Ludwig Steub
Novellen und Schilderungen
Ludwig Steub

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Erinnerungen
aus
dem Etschlande.

1851.

Soll ich noch einmal alle geplünderten Notizenhefte nach einer übergebliebenen Denkwürdigkeit durchsuchen, oder ist es vielleicht erlaubt, ein kleines Bild aus dem Gedächtnisse niederzuschreiben? Ich habe dabei einen lieblichen Ort bei Botzen im Sinne, ein etwas abgelegenes, aber schmuckes Landhaus, hinter dem ein schöner Garten über schmale Ebene an die Porphyrwand hinaufzieht, mit einem Worte, den Hof zu Payrsberg, welcher dem Dr. Joseph Streiter gehört.

Ehe wir weiter gehen, wollen wir indeß doch aus dem Gesagten noch etwas Belehrung ziehen und zwar gerade aus dem Namen dieser Villa. Moritz Arndt, glaube ich, sagt den Schweden nach, daß sie eine große Vorliebe für schöne, wohlklingende Namen haben und denselben Zug finden wir bei den Tirolern wieder. Wenn sonst in Süddeutschland in einem Flecken oder einem Dorfe ein adeliger Sitz vorhanden, so heißt er einfach: das Schloß – in Tirol aber hat er seinen Namen für sich, und wenn in einem Orte mehrere solcher Edelhäuser stehen, so führt jedes seinen althergebrachten Ritternamen, sey's nun Sprengenburg, Riesenstein, Rosengarten oder wie immer. Man sieht, daß die Sitte ursprünglich von den Burgen ausging und eine besondere Funktion der letzteren, die sie auch noch erfüllen können, selbst wenn sie längst vom Erdboden verschwunden sind, ist die, daß sie adeligen Geschlechtern Beinamen oder nach offiziellem Ausdruck, Prädikate verleihen. Diese Prädikate haben sich übrigens erst in den letzten Jahrhunderten festgestellt und da die meisten Burgställe von jeher ein sehr wechselndes Besitzthum gewesen, so trifft es sich, daß der niedere Adel zum guten Theil den Beinamen von Schlössern führt, die er erst lange nach der Zeit der mittelalterlichen Ritterschaft erworben oder oft auch schon lange wieder verloren hat. Vom Schloß Tirol haben das Prädikat die Erzherzoge von Oesterreich selbst, von der nebenbuhlerischen Veste Hoheneppan, trugen es einst die Herren von Pach, die aber mit den alten Eppanern in gar keiner Verwandtschaft standen, vielmehr das Schloß sammt Urbar erst nach langem Wechsel der Besitzer durch Kauf an sich gebracht hatten. Jetzt gibt es Freiherren von Teimer auf Hoheneppan. Von Zenoburg, König Heinrich's Veste bei Meran, schreiben sich die Herren von Braitenberg zu Botzen, die die schöne Ruine noch besitzen, von andren andere. Ein Herr von ohne zu wird hier kaum geduldet. Uebrigens nehmen in Oesterreich auch die Krieger, die wegen langer und ausgezeichneter Dienstjahre in den Adelstand erhoben wurden, ein solches Prädikat an, und zwar, da sie oft keinen Güterbesitz haben, in vielen Fällen ein imaginäres, mit poetischem Sinn erfundenes; so die Edlen von Stuckimfeld, von Löwenschwert, von Lorbeerkranz u. s. w. Die Verleihung dieser Prädikate scheint von dem österreichischen Erzhause schon seit mehreren Jahrhunderten geübt zu seyn. Nach der wahrscheinlichsten, zuerst von Primisser aufgeführten Sage von der wunderbaren Rettung Mar des Ersten aus der Martinswand, wurde der rettende Jäger, Oswald Zips, der ihm oben auf der Klippe: Holla, was machst du da? zugerufen hatte, vom Kaiser zum Dank geadelt und zur Erinnerung mit dem Namen: »Hollauer von Hohenfelsen« beschenkt. Gewisser noch als dies ist, daß der Geheimschreiber Fabricius, der am 13. Mai 1618 mit Slawata und Martinitz aus dem Fenster des Schlosses zu Prag geworfen wurde und aus der Stadt entronnen, dem Kaiser die Botschaft nach Wien brachte, geadelt und durch den an seinen Sturz erinnernden sehr entsprechenden Namen: »von Hohenfall« geehrt worden ist. Hier schließen wir übrigens diese Abschweifung, die sich um so weniger rechtfertigen läßt, als gerade von Payrsberg keine Familie das Prädikat führt.

