Rudolph Stratz
Du Schwert an meiner Linken
Rudolph Stratz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2

Trüb brach der nächste Morgen an. In allgemeiner Unlust, aufzustehen, soweit es die königlich preußische Armee betraf. Es war ein Gähnen in den Kasernen, ein Sich-Recken in den Leutnantsbetten. Übernächtigkeit, Katerstimmung. Alltag. Des Dienstes ewig gleichgestellte Uhr. Freilich nur wenig Dienst. Ein bißchen Griffekloppen. Viel konnte man mit den Herren Offizieren und der Mannschaft heute vormittag doch nicht anfangen.

Erich von Logow war zeitig auf, nach seiner Gewohnheit schon vom Kadettenkorps her, in dem er als Waise, nach dem frühen Tod seiner Eltern, aufgewachsen war. Sein Kopf war klar. Er fühlte sich morgenfrisch und straff wie immer, aber voll einer Unruhe, die er kaum beherrschen konnte und die von Stunde zu Stunde stieg. Die Zeit kroch unerträglich langsam dahin. Ungeduldig schritt er in seiner Wohnung auf und nieder, ein paar spartanisch einfachen Räumen. Er hätte sich mit seinem Gelde üppiger einrichten können. Aber er legte keinen Wert darauf. Er verachtete jede Art von Verweichlichung. Er war auch nie lange hintereinander in seiner Garnison seßhaft gewesen. Militärturnanstalt, Kriegsakademie, ein Jahr lang schon einmal zur Dienstleistung beim Generalstab kommandiert, dann die Brigadeadjutantur – das Infanterieregiment Burggraf war immer nur der Ausgangspunkt und Stützpunkt seiner militärischen Laufbahn gewesen. Nun sagte er ihm ganz Lebewohl.

Es war erst zehn Uhr vormittags. Er wußte nicht, was tun. Er blieb vor dem einzigen Luxus seines Lebens stehen, dem Schrank mit seiner kriegswissenschaftlichen Bibliothek, langen Reihen in Halbfranz gebundener, abgegriffener, innen von Randstrichen und Tinteneintragungen erfüllter deutscher, französischer, russischer Bände, obenauf die Büsten der beiden Kriegsgötter, Napoleons und Friedrichs des Großen. Er dachte sich, wie er es zuweilen tat: ›Wenn die beiden gleichzeitig gelebt hätten und aneinandergeraten wären – Donnerwetter ja!‹ Er nahm ein Buch heraus. Es schien ein Heft der Einzelschriften des Großen Generalstabs zu sein. Ganz klar wurde es ihm nicht. Er stellte es auf seinen Platz und nahm seine Wanderung durch die Zimmer wieder auf. Der Bursche trat ein. Er brachte ihm Überrock und Mantel und grinste. Der Militärschneider hatte heute früh in aller Eile auf den Achselstücken den zweiten Stern, das Zeichen der Hauptmannswürde, befestigt. Erich von Logow fuhr in den Paletot, schnallte den Säbel um und setzte den Helm auf. Er hatte immer noch eine Stunde Zeit. Er wollte lieber solange noch draußen ein wenig auf den Straßen herumgehen. Er schritt an der Kaserne vorbei. Auf Leitern standen Musketiere und nahmen die Tannengirlanden von Kaisers Geburtstag ab. Auf dem kleinen freien Platz davor übte seine alte Kompanie, in Glieder auseinandergezogen. Der kleine dicke Hauptmann Neugereuth leitete den Dienst persönlich.

»Dazu hat man nun drei Herren!« sagte er erbost zu Logow. »Der eine versetzt, der andere auf Jagdurlaub, der dritte so höllenverkatert, daß er nich aus dem Bett findet! Na, der gute Solkowski wird noch ein unangenehmes Viertelstündchen erleben, wenn er wieder so weit Mensch ist.«

Erich von Logow lächelte zerstreut und ging weiter. Er hatte jetzt die Richtung nach dem Otterslebenschen Hause eingeschlagen. Seine Schritte verlangsamten sich unwillkürlich, je näher er kam. So konnte ihn ein junger Artillerieoffizier, der von einer Seitengasse einbog, mit wenigen Sprüngen einholen und schlug ihm von hinten auf die Schulter: »Logow . . . Sind Sie auf dem Weg zu uns?«

»Ach . . . Sie sind's, Ottersleben . . .«

Der junge Hauptmann, dessen neue Gradabzeichen der andere nicht beachtete, schüttelte dem Feldartilleristen kameradschaftlich die Hand. Otto von Ottersleben, der ältere Sohn des Obersten, war ein auffallend hübscher Mensch von dem schlanken, hohen Wuchs seiner Schwestern. Er hatte weiche dunkle Augen. Etwas Einschmeichelndes und Liebenswürdiges in Stimme und Bewegungen. Um das rechte Handgelenk trug er ein silbernes Armband, seine Lackstiefel glänzten im Schnee. Ein feiner Hauch von Kölnischwasser, als Gegenmittel wider den Dunst der Pferdeställe, umwitterte ihn. Er meinte, sich mit der vom Handschuh befreiten Rechten, an deren kleinem Finger der Nagel einen halben Zoll lang gepflegt war, über die Stirne fahrend: »Ich hab' ein bißchen 'nen Brummschädel! . . . Aber ich muß anstandshalber mal bei meinem alten Herrn antreten! . . . Der Grotjan, der kennt den Weg als Bräutigam ja nu schon auswendig . . .«

