Adolf Stoltze
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Adolf Stoltze

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Kapitel 7.

Teilt mit, was weiter geschah und wie man mitunter Schätze findet, wo sie nicht vermutet werden.

Das Laub färbte sich gelb, und welke Blätter wirbelten über die heißen Asphaltstraßen Berlins, als wenn sie das nahe Ende des Sommers verkünden wollten.

Die Hauptstadtflüchtlinge waren aus ihren Sommerfrischen zum größten Teile zurückgekehrt, und im Zoologischen Garten saßen in langen Reihen die Damen und renommierten mit Hochlandstouren, die sie gemacht, und den Eideshelfern, den Bergstöcken, die sie daheim im Schirmständer stehen hatten. Die Theater öffneten wieder ihre Pforten, und die Konzertreferenten ließen ihre Stiefel neu besohlen und rieben sich die Waden mit Franzbranntwein ein, um die Strapazen der kommenden Saison leichter bewältigen zu können. Während der verflossenen Monate hatte sich manches in dem kleinen Wirkungskreise Emiliens geändert. Maria, die Knopflochmacherin, war in den heiligen Stand der Ehe getreten und hatte den »Optikieker« geheiratet. Fast alle Freundinnen von ihr waren auf der Hochzeit erschienen, auf der es hoch hergegangen, und außer Exportbier, auch echter Rüdesheimer, die Flasche für eine Mark zwanzig Pfennige, wie der erneuerte Ehemann versichert hatte, in Strömen geflossen war. Zur Unterhaltung der Gäste hatte man ein Gramophon aufgestellt, aus dem erste Opernkräfte »Winterstürme wichen dem Wonnemond«, das dumme Reiterlied aus der lustigen Witwe und andere Gesangsnummern geschmettert hatten. Auch für Tanzmusik war gesorgt gewesen, denn ein Drehorgelspieler hatte im Hofe die neuesten Walzer zu Gehör gebracht und unzählige Male wiederholt. Mit einem Worte, es war eine richtige Hochzeitsfeier gewesen, die nur dadurch eine kleine Störung erlitten hatte, daß sich der achtjährige Junge des Wiedervermählten schon vor Mitternacht betrunken hatte, die Treppe hinuntergefallen und von seiner neuen Mama verbunden worden war; und daß sich dessen siebenjährige Schwester das harmlose Vergnügen gemacht hatte, ab und zu den im Hof verkehrenden Personen die Bierreste auf die Köpfe zu schütten, was ihren Papa veranlaßte, ihr eine so weitschallende Züchtigung auf die entblößten Sitzteile zu verabfolgen, daß die Gralssage, mit der sich das Gramophon gerade beschäftigte, vollständig verloren ging und erst, nachdem sich die Range beruhigt hatte, wiederholt werden konnte.

Emilie war die einzige aus der Nähstube, die unter nichtigem Vorwand der Festlichkeit ferne geblieben war, obgleich sie den größten Betrag zur Anschaffung eines Geschenkes beigesteuert hatte.

Die Gründe, welche sie hierzu veranlaßten, waren weniger in der Verbitterung ihren Kolleginnen gegenüber zu suchen, als in dem bangen Gefühl, das sie bei dem Gedanken beschlich, daß das, was sie schauernd als ihr Geheimnis bewahrte, in absehbarer Zeit offenbar werden mußte.

Ihr ganzes Wesen hatte sich in den letzten Monaten geändert; es war ernster und frauenhafter geworden, und eine hochgradige Nervosität machte sich bei all ihren Handlungen bemerkbar.

Mehr denn je vermied sie es, von Holmer zu sprechen, und mußte es trotzdem sein, so flackerten in unheimlicher Glut ihre Augen, und sie antwortete so gereizt, daß es ihre Mitarbeiterinnen für besser fanden, dieses Thema fallen zu lassen, sich aber desto eifriger in ihrer Abwesenheit damit beschäftigten.

Von Lotte hatte sie sich getrennt, weil sie sich beobachtet glaubte, und ein bescheidenes Stübchen in der Nähe von ihres Freundes Wohnung bezogen, wo sich niemand um ihr Kommen und Gehen kümmerte.

