herzen beugte er sich auf sie nieder: sein heißer Atem berührte ihre Wange, und ihr Haupt lag an seiner Brust. Weit und breit war keine Hilfe zu sehen, und alles Rufen wäre vergeblich gewesen, weil das kleine Dienstmädchen in der Stadt Besorgungen machte und Lätitia noch immer nicht zurückgekehrt war.

Cynthia war nicht ernstlich verletzt, sondern hatte nur infolge des Schreckens und des plötzlichen Sturzes für einen Augenblick das Bewußtsein verloren; der Druck seines Armes und der warme Hauch seines Mundes brachten sie schnell wieder zu sich. Träumerisch schlug sie die Augen auf; im ersten Augenblick war sie sich über ihre Lage nicht ganz klar und empfand nur ein wohliges Gefühl von Ruhe und Sicherheit, das ihr diese sie fest umschlossen haltenden Arme einflößten. Leise aufseufzend, schloß sie ihre Augen aufs neue und schmiegte sich wie ein müdes Kind an seine Brust.

Es war eine rechte Verlegenheit für ihn mit seinen noch so frischen tugendhaften Entschlüssen. Die Farbe kehrte in ihre Wangen, ihr Busen hob und senkte sich, und das Bewußtsein erwachte wieder, er fühlte ihr Herz an dem seinen schlagen, und im nächsten Augenblick waren all seine guten Vorsätze unter dem Gluthauch der Leidenschaft geschmolzen wie Butter in der Sonne.

Als Cynthia ihre Augen mit bewußterem Ausdruck wieder aufschlug, begegneten sie einem solchen Ausdruck leidenschaftlichen Flehens in den seinen, daß sich ihr Antlitz bis an die Wurzel der goldenen Haarwellen mit glühender Röte überzog. Rasch machte sie sich aus seinen Armen frei und versuchte, auf ihren Füßen zu stehen; aber mit einem leisen Schmerzensschrei sank sie alsbald wieder zurück.

»Ich fürchte,« sagte sie mit schwacher Stimme, »ich habe meinen Fuß übertreten.« Ihre Augen füllten sich mit Thränen, und in plötzlicher Angst wandte sie ihr Gesicht von ihm ab. Sorgsam untersuchte er das verletzte Glied und verband es mit seinem Taschentuch, während sie auf dem Gras ausgestreckt lag und ihr glühendes Antlitz in den Händen verbarg, sie getraute sich nicht, ihn anzusehen; denn sein unverwandt auf sie gerichteter Blick erfüllte ihr Herz mit banger Sorge.

Sie wußte nicht, wie ihr war; das kam doch wohl nicht nur von dem Fall?

»So wird's wohl gehen, glaube ich,« sagte Basil zärtlich, indem er seine Arme um sie schlang und ihr aufstehen half. »Du mußt dich eilen, wieder wohl zu werden, Cynthia, sonst gibt's keine Hochzeit!«

»O,« rief sie in plötzlicher Zerknirschung, »ich allein war schuld daran, daß sie schon vor Jahren aufgeschoben wurde! Wie mußt du mich hassen, Basil!«

Zum zweitenmal nannte sie ihn Basil. Statt aller Antwort versenkte er seine Blicke tief in ihre blauen Augen; ihr Haupt lehnte an seiner Schulter, und ehrerbietig berührte er ihr goldenes Haar mit seinen Lippen.

Sie erbebte und zog sich etwas zurück, während ihre Wangen glühten und ihr von seinen Armen umschlossener Leib anfing zu zittern wie Espenlaub.

»Ich will versuchen, nach dem Haus zurückzugehen,« flüsterte sie.

Er half ihr die Stufen hinauf und stützte sie auf dem Weg zum Hause. Ohne diese Hilfe hätte sie nicht zu gehen vermocht; jeder Schritt verursachte ihr Schmerzen, stellenweise sogar wahre Pein; aber dennoch schwamm sie in Seligkeit. Es war ihr, als schwebe sie in den Wolken, ihr ganzes Wesen war von überirdischer Wonne erfüllt, und ihr Herz pochte wild unter seiner stützenden Hand. Wie oft geht nicht die höchste Wonne Hand in Hand mit dem höchsten Schmerz!

Es war nötig, von Zeit zu Zeit stehen zu bleiben unter den Apfelbäumen, deren Früchte sich in der Julisonne zu färben anfingen, oder unter dem roten Weichselkirschbaum, wo die Amsel den lieben langen Tag sang und das Herzblut der purpurroten Früchte aussaugte, oder im Schatten der duftenden Geißblattlaube, deren weit überhängende, verschlungene Zweige sie vor allen Blicken verbargen, ein wenig Rast zu machen.