Sein Begleiter, der Pionierleutnant Hans Grotjan, der nun auch herangetreten war, trug behutsam den allmorgendlichen, in Seidenpapier geschlagenen Blumenstrauß für Dorle Ottersleben, seine Verlobte, in der Hand. Seine freundlichen und treuherzigen Züge leuchteten vor stiller Zufriedenheit. Er war glücklich, die Dorle zu kriegen. Er war mit Dienst und Vorgesetzten einverstanden. Er stand sich gut mit den Kameraden. Er hatte mit niemandem Streit. Seine hellblauen, klaren Augen entdeckten sofort den zweiten Stern auf Logows Achselstücken. Die beiden Leutnants gratulierten dem Hauptmann. Dann setzten alle drei, den neuen Vorgesetzten in die Mitte nehmend, ihren Weg fort, und der Artillerist gähnte: »Na . . . ich bin nur froh, wenn ich nun bald hier 'rauskomme! . . . mal keine Roßäpfel morgens rieche . . . Herrschaften . . . Berlin! . . . Laßt mich nur erst mal dort sein! Ihr werdet euch wundern! . . .«

»Das fürchtet dein Vater auch!«

»Ach, Papa hat ja keinen Schimmer!« meinte der Leutnant von Ottersleben mitleidig.

Logow achtete kaum auf das Gespräch. Er war blaß, als sie jetzt vor der Haustür standen. Aber das fiel heute, an dieser Art von Aschermittwochstag, keinem auf.

Dorle Ottersleben, die oben schon im Flur auf der Lauer gelegen, schleppte auf der Stelle ihren Bräutigam mit sich fort. Sie hatten im Salon ihre eigene ungestörte Verlobungsecke. In der tuschelten und raunten sie stundenlang.

Logow und der Sohn des Hauses begrüßten inzwischen im Wohnzimmer Frau von Ottersleben und ihre älteste Tochter. Maximiliane war nur zum Frühstück für einen Augenblick erschienen, blaß, verträumt, mit einem verlorenen Lächeln, hatte viel weicher und inniger als sonst den Eltern den Morgenkuß gegeben und sich gleich wieder in ihr Stübchen zurückgezogen. Ulla saß, als die beiden eintraten, am Fenster und beugte still den klassischen brünetten Kopf über eine Stickerei. Es war kein Leben in ihr, außer dem regelmäßigen Sticheln der weißen Finger und zuweilen einem leisen Aufhusten. Denn sie hatte sich wieder einmal erkältet und sah angegriffen aus. Dies Blutlose, Statuenhafte hatte sie meist, wenn sie mit sich und den Ihren allein war. Jetzt, bei dem Rasseln der Säbel, dem Klirren der Sporen draußen kam Ausdruck in ihren Blick, Wärme in ihre Wangen, während sie langsam das Haupt hob. Und wenn auch nur ihr Bruder und ein Freund des Hauses eintraten – sie brauchte Männer, auf die sie Eindruck machte. Einen ganz unpersönlichen nur, ganz ohne Nebengedanken. Sie mußte den Reiz ihrer Erscheinung an sich fühlen, um ganz zu werden, was sie war. Dann blühte sie auf einmal auf, wie sie sich jetzt leise lächelnd halb umwandte und den beiden vertraulich zunickte, begriff man, daß sie als das schönste Mädchen galt, das die Garnison seit vielen Jahren gesehen.

Erich von Logow war steif und förmlich vor Aufregung. Er verbeugte sich stumm gegen Frau von Ottersleben, die ihm freundlich die Hand drückte.

»Meinen Glückwunsch zum Hauptmann, Herr von Logow! Mein Mann erwartet Sie! Sie wissen ja den Weg in sein Arbeitszimmer!«

Sich auf der Schwelle von ihm verabschiedend, meinte sie zu ihrem Sohn: »Weißt du, Ottochen . . . Eigentlich bist du gerade jetzt hier recht überflüssig. Du wirst später erfahren, warum. Wie wäre es, wenn du noch ein bißchen spazieren gingst?«

»Ich bin schon draußen, Mama!«

Der Leutnant schloß behutsam die Tür hinter sich. Er pfiff dabei durch die Zähne. Er begriff, was vorging. Er hatte es schon lange erwartet. Er mußte lachen, während er die Treppe hinabstieg. Es machte ihm Spaß, daß die Schwestern so abgingen wie warme Semmeln. Es schmeichelte seiner brüderlichen Würde. Komisch nur, daß nun ausgerechnet gerade die Ulla noch übrigblieb, die Älteste, die Schönheit der Familie . . .