In diesem Hofe wuchs nun in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts ein junger Mann heran, der schon sehr früh an Schiller und etlichen anderen deutschen Dichtern ein seltsames Wohlgefallen fand und seinen Lieblingen mit großer Treue anhing. obgleich sie ihm hin und wieder von den strengen Lehrern weggenommen wurden. Je älter er aber wurde, desto inniger überzeugte er sich, daß »in Deutschland draußen« eigentlich doch mehr geistiges Leben sey, als dazumal in Tirol, und noch jung an Jahren, erfaßte ihn die Sehnsucht hinauszupilgern und Personen und Dinge selbst zu sehen. Da fuhr er oft gen Norden, aus den Alpen heraus über den Donaustrom, dem edlen Vater Rhein zu und sogar in die sächsischen und preußischen Länder hinein, um an der Bildung und Wissenschaft der plattdeutschen Niederungen sich für den Druck zu laben, den die analphabeten Berge seiner Heimath ihn erleiden ließen. In jenen Gegenden, wo kaum je ein anderer Tiroler erschienen war, als ein Handschuhhändler aus dem Zillerthal, in Dresden und Berlin staunte man über diesen wunderlichen Sohn der Alpen, der alle Jodler seines Hochgebirges für eine Symphonie von Beethoven, alle Stifter und Abteien für eine gute Hochschule und alle docirenden Bettelmönche für einen tüchtigen, feurigen Berliner Docenten hingegeben hätte. Bei Tieck in Dresden saß er manchen Abend und horchte mit angezogenem Athem, wie der Meister den Shakespeare las. Wenn er dann wieder heimwärts zog, so hatte er sich reich beladen mit Büchern und Bildern, von denen man in Tirol nie gehört hatte. Darunter waren freilich manche protestantische Erzeugnisse, wie sie jenseit des Brenners nur Scheu und Zagen erwecken konnten, und man munkelte in den gut unterrichteten Kreisen der Stadt, der Doktor halte fast zu viel auf das »lutterische« Wesen.

Alsbald begann er auch sein Landhaus mit allen den Zierden zu versehen, die er in Deutschland draußen kennen und lieben gelernt. Die Halle seiner Villa schmückte er mit Cornelius' Zeichnungen zu Goethe's Faust und im Salon des obern Stockes richtete er sich eine Büchersammlung ein, die schon manchen Pilger in Erstaunen gesetzt hat. In der That wird es schwer seyn, bei einem Privatmann in irgend einem Lande eine so fein ausgesuchte Bibliothek zu finden, die das Beste aus allen Literaturen, den neuen und den alten, enthält, und dabei gar keinen Schofel. Selbst die äußere Erscheinung seiner Bücher pflegt der Hausherr mit großem Fleiße und ihre Hülle ist daher ebenso elegant als ihr Inhalt klassisch. In anderen Gemächern dagegen fand er Raum für werthvolle Stiche und schöne Gemälde. Einmal trug er sich lange mit dem Gedanken, er sollte auch eine Malerei von Meister Kaulbach haben, und dieser hatte es ihm wirklich versprochen, hätte es auch sicher ausgeführt, wenn ihm nicht bald darauf der Anlaß zu seinen großen, historischen Bildern gekommen wäre. Zu gleicher Zeit arbeitete indessen der Herr von Payrsberg auch in seinem Garten, der ganz etwas Anderes werden sollte, als er bisher gewesen. Vor Allem ging er aus, eine kleine Hochebene zu schaffen, eine Terrasse, die zugleich eine Warte für die Fernsicht, ein Empfangssaal für die Freunde, ein Museum für künstlerische und botanische Schätze werden sollte. Er führte am Fuße der Porphyrwand einen mächtigen Unterbau, ließ selbst den aufsteigenden Felsen sprengen und behauen, und so entstand eine geräumige Platte, die er mit Springbrunnen und Spalieren, mit Tischen und Stühlen, mit Lauben, Gebüschen und zierlichem Geländer ausschmückte. Das Glashaus wurde mit neuer Pflege bedacht, aus südlicheren Gärten schöne Blumen verschrieben und mit bisher unbekannten Gewächsen Acclimatisirungsversuche gemacht. Während der Zeit war auch schon die Kunst zu Botzen mit Aufträgen bedacht worden. Ein Maler, so gut er sich auffinden ließ, mußte an die äußere Wand des Glashauses eine Scene aus Tieck's Zerbino malen, und ein Bildhauer, der tüchtige Rainalter zu Botzen, der bis dahin fast nur Grabmonumente gemeißelt hatte, erhielt den überraschenden Auftrag, die Büsten von Schiller und Goethe in Alabaster auszuhauen. Als dies geschehen, wurden die beiden Bilder mit geziemender Feierlichkeit aufgestellt und jedem zur Seite ein Lorbeerbusch gepflanzt, der da fröhlich grünt und mit seinen schönsten Blättern die Schläfe der hohen Häupter beschattet.

