Ludwig Steub
Novellen und Schilderungen
Ludwig Steub

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Die Trompete

Oberbayerische Dorfgeschichte.

Der Bauernmaler Johannes Duldenhofer zu Grünau schreibt an den Herrn Lorenz Rehböckel, Forstwart zu Marquardstein, Juli 1848:

Mein liebster Freund, Laurentius! der bist Du auf dieser schnöden Welt und darum erzähle ich Dir jetzt brieflich eine Geschichte. Ein Dorf hat uns geboren, Ein Pfarrer hat uns getauft und miteinander sind wir jung gewesen. Ich wollte, wir hätten es um's Verkennen weiter gebracht – wer weiß, ob wir einander nicht hätten helfen können. Ja, lieber Freund, wäre mir zur rechten Zeit nur auch so ein Wohlthäter aufgestanden, wie man öfter in den Geschichtsbüchern liest und hätte mir etliche hundert Gulden anvertraut! Dann wäre ich nach München und hätte die Malerei ordentlich gelernt und dann dürfte ich vielleicht jetzt auch die berühmten Gemälder in die Kirchen malen in der Stadt und wäre ein anderer Bursch. So aber schaut kein Mensch auf mich und muß zufrieden seyn, wenn es genug Hochzeitkästen anzustreichen gibt und Todtenkreuze. Hat mir's doch der alte Forstmeister versprochen, wenn sein Sohn einmal ausstudirt hätte und der Pfarrer von Wildenau, wenn er eine bessere Pfarrei bekommt und der untere Wirth selig, wenn der Waizen fünfzig Gulden kostet – aber, mein Gott! die sind alle lieber gestorben, als daß sie mir geholfen hätten.

Uebrigens wäre ich beinahe eingesperrt worden, wenn nicht die Regierung dazugekommen und mein Schutzengel gewesen wäre. Ja, der alte Hang zur Musik hätte mich fast ins Unglück gestürzt, aber unschuldigerweise; der Vikar dagegen, der hat's mit Fleiß gethan und der hat eigentlich die Verantwortung, wenn ich wirklich nach Amerika gehe.

Des ganzen Unfriedens Ursache und Wurzel ist aber eine Trompete, die alte Trompete in Es, die mir der Hofinstrumentenmacher Michael Süßlein schon vor Jahren als Ehrengeschenk und Andenken übergeben hat. Nicht wahr, lieber Lorenz, Du erinnerst Dich noch an dieses angenehme Instrument und was es für einen wundersamen Ton hatte, wenn es an hohen Feiertagen beim Gloria erklang! Der Lenzenhiesel sagt noch heut zu Tage, erst wie ich diese Trompete in Es vom Chore herab so andächtig geblasen habe, ist's ihm bei seiner Copulation ganz deutlich geworden und gleichsam innerlich aufgegangen, was das für ein heiliges Sakrament ist. Und bei den Tanzmusiken will ich gar nicht sagen, was man mit ihr ausrichten konnte.

Indessen muß ich Dir, damit Du besser weißt, woran Du bist, gleichwohl auch schreiben, daß wir allhier schon seit etlichen Jahren eine musikalische Gesellschaft haben, welche – wie es der Schulmeister in die Statuten gar fein hinzugesetzt – mit redlichem Fleiße bestrebt ist, sich in der schönen Kunst der Töne zu üben und gegenseitig zu fördern, sowohl zum Zwecke würdiger Belebung des Gottesdienstes als auch zum Behufe veredelnder Erholung in den freien Stunden der Woche. Die Gesellschaft kommt alle Monate drei- oder viermal zusammen und man nennt sie gewöhnlich den Cäcilienverein. So kam es denn, daß die alte Trompete in Es bald an weltlichen Orten zu hören war, bald auch wieder vom Chore herab in der Kirche. In den letzten Wochen aber war sie fast ausschließlich dem Dienste des Herrn geweiht und ruhte, wenn nicht geblasen wurde, lautlos in einem Schranke des Chors.

Nun, lieber Freund, bis jetzt merkst du freilich noch nicht, wo das Unglück herkommen soll, aber wie gesagt, ich schreib Dir's schon und zwar gleich.

Ich hoffe, Du denkst ihn noch, den sogenannten Lehrernazi, den Sohn des vorvorigen Schulmeisters, der zu seiner Zeit auf den Grünauer Wiesen mit uns herumgelaufen und ein einfacher Knabe gewesen ist, wie wir auch, eine Waise, die bei dem alten Wirthe Unterschluf und Erziehung gefunden hat. Später kam er zur Studi, wie man zu sagen pflegt, und es soll ihm dabei nicht übel gegangen seyn. Wir haben ihn ja nachher noch öfter hier gesehen bis er zuletzt nicht mehr erschien, weil er Cooperator im Unterland geworden war. Ja, richtig, einmal war er wieder da, als er schon die Tonsur überstanden hatte, und da wurden wir erst die besten Freunde und hatten Manches auszurichten mit den Mädchen, unsern ehemaligen Schulkamerädinnen, die mittlerweile auch groß geworden waren, doch Alles in Zucht und Ehren, wie Du mich kennst, lieber Lorenz. Nur um des Heubauern Lisi war unser Trachten etwas ernsthafter und ehe der halbgeweihte Lehrernazi wieder gekommen, galt sie eigentlich für meine Liebste, ohne zu wissen warum. Auch stand ich eines Tages oder vielmehr Abends, genau gesagt war es jedoch gegen Mitternacht – da stand ich draußen einen Büchsenschuß vom Dorf an ihrem Hofe – der Mond schien so hell und die Apfelbäume blühten und der Bach rauschte daneben – innerhalb schlief das Liserl und durch das offene Fenster hörte man ganz leise den Zug ihres Athems – ach wenn sich's für unser einen schickte, ich würde sagen, daß ich ganz poetisch gestimmt war, bis auf einmal um das Haus der Lehrernazi kommt und wie er mich sieht ganz weinerlich und schmerzhaft sagt: »Ach Gott und hier muß ich Dich wieder finden, lieber Hansi, wo Du doch weißt, daß ich mich zum geistlichen Stande bestimmt habe, und daß mir die Freuden dieses Lebens bald alle versagt seyn werden und heute Abend, wo ich von dem Liserl habe einen unschuldigen Abschied nehmen wollen auf ewig, da bist Du da! Ach, wie weh mir das thut, das kann ich Dir gar nicht sagen.« »Nun,« sagte ich, »hätte ich gewußt, daß dies Dein Gang ist um diese Zeit, so wäre ich etwa auch gar nicht hergekommen.« »Ach,« sagte der Nazi, »Du mußt nichts Uebles denken, aber wenn Du's heute über Dich bringen könntest, mein geliebter Jugendfreund, so würdest Du mir den Abschied sehr erleichtern, der mir ohnedem das Herz abdrückt.« Dabei nahm er mich bei der Hand und ich bin ganz irre geworden und so sag' ich: »Ja, wenn Du meinst, Du bist dem Liserl so viel lieber als ich, so gehe ich heim und laß Dich hier in Gottesnamen.«

Derweil aber hat das Liserl das Gespräch gehört und wispert: »Wenn Ihr meint, auf Euch allein kommts an –« und schlägt das Fenster zu und heirathet bald darauf aus Verdruß den Tannenbauernsohn von Hirschenberg, was ich ihr nicht verwehren konnte, aber lange Zeit sehr bedauerte. So habe ich ihm damals mein ganzes Lebensglück geopfert, aber nicht für immer, da ich dasselbe, wie ich nicht anders sagen kann, bei meiner gegenwärtigen Frau und Gattin, welche sich Dir als unbekannt empfehlen läßt, doch noch richtig gefunden habe.

Jetzt fällts mir aber auf einmal ein, wie lange ich Dir schon nicht mehr geschrieben haben muß, denn von meiner Hochzeit weißt Du noch gar nichts und da fang ich also jetzt gleich an. Das weißt Du aber schon, daß ich früher immer ledig war bis in's fünfundzwanzigste Jahr meines Lebens und an einem schönen Sonntag gerad vor Pfingsten nach der Kirche, wie ich da so sitz' und ausruh', schaut auf einmal zu meinem Fenster ein fremdes Mädel herein – schier als wenn eine junge Rose aus dem Garten in meine Stube wachsen wollte, so schlank und frisch, so weiß und roth.