Täglich, wenn sie von der Arbeit kam, suchte sie nun den jungen Mann auf und fand Trost und Lebensfreudigkeit in seiner Nähe. Sie besorgte seine kleinen Einkäufe, unterhielt seine Wäsche und war glücklich, wenn er ihr mit einem freundlichen Lächeln dafür dankte. Da er keinen Dialekt sprach, gab sie sich redlich Mühe, den ihrigen abzulegen, und ließ den Spott ihrer Freundinnen über ihr Bestreben geduldig über sich ergehen. Ihr Ehrgeiz war nicht, die Frau ihres Geliebten zu werden, so hoch wagte sie überhaupt ihre Hoffnungen nicht zu steigern, obgleich nur diese Lösung ihr die innere Ruhe wiedergeben konnte, sie war vielmehr schon zufrieden, wenn die Beziehungen, wie sie bestanden, keine Trübung erfuhren.

Holmer litt schwer unter diesen Verhältnissen, er konnte sich nicht freisprechen von Schuld und wußte nicht wie er aus diesem Dilemma herauskommen sollte. An die Begründung eines eigenen Hausstandes konnte er nicht denken, dazu waren, trotz einiger Erfolge auf literarischem Gebiete, seine Einnahmen noch zu gering, auch war er zu viel Egoist, um sein Schicksal an jemand zu ketten, in dessen Lebensstellung er ein Hindernis für seine ehrgeizigen Pläne fürchtete, und lossagen von seiner Geliebten konnte und wollte er sich nicht, da ihn nicht nur die Pflicht, sondern auch die Neigung band.

Emilie hatte, in demselben Maße wie sie sich von ihren Arbeitskolleginnen entfernte, sich ihren früheren Freundinnen, die sie eine zeitlang vernachlässigt hatte, wieder genähert und namentlich bei Therese ein herzliches Entgegenkommen gefunden. Sie sah das Verhältnis dieses Mädchens zu einem abgedankten Offizier jetzt mit ganz anderen Augen als früher an; ja sie fand sogar, daß es eine gewisse Ähnlichkeit mit dem ihrigen habe..

Wenn es irgend anging, suchte sie sie auf, und hatte es durch ihre Bitten fertig gebracht, daß sie Holmer, wenn auch mit innerem Widerstreben, dort abholte.

Auch heute, an einem Sonntag, hatte er sein Wort gegeben, sie bei Therese in der Invalidenstraße zu treffen, zuvor aber wollte er noch einen Auftrag in der Rochstraße erledigen.

Schon befand er sich auf dem Belle-Allianzplatze, als ihm einfiel, daß er sich nicht über die Lage der aufzusuchenden Straße unterrichtet hatte, er wandte sich deshalb an einen Passanten und erkundigte sich darnach:

»Bitte, können Sie mir vielleicht sagen, wo ich nach der Rochstraße komme?«

»Tja, warum nich?« sagte derselbe und zog höflich seinen Hut. »Ich bin Sie nämlich schon seit sieben Jahre in Berlin, da weeß man Bescheid – in eenem Exportgeschäfte in der Ritterstraße, eene Weltfirma sage ich Sie.«

»Das freut mich.«

»Wahrhaftig; mich ooch. Nu sähen Se, das hinter Sie is der Belle-Allianzplatz, von der großen Schlacht bei Waterloo her, wo der Napoleon seine Keile gekriegt hat.«

»Ich weiß, ich weiß!«

»Nu äben. Wenn ich Sie nun raten soll, dann gehen Se umgekehrt die Friedrichstraße lang, bis an die Linden.«

»Ich finde schon.«

»Ach tja! Da wo die Linden sind, da sind die Linden, und da wänden Se sich links; in der Bromenade da steht enn Schutzmann zu Fuß, der hat Sie enn Straßenverzeichnis in der Tasche, und wenn Se den fragen, muß er Sie sagen, wo die Rochstraße is. Das steht in seiner Instruktion – tjawohl, ich bin sieben Jahre in Berlin, da weeß man Bescheid.«

»Sie selbst wissen aber nicht, wo die Straße ist?«

»Nee, mein kutestes Herrchen; dazu is nu Berlin zu groß.«

Holmer wollte nach dieser Auskunft weiter gehen, als ihm ein Herr, der das Gespräch mit angehört hatte, zurief: »Wenn Se so 'ne Nebenstraße suchen, dürfen Se man bloß eenen fragen, der mit Spreewasser jedooft is, die sind freilich rar jeworden. Kommen Se man mit.«

Holmer folgte der freundlichen Einladung bis zur Leipzigerstraße, wo ihm der gefällige Herr den Trambahnwagen bezeichnete, den er benützen müsse, um zu seinem Ziele zu kommen. Als er dasselbe erreicht hatte, entledigte er sich schnell seiner Aufgabe und bummelte dann gemächlich nach der Invalidenstraße, um die Wohnung Theresens aufzusuchen.

