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III.

30. März.

Nun liegt unsere Hochzeitsreise hinter uns – die Süßes und Bitteres brachte, wie alles, was unsere Liebe bringt. Aber doch unendlich viel mehr Glück als je vorher: denn nun weiß ich, daß ich ihn liebe!

Tragikomisch der Beginn: wie ich – bei aller Liebe und Sehnsucht – so spät zum Bahnhof komme, daß gerade unser Zug aus der Halle fährt.

Er schalt nicht, doch schmerzte es ihn wohl ein wenig. Aber es gelang, mit einem Nachzuge zu Mittag unsere Station am Fuße des Gebirges zu erreichen, wo wir übernachten wollten. Ein behagliches Hotelzimmer bot uns Obdach – schenkte uns seit langer Zeit zum erstenmal das Gefühl des Geborgenseins.

Den Ring, den er gekauft, steckte ich gehorsam an – obwohl ich Ringe nicht liebe. Aber diese sollen uns ja vor den Menschen das Recht geben, beieinander zu sein.

Nach den ungeheuren Erregungen der vorausgegangenen Wochen war es vielleicht kein Wunder, daß unsere Verschiedenheiten im Tempo der Liebe mir besonders schmerzlich zum Bewußtsein kamen. Die vielleicht Verschiedenheiten zwischen Mann und Weib überhaupt sind?

Er fiel sogleich stürmisch, leidenschaftlich, von Verlangen überwältigt, über mich her, ohne Rücksicht auf meine Abwehr diesem Mangel an Liebeskunst gegenüber – so schnell, unvorbereitet – ehe wir uns hatten auskleiden und zu Bett gehen können, uns ganz innig zu genießen. So blieb mir bei meiner vergeblichen Abwehr nur das Gefühl, seine stärkere Kraft zu genießen. Aber wenn dann, unter seiner Umarmung, meine Zärtlichkeit erwachte und ich lieb mit ihm plaudern wollte, dann hatte er andere Dinge vor oder schlief ein. Ich preßte seinen Kopf zärtlich an meine Brust: »Du läufst fort, gerade wenn ich dich am liebsten habe; du hast wohl eine momentane Sinnlichkeit. Aber die Liebe geht doch durchs ganze Wesen und ist immer da. Ihr seid zu dumm zum Lieben«, klagte ich.

Dann versuchte er, mich sehr lieb zu trösten – und es gelang ihm auch.

»Siehst du,« sagte er, als wir am ersten Abend einschliefen, »an dir habe ich begriffen, was das heißt: ›wenn ihr nicht werdet wie die Kinder – dann werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen‹.«

»Warum meinst du das?« fragte ich.

»Nun, das heißt doch: so unbefangen, so selbstverständlich, so natürlich sich hingeben, wie du es tust! Ich bin so glücklich, daß ich das erlebt habe!« – –

In der Nacht wachte ich auf: die Osterglocken des alten Domes läuteten – ich streckte sehnsüchtig meine Hände herüber und faßte die seinen: »Ostern!« Er gab mir die Hände – und sank dann wieder zurück in den Schlaf. Ich lag wach bis zum Morgen – das Herz tief bewegt, ergriffen: unsere Liebe, unser Schicksal – und dann dachte ich an Faust, an Christus – an die ewige Lebenssehnsucht und Lebenserneuerung – an jene höchste Art von heroischem Leben, das auch über den Tod noch Sieger wird. An den Geist der Liebe, der den Tod überwindet – dies ewige Geheimnis der »Auferstehung« zu einem höheren Dasein als ein Leben, das nur egoistischen Zielen und Interessen dient, es sein kann. An jenen Geist, mit dem ich ja auch mein eigenes Leben immer intensiver erfüllen möchte.

Es war mir, als begriffe ich in dieser Nacht zum erstenmal, was Goethe gemeint hat mit seinem unsterblichen:

»Selige Sehnsucht.

Sag es niemand als den Weisen,
da die Menge leicht verhöhnet.
Das Lebendige will ich preisen,
das nach Flammentod sich sehnet.

In der Liebesnächte Kühlung,
die dich zeugte, da du zeugtest,
überfällt dich fremde Fühlung,
wenn die stille Kerze leuchtet.

Nicht mehr bleibest du umfangen
in der Finsternis Beschattung –
und dich reißet neu Verlangen
auf zu höherer Begattung.

Keine Ferne macht dich schwierig –
kommst geflogen und gebannt –
und zuletzt, des Lichts begierig,
bist du, Schmetterling, verbrannt.

Und solang' du das nicht hast, –
dieses: Stirb und Werde!
bist du nur ein trüber Gast
auf der dunklen Erde!«

Mir war das Herz so voll von Sehnsucht, von all dem Tiefen, Hohen, das mir in dieser Nacht durch den Sinn ging: unsere Liebe – und jene ewige Sehnsucht, die das Leben erst wahrhaft lebenswert macht, ging so schmerzhaft durcheinander – unlösbar verschlungen. Aber als es Zeit war auszustehen, brachte ich dem Geliebten gegenüber doch kein Wort von dem, was ich empfunden, über die Lippen.