»Ich bin die Bauerntochter von Lindenberg,« sagt sie, »und vor vier Wochen ist der Vater gestorben, Thaddäus Brandner, und der Bruder laßt Dir sagen, Du sollst eine schöne Tafel malen auf sein Grab, so groß wie die für den Wirth von Wildenau, die Du voriges Jahr gemalt hast und kosten darf sie auch so viel.« »Und wie soll sie denn aussehen?« frag ich. »So?« sagt sie, »das wirst Du wohl selber wissen, wenn Du ein Maler bist und wie Du's machst, so ist's recht.« »Eine Weisung muß ich aber doch haben,« sag' ich, »wenn's noch so gering ist.« »Ich wüßte schon,« sagt das Mädel und wird ein bissel roth, »ich wüßte schon wie ich mein'; ich hab mir's selber ein wenig ausdenkt, aber Du darfst nicht lachen!« Und dabei schlagt's die Augen nieder und fangt zu zeichnen an mit dem Finger auf dem Fenstersimsen und sagt: Oben hinaus in den Himmel malst den heiligen Thaddäus – der muß aber gut getroffen seyn! – und den Vater sieht man, wie er in den Himmel kommt, halber noch in den Wolken und gibt dem heiligen Thaddäus die Hand. Der Vater aber muß ganz freudig aussehen und unverzagt, nicht als wenn er aus Gnade in den Himmel käme, sondern weil er's verdient hat. Und der Vater hat lange weiße Haare und ein rothfarbiges Gesicht und bissel eine hucklichte Nase. Und unten malst die Wolken hin, goldfarbig und weiß durcheinander, recht licht, und den Himmel, ganz blau. Und unter den Himmel malst das Gebirg, daß man recht weit einschaut in die Thäler und daß man die Almhütten sieht von ferne und obenauf den Schnee, der muß glanzen, und unterhalb den Wald. Und die Berg gehen rechter Hand und linker Hand weit voran und auf der einen Seite auf der Höhe malst unsern Hof zu Lindenberg mit den drei Linden und auf der andern die heilige Eich', die Wallfahrt. Und zwischen das Gebirg malst eine Gegend, wo der Bach rinnt und die Erlbäum und die Buchen und die Haselstauden und da malst Bauernhäuser hinein und im Laub drinn sieht man die Kirchthürm', den runden, das ist der von Erlbach und den spitzigen, das ist der von Wildenau. Und ganz vorn malst ein Feldkreuz, ein großes, wie eines steht, wo man von Lindenberg geht nach Wildenau, in einem grünen Busch von Rosen, den haben wir selbst gesetzt. Und vor dem Feldkreuz malst eine Betbank, wo wir oft knieen, der Bruder und ich, wenn ein schöner Abend ist, und beten und in's Land herunter schauen. Und auf die Betbank malst uns alle zwei, wie wir unser Gebet verrichten und dann ist's fertig.«

Auf diese Manier hat mir das Mädel die Beschreibung angegeben und wer's nicht gesehen hat, der glaubt's sein Leben nicht, wie lieb das gewesen ist. Und sie ist ganz warm worden vor lauter Eifer und hat nicht aufgeschaut; zuletzt aber, wie sie fertig ist und mich ansieht, schrickt sie zusammen und wird überroth, wie wenn sie nicht mehr wüßte, daß ihr Jemand zuhört. Mir ist aber auch ganz anders worden bei der Geschichte, und wenn ich jetzt daran denke, ist mir oft als wenn ich Gott weiß was dafür gäbe, wenn ichs noch einmal erleben könnte, die kurze Zeit, wo sie mit dem Zeigefinger auf dem Simsen ihren Gedanken so nachgegangen ist und so für sich hingesprochen hat, so sittsam und so zierlich.

So schauen wir einander an, bissel verwirrt, bis ich zuletzt sag: »So gute Weisung habe ich nicht leicht noch gehabt und ich sag wahrhaftig Dank dafür. Aber gehst denn nicht ein wenig herein und thust ausrasten?« »Ach,« sagt sie, es könnte dem Bruder nicht recht seyn. Jetzt mal Du nur fleißig und ich komme schon wieder.« So lauft sie fort über die Wiese in den Wald hinein und den Berg hinauf. Bin doch öfter am Hof zu Lindenberg vorbeigegangen, hab nie gedacht, daß ein solches Mädel drinnen ist. Aber freilich etwas weit ist's schon und die Leute von den Berghöfen gehören nach Erlbach in die Pfarrei, kommen auch selten herab in unser Wirthshaus.

Ich fang also zu malen an und hat mich nie etwas besser gefreut und ist mir auch alle Tage vorgekommen, als könnt' ichs noch besser als vorher. Und wie es fertig war, Du hättest gewiß den größten Gefallen daran gehabt, lieber Lenzel, schon an dem heiligen Thaddäus und an dem alten Lindenberger, aber noch viel mehr, wie ich den Bruder und die Schwester hingemalt, insbesondere aber das Mädel mit ihrem grünen Spitzhut, und mit dem schwarzen Mieder und dem weißen Schürzel. Und selbst das Gesicht habe ich ein wenig getroffen; es hat ausgesehen wie eine Apfelblüthe.

Und eines Tages nicht lang darnach kommen der Bruder und die Schwester das Bild anzuschauen, waren voller Freude, so hat es ihnen getaugt. Der Bruder hat auch Alles nach einander rechtschaffen hergelobt und hat die Kirchthürme und die ganze Gegend richtig wieder gefunden, das Mädel aber hat wenig gesprochen, außer mit den Augen, die waren voller Lob und Preis; denn wirklich war jedes Wort und jedes Wörtel von ihr hineingemalt in das Bild. »Nur die Burgel, mein' ich,« sagt der Bruder, »hast zu schön angefärbt.« »Da kann ich nicht helfen,« sag' ich, »sie ist mir halt so vorgekommen.« Da hat er gelacht und sie ist ganz roth geworden.

Item der Schmied von Erlbach macht das Kreuz zu der Tafel und Alles miteinander wird auf den Kirchhof gestellt und auf das Grab. Und dort stehts noch und wenn Du einmal hinkommst, so wirst Du's finden. Wer aber noch eine rechte Freude empfunden, das waren die Bauern von Erlbach, die den alten Lindenberger alle gern gehabt haben und noch jetzt, wenn mir einer begegnet aus der Gemeinde, so lobt er das schöne Grabbild.

Aber bald darauf kommt der Bruder wieder und sagt: »Wer weiß, was aus der Tafel wird auf dem Kirchhofe in Regen und Schnee. Ich ließe mir das Gemälde gern auf eine Leinwand malen, drei, viermal größer und hinge es auf im Hof zu Lindenberg. Meinst, Du kannst das machen?« »Ich will's probiren,« sag' ich, »das kann recht schön werden und eine wahre Pracht. Aber nachher müßte man die Gesichter nicht mehr so von ungefähr malen, sondern ein ordentliches Conterfei.« »Schau,« sagt der Bruder, »das war schön und so bald Du Zeit hast, kommst Du hinauf und bleibst bei uns. Und nebenbei streichst die Thüren an und die Fenster und zu den Bauern sagst Du überhaupt, es ist nichts Anderes, denn wenn wir uns abmalen lassen, so junge Leut, das könnten sie übel nehmen.«

Item am andern Tage schon habe ich Zeit gehabt und bin hinauf nach Lindenberg und habe angestrichen, die Thüren und die Fenster, und nebenbei Porträt gemalt. Und wenn die Schwester auf dem Felde war, habe ich den Bruder porträtirt und wenn der Bruder nicht Zeit hatte, die Schwester und jetzt weißt Alles – denn meines Lebens schönste Zeit war auf dem Hof zu Lindenberg. Das Bild aber wurde fast noch schöner als das andere und wenn weniger Rede davon ist, so kommt das daher, weil Weniger davon wissen. Und den Bruder habe ich schon dergestalt getroffen, daß er sich im Anfang nicht genug anschauen konnte und von der Burgel will ich gar nichts sagen, wie die so freundlich dakniet mit ihren blauen Augen und dem blonden Haar.