Er betrat das ihm wohlbekannte, im Hofe befindliche Haus, stieg zwei Treppen empor und klingelte an einer Türe. Neben der Türe befand sich ein kleines Messingschildchen: Therese Waldau, Malerin; darüber eine mit Reißnägel befestigte Visitenkarte, auf der zu lesen war: Kurt Langenfeld, Leutnant a. D.

Der Leutnant öffnete. Es war ein großer, hagerer Mann mit ansehnlicher Glatze, die ein Kranz kurzgeschnittener Haare umrahmte. Eine lange, leicht angerötete Nase thronte über einem aufgezwirbelten graublonden Schnurrbart, dessen Spitzen bis über die Augen emporstanden. Er trug eine weiße Hausjacke und hielt die Mundspitze einer langen Tabakspfeife, mit schwarzweißroten Quasten zwischen den Zähnen. Als er Holmer erblickte, streckte er diesem die Hand entgegen und rief:

»Servus! Bitte, hier herein, Fräulein Emilie wartet schon lange auf Sie.«

Er öffnete die Türe zu einem mittelgroßen Zimmer. Die Einrichtung dieses Wohnraums offenbarte sich als eine Zusammenstellung der verschiedensten Geschmäcker. Da fand sich, neben billigem, gewöhnlichem Hausrat, ein altmodischer, ungewöhnlich großer Flügel in Mahagoniholz, ein Bett mit vergoldeter, eiserner Bettstelle, ein achteckiger Nußbaumtisch, ein mit verschossener grüner Seide bezogenes Sofa, und Stühle mit Holzsitzen und Rohrgeflechten. Dicht am Fenster hatte ein länglicher, ordinärer tannener Tisch Aufstellung gefunden, auf dessen Platte Schablonen, Schreibvorlagen in russischen Buchstaben, Farbennäpfe, Pinsel und angefangene Handmalereien: flammende Herzen, in deren Mitte sich küssende Pärchen oder schnäbelnde Täubchen befanden, in Unordnung umherlagen.

Therese und Emilie gingen dem Ankömmling entgegen und begrüßten ihn aufs herzlichste.

»'s is jut, daß Se endlich da sind!« rief Therese, eine schlanke Blondine, mit lebhaften blaugrauen Seelenspiegeln und welken Zügen. »Die Pfirsichbowle kann's jar nich abwarten, bis se alle is.«

»Eine Pfirsichbowle!«

»Is ooch wat. Na freilich, rar jenug kommt se bei uns vor; aber heute hat Leitnant seine jute Jacke an und den nötjen Jibs drinn. Ja kieken Se man, Herr Holmer – wir haben jestern jeerbt.«

»Sapperlot! Das soll unter Umständen sehr angenehm sein.«

»Ooch ohne Umstände – namentlich, wenn man den Testator jar nich jenauer jekannt hat.«

»Und die Summe recht bedeutend ist.«

»Man nimmt, wat man kriegt; is zufrieden und wünscht sich mehr. Neunundvierzig Märker, sechzig Fennige. Na, Leitnant wird die Jeschichte erzählen – zu kullig!«

Holmer warf Emilie einen Blick zu und sagte dann: »Bitte, Fräulein Therese, auf ein andermal, ich bin nur gekommen, Emilie abzuholen, um mit ihr nach den Zelten zu gehen.«

»Ne, det wohnt nich! wer hier is, bleibt hier. Hier is ooch jemütlich – oder nich Emilie?«

»Ich bin jerne hier, aber wenn Robert jehn will – –«

»Sagste, nee! Wir jehören zwar nich zur Haute wolaute, aber verhungert is bei uns noch keen Jast, wir haben noch immer enn paar Happen in der Küche.«

In diesem Augenblick trat der Leutnant ein, in jeder Hand eine Schüssel, auf denen Schinken und Wurst, Backwerk und Obst zierlich geordnet lagen.