Cynthia war bald blaß, bald rot, wie der Mann bemerkte, der mit gespannten Blicken jeden Wechsel auf dem lieblichen Antlitz beobachtete, das hilfsbedürftig an seiner Schulter lehnte, während sie mühsam den steilen Gartenweg hinausgingen; ja, bald war sie blaß vor Schmerz, bald erglühte sie in dem verwirrenden Taumel von Glück, der ihr fast das Herz zu sprengen drohte.

Er fühlte es pochen unter seinem Arm, er sah die roten Lippen beben vor unsäglicher Liebe, er sah ihre Wangen erglühen unter seinem Blick, und er wußte, daß der Moment gekommen war, wo er nur um die Gabe zu bitten brauchte, die zu spenden sie begehrte. Sein Schicksal hing in der Schwebe; aber er schwieg.

»Du mußt mich nicht wiederum zwischen dich und dein Glück treten lassen, Basil,« sagte sie leise, »du darfst deine Hochzeit um meinetwillen nicht aufschieben.«

»Darf ich nicht?« fragte er träumerisch und richtete einen so forschenden Blick auf ihr ihm zugekehrtes Antlitz, als wolle er in ihrem Herzen lesen.

»Nein,« wiederholte sie sanft mit einem leisen Seufzer, »Lätitia hat so lange gewartet.«

»Könntest du nicht auch so lange warten auf den Mann deiner Liebe, Cynthia?« fragte er heiser.

Ihre Augen blickten traurig und sorgenvoll, und ihr Hals und ihre Wangen färbten sich tiefer, als sie heftig ausrief: »Nein! Niemals! Ich habe keine Geduld! Ich könnte nicht meine Lebtage warten!«

»Was würdest du denn thun?« fragte er weiter, und seine Stimme klang so heiser, daß er sie selbst nicht mehr erkannte.

»Ich würde wahnsinnig werden oder sterben,« erwiderte sie leidenschaftlich mit blitzenden Augen und glühenden Wangen.

»Du würdest weder das eine noch das andre thun,« entgegnete er bitter; »du würdest es eben auch machen, wie es andre Frauen und wie es Lettice gemacht hat. Du würdest leiden und warten!«

Ihr Busen wogte, ihre Lippen bebten vor Leidenschaft, als sie ihn ungestüm unterbrach und verächtlich rief: »Und mein Leben vergeuden, wie es Lettice gethan hat, und müde, enttäuscht und verbittert werden durch so lang betrogenes Hoffen? Und wenn – wenn dann die Zeit des Wartens vorüber, ich unterdessen alt geworden, von kleinlichen Sorgen ermattet wäre, wenn mein ganzes Leben eine andre Richtung genommen hätte, was würde dann meine Belohnung sein?«

Bis in die Lippen erblaßte er bei diesen Worten, und die Glut in seinen Augen erlosch.

»Du würdest deiner Belohnung sicher sein, Cynthia; denn keiner, der dich einmal geliebt hätte, würde es fertig bringen, dir die Treue zu brechen!«

»O ja, natürlich würde ich meine Belohnung finden,« sagte sie mit einer heftigen Bewegung; »die Frauen werden ja stets belohnt! Wenn das Opfer vollendet ist, wenn sie ihre besten Jahre, ihr heißestes Empfinden dahingegeben haben, dann kommt – die Enttäuschung. O, ein solches Warten, eine solche Trennung ist unsäglich traurig. Wessen Liebe kann eine solche Probe bestehen?«

»Lätitias Liebe hat sie bestanden,« sagte er traurig, »und die deine würde sie auch bestehen.«

»Und die deine?« fragte sie beinahe streng.

»Die meine? O Cynthia!« Das Gesicht, das auf sie herabsah, glühte vor Leidenschaft, und unwillkürlich schlang sich der Arm, der sie stützte, fester um ihren Leib. »Wenn ich dich einmal liebte, würde ich dich lieben bis in den Tod! Meine Liebe würde niemals wanken!«

Sein Atem streifte ihre Wangen, sie fühlte seinen heißen Hauch, aber trotzdem schauderte sie zusammen, und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht.

»Ich sprach von Lettice,« sagte sie kalt.

Die verbrecherische Glut verschwand aus seinen Zügen, und seufzend suchte er, seiner wieder Herr zu werden.

»Liebe, treue Lettice!« Die Flamme in seinem Auge war erstorben, und seine Stimme hatte einen andern Ton angenommen.

»Ich war noch ein dummer Junge, als ich sie kennen lernte,« fuhr er eilig, fast wider Willen fort, »und – und – sie war so viel älter als ich, daß ich natürlich zu ihr hinaufsah und –« er zögerte.