Er schilt mich oft meiner ungeschickten Zurückhaltung wegen – und vielleicht mit Recht: er rede sich bei mir das ganze Herz aus, lasse mich in all sein Gutes und Böses hineinblicken – und ich sei so verschlossen. Ich bin nicht verschlossen, nur scheu. Es ist nicht, weil ich nicht reden will, sondern weil mich seine fünfzehn Jahre, die er mir voraus hat, einschüchtern; seine größere, reichere Erfahrung im Leben, im Lieben – in der Wissenschaft – all das hält mich im Bann. Nur wenn ich ganz deutlich spüre: jetzt will er von mir hören, nicht nur seine Gedanken und Empfindungen vor mir aussprechen – dann kann ich mich ihm seelisch erschließen.

Der Ostersonntag führte uns in ein stilles kleines Nest in den Bergen – ein wenig vorsommerliche Wärme machte es behaglich zum Ruhen und Wandern. Hier gab es allmählich linden Ausgleich für unsere durch die starken Erregungen der letzten Monate so abgespannten Nerven.

Wir ruhten Arm in Arm, wanderten in den stillen Bergen umher – genossen die braunen, satten Farben der Felder, die Linien der Gebirge dahinter, die Berge in blauem Duft und den westlichen Himmel in Gold und Purpur; die Kirche auf dem Hügel und die historische Kapelle, deren Vergangenheit und künstlerische Bedeutung er mir voll Eifer und künstlerischer Kennerschaft erläuterte.

Er entsetzte sich über meine Unwissenheit in Kunstgeschichte, und ich – entsetzte mich gar nicht darüber. Weder über meine Unwissenheit – noch über sein Entsetzen. Ich habe es gern, es beglückt mich direkt, so seine Überlegenheit und meine Unterlegenheit zu spüren. Gerade weil ich manchmal – vielleicht unberechtigt – irgendwo meine Überlegenheit zu spüren glaubte in meiner Jugend, meiner einheitlicheren, lebenskräftigeren Natur oder als was ich es sonst empfinden mag.

Die Nacht bescherte uns das innigste Zusammenfinden; ich lag selig in seinen Armen und genoß seine Liebe zum erstenmal ganz ohne Schmerzen und Hemmungen. Und küßte ihn inbrünstig und heiß.

Er empfing jedes Zeichen meines Miterlebens und Genießens mit dankbarem Entzücken: »Mein wildes süßes Mädchen! So brauche ich es gerade! So brauche ich es gerade!«

Wir schliefen innig verschlungen ein. In der Nacht wachte er auf und sagte: »Ich will es dir jetzt gestehen: ich habe dich auch immer schon lieb gehabt.«

Ich glaubte zu träumen: »Du mich?«

»Ja, aber ich wagte nicht, dem nachzugeben – es dir zu sagen, wo doch alles so aussichtslos war. Erst als ich zu spüren glaubte, daß du auch nach mir Verlangen hattest, daß es in dir zu mir strebte, da fand ich den Mut.«

»Ist das wirklich kein Traum?« fragte ich.

»Nein, nein, es ist kein Traum. Entsinnst du dich nicht, wie ich schon voriges Jahr zu dir kam und mir von dir zum Geburtstag gratulieren ließ? Das war ja eigentlich sonderbar – aber ich wollte doch irgendein Zeichen, ein gutes Wort von dir hören, das sollte meine Geburtstagsfreude sein. Du warst immer so zurückhaltend, und auch jetzt: Du weißt gar nicht, wie ich mich freue, wenn du mir zeigst, daß du mich lieb hast. Wenn wir draußen gehen und nur dein Arm mich berührt! Aber mein Herzblatt merkt das nie!«

»Ich fürchte immer, aggressiv zu werden«, gestand ich.

»Du bist ein kleines Dummi, das zu fürchten.«

Und mit dem Gefühl erneuter, tieferer Verbundenheit schliefen wir wieder ein. – – – – – – – – – –

*

Es gab einen schönen, stillen Morgenausflug in die Berge – wir trafen kaum einen Menschen auf den Wegen – auf dem Aufstieg zu einer Höhe, von wo man die bayrischen Alpen in voller Klarheit sehen kann.

Vielleicht waren wir beide am Morgen ein wenig müde und elegisch gewesen – nun gab die Frische der Bergluft uns neuen Mut und Lebensüberschwang. Wir saßen lange auf der einsamen, sonnigen Höhe.