»Wenn ich bitten darf,« sagte er, nachdem er seinen Vorrat abgestellt und auf dem runden Tische Bowle, Gläser und Teller geordnet hatte. »Nicht ganz so wie im Kasino, aber trotzdem jenießbar. Vorwärts, zur Attacke!«

Die kleine Gesellschaft nahm Platz; und Therese füllte die Gläser. »Denk mal Leitnant, Herr Holmer wollte sich dinne machen.«

»Achtungverletzung vor versammelter Mannschaft – drei Tag dunkel.«

»Na, er is zu Kreuz jekrochen un bleibt – nu kannste loslejen.«

»Da muß ich weit zurückgreifen, wenn ich verstanden sein will.«

»Jreif du zaruck, wir jreifen zu – Prost!«

Alle stießen mit den Gläsern an. Dann wurden Zigarren herumgereicht, und nachdem Holmer und Therese sich eine angebrannt, zündete der Leutnant seine lange Pfeife an, nahm noch einen kräftigen Schluck und begann:

»Die Jeschichte klingt etwas unwahrscheinlich, aber aufjeschnitten ist sie trotzdem nicht.«

»Det will viel heeßen bei 'nem Leitnant.«

»Entweder erzählst du oder ich.«

»Ollet Brummeisen!«

»Na also; Dekoration: Hausflur.«

»Wenn du soweit zurückjehn willst,« unterbrach ihn abermals Therese, »fängste besser mit dem Paradiese an.«

Der Leutnant warf ihr einen verweisenden Blick zu. »Schnauze!«

»Hab ich.«

»Leider! Also, in Zivil komm ich die Straße lang – Jewitter – rejnet Strippen. Windsbraut, schon mehr Schwiejermutter, reißt meinen Schirm rum – muß in Hausflur flüchten.«

»Und trifft mir da.«

»Naß wie'n Schwamm. Sehe mir Schicksalsjefährtin an – nicht übel.«

»Reizend hast du jesagt.«

»Äh – versprochen! Wende mich an sie: Haben wohl noch weit zu Hause, mein Fräulein?«

»Bis Rixdorf.«

»Würde Sie ferne unter meinen Schirm nehmen, wenn der Rejen nachläßt, muß aber umjekehrte Richtung nach der Kaserne.«

»War jelogen.«

»Auf Ehre nicht.«

»Na, da hören Se ja, dat et jelogen war.«

»Da sie unverschämt verschämt tut, betrachte ich mir die nette Kröte jenauer und denke bei mir: Ein Rejenschirm kostet nicht mehr wie ne Flasche Sekt, also riskier's. Mein Fräulein, bitte nehmen Sie meinen Schirm, sage ich, ich rufe mir ne' Droschke, wenn eine vorbeifährt – ich habe nämlich verteufelt Eile. Sie sieht mich groß an.« –

»Weil ick dir für'n Potsdamer hielt.«

»Endlich sagte sie: Det kann ich nich annehmen. – Warum nicht? Sie bringen ihn mir morjen wieder, zwischen vier und fünfe bin ich rejelmäßig zu Hause. Ich jebe ihr meine Karte, sie liest sie und lächelt. Zwei Minuter später sitze ich in 'ner Droschke, und sie jondelt unter meinem Schirm.«

»Schlauberjer! Andern tags denke ick natirch. Ehrlich währt am längsten, un jehe, enn unschuldig Schäfken, in die Falle der Ehrlichkeit. Da sitze ick nu noch drinn.«

Der Leutnant ergriff lachend sein Glas, stieß auf das Wohl des unschuldigen Schäfkens an und fuhr dann fort: »Meine Stellung beim Rejiment war damals schon unanjenehm prekär. Zuschuß von zu Hause reichte nicht, und als nun jar Vater sein Vermöjen an der Börse verlor, war der Kladderadatsch da. Wechselstürme knickten des Leutnants Mai.«

»Nu hatten wir die Parade! Ick hatte mir uff's Militärische injerichtet, und er kommt im Jehrock.«

»Um diese Zeit verfiel sie auch noch auf die Marotte, Musik treiben zu wollen.«

»Du?« fragte erstaunt Emilie.