Nachdem so die Terrasse in Ordnung gebracht, ging der Hausherr noch weiter an der Porphyrwand hinauf und wußte noch allerlei Stellen zu finden, an denen er Ruhebänke, Sommerhäuschen und dergleichen kleinere Schönheiten anbrachte. Wer die Mühsal des Steigens nicht scheut, der kann da noch thurmhoch hinaufklettern und einer immer schönern Aussicht sich erfreuen. Lassen wir uns indessen jene auf der Terrasse genügen, auf der ich so manche schöne Frühstunde in lieber Einsamkeit verlebt. Ein zarter Morgennebel lag auf den Dächern der Stadt, welche bekanntlich in einem tiefen Thale am Eisack liegt, mit dem sich hier die Talfer vereinigt, worauf er dann der Etsch zuströmt. Die Umgebung ist weit und breit vom dunkelsten Grün, ein Teppich, der aus frischem Weinlaub gewoben wird, denn in der schönen kleinen Ebene stehen hier nichts als Weingärten. Zwischen solchem dunkeln Grün liegt also die braune Stadt, aus welcher ein röthlicher Dom emporragt und mehrere kleinere graue Thürme mit weißen Spitzen. Die Berge umher sind bis zu den höchsten Höhen bewachsen, unten mit Reben, mit Kastanien, Feigen und Melonen, oben mit Kornfeldern, Lärchen- und Fichtenwäldern. Von allen Seiten blinken weiße Häuser, weiße Kirchthürme herab und auf den niederen Felsenschöpfen dräuen verfallene Kastelle. Auf den rebenreichen Höhen jenseits der Etsch, zieht vor Allem das Schloß von Hoheneppan das Auge auf sich. Dieses liegt gerade unter der rothen Mendel und war einst der Horst der welfischen Eppaner, die wir schon genannt, eines mächtigen Geschlechts in diesen Gegenden, das nur die Grafen von Tirol zu fürchten hatte, denen es endlich nach langem Ringen auch unterlag. Dort drüben liegt auch Kaltern mit seinem See, im Lande schon lange berühmt wegen seiner Weine, in unseren Zeiten aber noch bekannter durch die ekstatische Jungfrau, Maria von Mörl, welche fromme, gläubige Pilger, besonders hohe und niedere Geistlichkeit von nah und fern heranzog. Weiter hinab in der blauen Ferne, wo die Etsch in Wälsch-Tirol einströmt, schieben sich die steil abfallenden Berge allmälig in einander.

Die Tagesordnung war eine sehr einfache, stille. Waren die Morgenstunden im Garten verbracht und kam die Mittagshitze näher, so nahm den Gast das kühle Haus in seinen Schatten auf und er ergötzte sich an der Lectüre in einem Lehnstuhl der Bibliothek. Zum Mittagstische kam der Hausherr seiner Geschäfte halber gewöhnlich erst, wenn die Familie ihr Mahl schon eingenommen hatte. Wir saßen dann zu Zweien, oder, wenn die Gattin Theil nahm, zu Dreien beisammen und plauderten etwa über das Neueste was die Zeitung gebracht hatte. Alle Drei waren wir einig, daß die Jahre bald eine Bewegung in Deutschland herbeiführen würden, von der man sich viel Schönes versprechen dürfe. Das haben wir aber freilich nicht ganz genau errathen.