»Jetzt hier draußen in der freien Natur – unter den Strahlen der Sonne möchte ich dich liebhaben, dich besitzen!« meinte er übermütig. »So wie antike Götter sich lieben – das ist das Wahre und Natürliche!«

*

Ein seltsamer Zufall ereignete sich, als wir uns zur Mittagsruhe auf unser Zimmer zurückzogen: er wollte aus meinem Koffer ein Tuch für mich herausholen – und fand dabei zwei schwarze Bücher: mein Skizzenbuch und mein Liederbuch. In diesen Monaten unseres Kennenlernens haben wir noch wenig Zeit gehabt, von mir zu sprechen. Ich kann es gar nicht, wenn ich nicht deutlich fühle, daß er es will, es braucht, es verlangt. Nun griff er voll Spannung und Interesse danach – blätterte, studierte und las.

»Komm einmal zu mir, Liebste«, bat er. Ich kam gehorsam zu ihm. Dann fragte er mit schmerzlichem Vorwurf: »Warum hast du mir das noch nie gezeigt? Noch nie gesagt?«

»Aber wann, warum hätte ich es dir sagen sollen?« verteidigte ich mich. »Wir hatten doch noch gar keine Zeit, keine Gelegenheit dazu.«

Er war sehr ernst, fast bedrückt: »Irene, warum habe ich nicht wissen dürfen, was du leistest? Was du seelisch bist? Diese Kühnheit der Entwürfe – und der reiche, melodische Fluß deiner Verse: du bist mir zu groß!« – –

In jähem, aufloderndem Verlangen schlangen sich seine Arme um meinen Leib und trugen mich auf unser Lager: »Jetzt, wo ich deine Seele so liebe!« – – – – – –

*

Arm in Arm wanderten wir am Spätnachmittag zum Turm – in vertrautem Gedankenaustausch. Nun konnte ich endlich auch von mir erzählen, von der Kindheit, dem Kampfe von früh auf, Bahn für meine künstlerischen Bedürfnisse, für mein Streben in die Welt hinaus zu schaffen.

Er hatte für alles das freundlichste Verständnis – das eingehendste, liebevollste Interesse. Sonderbar, es war, als habe er mich plötzlich neu entdeckt. Ich fühlte mich zum erstenmal so ganz von ihm gehalten und gehoben – nicht nur instinktiv erfühlt, nein, ganz klar und fest als sein geistiger Besitz erfaßt: als habe das Bild seiner Phantasie mit einem Male Fleisch und Blut gewonnen.

Nie bisher habe ich so gefühlt, daß er nicht nur eine liebliche Illusion, sondern den ganzen konkreten Menschen, mich mit all meinen Fehlern und Eigentümlichkeiten liebt.

Es gab ein ganz neues Gefühl der Stärke und Sicherheit: also er will nicht nur das Weib, nicht nur meinen Besitz, meinen Genuß; er will, er erfaßt mich, wie ich wirklich bin; er verbindet sich mit »mir« – mit der ganzen mir eigenen Individualität.

Die Bangigkeit, die Sorge, die Scheu ihm gegenüber bisher – dies Zeichen seines Willens zu mir, das ich in den Wochen vorher oft, bewußt und unbewußt, schmerzlich vermißt hatte, vermochte es, alle diese Hemmungen zu verscheuchen. Nun habe ich festen Grund unter den Füßen. – –

*

Und die Nacht – diese letzte Osternacht – das war dann unsere eigentliche Hochzeitsnacht. Nun erst vollzog sich ganz das Wunder der Vermählung und der Vereinigung – wo keiner mehr weiß, ob er gibt oder nimmt, ob er sich oder dem anderen gehört.

Diese Nacht brachte uns eine so tiefe, intensive, letzte Verschmelzung, in der wir wie ein Mensch, ein einziges, unscheidbares Wesen waren, dessen Teile ohne einander nicht gedacht werden können. Nie hatte ich je sein Gesicht – sein geliebtes, feines Gesicht, dem die Erfahrungen und Enttäuschungen des Lebens schon manchen leisen Zug von Bitterkeit eingeprägt haben –, so jung, so glücklich gesehen.

Alles Zagen, alles Schwanken, alle leisen, uneingestandenen Zweifel, ob es gut so, ob er der »Richtige« sei, fielen ab vor der tiefen, unzerstörbaren Gewißheit: »Ich will nie einen anderen Mann lieben als ihn – und er soll nie ein anderes Weib lieben als mich.«

Ich bin sein Weib, und die süßeste, unaussprechlichste Sehnsucht: in diesem hohen Glück der Vermählung Mutter zu werden durch ihn – durchbrauste wie ein göttlicher, berauschender Trank mein Blut.

Wir entschliefen in dieser himmlischen Vereinigung – und wenn wir in der Nacht erwachten, fanden wir uns in köstlichster, innigster, unauflöslicher Verstrickung.

Das war Hochzeit – hohe Zeit seligster Wunder – ein Auferstehen aus dem Tode der Vereinzelung – ein Eingehen in ein neues Leben der wundersamen Zweiheit.