»Und sie liebte,« unterbrach ihn Cynthia mit einem zärtlichen Lächeln auf den Lippen, »wer könnte auch unsre teure, selbstlose Lettice nicht lieben?«

»Und sie liebte,« fügte er entschlossen hinzu. »Gott weiß, daß ich sie geheiratet und Zeit ihres Lebens in Ehre gehalten hätte, aber – aber – sie beschloß es anders. Ihre Pflicht stand zwischen uns. Lettice konnte ihre Pflicht nicht versäumen; sie liebte mich, aber sie hatte ihren Vater und –«

»Und mich!« rief Cynthia lebhaft. »Ich stand ihrem Glück im Wege und habe ihr immer im Wege gestanden! Lettice hat kein Ich, sie bringt ihr Opfer rückhaltlos aus freien Stücken. Soweit ich zurückzudenken vermag, hat sie stets alles, alles für mich aufgegeben und geopfert. Als ich noch ein ganz kleines Kind war und eben nur im Garten hinter ihr drein trippeln konnte, da schenkte sie mir schon den Kirschbaum, unter dem wir stehen, und den goldenen Reinettenbaum dort drüben. Keine Bitte hat sie mir je versagt! Ich hätte nie kosten dürfen, was wahre Liebe ist, wenn mir Lettice nicht gezeigt hätte, daß die Liebe nicht das Ihre sucht.«

Als sie zu Ende war, blickte sie zu ihm auf; jetzt war sie mutig und konnte es wagen, seinem Blick zu begegnen. Ihr Antlitz glühte, und ihre Lippen brannten wie Feuer.

»Ja,« erwiderte er bitter, »die Liebe einer Frau kennt kein Ich.«

»Lätitias Liebe wenigstens nicht, und nach all diesen Jahren sollte auch die deine von aller Selbstsucht frei sein. Fahre fort, sie zu lieben, Basil, wie du sie vor zwanzig Jahren geliebt hast, wie wenn nichts, wie wenn ich nie zwischen euch gekommen wäre, und sei überzeugt, daß sie alles ist, was eine Frau auf Erden nur zu sein vermag.«

»Und du?« fragte er heiser.

»Ich? Ich werde dich stets wie einen Bruder lieben.«

Ein leichtes Zucken durchfuhr ihren Körper, und ihr schönes Haupt sank auf ihre Brust herab.

Die Worte, die er vielleicht noch hatte sprechen wollen, erstarben ihm auf den Lippen; denn eben erschien der bekannte schwarze Hut seiner Verlobten an der Gartenthür, und die kleine, unermüdliche Gestalt eilte auf die beiden zu.

Es war gut für Cynthia, daß Lätitia kurzsichtig war und die ungewohnte Erregung in ihrem erhitzten Gesicht nicht wahrnahm.

Basil führte das zitternde Mädchen vollends ins Haus und überließ sie dort Lätitias Sorge.

Als der verletzte Fuß gebührend gekühlt und umwickelt und die Leidende mit einer Tasse Sennesblätterthee – alle Symptome deuteten ja auf Fieber! – erquickt worden war, küßte Lätitia sie auf ihre glühende Wange und sagte ihr Gutenacht.

»Es war doch ein rechtes Glück, daß Basil bei dir war,« bemerkte sie noch.

»O ja,« wiederholte Cynthia träumerisch, »ein rechtes Glück!« Trotzdem kehrte sie aber ihr Gesicht der Wand zu und weinte sich im Schutze der Nacht in den Schlaf.

Lätitia aber ging hinunter zu ihrem Verlobten, der in dem mondbeschienenen Garten auf sie wartete.

Basil Haworth war durch und durch Gentleman, und obgleich er unwillkürlich vor dem zärtlichen Druck von Lätitias dürren Händen zurückschreckte, als sich das arme Mädchen so zutraulich an seinen Arm hing, wie sie es vor zwanzig Jahren gethan hatte, während er mit ihr zwischen den großen, geisterhaften Lilien auf und ab ging, so sagte er sich, daß von diesem Abend an sein Weg offen vor ihm liege.

Cynthia hatte ihn auf den richtigen Standpunkt gebracht; von nun an mußte seine Liebe völlig selbstlos werden. Er wollte das teure Wesen heiraten, das in Treue seiner so lange gewartet hatte, daß inzwischen der Glanz ihrer Augen erloschen und die Wangen mager und runzelig geworden waren. Was andre Männer aus freiem Willen thun, das mußte er wohl zwangsweise thun; aber in ihr sollte nie weder ein Wort noch eine That den Verdacht erwecken, daß er ein Opfer bringe. Und die andre? Ohne Zweifel würde er im Laufe der Zeit im stande sein, nur eine Schwester in ihr zu sehen.

Brüderliche Liebe pflegt langsam zu wachsen und wurzelt in dem von Kindesbeinen an gewöhnten, täglichen Zusammenleben, folglich konnte sie auch in Basils Fall nicht binnen einem Monat schon ihre volle Blüte entfalten.


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