Außerdem hatten wir aber noch allerlei Einheimisches zu reden, denn in Tirol war es auf einmal recht lebendig geworden. Der Doktor beschäftigte sich viel mit den Jesuiten und wollte es durchaus nicht leiden, daß sie in Innsbruck das Gymnasium in ihre Hände bekommen. Ein tirolischer Geschichtsforscher hatte in demselben Jahre im Ferdinandeum daselbst einen historischen Vortrag über diesen Orden gehalten, der ihr früheres Wirken im Lande schilderte und fast als gemeinschädlich darstellte. Dieser Vorgang, dem der Gouverneur selbst angewohnt, verursachte eine, seit langen Zeiten nicht mehr verspürte Aufregung in der ganzen Gesellschaft. Man schrieb es von Innsbruck in alle Thäler hinein, man berichtete in den deutschen Zeitungen, der Gouverneur griff selbst zur Feder, kurz, es war ein Ereigniß von der größten Bedeutung. Dazu kam noch eine andere Geschichte. Dr. Streiter hatte nämlich schon in jungen Jahren Verschiedenes gedichtet. Nicht lange vor der Juliusrevolution war auch in Innsbruck eine Art von Hainbund entstanden, ein Verein junger Leute, die miteinander die »Alpenblumen« herausgaben. Die Leiter dieser Verbindung waren Dr. Johann Schuler, Beda Weber, beide jetzt von Frankfurt her bekannt, und eben unser Freund, der sich Berengarius Ivo nannte. Als die »Alpenblumen« abgeblüht, was sehr bald geschehen, gaben die beiden letzteren gleichwohl die frohe Kunst nicht auf. Beda Weber dichtete Lieder, Berengarius Ivo versuchte sich in verschiedenen Gattungen, namentlich auch im Drama. Als ihn nun einmal im langen Winter 1843–1844 die Trübsal beschlich und der Aerger, daß gar nichts vorwärts gehen wollte in Tyrol, daß aller Verkehr mit Deutschland abgeschnitten sey, daß auch die »draußen« sich gar nicht um ihre Landsleute in den Alpen kümmern – da fiel ihm plötzlich die Frage ein, ob es denn nicht möglich wäre, über Tirol einen Artikel in eine deutsche Zeitung zu schreiben. Nur wer da weiß, daß sich über Tirol in der ganzen deutschen Presse seit den Kriegszeiten nicht eine Zeile findet, wird die Tragweite dieses Einfalls bemessen können. Nun kam es aber darauf an, den rechten Gegenstand zu finden, und da schien denn die Geschichte der neuern tirolischen Poesie ein ebenso anziehender als harmloser Vorwurf.

So stand denn im Anfang des Jahres 1844, etliche Monate ehe die Jesuitenhändel begannen, in der Allgemeinen Zeitung plötzlich und durch nichts angekündigt, ein längerer Aufsatz: »Poetische Regungen in Tirol«. Das Erstaunen im Lande war ungeheuer, denn Viele waren des Glaubens gewesen, die tirolischen Zustände seyen so eigenthümlich, daß sie eigentlich mit Worten gar nicht wiederzugeben seyen. Viele erschracken, gleich als ob über ihnen das Dach eingebrochen sey und plötzlich der blaue Himmel hereinschaue, Andere freuten sich und hofften, an diesen Erstling würden sich allmälig andere Besprechungen tirolischer Dinge anschließen, und so der gänzliche Mangel einer inländischen Presse bestmöglich durch die auswärtige gehoben werden. Andere ärgerten sich auch, daß man diese tirolischen Seltenheiten, an denen in Deutschland doch die Wenigsten Gefallen finden möchten, in der Allgemeinen Zeitung gleichsam so bespreche, als wäre es der Mühe werth. Indessen der Verfasser freute sich des gelungenen Wagstückes, und in der Wirkung hat er sich auch nicht verrechnet, denn gerade von diesem Artikel an schreibt sich das Wiederauftreten Tirols in den deutschen Zeitungen. Die allernächste Folge für ihn war freilich eine unbezielte; es erschien nämlich bald darauf in demselben Blatte eine Kritik seiner Darstellung, die, von einem der Dargestellten verfaßt, an Gift und Schärfe nichts zu wünschen übrig ließ. Richtig war allerdings der Vorwurf, daß Berengarius Ivo sich damals selbst besprochen, allein nicht gegründet war die Behauptung, daß er sich selbst gelobt, obgleich er das in den Blättern der andern Seite noch öfter lesen mußte. Die Erwähnung seiner eigenen Arbeiten war lediglich deßwegen für nöthig befunden worden, weil man sonst aus diesem Stillschweigen gleich im ersten Griffe den Verfasser errathen hätte, was dazumal immerhin vermieden werden durfte. Diese literarischen Plänkeleien haben uns damals viele Unterhaltung verschafft.