Ich fühle mich seitdem wie verklärt – auf eine höhere Stufe des Menschlichen gehoben. –

Nun erst verstehe ich den tiefen Sinn des Lebens ganz – weiß ich, daß mein froher, angeborener Glaube an das Leben gerechtfertigt ist.

Nichts, was kommt, vermag mir diese unmittelbare Gewißheit zu erschüttern. – – – – – – – – – – – –

*

Es traf mich – auf diesem Gipfel unseres Glückes – die Notwendigkeit kaum, daß wir uns am anderen Morgen zur Weiterreise rüsten mußten, die uns dann für ein paar kurze – lange Wochen trennen sollte. Während der Geliebte viel stärker von der Vergänglichkeit des Glücks durchdrungen war als ich.

An der Kreuzungsstation, die uns trennte – da der Zug ihn von dort nach dem Süden zu Agathe entführen sollte –, riß er sich unsäglich schwer los, umschlang mich in tiefem Bangen und sagte wehmütig: »Nun ist auch das vorbei!«

Mir war im Gegensatz zu seiner Wehmut das Herz so voll von nie vorher gefühlter Kraft und Lebenswonne, so voll tiefem Vertrauen in das Leben und unsere Liebe, daß ich fast jauchzend, mit leuchtenden Augen und blühenden Lippen sagte: »Nein, nun kommt es erst!«

10. April.

Alle diese Wochen ging ich wie verklärt umher, ganz durchdrungen von dem Glück des Zusammenseins – dem tiefen Gefühl der Verbundenheit, das unsere Reise mir gebracht hat.

Die Regelung der Wohnungsfrage hat freilich mehr Schwierigkeiten gemacht, als ich dachte. Die unerwartete Änderung meiner Entschlüsse hat wohl meines Vaters Mißtrauen geweckt, so daß er die erbetene Sendung der Möbel meines Arbeits- und Schlafzimmers verweigerte.

Es bedurfte des Hinweises, daß ich inzwischen den Mietkontrakt abgeschlossen hätte und nun die gemietete Wohnung einrichten müßte, um ihn zur Duldung einer Sendung des Notwendigsten an mich zu veranlassen.

Bis die Möbel anlangten, habe ich ein paar Tage und Nächte bei Geyers zugebracht. Lilli hat getreulich meine Sorgen und Freuden mitgetragen.

Das ist der Vorzug wie die Gefahr ihrer Natur: die Empfindungen entwickeln sich bei ihr zu einer so erdenfernen Höhe und Feinheit, entbehren so eines notwendigen Zusatzes von Wirklichkeitssinn, daß selbst ich – mit meiner doch gewiß auch »gefährlich unpraktisch-idealistischen« Natur, wie mein Liebster oft sagt – neben ihr mir schon wie ein ganz nüchterner Mensch vorkomme, der den Realitäten des Lebens vollkommen Rechnung trägt.

So wohltuend nun Lillis inniges Mitleben meines Glückes und meiner Not ist, so bedrückend ist mir die Sorge um Lilli selbst.

Es ist mir ein Rätsel, daß die Eltern die Gefahr nicht deutlicher erkennen, die in diesem Gehenlassen liegt.

Der berühmte Kliniker, der Spezialist für Tuberkulose scheint den Erkrankungen der Seele, des inneren Gleichgewichtes, der Nervenkraft mit größerer Naivität gegenüberzustehen als mancher medizinische Laie.

Lillis geistige Fähigkeiten sind von unverminderter Kraft – aber in ihrem Lebens- und Schaffenswillen scheint mir eine gefährliche Lähmung eingetreten.

Lilli gehört zu den Menschen, die immer das Unmögliche begehren, die »alles oder nichts« verlangen, die an einer kleinen Verwundung zerbrechen können.

Gewiß, für den unerfahrenen Idealismus behüteter Frauen wie für unsere Sehnsucht nach großer Liebe ist die Erkenntnis der realen Banalitäten niederer »Liebschaften« – wenn man dies Wort für etwas gebrauchen darf, bei dem von Liebe keine Rede ist – unsäglich schwer und hart. Aber daran zugrunde gehen? Aller starker Lebenswille bäumt sich in mir gegen diese verhängnisvolle Passivität wie gegen eine bekämpfenswerte Schwäche auf.

Mit dem Recht unserer alten Freundschaft habe ich daher Lilli die Gefahr, sich so ohne Gegenwehr dem Schmerz, der Selbstzerfleischung zu überlassen, vorgestellt.

Denn ich gehöre sicher zu den Menschen, die den stärksten Einfluß auf sie haben. Aber ob es Erfolg haben wird?

*

12. April.

Vorgestern nacht ist mein Liebster von seiner Reise zurückgekommen – vor Tisch kam er gleich, mich zu begrüßen. Aber so glücklich wir beide waren, uns wieder zu haben, so sehr ich mich freute, ihm die eigene Wohnung zu zeigen, so lag doch ein leiser Schleier über seinem Wesen – eine Befangenheit über seinen Zärtlichkeiten.