Das Gemälde hängt jetzt noch auf dem Hofe zu Lindenberg, in derselben Stube, wo man die schöne Aussicht hat, und wenn Du einmal hinkommst, so wird Dir' s der Bruder schon zeigen. Und wie das Bild fertig gewesen, war auch die ganze Sache mit dem Bruder schon verabredet und bald darauf war die Hochzeit und die Burgel zieht von ihrem Berghof herunter nach Grünau. Den Bauern in der Nachbarschaft war's freilich nicht ganz recht, daß die Bauerntochter einen Dorfmaler heirathet, aber der Bruder sagte, wenn sie ihn gern hat, so kommt's ihm nicht auf den Stand an. Und auch sonst war er recht ordentlich und hat ihr Alles gethan, was er hat thun können. Und seit der Zeit denk' ich auch nicht mehr an die Heubauernlisi, wenigstens nicht so, als wenn's mir leid thäte, daß es damals nichts geworden ist. Lebhafter vielleicht um's Kennen und kecker und lustbarlicher wäre die Lisi gewesen, aber die Burgel ist viel freundschaftlicher und heimlicher. Und was sie gar schön kann, das ist das Citherspielen. Freilich muß ich aufrichtig sagen, sie hat noch viel gelernt von der Lehrerrosi seit sie herunten ist von dem Berge, und das Singen hat ihr die Rosi eigentlich erst recht gezeigt. Aber jetzt geht's schon wunderschön und wenn die Burgel und die andere oft an einem Abend miteinander aufspielen und singen – ja Du meinst schon, Du bist im Himmel oben und hörst die Engelein.

Aber siehe da, eines Tages kommt der Nazi wieder aus dem Unterland und ist Vikar bei uns, geht feierlich im Talar herum und hat eine Häuserin, die recht hübsch ist. Freundlich war er im Anfang, das muß man sagen und wir saßen oft im Herrenstübel beim untern Wirth beisammen und sprachen von der Veredlung des Menschengeschlechtes, wovon er ein großer Liebhaber war, auch von der Obstbaumzucht und von der Weltgeschichte. Aber weil nichts einen Bestand hat auf dieser Welt, so ist auch dies bald anders worden und zwar deßwegen, weil so scharfe Schriften und Bücher aus der Stadt gekommen sind, und immer schärfer sind sie worden und immer schärfer und der Vikar hat sich daran ganz schwindlicht gelesen. Im Anfang freilich hat er mir so die schönsten Stücklein erzählt und hat gelacht dazu, aber auf einmal kommt er daher und sagt:

»Jetzt habe ich's erst gemerkt, daß wirklich was dahinter ist und zwar was Rechtes. Ja, von jetzt an wird der Priesterstand auch in diesem Dorf in die Höhe wachsen, wie das Senfkorn im Evangelium.«

Und bald darauf reist er nach München und kommt wieder zurück und da treffe ich ihn wieder beim untern Wirth und er sagt ganz vornehm:

»Jetzt weiß ich erst wie man thun muß! Da haben sie mich in München bei den berühmten Männern herumgeführt und die muß man hören, wenn man wissen will, was der Priesterstand bedeutet. Für was haben wir denn die großen Päbste, Gregori,« sagt er, glaub ich, »und noch ein paar Andere, als um ihr erhabenes Beispiel nachzuahmen! Woher kommt so vieles Uebel in der Welt, als weil das Volk keinen Gehorsam mehr hat, gegen seinen Priesterstand! Es geht jetzt ein neues Reich an und eine neue Zeit. Auch wir dürfen nicht mehr Du zu einander sagen, sondern höchstens ich zu Dir, aber Du nicht mehr zu mir. So ists!« –

Wie ich das höre, wurde ich innerlich ganz zornig und sagte: Für so vornehme Gesellschaft bin ich nicht auferzogen und gehe wieder heim und erzähle es meiner Frau, welche jedoch darüber blos gelacht hat, mit der Behauptung: »Bisher hab' ich sogar unsern Herrgott gedutzt, lieber Hansel, wenn ich was mit ihm zu reden gehabt; und jetzt will's gar der Vikar nimmer leiden! da werd' ich mich noch oft verfehlen!« Ich glaub auch wirklich, lieber Lorenz, daß ihr das eine harte Arbeit werden möchte, denn da oben auf den Berghöfen sind sie noch gar altdeutsch und auf das Ihrzen gar nicht eingeschossen.

Und der Vikari, nicht faul, fangt Dir an zu predigen, aus der Kirchengeschichte, von dem Pabst Gregori und seines Gleichen, denen die römischen Kaiser die Steigbügel gehalten und daß gar keine Achtung groß genug sey vor dem Priesterstande; daß überall Zeichen und Wunder sich begeben; daß die Muttergottes in Frankreich leibhaftig erschienen sey und Hunger und Mißwachs vorausgesagt habe, wenn sich das Volk nicht bessere, und die beste Besserung sey der Respekt und alleweil größerer Respekt vor denen, die das Wort Gottes verkünden, und wenn wir den gehörigen Respekt schon voriges Jahr gehabt, so wäre der große Hagelschlag gar nicht gekommen. Nun, das wäre Alles recht, aber der Hochmuth ist auch immer gewachsen beim Vikari und Niemand hat sich mehr tief genug bücken können und aller Respekt war immer noch zu wenig und Alles hat er übel genommen und in Alles hat er hineingeredet und im Beichtstuhl hat er die Leute erschrecklich heruntergemacht und die heimlichsten Sachen hat er wissen wollen, und Kundschafter waren auch da, die ihm wieder hinterbrachten, was die Andern über ihn gesagt und von der Kanzel herab hat er dann wieder mit Fingern auf die Leute gedeutet, die lasterhaften, die verworfenen – sagt er – die in ihrer teuflischen Verstocktheit sich über seine Hoffart ärgerten. Und eh Du umschaust, lieber Lenzel, war im ganzen Dorf Alles wie umgekehrt, keiner hat dem Andern mehr getraut; unter vier Augen haben alle über den Vikari geschimpft und in's Gesicht haben sie ihm geschmeichelt und demüthig hofirt; – denn, ich weiß nicht, lieber Freund, ob Du schon in dem Fall gewesen, es ist aber etwas Hartes, wenn man Sonntags in der Kirche, wo man sich doch einfindet, um mit seinem lieben Herrgott zu verkehren, auf einmal ganz unverhofft so von oben herab angesprochen und abgemalt wird, gleich als hätte man sich dem Teufel verschworen und wäre zu nichts mehr gut, als zum abschreckenden Beispiel für Andre.

Item unsere Geschichte muß auch ein Ende haben, und der Vikari nimmt immer zu in seiner Herrlichkeit, bis mir der junge Wirth von Zell die Botschaft thut, sie hätten eine Hochzeit, aber keine Trompeter dazu; ich möchte kommen und blasen. Und so lauf ich hinunter in aller Eile zum Schullehrer und bitt' ihn, er soll mir den Schlüssel geben zum Instrumentenkasten, welchen er aber nicht hatte. Und wenn ich ihn auch hätte, sagt er, so könnte ich Dir die Trompete nicht geben, weil der Vikar jetzt das Zeug vom Chor zu Tanzmusiken nicht mehr hergibt. Ja, sag' ich, wenn er das nur verwehren kann? Nu, meint der Lehrer, er hat erst gestern gesagt, Deine Trompete sey für die Kirche gekauft. Da wirst Du Dich schwer thun.

Nun habe ich von Weitem nicht gemeint, daß da eine Bosheit dahinter ist, sondern nur ein Irrthum und denk mir also, daß man mit dem Vikar reden muß. Ich suche ihn auch auf und treff' ihn in der Stube beim Seilermeister, welcher mit seinem ganzen Hauswesen beim Essen war. So wünsche ich guten Tag und sage:

»Ich habe gehört, Hochwürden Herr Vikar, meine alte Trompete in Es sey gekauft. Wer hat sie denn gekauft?«

»Die Kirche hat sie gekauft,« sagt der Vikar. »Zum Chor ist sie gekauft.«

»Wie können Sie so reden,« sag ich, »Herr Vikari, von meiner alten Trompete in Es, da ich gar nichts davon weiß.«

Auf dies macht der Vikar ein fürnehmes Gesicht, zieht den Kopf hochmüthig in die Höhe und sagt:

»Sie ist gekauft! – Wir haben übrigens schon ausgeredet, denn ich gebe mich nicht länger ab mit so einem niedrigen Menschen, so einem gemeinen Layen, wie Du einer bist.«

Wie er das sagt, reißt der Seilermeister und seine ganze Familie die Augen auf und war Alles todtenstill vor Schrecken.