Zwischen der und ihrer Mutter herrschte, als sie wieder zusammen allein im Zimmer saßen, ein langes Schweigen. Endlich ließ Ulla die Hand mit der Nadel sinken und seufzte vor sich hin: »Ach ja . . .«

Es war die Mattheit einer Ballkönigin im fünfundzwanzigsten Lebensjahr. Dann, als Frau von Ottersleben aufstand und sich ihr näherte, machte sie eine ungebärdige, abwehrende Bewegung.

»Ich bitte dich, Mama, laß mich in Ruhe! Ich weiß alles, was du sagen willst!«

Nach einer Pause, in der sie sich mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt hatte, fügte sie hinzu und nahm dabei ihre Arbeit wieder auf: »Ihr habt immer viel zu viel aus mir gemacht, Mama! Mich herausgeputzt und zur Schau gestellt, als wäre ich Gott weiß was! Nun rächt sich das! Das ist, wie wenn was zu teuer im Ladenfenster steht. Schließlich will's keiner. Die große Partie, die jahrelang in der Luft gelegen hat, ist nichts geworden! Ich bin nicht Gräfin geworden! Er ist fort! Und die anderen trauen sich nicht heran. Alle fürchten sich vor meinen Ansprüchen! Schließlich bleib' ich euch auf dem Hals!«

»Ulla . . . sei doch nicht so verbittert!«

»Ja, ein Vergnügen ist's doch nicht, Mama, wenn die jüngeren Schwestern vor einem heiraten! Dadurch wird man viel älter, als man ist! Man gehört bald ganz zum alten Eisen!«

»Gönn doch der Maxe ihr Glück!«

»Ich tu's ja! Ich gönn' ihr ja, was sie mag! Ich will nur auch was für mich haben! Ich wollt', ich wär' so ein kleiner fideler Stöpsel wie 's Dorle! Die finden gleich ihr Publikum. Da wär' ich längst versorgt und aufgehoben, und ihr wärt mich los!«

»Kind – das ist doch nicht dein Ernst!«

Das schöne Mädchen erhob sich und dehnte müde die Arme. Die hohe Gestalt vom weißen Morgenkleid umflossen, stand sie mitten in dem Zimmer.

»Gott . . . zum Lachen ist's jedenfalls auch nicht, Mama! Wenn man so denkt: die Maxe, die noch kaum fertig ist – die immer noch Augen macht, als wäre sie gestern auf die Welt gekommen, die kriegt also, was sie will! Und ich . . .«

Sie brach ab und sah sich vor dem großen Stehspiegel an und sagte langsam, im Anblick ihrer dunklen, tannenschlanken Schönheit: »Und ich . . . ich . . . schau mich mal an, Mama . . . ich werd' also 'ne alte Jungfer! . . . ich hab' so Angst davor . . . so gräßlich Angst! Lieber alles als das!«

»Ulla – nun sei doch ruhig!«

»Lieber Gott! Ich bin's ja!« Sie ließ sich wieder an ihrem Fensterplatz nieder und griff nach der Stickerei. Ihre Hände zitterten, trotz der äußerlichen Teilnahmslosigkeit, die über sie gekommen war. Sie stach sich in den Finger, führte ihn an den Mund und sog mit zusammengepreßten Lippen das Blut. Dabei blickte sie düster vor sich hin, unter der Last einer Schicksalswendung, die sich an ihr vollzog, ohne daß sie sie recht begriff. Frau von Ottersleben sprach auch nicht mehr. Es war still in dem Raum. Aber ferne, über den Gang her, vernahm man aus dem Gemach des Obersten undeutlich den gedämpften Klang von Männerstimmen.

Maximiliane von Ottersleben hatte es in ihrem Stübchen gehört, als Logow draußen auf dem Flur vorbeiging, um sich zu ihrem Vater zu begeben. Sie kannte seinen raschen, gleichmäßigen Schritt. Nun war die Entscheidung da: die große Stunde. Sie fühlte eine Weihe über sich. Sie stand mitten in ihrem Zimmer, das auf die stille, verschneite Hintergasse hinausging, und tat vor sich selber ein Gelübde, den herben Reiz ihrer Züge von einem heiligen Ernst verklärt: Ich will seiner würdig werden. Er soll es nie bereuen, daß er gekommen ist. Ich geb' ihm Liebe um Liebe! Mehr Liebe, als er ahnen kann. Denn er hat ja noch nie offen mit mir gesprochen. Mehr Liebe, als ich selbst begreife. Ich hätte es nie geglaubt und niemand außer mir weiß es, daß man einen Menschen so lieben kann . . .«