Instinktiv fühlte ich: das persönliche Zusammensein nach der langen Trennung hat doch – wie begreiflich – zu einer Annäherung zwischen der einsamen Frau und dem Manne geführt –, und das ist es, was jetzt zwischen uns steht, was er mir gegenüber als Hemmung empfindet. Aber wenn ich vor unserer Reise diese Möglichkeit ruhig habe erwägen, ja es selbst als seine Pflicht der Barmherzigkeit habe ansehen können – jetzt, wo ich mich rückhaltlos ihm gegeben, so schrankenlos ihm verbunden fühle, jetzt empfinde ich jenes Band, das ihn an die andere Frau knüpft, in leidenschaftlichem Schmerz. Ich durchlebte einen sehr schweren Tag – eine noch schwerere Nacht, in der ich nur einen Ausweg sah: zu verzichten. Dieses Teilen scheint mir jetzt unerträglich. »Und sie hat die älteren Rechte.«

Als er heute kam, sagte ich ihm das unter Tränen. »Aber du brauchst doch nicht so verzweifelt zu sein, Liebling,« tröstete er, »du weißt ja, in welcher verwickelten Situation wir leben – du weißt auch, daß es dir nichts nimmt – und du hast doch jetzt einen Menschen, einen Freund, der dir in allem zur Seite steht und dir hilft, auch dies Schwere zu ertragen!«

Auch von meiner frohen Sorge, meiner sorgenvollen Hoffnung erzählte ich ihm.

»Das wäre ja schrecklich lieb,« sagte er, »und wenn es ein Junge würde, sähe er dir gewiß sehr ähnlich.«

»Ja, ich habe mir auch schon gedacht, was es wohl von dir haben würde.« –

Die mißtrauische Weigerung des Vaters, mir alles Verlangte zu senden, erfüllte ihn nun wieder mit Sorge für mich.

»Weißt du,« sagte er nach unserer ersten innigen Umarmung, »du hast etwas von einer Valandinne an dir.«

»Wenn ich dich nun einmal gar nicht mehr fortlasse?« fragte ich. »Wenn ich dich immer bei mir hätte, würde ich dich totküssen.«

Aber dann schilt er wieder zärtlich, er kenne das Maß meiner Leidenschaft noch gar nicht, daß ich mich nicht noch schrankenloser unserer Liebe ergeben wolle. Jedesmal, wenn er mich besessen, habe er mich noch lieber gewonnen – fühle er, wie ganz anders das sei als alles, was er vor mir, außer mir erlebte.

Er gab mir Ratschläge, was ich tun, an wen ich mich wenden solle, für den Fall, daß er einmal plötzlich sterbe, daß er mir nicht selbst mehr helfen könne.

»Aber das Kind von dir würde ich dann erst recht haben wollen«, sagte ich.

Er küßte mich dankbar: »Ich hätte bisher nie gedacht, daß ich einen Menschen so lieb haben könnte. Meine Mutter habe ich über alles geliebt – und Agathe in ihrer herben Art auch – aber so wie dich –!! –«

»Ich habe es aber immer gedacht!«

Er hatte mich auf seinen Schoß gezogen – ich lag in seinen Armen auf dem Diwan: »Hast du denn gedacht, daß es so lieb wäre?« fragte er, indem er sich über mich beugte.

»Aber sicher!« sagte ich zuversichtlich. »Das wäre ja noch schöner, wenn die Liebe nicht lieb wäre!«

13. April.

Am Nachmittag konnte ich eine Sitzung mit meinem kleinen Mädchen abhalten, das ich zu porträtieren übernommen habe – ein Auftrag, den Dannenberg vermittelt hat. Als ob ich doch in den letzten Monaten an Fähigkeit des künstlerischen Schauens zugenommen hätte, in einer reicheren, lebendigeren Welt lebte – so stehen die Dinge, auch die Menschen, jetzt vor mir. Als ob ich sie früher nur wie von ferne, im Traum, durch einen Schleier gesehen – und alles nun mehr Wirklichkeit, mehr Farben, mehr Lebenswärme gewonnen hätte.

Und mein kleines Mädchen lockt mich – in seinem jungen, weichen Gesicht, in seinen schönen, dunklen Augen schon das hoffentlich liebreiche Schicksal zu ahnen, das ihm einmal – als Frau – vom Leben beschieden sein wird.

14. April.

Heute lag ich ein wenig matt mit Rückenschmerzen auf dem Diwan – als er kam. Aber wir hatten uns beide so lieb, daß ich meine Schmerzen fast darüber vergaß.

Lauter zärtliche, verliebte Worte und Vergleiche, Umarmungen und Liebkosungen hat er für mich, in die er mich wie in einen weichen, warmen Mantel, in eine laue Dämmerung einhüllt.