»Is da wat bei? Wenn ick den janzen Tag Herzen jemalen habe, und abends kommt mir der Leitnant mit seinem Schwulibus, da sehnt man sich nach enn bisken Pläsiervergnüjen. Na, und da habe ich mir 'ne Drahtkomode jewünscht, man Draht alleene hätte ick doch nie jekriegt.«

»Und wenn sie sich was in den Kopf jesetzt hat, läßt sie nicht locker – damals nicht und heute nicht,« erklärte der Leutnant und erzählte weiter: »Paar Tage später komme ich mit ihr an 'ner Auktion vorüber, wo so'n Art vorsintflutlicher Flüjel versteigert wird. Ich denke, von ihr jedrängt, du bietest so niedrig, daß ein anderer mit glücklich wird. Vierzig Mark! – Vierzig Mark zum ersten, zum zweiten, zum dritten Male! Ich war der Lackierte. Nun jalt es das Unjetüm, das Sie hier in seinem natürlichen Umfange sehen, in ihr kleines Zimmer hineinzuschaffen, es jelang, nachdem sie alle Möbel, bis auf das Bett, vor die Türe jestellt hatte. – Ihre Bejeisterung für die Musik kannte nun keine Jrenzen. Jeden Abend wurde das Instrument auf die erschreckte Menschheit losjelassen; rejelmäßig aber Sonntags mit »Du, du liegst mir im Herzen«, von morjens sieben bis abends zehn. Jräßlich! Die Wirkung blieb natürlich nicht aus, der Wirt kündigte und sagte: Liebes Fräulein, ick muß Ihnen uffrichtig sagen, daß mir da doch der Flüjel der Jans lieber is, wie die Jans am Flüjel.«

»Oller Kalauer!« rief ärgerlich Therese. »Wenn dir sonst nischt einfällt, mache die Bude zu.«

»Bitte, nicht unterbrechen. Nun begann die Zimmersuche; ich, der jetreue Eckart immer mit. Endlich fand sich etwas draußen im Osten, wo die Sonne uffjeht, und sich die Füchse jute Nacht sagen.«

Wieder fiel ihm Therese ins Wort und sagte: »Wie wir dort mit dem jeflüjelten Klimperkasten anjewalzt kommen, stellt sich raus, daß er nich die Treppe ruffjeht, obgleich er jetragen wird. Nu war juter Rat 'nen Taler wert! Ick kurz entschlossen, bejebe mir ins Vorderhaus zum Hauswirt und stelle ihm die Sache vor. Enn neues Treppenhaus wollte er mir allerdings nich bauen lassen, da er aber keen Unmensch war, schlug er mir vor, die Klavizimbel neben 'nen Stall, den enn armer Droschkenkutscher zweter Jüte innehatte, in die Jeschirrkammer unterzubringen. Wir nahmen nu der Tonmaschine die Beene weg, schlossen die Klavitur ab, machten die Haken am Deckel zu und legten enn Strick rum, damit er keenem uff den Demel falle, und stellten se dann uffrecht an die Wand der kleenen Remise, die der Droschkenkutscher abschloß. – Nu greift aber zu Kinderken, sonst wird der Käse kalt und die Bowle warm.«

Nachdem alle dieser freundlichen Aufforderung nachgekommen waren, nahm der Leutnant wieder das Thema auf und sagte: »Therese fühlte sich auch ohne Musik in dem neuen Quartiere wohl und hatte sich schnell an die entlejene Jejend jewöhnt. Eines abends, sie wohnte schon mehrere Monate dort, verließ ich sie etwas später als jewöhnlich und mußte im Hofe an dem Droschkenkutscher vorbei, der jerade sein müdes Roß ausspannen wollte. Der Mann bemerkte mich nicht, so sehr war er in eine Ansprache vertieft, die er an seinen vierbeinigen Schicksalsgefährten hielt.