Von der Wand ihres Mädchenzimmers lächelte die Sixtina aus weißem Rahmen auf sie hinab. Sie schlang die Hände ineinander. Sie hatte feuchte Augen. Sie fühlte sich wie auf einer Insel voll hellem Sonnenschein, geborgen in Licht und Liebe, und draußen die graue Welt. Plötzlich faßte sie ein Schrecken. Die Angst vor dem Glück. Sie dachte sich, während ihr der Herzschlag stillstand: »Es ist zu viel für mich! Kann denn ein Mensch das tragen?« Dann erfüllte sie eine erlösende Bejahung. Sie hob tapfer lächelnd den Kopf: ›Die Liebe kann's! Die grenzenlose Liebe . . .‹

Sie versank in Träumen, in Staunen: ›Woher hat er's nur gemerkt? Ich hab' gedacht, ich hätte mich nie verraten, in der ganzen langen schweren Zeit! Ich hab' meinen Stolz so ängstlich gewahrt. Aber es gibt ein Hellsehen der Herzen. Das ging von mir zu ihm, ohne daß ich es wollte und wußte, und kommt zu mir zurück.‹

Sie fühlte sich fromm und voll Dank und Demut. Sie sagte sich: ›Ich will von jetzt ab gut zu allen Menschen sein und meine Eltern und meine Geschwister noch mehr lieben. Ich will alle meine Fehler ablegen. Ich will das Beste aus mir machen, was ich kann, um seiner wert zu sein . . . ich hab' ihn so lieb . . . ich hab' ihn so unendlich lieb . . . ich weiß nicht, was ich in der Welt anfangen würde ohne ihn . . . da wär' ich lieber tot . . .‹

Sie ließ sich auf einem Sessel nieder und saß still. Sie hörte die Uhr ticken, manchmal draußen eine Tür gehen, eine Stimme. Sonst war kein Laut im Hause. Niemand kam und störte sie. Ihr war, als hielte alles umher, so wie sie selber, den Atem an, bis dort drüben im Arbeitszimmer des Vaters die Unterredung zwischen ihm und dem Freier zu Ende war.

Dort saß Erich von Logow, straff aufgerichtet, den Säbel zwischen den Knien, den Helm neben sich am Boden, seinem Regimentskommandeur gegenüber. Erst ein paar freundliche Einleitungsworte des Obersten: »Na – gut bekommen, gestern . . . lieber Logow?«

»Danke gehorsamst, Herr Oberst!«

»Wann werden wir Sie denn nun abessen? Der Kasinovorstand frug schon bei mir an. Ist's Ihnen recht: übermorgen abend?«

»Wie Herr Oberst befehlen!«

Eine kurze Pause. Dann begann der junge Hauptmann entschlossen, seinem Vorgesetzten dabei fest in die Augen schauend, so als erstatte er einen dienstlichen Bericht: »Herr Oberst hatten die Güte, mich ständig hier im Hause verkehren zu lassen. Ich war Herrn Oberst immer für diese Auszeichnung tief dankbar. Ich hätte es mir nie erlaubt, mir sie in so vollem Maße zu Nutzen zu machen, wie ich es getan hab', wenn dabei nicht noch für mich besondere Umstände mitgesprochen hätten . . .«

Er brach einen Augenblick ab, um Atem zu holen, und fuhr fort: »Ich habe es bisher nicht gewagt, mich hierin zu erklären. Man hat sich darüber gewundert. Ich weiß. Ich bin im Kasino damit aufgezogen worden. Ich hab' sogar spaßhafte anonyme Briefe gekriegt. Aber ich hielt meine Zeit noch nicht für gekommen. Ich sagte mir . . .«

Plötzlich verließ ihn wieder der Fluß der Rede. Er mußte anhalten und seine Gedanken sammeln. Der Oberst wartete ernst und freundlich und dachte sich dabei ganz verwundert: Herrgott, warum ist der Mensch so aufgeregt! Er weiß doch wahrhaftig, daß er keinen Korb riskiert. Und doch färbte jetzt eine leichte Röte der Befangenheit die wettergebräunten Wangen seines Gegenüber.

»Nämlich, Herr Oberst! Unter meinen vielen Fehlern ist auch der: Ich hab' eine viel zu große Meinung von mir. Ich hab' immer die Idee, mir müßte alles glücken. Der Gedanke an eine Niederlage ist mir gräßlich. Der möchte ich mich auch jetzt nicht aussetzen. Ich möchte – frei gesprochen – nicht einen glatten Korb riskieren. Und deswegen komme ich zuerst, ganz privatim, zu Herrn Oberst! . . .«

Herr von Ottersleben lächelte für sich. Eigentlich überschätzte sich der gute Logow wirklich nicht so sehr, wie er sagte. Eher im Gegenteil. Der junge Offizier war jetzt wieder blaß vor Spannung. Er hing an den Lippen seines Kommandeurs, der langsam meinte: »Na – inwieweit Sie Ihrer Sache sicher sind, Herr von Logow, das müssen Sie doch eigentlich besser wissen als ich!«

Der Hauptmann schüttelte hastig den Kopf. Er beugte sich etwas vor und fuhr lebhaft fort, in einem beinahe ängstlichen Vertrauen zu seinem Vorgesetzten.