Ich bin sein Liebling, sein Herzblatt, sein Weib, sein Eigentum – und soll ihm ganz gehören und seinem heißen Manneswillen mich ganz ergeben. Ich liege selig lächelnd da, lasse seine herrische Wildheit über mich ergehen und frage nur: »So also, das alles willst du? Verlangst du?«

»Ich könnte dich vor Liebe töten!« meint er.

»Ich dich auch!«

»Wie würdest du es denn machen«, forscht er neugierig.

»Ich – würde dich totdrücken und -küssen –« und ich presse meine Arme fest um seine Brust.

Ich frage immer wieder: »Was denkst du?«

Und er sagt immer: »Ich denke gar nichts – ich bin ganz Empfindung.«

»Bitte, wenn du in meiner Gegenwart wieder einmal einen Gedanken faßt, dann sage es mir«, sage ich lustig spöttisch.

*

Und dann liege ich todmüde von all dem Küssen und Liebhaben da – und denke an ihn. Ich zürne dann wohl, daß er immer nur küssen und nicht vernünftig mit mir reden mag. Er ist ganz dumm-glücklich geworden, wie er sagt.

Aber ich weiß ganz genau, daß ich sehr traurig sein würde, wenn er nur vernünftig mit mir reden würde.

18. April.

Die Vorlesungen an der Volkshochschule haben wieder angefangen.

Diese Vorlesungen – obwohl sie ja eine Möglichkeit sind, uns zu sehen, ihn zu hören, an seiner geistigen Arbeit teilzunehmen – wirken doch fast immer bedrückend auf mich: der Gegensatz zwischen unserer inneren Gemeinschaft und der äußeren Fremdheit, die wir dort beobachten müssen, tut mir gar zu weh.

Er scheint nicht entfernt so darunter zu leiden. Wir begegneten uns ein paar Schritte vor dem Saal: »Wie geht es dir, Liebling?« fragte er sehr übermütig. »Heute abend komme ich zu dir.«

Er neckte mich, was ich dazu sagen würde, wenn er mir die erste Untreue zu beichten hätte. Da kam einer seiner Kollegen, ein Professor für Mathematik Binder, und wir trennten uns ganz förmlich.

Ich erwartete ihn sehnsüchtig am Abend. Seiner Scherze wegen quälte ich mich mit dummen Gedanken; er nähme unsere Liebe nicht ernst genug. Als er dann so lieb bei mir saß, schwanden die quälenden Gedanken schon fast von selbst. Nur er meinte: »Nun quälst du mich!« Ich solle ihn doch lassen, bat er, überall sonst sei die Reflexion störend dazwischen getreten – nur bei mir habe er die unmittelbare Empfindung. Ob er mich denn geistig gar nicht befriedige? –

Und ich, die ich ja so gern glücklich bin, wenn er sich bei mir glücklich fühlt – ich ließ ihn – ich ließ mich ihm – gab mich ihm, wie seine Sehnsucht es verlangte.

»Weißt du,« gestand er mir, »ich habe gern vergessen, welch kühne Motive deine Skizzen zeigten, welch weichen Fluß deine Verse hatten. Ich möchte doch der Mann bleiben in unserem Verhältnis.«

»Aber das sollst du ja auch. Du weißt ja: ›Freiwillige Abhängigkeit ist der schönste Zustand – und wie wäre der möglich ohne die Liebe?‹«

Es war sehr spät, als er sich endlich von mir trennte. Ich hatte in allem Glück seiner Gegenwart, bei all seinen heißen Umarmungen und zärtlichen Scherzen nicht einen Augenblick das Herzweh verloren – im Gedanken daran, daß er ja am Ende fort mußte, daß wir nicht ganz zusammengehören.

20. April.

Gestern ging ich gegen Abend in der frühlingsschweren Luft eine Stunde durch den Englischen Garten, der herrlich grün und frühlingsduftig ist. Aber die Schwüle lastete drückend auf mir – so wie die Briefe, die ich jetzt von meinem Vater erhalte, der sich weniger als je mit meiner Berufswahl, meinem Streben zur Kunst, dem unabhängigen Leben in München aussöhnen kann. Er scheint einen viel stärkeren Instinkt als die Mutter dafür zu haben, daß irgend etwas jetzt nicht in Ordnung ist. Ihre behütete Jugend und frühe glückliche Ehe läßt die Mutter wohl nicht entfernt solche bitteren Konflikte für möglich halten, wie ihre Tochter sie jetzt durchkämpft.

Heute vor Tisch, als ich gerade über meiner Antwort an den Vater saß, kam Robert nach seiner Vorlesung, ganz erfüllt von dem Plan, mit Hedwig in den nächsten Wochen eine andere Wohnung zu beziehen, die er sogleich anfing, mir aufzuzeichnen. Ich war ein wenig bedrückt von der Einsamkeit und dem Konflikt mit den Eltern: er kann dazu führen, mir jede künstlerische Weiterarbeit unmöglich zu machen. Und der Gedanke, einfach Mal- und Zeichenlehrerin zu werden, wenn die Eltern ihre Erlaubnis und Unterstützung mir entzögen, um mich zur Rückkehr nach Hause zu veranlassen, ist mir grauenvoll – eine trostlose Perspektive!