Aber, lieber Laurentius, jetzt frag' ich Dich, hättest Du vielleicht das ruhig ausgehalten? Du schon gar nicht, aber auch mir ist ganz elend worden vor lauter Aerger und Beleidigung, denn wenn ich schon nur ein Dorfmaler bin, so halte ich doch viel darauf, daß ich auch ein Stadtmaler hätte werden können, wäre die Armuth nicht gewesen und Familienvater werd' ich auch bald seyn, weil mir's meine liebe Frau, die sich Dir noch einmal empfehlen läßt, auf Mariä Geburt bestimmt versprochen hat und ein redlicher Mensch bin ich obendrein. Deßwegen meine ich im Dorfe eine bescheidene aber würdige Stellung einzunehmen, und wenn der Herr Vikar des Willens ist, mich an die christliche Demuth zu erinnern, so hat er dazu den Beichtstuhl, allwo er hoffentlich auch zu derselben Tugend vermahnt wird. Und wenn's das Unglück so gewollt hat, daß ich ein Laye worden bin, so bin ich doch so weit studirt, daß die Kirche deßwegen die Priester höher hinauf stellt, damit sie uns in Gerechtigkeit und Heiligkeit vorangehen, nicht aber die Layen verkürzen und beleidigen sollen, am wenigsten solche, die wie ich, Jahre lang auf dem Chore zu Lob und Preis der heiligen Dreifaltigkeit und der gebenedeiten Jungfrau Maria Trompeten geblasen haben.

Freilich, lieber Alter, bei Dir braucht's keine Entschuldigung, aber wenn ich einmal in's Raisonniren hineinkomme, so lasse ich mir gerne meinen Lauf, vor Allem so unter vier Augen vor Deinem Angesicht; denn sonst fehlt's bedeutend am mündlichen Vortrag und überhaupt wenn ich so einen Brief an Dich schreibe, komme ich mir oft viel gescheidter vor, als ich wirklich bin.

Aber der Zorn war damals zu groß und gar lange konnte ich mich nicht besinnen und so fahre ich heraus und sage:

»O Du grimmiger Vikari, wenn Du etwa an unsere frühere Freundschaft denken möchtest und an des Heubauern Lisi, so thätest Du Dich vielleicht schämen, daß Du Deinen guten alten Kameraden jetzt so hinunter drücken willst. Und wenn Du sagst, die alte Trompete in Es ist gekauft, so bist Du ein Lügner.«

Und sofort ging ich zur Thüre hinaus.

Jetzt frag ich wieder, wer hat Recht? Denn daß ich den Vikari gedutzt habe, kann so weit nicht gefehlt seyn, weil er selber angefangen hat. Freilich hat er's vielleicht nur gethan zur Erinnerung an unsere schöne Jugendzeit – aber warum soll ich mich nicht auch erinnern? Und in der selbigen Zeit, wo unser Heiland seine Kirche gestiftet, haben die Leute, wie das Evangeli ausweist, alle einander gedutzt und wenn ich mich länger besinnen wollte, fielen mir noch ganz andere Sachen ein.

Item es gehen etliche Tage herum und bald hat es mich gefreut, daß ich ihm so herzhaft hinausgegeben und bald habe ich ein Bedauern gehabt, daß die Menschen einander so beleidigen mögen, ohne zu wissen warum, aber auf einmal in der andern Woche kommt ein Einspänner in's Dorf herein, ein ganz frisches Fuhrwerk, und sitzt der Assessor drinnen und der Praktikant, welche beide beim Vikari absteigen. Ich schau da von meinem Hause (man dürfte fast sagen: Häuschen), öfter hinüber und so nach etlichen Stunden kommen alle drei wieder heraus, ganz feuerroth im Gesicht und so lustig, wie ich seit meinem Hochzeittag nicht mehr gewesen bin. Und die Hauserin kommt auch hinterdrein und schaut ganz liebreich auf die Herren. Und alle drei haben Cigarren geraucht und die Häuserin hat auch eine gehabt, aber halbversteckt in der Hand. Aha, denk ich mir, da hat der Ruppertsberger und derselbige Grimmeldinger, den die Häuserin so lobt, die haben da auch mitgethan. Und zuerst heben sie den Assessor auf seinen Sitz und der Praktikant springt nach wie ein Eichhorn und der Vikar sagt:

»Liebe Landsleut, noch einmal sag' ich's euch. Jetzt laßt mich nicht sitzen, sonst ist aller Respekt verloren, wie dem Juden seine Seel'.«

»Ja wahrhaftig,« sagt der Praktikant darauf ganz überlaut und gibt ihm die Hand, »Dir soll geholfen werden, Pfaff, zuerst um Deines Glaubens willen, und nachher weil Du einen so guten Tropfen im Keller und eine so schöne Magd im Bett hast. Bist Du zufrieden mit dreimal vierundzwanzig Stunden?«

»Ach,« sagt der Vikar und schlägt die Augen demüthig nieder, »wenn es Ruthenhiebe wären, die hätt' ich lieber.«

»Ei, damit kann ich jetzt nicht aufwarten,« erwiedert der Praktikant. »Freilich wäre keine Strafe groß genug für den gottlosen Pfuscher, der ein so aufrichtiges Kirchenlicht einen Lügner schimpft.«

Wie ich dies höre, geht mir ein ellenlanger Stich durch's Herz und meine arme Frau fällt mir um den Hals und zugleich in die größte Trübsal und ich weiß mir auch nicht zu helfen, bis zum guten Glück der Steffelbauer von Osterberg seinen Buben herüber schickt, er ließe jetzt sein Haus abweißen und ich möchte ihm geschwind auf die vordere Wand ein paar Heilige malen. Das war eine Schickung Gottes; denn zu Haus hätte ich's doch nicht ausgehalten und wenn wir beisammen geblieben wären und alleweil darüber geredet hätten, Stund für Stund, so wär' es uns alle Tage nur bitterlicher worden. Also packe ich schnell meinen Zeug zusammen und wandere über's Gebirg hinüber nach Osterberg. Dort male ich ein paar Tage die Heiligen auf das Haus, den heiligen Isidor und die heilige Notburga und hab gar oft beim Malen mein Gebet verrichtet: O ihr lieben Heiligen, nehmt euch um mich an – nur diese Schande laßt mich nicht ausstehen; lieber zieht mir den Arrest siebenfach von meinem Leben ab! Insbesondere die heilige Notburga habe ich darum angesprochen, weil sie doch die Namenspatronin ist von meiner Frau.

Und in der andern Woche gehe ich wieder übers Gebirg nach Haus und da kommt mir die Burgel ganz freundlich und gefaßt entgegen und gibt mir einen Zettel, der mich in's Landgericht ladet und sagt: »Ich hab' mich jetzt genug zergrämt über diese Geschichte – sey standhaft, lieber Hansi, wer weiß wie's geht.«

Und am andern Morgen mache ich mich auf zum Landgericht und daselbst geh ich im Gang auf und ab und wie es meine Stunde schlägt, geh ich hinein in die große Stube, die voller Bauern war. Wie aber der Praktikant mich sieht, so fahrt er auf und sagt recht spaßig und heiter: »Aha, der ganzen Figur nach ist Er der Bauernmaler von Grünau?« und wie ich darauf mit dem Kopf bescheiden nicke, so lacht er wie närrisch und sagt zu den andern Schreibern in der Stube:

»He Leut, aufgepaßt! das ist der weltberühmte Raphael von Grünau, der den Vikari dutzt und die geistlichen Herren so herschimpft! S'ist gewiß der Mühe werth, daß man sich den Kameraden anschaut! der gehört auf den Jahrmarkt, wo man die Affen um einen Groschen zeigt.«

Und auf dies fangen alle, der Oberschreiber, der große Lump, und die fünf andern Schreiber und im Nebenzimmer der Assessor und die zwei Gerichtsdiener und der Gensdarm am Ofen, die fangen alle hellauf zu lachen an. O mein, da hast nicht irr werden können, daß schon Alles verabredet war, und daß sie sich schon gefreut haben auf den armen Bauernmaler von Grünau, der ihnen doch seiner Lebtage nichts zu Leide gethan. Der Praktikant aber nimmt ein paar Bogen Papier her und sagt ganz kurz und voller Eile:

»Nun, so viel ist ausgemacht, daß Er den Vikar einen Lügner geschimpft hat oder will Er's etwa läugnen?«

»Nein,« sag ich, »das läugn' ich nicht, aber« – und da hätte ich ihm gern die ganze Sache erzählt, wie sie sich zugetragen und wie ich's mir auf dem Weg her ausgedacht und zusammengestellt und repetirt hatte. Da war aber nicht zu helfen, denn der Praktikant schreit: »Was Aber! Glaubt Er, daß man seine Zeit mit Ihm verliert, wenn so viele ordentliche Unterthanen auf Abfertigung warten? Da! das Protokoll hab ich schon schreiben lassen, 's braucht nur die Unterschrift.«

Ich nehm die Feder in die Hand und schau in das Protokoll, weiß aber nimmer recht was drinnen gestanden ist. Und wie ichs unterschrieben habe, so denk ich mir, es muß halt doch heraus und fang wieder an. Der Praktikant aber schreit ganz zornig:

»Er Simpel, wenn Er was weiß zu seiner Entschuldigung, so hätt' Er's vorher sagen sollen. Jetzt ist das Erkenntniß schon gemacht. Drei Tage geschärften Arrest und die Kosten hat Er selbst zu tragen. Das kann Er auch gleich unterschreiben.«

Wie nun das auch vorbei war, da kommt mir zum drittenmal die Hitz und die Rechtschaffenheit und ich sage: »Jetzt, Herr Praktikant, denken Sie an Ihr letztes Ende und an die Hölle und an das Himmelreich und geben Sie mir Auskunft, ob mir Niemand helfen kann auf dieser Welt, daß ich die Schand nicht ausstehen muß.«

»Da kann Niemand helfen,« gibt er mir zur Antwort – »die Strafe ist einmal zu gerecht. Geht Er zur Regierung. so bekommt Er Ruthenhiebe, denn wenn man jetzt einem geistlichen Herren etwas thut, so ist's der Regierung immer, als wenn man's ihr selbst gethan hätte. In vierzehn Tagen stellt Er sich und laßt sich einsperren. Jetzt rechtsum kehrt euch, G'schwindschritt Marsch, hinaus.« –

Und da lachen wieder alle die Schreiber so erbärmlich, daß es eine Schande war.

Ja, G'schwindschritt Marsch, hinaus, denk ich mir, etwa ins Wasser, in die bessere Welt, bis mir auf der Stiege der Schlickertoni von Feldwies begegnet, derselbe brave Bursch, weißt Du, der uns vor fünf Jahren einmal geholfen hat auf dem Miesbacher Markt, wie wir mit den Schlierseern gerauft haben und sagt: »Du bist ja ganz käsweiß, Hansel, hat Dich gewiß was geärgert!« Auf dies erzähl' ich ihm die ganze Geschichte.

»Nu!« sagt er, »so sollen doch gleich alle Schreiber verrecken, wenn da nicht zu helfen ist. Ich bin einmal in der nämlichen Patsch gewesen und in München ist mir doch noch geholfen worden. Jetzt besorg ich Dir oben die Abschrift und dann fährst Du mit mir auf Feldwies und bleibst über Nacht, und da geb ich Dir schon die rechten Einschläge. Und morgen machst, daß Du hinein kommst. – Wer weiß wie's geht.«

Das war mir Alles recht und dem Zennsenseppel von Weihern, der war auch bei Gericht, dem haben wir aufgegeben, daß er der Burgel sagt, wo ich hingegangen bin und haben's ihm recht eingebunden, daß er's nicht vergißt, wie's ihm so oft passirt, und so fahren wir nach Feldwies und bleiben über Nacht und da hab' ich mich gefreut, wie der ordentliche Mensch seinen Hof so schön eingerichtet hat, mit seiner jungen Frau, schier gerad wie bei uns, nur viel vermöglicher. Und am andern Tage lauf ich in die Stadt, wie ein Wiesel und richtig, wie mirs der Schlickertoni gesagt hat, so finde ich das Thor beim Fischbrunnen und den Gang und das Zimmer und die Nummer und geh hinein und sag: »Ich habe eine unterthänige Beschwerde.«

Steht Einer da, ein langer, weiß Gott wer's gewesen ist, und schaut mich so an, wie man einen Bauern anschaut. »Nu, wo feilts?« sagt er, »raus mit der Stimm!« Da bin ich wieder herzhaft worden, weil der Herr so gut bayrisch geredet hat, fast noch besser, als ich selber und geb' ihm die Abschrift. Und wie ers gelesen hat, wird er ganz zornig und sagt:

»Sakra, daß die Pfuscher da draußen aus ihrem Holzweg nie herausfinden! Jetzt bringens da eine Polizeisach' zwegen! Das Zeug gehört ja in einen ganz andern Mühlgang.«

»O Du lieber Gott im Himmel,« sag' ich, »also ist doch noch zu helfen!«

»Das wär' das Wenigste, sagt der Andere – aber daß das keine Polizeisach ist, das sieht ein Blinder. Das müssen wir jetzt als null und nichtig aufheben und haben die Schererei umsonst, dürfen die Akten hereinkommen lassen und wieder nausschicken und ist Alles für Nichts. Und so geht's einen Tag um den andern, weil die damischen Herrn nicht aufpassen und haben doch ganze Fuder voll Verordnungen draußen. Es fehlt halt an der Bildung. Freilich heißt es, geringe Schimpfereien gehören der Polizei, aber dann müssen's an öffentlichen Orten vorfallen, verstanden! Das weiß man jetzt schon bald seit vierzig Jahren, seit Menschengedenken, aber bis es die da draußen merken, da darf ich noch fünfhundert Jahr so fortmachen im Schweiß des Angesichts. Aha, ja, ja, beim Seilermeister in der Stuben! Ist denn das ein öffentlicher Ort, frag' ich? das weiß daheim mein kleines Linerl schon besser, ist doch erst fünf Jahr alt und geht noch gar nicht in die Schul, hat aber freilich mehr Verstand. Und was nicht zu der Polizei gehört, das gehört zu der« – – aber das Wort fallt mir nicht mehr ein, das er da gesagt hat. »Wenn's da aber nicht bald einen Fried gibt mit denen Trompeten da,« sagt er nachher wieder, »so will ich mit dem Referenten schon reden, daß er eine Verordnung drüber hinaus gehen läßt, eine recht gesalzene.«

Und so hat er fast lang so fortgescholten und dabei immer geschrieben und zuletzt war ein Protokoll fertig und das hab' ich unterschreiben müssen. »So!« sagt er, »jetzt bist schon abgefertigt.«

»Aber lieber gnädiger Herr!« sag' ich, »wie ist's denn jetzt? ist mir geholfen oder nicht?«

»Wie's ist?« sagt er, »die ganze Geschicht' ist halt in den unrechten Hals gekommen und da gibt's keinen Frieden, bis sie wieder heraus ist. Und weiß Gott, was da noch für Patschereien dazwischen kommen können. Vor vierzehn Tagen kann man freilich nichts sagen, aber so wie es ist, darf es nicht bleiben; das wär zum Lachen. Das Landgericht wird es Euch aber schon zu wissen thun.«

Jetzt habe ich mich herzlich bedankt für den gnädigen Bescheid, und voller Freuden habe ich mir denkt, wenn es nur die Burgel auch gleich wüßte und muß der arme Narr jetzt noch einen ganzen Tag lang warten.

O du grundgütige Regierung! wenn du nicht geholfen hättest, wär das Unglück ohne Ende gewesen, und meine Kinder hätten sich noch nachsagen lassen müssen, daß ihr Vater einmal ist eingesperrt gewesen, wie ein Dieb oder Räuber. Wie nützlich ist es doch, lieber Lenzel, daß es mehrere Obrigkeiten über einander gibt und daß die obern wieder umwerfen, was die untern aufstellen, wenn wir's nur nicht selber zahlen müßten!