»Nein, Herr Oberst . . . ich weiß es nicht! Ich sage mir selbst, daß Ihr Fräulein Tochter hohe Ansprüche zu stellen vermag, höhere als irgend jemand sonst. Und wieweit ich denen gewachsen bin . . . Herr Oberst sagten mir einmal auf dem Heimritt von einer Felddienstübung, Sie würden sich freuen, wenn Ihre Töchter auch einmal alle Offiziere heiraten würden. Herr Oberst haben bei anderen Gelegenheiten gesprächsweise Ihre Freude an so alten preußischen Namen ausgedrückt, wie sie Herr Oberst und ich tragen. Diese Voraussetzungen kann ich also erfüllen. Ich habe auch genug Vermögen, mehr als verlangt wird. Ich würde Herrn Oberst hierüber meinen Bankauszug vorlegen . . . Aber das alles will ja noch wenig besagen . . .«

»Na – was denn noch?« dachte sich Herr von Ottersleben verblüfft. Der Freier wurde ihm schon beinahe ein Rätsel.

Erich von Logow hub wieder an: »Ich gab mir selbst zu: Wenn ich so als simpler Leutnant eines Linienregiments in der Provinz antrete . . . Ihr Fräulein Tochter kann wirklich mehr vom Leben erwarten. Das war, neben meinem dienstlichen Ehrgeiz, der Grund, weswegen ich so hartnäckig auf den Generalstab losarbeitete und bis dahin nicht rechts und nicht links schaute. Seit gestern abend hab' ich es nun erreicht. Ich bin Hauptmann und ich bin im Generalstab und werde alles daransetzen, mich dauernd in der Generalstabskarriere zu halten. Dadurch eröffne ich auch meiner künftigen Frau die Aussicht auf einen ganz anderen äußeren Verlauf ihres Lebens – Berlin und sonstige ganz große Garnisonen, der ständige Verkehr mit hohen Vorgesetzten, die reiche Geselligkeit überhaupt . . . die Möglichkeit, seiner Frau einmal hohen Rang und Titel zu verschaffen . . . Verzeihen Herr Oberst, wenn ich da im Eifer unbescheiden von mir rede . . .«

»Na, das weiß ich doch alles selber, lieber Logow . . .«

»Und glauben Herr Oberst, daß ich . . . daß ich daraus mir das Recht herleiten darf, die Frage zu stellen, die . . .«

Der Hauptmann von Logow war jetzt so aufgeregt, daß er, gegen seine sonstige selbstbeherrschte Art, stotterte und stockte.

Der Oberst nickte ihm begütigend zu. »Na – nun schon mal 'raus mit der Sprache, Logow! Herrgott ja – wir sind doch hier unter uns Männern . . .«

»Ich darf reden, Herr Oberst?«

»Gewiß!«

Erich von Logow gab sich einen Ruck und sagte schweratmend: »Dann möchte ich hiermit Herrn Oberst ganz gehorsamst um die Hand Ihrer Fräulein Tochter Ulla bitten!«

Herr von Ottersleben traute seinen Ohren nicht. Er hätte beinahe in seiner Überraschung gefragt: ›Wie? Haben Sie sich nicht versprochen?‹ Aber er biß sich noch im rechten Augenblick auf den Schnurrbart und wiederholte, ohne daß man seinem seinen und klugen, ein wenig kränklichen Gesicht etwas anmerkte: »Um die Hand meiner Tochter Ulla?«

»Zu Befehl!«

Erich von Logow schien verwundert, daß man den Namen noch erst zu nennen brauchte. Das mußte, nach seiner Meinung, längst ein offenkundiges Familiengeheimnis sein, wem seine Werbung galt, wenn er auch sich nie mit einem Wort verraten hatte, daß ihm bis gestern gegenüber dem schönsten Mädchen der Garnison, der verwöhnten, vielgefeierten Ballkönigin, der überall in der Provinz, im ganzen Armeekorps bekannten Ulla Ottersleben als Vermessenheit erschienen wäre. Er war froh, daß es nun glücklich heraus war. Sein Gesichtsausdruck war dienstlich steinern, während er dasaß und auf Antwort wartete. Der Oberst erhob sich. Er war noch immer wie vor den Kopf geschlagen.

»Schön, Herr von Logow! Ich danke für Ihr Vertrauen! Und nun verzeihen Sie, bitte, einen Augenblick. Sie begreifen: Ich will vor allem jetzt einmal mit meiner Frau reden!«

Er ging rasch über den Flur. Unterwegs wurde er zornig. Als er in das Wohnzimmer trat, in dem Frau von Ottersleben allein saß, polterte er los: »Das kommt davon, wenn man vier Frauenzimmer im Haus hat! Ganz verrückt macht ihr einen mit eurem Geschwätz! Weißt du, wen der Logow will: die Ulla!«

»Was?«

»Die Ul–la!« wiederholte der Oberst mit scharfer Betonung. »Was sagst du nun?«

Frau von Ottersleben legte die Hände im Schoß zusammen.