»Oller Fritze,« sagte er, und seine Stimme klang wie leidmütige Entsagung. »nu is wieder mal enn Tag rum, aber vorwärts sind wir zwee beede nich jekommen. Du bist ebend enn oller Pechhengst, un ick bin enn oller Pechhengst; du mußt schuften, bis dir det bisken Aten ausjeht, und ick muß schuften, bis mir die Puste ausjeht. Nun frag ick dir, wat tun wir beede uff der Welt?«

Da das Pferd die Antwort auf diese Frage schuldig blieb, schien sein Herr anzunehmen, daß es ganz seiner Meinung sei, denn er griff in die Tasche seines Rockes, holte einige Stückchen Zucker hervor und reichte sie demselben. »Da, Fritze, det hat mir 'ne Köchin for dir jeschenkt. Fresse et heute, sonst holt et morjen der Jerichtsverzieher, der holt ja schließlicherweise doch allens, wat er bei uns kriejen kann. Treibt er's mal zu dolle, drücke ick mir in't bessere Jenseits – mitnehmen kann ick dir dann freilich nich, Petrus läßt dir nich rin. Ooch keen Unglück! Denn wenn's mal bei uns soweit is, verscharren se mir unter de Erde und dir stellen se uff's Büffet vom Restaurant, det is immer noch pompieker for dir wie for mir.«

Der alte Kutscher hatte die Stränge gelöst und führte das abgemagerte Pferd, zärtlich liebkosend und streichelnd, nach seinem Stalle. »Solange se die Hand nich nach dir ausstrecken, jeht's noch; tun se's aber mal, na, dann is alle. Komm Fritze, Heu tuts ooch, wenn man keenen Haber hat, und Ruhe is ooch enn Stück Nahrung.«

»Ich bin sonst kein weicher Mensch,« fuhr der Leutnant fort, »und doch schnitten mir die Worte in die Seele, ich konnte sie sobald nicht vergessen. Am nächsten Tage war ich jeschäftlich verhindert, Therese zu besuchen, und als ich am folgenden zu ihr kam, fand ich sie furchtbar aufgeregt Der Droschkenkutscher, der über ihr seine Schlafstätte hatte, hatte sich während der Nacht aufjehängt, nachdem am Tage zuvor der Jerichtsvollzieher Pferd und Droschke jepfändet und wegjeführt hatte.«

»Kinder, et war schrecklich!« unterbrach Therese den Erzähler und ein Schauer durchrieselte ihren Körper. »Noch am Abend zuvor sagte der olle Mann unter Tränen zu seiner Wirtin: Nu haben se mir allens jenommen, nu habe ick keene Seele mehr uff der Welt, die mir versteht, keenen Verwandten und ooch keen Ferd mehr. – Am nächsten Morjen höre ick Lärm in der oberen Etaje. Mir ahnt nischt Jutes! Ick raus aus dem Bette, rinn in die Pariser un ruff. Herrjott, der Anblick! Nee, nee, ick darf nich dran denken, sonst is et alle mit die Jemütlichkeit!«

»Drum falle mir nicht ins Wort!« rief ihr der Leutnant zu. »Also Schwamm drüber. Der Droschkenkutscher wurde begraben und der Hausherr vermietete den Stall, den der Verstorbene inne jehabt hatte, nicht weiter, sondern benützte ihn zur Aufbewahrung von altem Hausjeräte, ebenso die Jeschirrkammer, und so konnte unser Flüjel auch dann noch unjestört an der alten Stelle bleiben, als Therese nach anderthalb Jahren nach die Invalidenstraße zog.

In dem neuen Logis hatte sie jedoch noch keine sechs Monate jewohnt, als ihr Wirt, ein Postbeamter, nach der Provinz versetzt wurde, sie also abermals sich ein anderes Quartier hätte suchen müssen. Um dieser Unruhe ein Ende zu machen, übernahmen wir, nach Wegzug des Beamten, dessen Wohnung, reservierten uns zwei Zimmer und vermieteten zwei. Ich kaufte in Auktionen, je nach meinen augenblicklichen Mitteln, die bei einem Versicherungsagenten immer schwankend sind, an Möbel zusammen, was ich auftreiben konnte, und heute sind wir recht zufrieden mit dieser Lösung der Wohnungsfrage. Da wir nun Raum jenug hatten, befiel Therese wieder eine Art musikalischer Klauenseuche, bei der ihre Finger fortwährend Klimperbewejungen machten, was blieb da anderes übrig, als den Flüjel hertransportieren und hier aufstellen zu lassen?