Item ich trinke schnell am Fischbrunnen und dann wieder fort und hinaus und in einem Zuge bis Feldwies zum Schlickertoni, der sich rechtschaffen gefreut hat, daß Alles so gut gegangen ist. Und am andern Tag, das war ein Sonntag, da bin ich freilich übermäßig müd gewesen von dem weiten Weg und am Mittag im Brennberger Wald, da sink ich hin in der Hitze und will etwas ausrasten – derweilen aber schlaf' ich ein und muß etliche Stunden verschlafen haben. Mir sind sie freilich nicht lang vorgekommen, hat mir aber auch von nichts geträumt als von daheim.

Und wie ich Abends nach Hause komme, so war die Burgel im Garten draußen und sitzt unter dem großen Nußbaum, hat auch die Cither auf dem Knie, spielt aber nicht. Ja ganz versunken war sie in Gedanken und hält sich mit den Händen die Augen zu, als wenn sie nichts mehr sehen wollte von der Welt.

Wie ich ihr aber zuruf: Mädel, es ist schon geholfen – so springt sie auf und jauchzt und halst mich und ist voller Seligkeit und ganz wie auseinander. Aber das habe ich gleich gemerkt, daß sie nebenbei ganz schwermüthig ist und denke mir, sie wird schon selber reden, sie hat aber wenig gesagt. Und so sitzen wir zusammen unter dem Nußbaum und sie hält mich immer im Arm, ganz trübselig und ganz heiß. Und wie ich ihr die Geschicht erzählt habe, wie es in der Stadt gegangen, so sag ich zuletzt: Aber Burgel, Du bist heut nicht wie sonst; Dir muß etwas geschehen seyn, was Dir nicht recht ist. Auf Dieses aber fangt sie zu weinen an, daß die Zähren herunterschießen wie ein Mühlbach und man meinte, es müsse ihr das Herz abstoßen.

Item es hat aber Alles seine Zeit und die Burgel ist zuletzt doch wieder gefaßt worden und hat mir erzählt, daß sie sich tüchtig gefreut, wie der Zennsenseppel die Botschaft gebracht, daß noch nicht Alles verloren sey. Und in der Früh, das heißt an dem Sonntag, wo ich heimgekommen bin, da geht sie in die Kirche. »Bin schon ganz früh gegangen,« sagt sie, »leicht eine Stund vor dem Amt und hab alleweil gebetet, daß es Dir recht gut gehen möchte und ist mir alleweil leichter worden und hab bald gemeint, jetzt weiß ich's gewiß. Und nachher habe ich mich mit Fleiß besser an die Kanzel hingesetzt und hab gedacht, heut ist Jubiläumsablaß, da hat er gewiß recht fromme Gedanken, und wenn er mich sieht, möcht ihm vielleicht einfallen, daß Du nicht allein in die Schande kommst, sondern ich mit und wenn's Dir vielleicht in der Stadt doch nicht geräth, so könnt' er selber noch nachhelfen. Und so fangt denn die Predigt an und der Vikari liest das Evangelium: Mir ist alle Gewalt gegeben – und sagt, das muß auch wieder werden, daß der Priesterstand alle Gewalt habe auf Erden, weil er die Schlüssel hat zur Hölle und zum Himmelreich. Und dabei ist er geblieben und hat noch allerhand gesagt von derselben Gattung und auf einmal schaut er auf mich herunter und fangt an: Und sogar die weltliche Obrigkeit, die so lange verblendet war, der hat jetzt der liebe Gott in seiner Barmherzigkeit die Augen aufgethan und sie ist jetzt zur Erkenntniß gekommen, daß Ehrfurcht vor dem Priesterstand und Gehorsam der Welt allein vor den schrecklichsten Lastern und vor ewiger Verdammniß helfen können. Deßwegen, sagt er, wird auch mit nächstem ein Frevler, leider, leider aus unserer Gemeinde, der sich an dem geweihten Diener des Herrn vergangen hat, der Strafe anheimfallen, der gerechten aber schimpflichen Strafe, so daß die Schande nicht allein an ihm ausgeht, sondern auch an seinem jungen und tugendhaften Weib! Und wie nun der Vikari dies sagt und mit dem Zeigefinger herunterdeutet, so schauen Alle auf mich – die Mehreren, ich darf's wohl sagen, recht mitleidig, die andern aber fast spöttisch und boshaft. Und da wird's mir auf einmal, wie wenn's Einem übel wird und so stehe ich auf und wie ich so ganz schwindlig hinaus gehe, steht die alte Rappenbäurin auch auf, gibt mir die Hand, führt mich hinaus und sagt: Hast Recht, Burgel, daß Du gehst – es wird mir jetzt auch zu arg – und draußen auf dem Kirchhof kniet sie sich auf das Grab, wo ihr Mann seliger liegt und sagt: »Der Rappenbauer, wenn lebte, der schlüg den Vikari herunter von der Kanzel, Ein Ding, ob's ihm recht wäre oder nicht. Aber die braven Leute sind jetzt alle todt.«

Jesus! Jesus! Da fangen die Zähren wieder zu schießen an und die Burgel fallt mir wieder um den Hals und ich hätte fast auch mitgeweint, wenn nicht auf einmal der Bruder von Lindenberg dahergekommen wäre. Das ist ein Bursch, daß man ihn vergolden soll und überall kommt er zur rechten Zeit. »Ich weiß schon, wie es gegangen ist, liebe Burgel,« sagt er, und gibt ihr die Hand, »Du brauchst mir nichts zu erzählen. 'S sind etliche Burschen und gute Freund zu mir hinaufgekommen und haben mir Alles gesagt. Die wären gleich dabei gewesen in der Nacht Haberfeld treiben beim geistlichen Herrn, wenn ich hätte mitgehen wollen. Das thut aber nichts, wenn Dich der Vikari von der Kanzel verschreit, wenn Du Dich nur nicht selber in Unehr bringst.« – Und so hat er ihr zugesprochen, so daß die Burgel bald wieder ganz recht worden ist. Nachher sind wir auch zu reden gekommen, wie es mir in der Stadt ergangen, das hat ihm aber nicht ganz gefallen wollen. Mein, sagt er, die Herren sind oft gar falsch und wer weiß, ob Du ihn recht verstanden hast und wenn auch von Arrest keine Rede mehr ist, so bekommst vielleicht Ruthenhieb dafür. Da hat die Burgel wieder einen tiefen Schmerzen gehabt, als wenn sie das nicht überleben könnte und sich was anthun müßte. Nun tröstet sie der Bruder wieder und sagt, da wär's noch allemal Zeit dazu, aber jetzt einmal soll sie hinauf nach Lindenberg, daß sie nichts mehr von der Geschichte hören muß, und daß die Grünauer Leut ihr nicht mehr im Weg umgehen, bis das Ende vom Landgericht kommt, und ich sollte auch mit. Das wär mir freilich recht gewesen, aber die Leute hätten meinen können, ich thäte es des Faullenzens wegen und das hätte mich nur verdrossen.

So sind denn also Beide miteinander fort und ich habe sie noch bis halbwegs begleitet und hab herzlich Abschied genommen und am andern Morgen in aller Früh hab' ich mein Zeug zusammengepackt und bin zum Schlickertoni nach Feldwies, weil der mir gesagt hatte, ich soll ihn abporträtiren, wenn ich einmal Zeit hätte. Nachher sind aus dem einzigen Schlickertoni drei Bauern und zwei Bäurinnen worden und ich hab' vierzehn Tage zu thun gehabt, bis die Bilder alle fertig waren.

Und so ist die Woche ruhig herumgegangen und am Samstag bin ich von Feldwies nach Grünau, ganz spät, und über Nacht geblieben und am andern Tag in aller Früh bin ich hinauf zum Hof. Der Bruder und die Burgel sind mir auch entgegen gegangen und haben die größte Freud gehabt, aber die Burgel auch verweinte Augen. Nachher sind wir in die Kirche nach Erlbach und da habe ich die Grabtafel wieder gesehen, die noch ganz schön ist wie neu. Und der Pfarrer von Erlbach, das ist einer von den alten Herren, die sich nicht mehr in den neuen Hochmuth hineinreißen lassen, der hat uns in den Pfarrhof gerufen, wie wir auf dem Heimwege vorüberkamen und sagt, daß die Burgel allzeit so brav gewesen ist in der Schule und in der Kirche und daß er gar nicht wüßt, zu was der Grünauer Vikar sie so martern thät. Und einen ganz schönen Zuspruch hat er ihr gemacht; das hat sie recht aufgerichtet.