»Thilo . . . ich glaube, du träumst!«

»Nee, meine Liebe, ihr habt geträumt! . . . Ihr habt mir das in den Kopf gesetzt . . . Ihr habt womöglich auch der Maxe das eingeredet . . .«

»Thilo . . . Maxe etwas einreden! . . . Du weißt doch, wie verschlossen sie ist! Man ist bei ihr immer nur auf Mutmaßungen angewiesen. Wenn ich mich da getäuscht haben sollte . . .«

»Aber gründlich, mein bestes Mallchen! Das Mädel kommt gar nicht in Frage! Macht sich wahrscheinlich auch gar nichts aus dem Logow! Sonst müßte er doch was gemerkt haben! Das war alles eitel Hirngespinst!«

Die beiden Gatten schwiegen. Frau von Ottersleben schüttelte ratlos den Kopf. Ihr Mann hub an.

»Das ist wieder ein Beweis, daß wir Eltern alle von unseren Töchtern ungefähr so viel wissen, wie ich vom Kaiser in China! Die haben ihre Geheimnisse für sich. Die beißen sich lieber die Zunge ab, ehe sie uns was verraten! Ich bin mir eben förmlich dumm vorgekommen gegenüber dem Logow. Drüben lauert er nun! Zu lange können wir ihn nicht warten lassen! Sonst dämmert's ihm doch, daß hier etwas nicht ganz in Ordnung ist!«

»Bitte ihn, nachmittags wiederzukommen, Thilo! Das ist das beste! Wir müssen doch jedenfalls jetzt erst ein paar Stunden für uns haben!«

Erich von Logow war auch gar nicht überrascht, als ihn sein Oberst, in das Zimmer zurückkehrend, auf drei Uhr wieder herbat.

»Ich denke, es ist in Ihrem Sinn, lieber Logow! Wir sprechen unterdessen mit unserer Tochter Ulla! Sie finden sie vorbereitet . . . wenn das noch nötig sein sollte. Sie sagen ja, Sie hätten sich ihr selbst gegenüber noch in keiner Weise eröffnet . . .«

»Nein, Herr Oberst! Aber ich bin trotzdem überzeugt, daß Fräulein Ulla seit langem über meine Gefühle nicht im unklaren ist. Es kommt ihr gewiß nicht überraschend!«

»So . . . so!« versetzte Herr von Ottersleben. Er machte ein zweifelndes Gesicht, während er seinen Besucher hinausgeleitete. Mochte sich der Kuckuck auskennen mit den drei Mariellen! Er furchte gedankenvoll die Stirne, fuhr sich mit der Rechten an den Kragen, um sich Luft zu machen, und schritt energisch und sporenklirrend hinüber in den Wohnraum.

Dort war jetzt auch Ulla. Ihre Mutter hatte sie gerufen. Sie hatte ihr bereits gesagt, um was es sich handelte. Es war unmöglich, zu erkennen, welchen Eindruck das auf sie machte. Sie stand schweigend, in ihrer statuenhaften Schönheit, mitten im Zimmer. Ihr Vater sah das blasse, an eine griechische Gemme erinnernde Profil mit den langen Wimpern und dem schweren, unbekümmert um die Mode, nach antiker Art im Nacken lastenden Haarknoten, den edlen Linien ihrer hohen Gestalt, und dachte sich: Ein Wunder ist's ja schließlich nicht, daß die dem guten Logow in die Augen gestochen hat. Die Maxe kommt ja nicht gegen sie auf! . . .

Er wartete und wunderte sich über ihre Ruhe. Endlich meinte er nur: »Na . . . nu sag mal . . .«

Ulla Ottersleben erwiderte nichts. Sie zuckte nur die Schultern, mit einer eigentümlichen, etwas gereizten Bewegung, aus der man allerhand entnehmen konnte.

Der Oberst forschte gedämpft: »Hast du dir denn das ahnen lassen?«

Die dunkle Schönheit ihm gegenüber hielt gleichmütig seinen Blick aus. Sie legte das Haupt leicht in den Nacken.

»Komisch, daß ihr euch so darüber wundert!« sagte sie endlich. »Warum soll denn nicht schließlich auch jemand zu mir kommen? Er ist doch wahrhaftig der erste nicht. Aber ihr denkt immer, ich sei schon ganz passée! . . . Bloß, weil Mama mich immer aufgestachelt hat, für nichts und wieder nichts auf eine Riesenpartie zu warten . . .«

»Also hast du's gewußt?«

»Gott . . . gewußt . . . Gedacht hab' ich mir schon im stillen oft mein Teil . . . aber ihr habt einen ja ganz konfus gemacht . . . immer die Maxe . . . ewig die Maxe . . . Schließlich wurd' ich selber an mir irre und wußt' nicht mehr, woran ich war . . .«