So schmerzte es mich sehr, daß Robert, ganz erfüllt von seinem Projekt, zuerst gar nicht nach meinem Ergehen fragte. Dann endlich spürte er, daß ich traurig war: »Was hast du?«

»Ach nichts – aber der Brief vom Vater quält mich! Ich kann seine Auffassung, seine Weltanschauung nicht teilen, von Kind auf habe ich das nicht gekonnt. Ich muß doch mein Leben unter eigener Verantwortung durchkämpfen, selbst auf die Gefahr, daß ich Irrwege einschlage. Vielleicht sind sie für mich gerade dienlich und notwendig. Es gibt ja keine absolute Wahrheit – nicht wahr – sondern seine und meine Auffassung sind subjektive Anschauungen, die beide in sich ihre Berechtigung haben. –«

Er kam aus seiner Sofaecke, holte mich in seine Arme und küßte mich. »Siehst du, das sage ich auch immer – nun sagst du es auch: Du brauchst eigentlich gar nicht meine Vorlesungen zu hören. –«

»Ja, ich weiß wohl – dort hast du mich nicht lieb.«

»Du machst dann ein solch verschlossenes, fremdes Gesicht«, beklagte er sich.

»Aber ich kann dich doch dort nicht ansehen wie hier!«

»Und nächstens werden alle deine anarchistischen und Volksbeglückungsideen zusammenbrechen.«

Ich wand mich unwillig aus seinen Armen:

»Meinst du, ich wollte das aufgeben, was mich bisher glücklich gemacht hat?« –

»Aber wenn deine Ideen keine Stützen mehr haben?« Ich lachte nur.

»Dies leise, überlegene Lachen, wie ich auch das liebe!« sagte er zärtlich. – – – – – – – – – – – – –

*

»Ja,« sagte ich nachdenklich, »es ist wahr, ich bin ja schon glücklich, wenn du es nur bist.«

»Aber das ist ja Aufopferungstheorie! Und für die bist du doch nicht!«

»Ja, freilich, das scheint mir beinahe auch; die Aufopferung muß uns Frauen also verhängnisvoll im Blute stecken, wenn sogar ich von ihr angesteckt werde!« –

Er legt meine Arme um seinen Hals: »Hab mich lieb! Du Dummes weißt ja gar nicht, wie lieb ich dich habe. Wie war das neulich ein Glück bei dir! Ich sank so selig müde in meine Kissen und fühlte mich all die Tage so froh und stark und frisch und habe so gute Vorlesungen halten können! Bist du traurig, daß wir nicht immer zusammen sind?«

»Ach nein.« – –

»Und wie reizend du aussahst! Das ist doch Glück! Das ist doch eine Ehe! Bist du traurig, daß ich deine geistigen Schätze nicht heben will? Aber unser Zusammensein ist doch nur deshalb so köstlich, weil ich stets das Bewußtsein davon habe. Aber ich bekomme das alles ebenso durch unser Zusammensein wie durch willkürliche Mitteilungen. Und jetzt möchte ich zu dir kommen, dich ganz haben dürfen.«

»Fällt mir gar nicht ein«, sagte ich schroff.

Er sah mich erschrocken an:

»Wenn du das so sagst!« – – – – – – – – – –

*

»Ich habe mir überlegt, daß unsere Ästhetik doch ganz verschieden ist«, sagte ich, bemüht, meinen inneren Zwiespalt verständlich zu machen. »Du liebst die Schönheit in äußeren, sichtbaren Dingen – in Formen und Farben – in der bildenden Kunst – in der Eleganz in Kleidung und Wohnung – und ich mehr die innere – in der Seele.« –

»Ich habe mir überlegt«, wiederholte er ein wenig verletzt. »Wenn du noch sagtest: ›Es ist mir deutlich geworden.‹ Aber nein: ›herausüberlegt.‹ Du scheinst dir in meiner Abwesenheit alles Mögliche zu ›überlegen‹.«

Ja – es ist wahr – seine Abwesenheit ist wie ein Gift für mich – ich weiß es, ich fühle es – alle Bitterkeit unseres Schicksals, die ein vollkommenes Glück mit voller Lebensgemeinschaft, mit Ehe und Kindern nicht gestattet, legt sich dann wie ein Nachtalp über mich. Dazu die Hemmungen meiner künstlerischen Entwicklung durch mein Hierbleiben – und die kurzen, kargen Stunden, in denen wir uns sehen!

Das ist unendlich quälend, deprimierend für mich, für meinen glühenden Durst nach Glück, nach Freude, nach innigstem Zusammenwachsen. Das alles scheint ihm gar nicht zum Bewußtsein zu kommen, ihn gar nicht zu bedrücken.