Und daheim, nämlich auf dem Hof, setzen wir uns in die große Stube, wo man die schöne Aussicht hat, und wo das schöne Bild hängt, von dem ich Dir schon geschrieben habe. Da war ein Tag so klar und hell und so warmes, liebliches Sommerwetter und die Felder und die Wälder, die Dörfer und die Schlösser sind so freundlich dagelegen, daß es eine Pracht war und der Sonnenglanz hat so schön geflimmert, daß ich es Dir leider nicht beschreiben kann. Da macht die Burgel das große Fenster auf und sagt: Ach wär doch das Land so schön, wenn die Leute nicht so feindselig wären!

Und so sind wir mit einander auf die Laube hinaus und haben uns fast verwundert über die Herrlichkeit und die Burgel nimmt sich einen Stuhl und will gar nicht mehr weg. Der Bruder aber gibt mir ein Zeichen und wir gehen miteinander wieder in die große Stube.

»So, jetzt können wir noch ein Wort miteinander reden, sagt er, und Du darfst zufrieden seyn, Hansel, was das Madel gut von Dir spricht, aber die Geschichte geht ihr entsetzlich zu Herzen und die verweinten Augen bringst ihr nicht mehr aus dem Gesichte. Das hat sie freilich daheroben nicht gewohnt, daß sie so mit Schand' und Spott aus der Kirch soll gehen, und das wurmt mich und kommt mir immer wieder frisch, daß man so ein gutes unschuldiges Madel soll so verschimpfen lassen müssen. Und Dein' Sach gefallt mir auch nicht ganz und ich fürcht, es könnt leicht was Schlimmers kommen vom Landgericht als Du meinst. Und neulich bin ich auch darinnen gewesen wegen der Vormundschaft über die Schwester. Da sind sie wieder so grob gewesen, bis ich noch gröber geworden bin, denn in's Gesicht speien lasse ich mir nicht vom Assessor. Aber wenn die Hetzerei einmal angeht mit dem Gericht, dann gehts Dein Lebtag nicht mehr aus. Da hast Nichts als Gänge und Zeitversäumniß, Plagerei und Kosten. Da kannst heut hineingehen fünf sechs Stunden weit und sie schicken Dich wieder heim und schauen zum Fenster hinaus, als wenn's keine Zeit hätten. Und geben thut man ihnen oft nicht so viel, daß sie leben könnten und so muß halt der Bauer selber seine milde Hand aufthun. Sonst kannst jeweil gar nichts ausrichten und Du weißt, warum es oft den braven Leuten so schlecht gegangen ist und warum jetzt der Metzgerwastel von Audorf die ganze Gemeinde regiert, und warum keiner mehr angehört wird, der sich über ihn beklagen will. Und wenn die Spitzbuben die Gewalt haben, nachher weißt schon, wie es den ehrlichen Leuten geht. Und dann, wo Du hinkommst vor Gericht oder in die Stadt, heißt's halt die dummen Bauern, aber daß wir gescheidter werden, um das kümmert sich kein Mensch. Und die geistlichen Herren werden auch nicht mehr besser; die alten sterben weg und die jungen sind oft nicht zu erleiden vor lauter Uebermuth und Schärfe. Und jetzt ziehens die ausländischen Bußprediger in's Land, daß die Leut noch ganz närrisch werden. So hetzen sie Dich Jahr aus Jahr ein mit lauter Beten und Beichten und Büßen wegen Deiner schrecklichen Verworfenheit als Ebenbild Gottes, aber eine ehrliche Recreation lassen sie Dir nicht. Da sollst keine Cither mehr spielen und kein Lied mehr singen, da haben sie in Erlbach gar die Komödie verboten und am Kirchtag darfst bald auf keine Musik mehr gehen. Früher bin ich wohl als Wildschütz hinaus in den Wald, aber das mag ich nimmer seit ich Herr bin auf dem Hof. Und so setzst Dich halt ins Wirthshaus und liegst vor dem Faß und saufst und raufst und wenn Du Einen an den unrechten Ort stichst, so kommst auf Dein Lebenlang ins Zuchthaus.« –

»Recht hast,« sag ich, »aber das wird schon so seyn müssen.«

»Nein, das muß nicht so seyn,« sagt der Bruder ganz laut, »da geht man nach Amerika.«

Nach Amerika! wie das die Burgel hört, kommt sie von der Laube herein und wir schauen den Bruder mit großen Augen an. Der sagt aber ganz fest: Ja, nach Amerika. Ich habe noch nie davon geredet, aber die drei Erlbacher Burschen, die vor zwei Jahren fortgegangen sind, die haben jetzt geschrieben, daß es ihnen ganz besonders gut geht. Weit hinten sind sie freilich in Amerika, aber einen prächtigen Boden haben sie fast geschenkt bekommen und den schönsten Wald und das Wildpret schießt man vom Fenster aus. Und Steuern gibt es auch keine und es hat Dir kein Mensch was einzureden und darf dich kein Vikari plagen. Und mir schreibt der Wolfel Thoma extra, gar nicht weit von ihm ist ein Berg und da hat man eine gar schöne Aussicht und wenn ich dahin meinen Hof baue, so müßt' es mir vorkommen, wie zu Lindenberg. Und da gibts so eigene Bücheln über das Amerika und die hab' ich jetzt zum Lesen und da find ich, daß es wahr ist, was die Burschen schreiben, und wenn ich meinen Hof ordentlich verkaufen könnte, so ginge ich je eher je lieber. »Hei sakra,« sagt der Bruder und fahrt auf und schlagt auf den Tisch, daß die Fenster zittern, »wenn so fünfzehn, zwanzig tüchtige Burschen beisammen wären, wie Du und ich und so fünfzehn zwanzig junge frische Weiber und wir wirthschaften da hinten im amerikanischen Wald – wer kann uns denn an? Hab' beim letzten Schießen dreimal nacheinander den Punkt hinausgeschossen, da werd ich wohl auch die Büffelochsen treffen und die gefährlichen Vieher und wenn's ans Raufen geht, so hat mir auch noch Keiner die Feder vom Hut gethan!«

Nun kannst Dir denken, lieber Lenzel, was wir da dreing'schaut haben, die Burgel und ich, daß wir aus unserm lieben Vaterland so fort sollen, aber der Bruder hat uns noch gar viel erzählt aus seinen Bücheln und zuletzt ist's uns bei weitem so arg nicht mehr vorgekommen.

Item am selbigen Sonntag gehe ich wieder herunter und am Montag wieder nach Feldwies zu meinen fünf Leuten. Da hat's der Zufall gewollt, daß ich sie so schön getroffen habe, wie es die Maler aus der Stadt nicht besser könnten. Und abermals am Sonntag komm' ich in der Früh nach Lindenberg und wir gehen wieder in die Kirche nach Erlbach und wieder heim und essen.

Arbeit habe ich auswärts keine mehr gehabt und jetzt ist's darauf angekommen, ob ich mein Hauswesen in Grünau allein fortführen soll oder wie es ist mit der Burgel. Und da sagt sie ganz frisch: »Jetzt habe ich mich lang genug erholt auf dem Berg und jetzt will ich gleichwohl mit dem Hansel auch wieder hinab ins Dorf.« Und der Bruder hat auch nicht viel dagegen sagen können, und so sind wir halt wieder herab und haben uns herzlich bedankt beim Bruder. Der hat uns noch ein gutes Stück weit das Geleit gegeben und zuletzt, wie wir einmal im Discurs waren, ist er gleich ganz herab mit uns. Am Dorfe aber sind wir außen hergegangen bis an unsere hintere Gartenthüre, welche wir aufmachten, und fast Niemand bemerkte, daß wir wieder gekommen.