»Aber gesprochen hat er zu dir nie?«

»Nie 'ne Silbe! . . . Man fühlt nur so was! Man merkt auf einmal, daß man irgendwo Eindruck macht! Mir war's übrigens ganz egal! Ich hab' mir weiß Gott keine Mühe gegeben! Ich bin der Maxe nicht ins Gehege gekommen. Ich hab' ihm mit keinem Blick und mit keinem Ton Andeutungen gemacht. Das muß mir der Neid lassen . . .«

Und mit trotzigen Querfältchen auf der weißen Stirne, in einer plötzlichen Aufwallung, die ihrem sonstigen Phlegma fremd war, fügte sie hinzu: »Überhaupt . . . ich brauch' mich doch schließlich nicht zu verteidigen, wenn ich jemandem gefalle! Das ist doch mein gutes Recht und doch auch kein Wunder, wenn man vierundzwanzig und nicht gerade 'ne Meerkatze ist. Und ich kann ja auch gar nichts dafür!«

»Das behauptet ja auch niemand!«

»Warum macht ihr denn dann Gesichter, als sei Gott weiß was für ein Unglück passiert!«

»Auch darin täuschst du dich, liebe Ulla! Mama und ich sind nur verblüfft. Die Frage ist: was nu?« Herr von Ottersleben wurde plötzlich wieder zornig. »Das kommt davon, wenn man mir die ganze Zeit solchen Hokuspokus vormacht. Ich kann's doch nicht wissen! Ich hab' doch noch andere Sachen im Kopf, als eure Liebeshändel. Ich . . .«

»Thilo . . .« mahnte seine Frau in leiser Strenge.

»Jawohl, Mutter! Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ich erfahre ja doch alles erst hinterher! . . . Du auch! . . . Also gut! . . . Dann macht ihr, was ihr wollt! Ich sag' nicht ja und nicht nein, so willkommen mir auch der Logow als Schwiegersohn ist. Aber ich will so aus heiterem Himmel die Verantwortung nicht übernehmen. Ich überlasse es dir! Bring du deine Sache selbst zu Ende . . .«

Ulla Ottersleben erwiderte nichts, sondern schritt nach dem Ausgang.

»Wohin denn, Kind?«

»Zu Maxe, Mama!« sagte sie, einen Augenblick auf der Schwelle innehaltend, mit gelassener Stimme und ging dann den Flur entlang. Dort flog bei ihrem Nahen eine Tür auf. Maximiliane stand da, mühsam ihre Angst beherrschend.

»Du . . . Ulla . . .«

»Da bin ich!«

»Eben hört' ich doch Schritte . . . Ulla . . . Er ist doch nicht weg?«

»Ja.«

»Um Gottes willen . . .«

»Erschrick nicht . . . Er kommt wieder . . . Heute nachmittag . . . da holt er sich Bescheid . . .«

»Ach so . . .« Ihre blonde Schwester holte erlöst Atem. Sie lehnte auf der Schwelle, so, daß die andere nicht an ihr vorbei in das Zimmer treten konnte. »Ulla . . . ich möchte jetzt lieber noch einen Moment allein sein!« sagte sie.

»Aber ich muß mit dir sprechen, Maxe!«

Die beiden großen schlanken jungen Mädchen standen sich in der schmalen einfenstrigen Stube gegenüber. Ulla setzte sich auf das Bett der anderen, glättete mechanisch mit der Hand den Kissenüberzug, senkte den dunkelglänzenden Scheitel und hub an: »Du, hör mal . . . Maxe . . . Also Logow hat richtig angehalten . . .«

». . . ja . . .«

»Aber um mich! . . . Er will mich . . . Komisch . . . nicht? . . . Was meinst du dazu? Was rätst du mir . . .«

Sie machte eine Pause und hob dann langsam die langen schwarzen Wimpern zu der Jüngeren empor. In ihren großen mandelförmigen Augen war eine leise Angst vor dem, was nun kommen würde. Aber zu ihrem maßlosen Erstaunen zeigte Maximiliane keine Spur von Bewegung auf den Zügen. Sie war nur wie versteinert. Aber sie lächelte. Es war ein Zucken um die Mundwinkel – dann ein Schein freundlicher schwesterlicher Teilnahme . . . Sie sagte wie im Traume: »So . . . dich will er . . .?«

»Ja.«

»Nun – dann wünsch' ich dir Glück!«

»Ja aber, Maxe . . . so schnell geht das nicht . . .« Ulla Ottersleben war verwirrt vor dieser unheimlichen übernatürlichen Ruhe. »Erst muß ich doch wissen, was du darüber denkst!«

Maximilianens große blaue Augen wurden weit vor Staunen.

»Ich?« sagte sie verwundert, als bekäme sie eine Botschaft vom Monde. »Was geht denn das ums Himmels willen mich an?«

»Aber du interessierst dich doch für ihn . . . Wir hatten wenigstens alle den Eindruck . . .«

Das blonde junge Mädchen lachte leichthin und drehte sich halb zur Seite.