»Laß mich nur erst einmal«, bittet er dann. »Ich bin ja so viel sicherer, bestimmter geworden – ich meine immer, auch andere müßten es merken. – Die ganze übrige Welt ist mir so gleichgültig geworden. Das hat Goethe gemeint:

Glücklich, wer sich vor der Welt
ohne Haß verschließt,
einen Freund am Busen hält –«

*

»Ach – wenn doch ein Kind aus unserer Liebe hervorginge! Und wenn es sich an diesen lieben Brüsten satt trinken dürfte! Du weißt ja gar nicht, was ich in dir verehre! Und mitten in dem tiefen Gefühl der Achtung vor dir – da möchte ich ein Kind von dir haben und auch gleich machen. Ist das nicht seltsam?«

»Ach nein, das finde ich nicht seltsam!«

»Aber nun nimm mich in deine Arme!«

Ich drückte ihn zärtlich an mich.

»Übrigens habe ich in diesen Tagen in einer Vorlesung über Tellheim gesprochen« – erzählte er, »und meine Zuhörer wußten gar nicht, weshalb ich so erregt und zornig wurde: daß es wohl anständig sei, von einem Freunde Geld zu nehmen. Wenn du mir doch erlauben wolltest, etwas zur Ergänzung der Wohnung zu kaufen – oder wenn du den Humor hättest und kauftest dir ein hübsches Kleid!« –

Ich weiß es wohl: es wäre selig – demütigend: ein Kleid von ihm! Für ihn! – –

Das wäre eine große Versuchung: aber nur im Rausch der Verliebtheit. Im Ernst würde es mich quälen und bedrücken, wäre mir einfach unerträglich. Solange er mit seinen äußeren Verpflichtungen an eine andere Frau gebunden ist, soll zwischen uns nur das freie Geschenk unserer gegenseitigen Liebe sein. – – – – – – – – – – – – – – –

22. April.

So liebevoll-sehnsüchtig habe ich alle Tage an ihn gedacht, daß ich unwillkürlich glaubte, in ihm derselben Stimmung zärtlichsten Gedenkens zu begegnen. Daher fiel es wie eine grimmige Enttäuschung bei unserem Wiedersehen über mich, als wir aus seiner Vorlesung zusammen nach Hause gingen, daß er sogleich – ohne nach mir zu fragen – voll Begeisterung von einer Gesellschaft in dem eleganten Hause einer reichen, noch jugendlichen Generalswitwe mit ihrer arroganten siebzehnjährigen Tochter erzählte, die ihm beide sehr den Hof gemacht hätten. Da er, wie er selbst oft beklagt, sehr empfänglich dafür ist, so hat das, wie es scheint, starken Eindruck auf ihn gemacht.

Mutter und Tochter wollen ihn offenbar stärker an sich fesseln: sie haben ihn gebeten, sie öfter zu besuchen, womöglich für sie und einige Freunde Privatvorlesungen zu halten, mit ihnen Kunstwerke zu besichtigen. Er hat zugesagt. Das wird nun gerade vormittags in der Zeit sein, in der er sonst immer auf ein, zwei Stunden zu mir heraufzukommen pflegte.

Ich wurde unsagbar traurig über diese Aussicht und zugleich wütend auf mich selbst, daß ich diese Traurigkeit nicht ganz verbergen konnte.

»Was hast du? Deine Stimme verrät dich. Wir wollen uns auf die Bank dort setzen, damit ich dich ansehen kann.«

»Ich habe keine Zeit.«

»Soviel Zeit hast du doch.«

Eben hatten wir uns hingesetzt – da kam ein Bekannter, der ihn begrüßte. Ich stand auf und ging langsam voraus – es war mir in meinem zerrissenen Zustand nicht möglich, stillzusitzen. Ich war beinahe schon aus dem Englischen Garten heraus, da kam er atemlos.

»Das war ein Geniestreich, mir so davonzulaufen.«

Ich murmelte etwas von: »Ich fürchtete, es würde mir zu spät.«

»Sag mir doch, was dich traurig macht,« drängte er.

Ich konnte keinen Ton hervorbringen.

»Sieh mich wenigstens einmal an,« bat er wieder, »sonst sehe ich mir den schönen Hals dort an.«

»Da kommt meine Bahn«, sagte ich nur. Ich stampfte in meiner Verzweiflung wild auf: »Ich will nicht so von ihm gehen.« Aber er sah es glücklicherweise nicht.

»Gib mir noch einmal die Hand«, bat er wieder.

Ich konnte es nicht mehr – ich stieg so auf, ohne ihn anzusehen, mit dem glühenden Schmerz im Herzen. Ich hätte ihn am liebsten ganz fest an mich gedrückt: ich will dich ganz allein, ganz für mich haben – und wenn ich Geld genug hätte, würde ich so viel Vorlesungen bei dir hören, daß du für keinen anderen Menschen Zeit hättest!

Meine Hoffnung, daß er heute morgen kommen würde, hat sich nicht erfüllt. – –


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