Kaum aber, daß wir die Läden wieder aufgemacht und uns im Haus ein wenig umgeschaut hatten, so gehen wir in den Garten hinaus und setzen uns unter denselben großen Nußbaum, halb traurig und halb vergnügt. Uns zweien war's wenigstens recht lieb, daß wir wieder zusammengekommen und auf einmal steht die Lehrerrosi an dem Gartenzaun und gibt uns ein Schreiben vom Landgericht, das der Gerichtsbot in der Früh gebracht hatte. »Der Vikar,« sagt sie, »hat freilich gemeint, ich solls ihm sagen, eh' ichs übergeben will, aber es wird so heikel nicht seyn, denn er hat das seinige auch schon aufgemacht.« O Du lieber Gott, ich weiß gar nicht, wie mir da worden ist vor lauter Begierigkeit und vor lauter Angst, denn weil der Bruder so bedenklich worden ist, so habe ich doch wieder gezweifelt, ob sich die Regierung nicht anders besinnen möchte. Da macht die Burgel ein Kreuz über den Brief und reißt ihn auf und fangt zu lesen an, buchstabirt die schweren Wörter, reibt sich die Stirn und sagt: »Da müßt ihr mir schon helfen – es geht mir nicht zusammen.« So fangen wir also auch an und da heißt es, wie derselbe bei der Regierung gesagt hat: als null und nichtig aufgehoben. Damit es keine Irrung gibt, möcht ich Dir wohl gleich das Ganze schreiben, aber es ist zu lang und wenn Du herüberkommst, so laß ich Dirs schon lesen. Gründe waren auch dabei, welche wir indessen nur zum wenigsten verstanden haben. Das aber haben wir gleichwohl gemerkt, daß die ganze Sach nichts ist, wie sie das Landgericht gemacht hat. Und so lesen wir immer fort, immer wieder von vorn und hat uns doch immer besser gefallen und der Bruder hat's zuletzt selber geglaubt, daß es überstanden ist, bis ich auf einmal hinter dem großen Haselbusche, der neben dem Sommerhaus steht, meine alte Trompete in Es erschallen höre, gerade wie aus Zauberei, so fürnehm und so hell, und spielt ein lustiges Lied. Auf das renn ich zum Gartenthürl und mach' auf und da steigt der Vikari herein und blast immer munter fort und nickt als Blasender rechts und links zum Gruß. Auf einmal aber setzt er ab und sagt: »Mein Gott, was sich doch die besten Jugendfreunde oft weh thun können! Und jetzt besonders wegen der dummen Trompete da, 's ist wahrhaftig nicht der Mühe werth. Ich meinte, wir richten wieder die alte Freundschaft auf, lieber Hansel, und der Burgel wird's gewiß auch recht seyn.«

Ich bin ganz still gesessen und hab auf den Boden geschaut, der Bruder dagegen hat sich seine Fäuste zusammengerichtet, gerade als wenn er etwas anpacken wollte, aber die Burgel zeigt dem Vikar die Signatur und spricht: »Was sagst denn nachher zu dem Brief da, Vikari?«

Da wird er aber ganz bleich und sagt: »O mein Gott, wenn ihr's schon wißt, so denkt halt an das Leiden unsers Erlösers, der am Kreuze für uns gestorben ist und verzeiht euern Widersachern, wie sie auch euch verzeihen. Und nur die Liebe erweist mir und sagt nichts davon im Dorf. Gelt, Burgel, den Gefallen thust Du mir schon um der fünf Wunden Christi willen?«

Aber die Burgel steht auf, ganz stolz, wie ichs gar nie weiß, und wirft ihm ihre blauen Augen in's Gesicht, daß er die seinigen gerne niedergeschlagen hat und sagt:

»Jetzt, Vikari, laß Deine Sprüch! Ich bin eine Bauerntochter von Lindenberg und mein Vater hat mich rechtschaffen auferzogen und wenn ich gewußt hätte, daß die Leute da herunten so schlecht sind, so wäre ich nie herab vom Berg. Und zuerst bist mit uns umgegangen wie mit den ärgsten Missethätern und hast uns ganz untertaucht in Schand und Spott und jetzt sollen wir still seyn dazu, als wenn uns recht geschehen wäre? Nein, ich habe in der ganzen Geschichte bis jetzt nichts als geweint, jetzt will ich einmal etwas Anderes thun.«

Und mit diesen Worten nimmt sie den Brief vom Landgericht und einen Hammer aus dem Gartenhaus und einen Nagel und geht davon und schaut nimmer um, dieweil sich der Vikar ganz betrübt hinausschleicht und die alte Trompete im Garten liegen läßt. Die Burgel aber geht über die Gasse an die Kirchenthür und nagelt da ganz keck den Brief an, daß die Schläg durchs ganze Dorf hallen und die Bauern, die aus der Vesper kommen, und die Bauernweiber, die lesens alle und der Schullehrer verdeutschts. Die Bauernleute haben wirklich die größte Freude gehabt, daß es der Maler gewonnen hat und die Burschen haben ausgemacht, daß Niemand Hand anlegen soll an den Brief, bis ihn der Wind selber herunterreißt. Und der Bruder war ganz zufrieden mit dem Ausgang und sagt: »Das Madel ist halt gut geschaffen und weiß sich redlich zu helfen,« und da hat er Recht.

Das ist die Geschichte, lieber Lorenz, von der alten Trompete in Es – und an dieser Geschichte schreibe ich Dir jetzt schon den fünften Sonntag, weil ich in der Woche nicht Zeit habe. Aber seit den fünf Wochen kann ich Dir gar nicht sagen, was sich da Alles verändert hat – erstens die alte Trompete in Es liegt jetzt in dem tiefen Dümpel an der Mühl, wo sie die Burgel hingeworfen hat und zweitens ist der Vikari weggekommen mit seinem Gregori, ganz still und unversehens und wie die Häuserin sagt, voller Reu und Leid, daß er sich damals in der Stadt hat so anlernen lassen und drittens bemerk ich deßwegen eine große Freude im ganzen Dorf, weil uns ein sichtbares Heil widerfahren ist, denn er hat recht viel Feindseligkeit und Hetzerei mit sich fortgenommen. Und überhaupt, sagt der untere Wirth, der seither öfter in die Stadt fährt, es geht jetzt ein anderer Wind und die geistlichen Herrn auf der ganzen Straß, nämlich die hoffärtigen, sind viel handsamer worden und recht einlenkig – wenn sie es nur auch bleiben. Und es sollen jetzt bald allerhand neue Sachen herauskommen, eine bessere Gerechtigkeit, und viel aufrichtiger soll Alles zugehen, der Unterthan soll wieder seine Ehr kriegen und seinen Respekt und allerhand Lasten sollen weggenommen und die gemeinen Leute nicht mehr so gehudelt werden. Das ist so was für den Bruder; wenn der hört, daß es besser wird, so ist er voller Freuden und meint, wenn sich die Bauern nur einmal ein bissel auskennen thäten, daß sie selber etwas nachhelfen könnten. Und von Amerika ist gar keine Rede mehr. Jetzt heißts da bleiben, sagt der Bruder, und wenn nicht Alles erlogen ist, so wird's bei uns im lieben Vaterland schon noch recht werden. Und die Burgel ist auch ganz zufrieden, weil Alles wieder so friedfertig ist. Der Vorsteher und die andern grüßen sie jetzt so freundlich, als wenn sie die Fürnehmste wäre im ganzen Dorf. Ferner ist seit der letzten Woche auch die Botschaft gekommen, daß der Pfarrer von Erlbach herunter will und unser Seelsorger werden, weil ihm bei seinen hohen Jahren das Bergsteigen nicht mehr gut thut und so leid es den Erlbachern ist, für uns ist das ein großes Glück, denn der hält gar viel auf die Burgel und ist recht gut mit ihm auszukommen, und ein ganz freundlicher alter Herr. Der braucht auch keinen solchen Deuter wie der vorige und drum werden wir den bewußten Brief schon wieder abreißen vor er kommt. Und in vierzehn Tagen hält er seinen Einstand und ich mal' jetzt schon die Inschriften und die andern richten die Triumphbögen her und die Schulkinder lernen ihren Gesang. Das wird aber gar ein schöner Festtag werden und darum möchte ich die Bitte an Dich thun, lieber Laurentius, daß Du bis dahin herüber kämst und mit uns Dich ergötzen thätest, denn daß es mich doppelt freut, wenn du dabei bist, das weißt Du ohnedem.

Und so schließe ich denn und bleibe Dein ewig getreuer

Freund und Bruder
Johannes Duldenhofer,
Maler zu Grünau.

 


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