»Ach, das war nicht so schlimm. Das war vielleicht mal so 'ne Spielerei mit einem Gedanken. Das passiert einem ja manchmal . . . dir ja auch . . . das ist bis morgen vorüber, wenn man sieht, daß nichts daraus wird! Das muß man nicht zu tragisch nehmen! Ich tu's wenigstens nicht. Du siehst ja, ich bin ganz ruhig. Also lasse du dich dadurch beileibe nicht stören, Ulla!«

»Also du meinst wirklich . . .«

»Nimm ihn doch, wenn er dir gefällt! Meinen Segen hast du . . .«

Ulla zögerte.

»Weißt du . . .« sagte sie . . . »ich bin ja nicht so leidenschaftlich versessen auf ihn . . . Was hast du denn? . . . Du wirst auf einmal ganz weiß . . .«

»Nichts . . . nichts!« versetzte Maximiliane und lachte. Dann legte sie wie in der Zerstreutheit die Hand auf eine Stuhllehne, um sich vor dem forschenden Blick der Schwester unauffällig aufrecht zu erhalten. Sie fühlte: die glaubte ihr nicht. Die wußte, daß das alles Lüge war, verzweifelter, beleidigter Stolz. Aber sie fühlte auch: es paßte Ulla, es nach außen hin zu glauben. Es stimmte zu ihren Plänen. Darum gab sich die Schwester den Anschein, als nähme sie die Worte der Jüngeren für bare Münze. Sie meinte: »Wenn ich's tue, Maxe, dann ist's bei mir mehr Vernunftsache . . . Sieh mal . . . Es ist nachgerade für mich Zeit. Ich hab' ein paar Jahre verplempert . . . damals . . . du weißt, um wen – schließlich hat doch eine andere ihn und ist Gräfin geworden und hat die Riesengüter . . . da sag' ich mir: Es kommt da jemand, der mir immerhin noch etwas sehr Annehmbares bietet – der mich gern hat – der es noch einmal sehr weit bringen kann . . . wer weiß denn, wann die Gelegenheit wiederkehrt . . .«

»Wenn du diese Ruhe in dir hast,« versetzte Maximiliane, ». . . wenn du dir das zutraust, einen zu heiraten, ohne daß du in dir fühlst: ›Den oder keinen . . . und lieber tot‹ . . . ich könnt' es nicht . . . Aber die Menschen sind ja Gott sei Dank verschieden . . .«

»Also du redest mir selber zu, Maxe?«

»Ich wünsch' dir viel Glück!« versetzte das junge Mädchen mit unbewegtem Gesicht.

Ihre schöne dunkelhaarige Schwester sprang auf und küßte sie auf die blassen Lippen. Sie ließ es schweigend geschehen. Die andere spielte ihre Komödie weiter.

»Ich danke dir von Herzen,« sagte sie lebhafter als sonst. »Nun ist mir ein Stein von der Seele, da du mich so über deine Gefühle beruhigt hast. Nun kann ich erst mit den Eltern sprechen. Die haben ja doch von nichts eine Ahnung!«

Sie umarmte die Jüngere noch einmal, nickte ihr zu und schlüpfte aus dem Zimmer. Sie war jetzt ganz mit sich beschäftigt. Sie merkte es nicht mehr, daß, noch während sie die Tür in das Schloß drückte, Maximiliane mit einem leisen, todwunden Stöhnen schwankte, unsicher in der Luft nach einem Halt griff, ein Paar Schritte nach ihrem Bett zu machte und schwer darauf niederstürzte. Da blieb sie liegen, ohne sich zu rühren, mit geschlossenen Augen, wächsernen Wangen und strengem, leidendem Mund, gleich einer Toten.

Ulla war inzwischen wieder zu ihren Eltern ins Zimmer getreten. Sie sah jetzt belebter und fröhlicher aus. Der Vater empfing sie ungeduldig, aber sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Gott . . . die Maxe ist ja ganz vernünftig!« sagte sie. »Sie faßt's mit der größten Seelenruhe auf. Es war bei ihr gar nicht so schlimm, wie man dachte! . . . Wahrscheinlich war überhaupt nichts. Man wird ja nie aus ihr klug . . .«

»Bist du dessen auch ganz sicher?«

»Ja, ja . . . Mama!«

»Gott sei Dank!« sprach Frau von Ottersleben.

Ihr Mann räusperte sich: »Na schön! . . . Also nun hab' die Güte, liebes Kind, und erkläre dich!«

»Wieso, Papa?«

»Ja . . . sieh mal – bloß um sich einen Korb zu holen, bestell' ich mir den Logow nicht erst nachmittags extra ins Haus! Das mute ich einem Mann von seinem Selbstgefühl nicht unnütz zu! Das vergißt er mir nie! Da schreib' ich ihm lieber ein paar schonende Zeilen und schick' sie ihm vorher . . .«

Ulla von Ottersleben überlegte nicht lange. Sie sagte ruhig, nur noch, in diesem Augenblick der Entscheidung über ihr Leben, um einen Ton blässer werdend: »Du brauchst ihm nicht zu schreiben, Papa!«

»Also willst du ihn nehmen?«

»Ja.«



 << zurück weiter >>