Vor vierzehn Tagen hielt er, schwarz wie ein in Spinnwebkostüm jehüllter Kameruner, unter jroßen Schwierigkeiten seinen Einzug. Nachdem wir ihm die Füße wieder anjeschraubt und ihn aufjerichtet hatten, wurden die Stricke, die ihn umschlangen, jelöst; worauf wir 'ne jründliche Reinijung mit Wasser und Seife vornahmen, der eine Abreibung mit Petroleum folgte.

Als er wieder appetitlich aussah, schloß ihn Therese vorsichtig auf, wischte den Staub fort und fuhr mit dem Nagel des Daumens über die Tasten.«

Da der Leutnant eine Pause machte und sich nach seinem Tabaksbeutel umsah, rief Therese:

»Bis die Piepe jestopft, erzähle ick, sonst jeht die Sache nich vom Flecke! Na also, ick mit dem Najel über die Klavitur weg – ritsch, ratsch! Keenen Ton, man blos enn Jequietsch wie 'ne Kinderwindmühle mit Hammerwerk. Leitnant! ruf ick janz perklex, der Flüjel is vertauscht, det is enn Holz- und Strohkomode, aber keen Klapperkasten. – I wo, sagt er, da liegt wat uff die Saiten. – Kaff! sage ick, wat soll da druffliejen. – Vielleicht 'ne tote Ratze, meint er. – Da kiek rinn! rufe ick und stelle mir an die Türe. Et dauert 'ne janze Weile, bis er den Deckel hochkriegt, dann aber macht er enn Jesichte, als wann ihm eener heimlich die Nase aus der Visage jestohlen hätte. Therese, det mußt de sehn! ruft er, sonst jloobst det nich. – Ick ran. Nu schlag aber Jott 'n Deibel tot! Kinderkens wat denkt ihr? Liegt da uff die Saiten enn Ferdejeschirr mit allem wat dazujehört, so jut wie neu, wie eben jekooft.«

»Das klingt allerdings seltsam,« meinte Holmer und Emilie stimmte ihm bei.

»Un is doch so! Erst kieken wir uns enn paarmal jeistreich an, dann sagt Leitnant, der enn ängstliches Jemiete hat: Wer weeß, wie det da rinjekommen is, jehe lieberst mal uff die Pollezei un zeij et an. Ick also hin zum Komzarius: Wat denken Se, Herr Komzarius, wat ick in meiner Drahtkomode jefunden habe? – Na? fragt der janz erstaunt und betrachtet mir scharf von unten bis oben. – Enn Ferdejeschirr und allens, wat dazu jehört. – In Ihrer verschließbaren Wohnung? – Jawoll, aus der ick kaum rauskomme. – Jute Frau, sagt der Demlack druff, jehen Se man janz zufrieden zu Hause, et darf Ihnen keener wat tun.

Weil der jegloobt hat, ick hätte Raupen im Kopp, jeht Leitnant ooch hin und erzählt die Jeschichte jenauer. Nu sagt der Komzarius: Als jestohlen is keen Ferdejeschirr vorjemerkt, meldet sich keener, der's verloren hat, fällt et Ihnen zu.

Wie wir nu det Lederzeug aus dem Kasten rausnehmen, finde ick uff eemal, um enn Ziejel jewickelt un mit 'ner Strippe festjebunden, 'ne quittierte Rechnung uff den Namen von dem Droschkenkutscher, der sich vor zwee Jahre uffjehangen.

Nu war det Rätsel jelöst. Der olle Mann hatte et vor dem Executer, der ihm alles jepfändet, in unserer Drahtkomode versteckt – for sein Ferd hatte er keenen so sicheren Ort, sonst lebte er heute noch.

Wir fragten nu uff dem Jerichte an, wie wir uns bei die Sache zu verhalten hätten, druff wurde uns jesagt: Die Akten wären jeschlossen und würden wejen die Kleinigkeit nich wieder uffjemacht. Erben wären keene vorhanden. – Jetzt wußten wir, wat wir zu tun hatten, wir verkooften den janzen Krempel, un det is det Jeheimnis der Pfirsichbowle.«

Der Leutnant hatte seine Pfeife gestopft und angezündet, er erhob sich jetzt, füllte sämtliche Gläser und rief: »Schiller sagt mal: Auch die Toten sollen leben! stoßen wir an auf das Jedächtnis unseres Wohltäters, wenn es auch nur ein Droschkenkutscher war.«

Die Gläser klangen aneinander, dann folgte einen Augenblick tiefe Stille.


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