Nach Tische konnte man etwas schlafen oder die Vormittags begonnene Lectüre fortsetzen; gegen Abend kam der Doktor wieder aus seinem Geschäftszimmer in der Stadt und dann, wenn wir Sehnsucht in das Weite fühlten, gingen wir auf die Wassermauer an der Talfer oder gegen Rungelstein, gewöhnlich bald zufrieden mit unserm Gang. Zu Hause fanden wir die Kinder in dem Garten, die es uns sehr gut auslegten, wenn wir an ihren Spielen einigen Antheil nahmen. Wenn sie zur Ruhe gegangen und die Nacht eingebrochen, zogen wir mit Windlichtern auf die Terrasse, um uns dort noch etwas gütlich zu thun. Das waren mitunter sehr vergnügte Stunden in der lauen Abendluft, während die Lorbeerbüsche und die Myrthen leise säuselten, hin und wieder eine Nachtigall im Mandelbaum sich vernehmen ließ, dann wieder ein verhallender Ruf vom Berg herunter oder ein ferner Gesang aus den näheren Häusern der Stadt. Freilich hatten diese Abendstunden nur in den ersten Wochen gedeihlichen Bestand, denn später, als der Sommer mächtiger heranzog, spielten auch alle denkbaren Gattungen von geflügelten Insekten, schlechtweg »Vieher« genannt, um die Lichter und fielen halbverbrannt in unsern frugalen Imbiß. Um diesen Quälereien auszuweichen, setzten wir dann das friedliche Gelage in den vier Wänden des Hauses fort, unterließen aber selten früh zu Bette zu gehen, weil den schönen Sommermorgen Niemand verschlafen wollte.

Die Stadt Botzen selbst hat der Gast auch zuweilen betreten. Ihre Physiognomie ist anziehend, zumal weil sich zu dem deutschen Elemente manches Italienische gesellt. Es gibt da viele Kaufleute, die aus Wälschland stammen und vieles Andere, was an südlichere Gegenden erinnert, namentlich der Markt mit seinen herrlichen Früchten. Die Gassen sind enge, die Häuser hoch, alle mit Erkern versehen, die überhaupt nirgends so beliebt seyn können, als in Tirol, wo sie sich fast an jedem Bauernhause finden. In der Hauptstraße sind zu beiden Seiten Lauben oder Bogengänge, gut für Regen und Hitze, zugleich aber auch ein reicher Bazar, der sich in einer langen Budenreihe auslegt. Wie in Wälschland arbeitet man auch hier bei offenen Fenstern und wie dort ist in den Sommermonden der Tag die stille Zeit, wo die Gassen schlummern und erst die Nacht bringt Leben in die leuchtenden, wachen Straßen.

Wenn der Wonnemond vorüber ist und der Juni seine Sonne bringt, dann geht der Botzner in die Sommerfrische auf den Berg. Die drückende Hitze in den engen Gassen weckt mächtig die Sehnsucht nach den kühlen Alpenhöhen, deren waldige Gipfel über die Stadt emporragen. Nur wenige, nur die allerunentbehrlichsten Männer bleiben dazu Hause, und bejammern sich selbst, wenn sie am schwülen Nachmittage schläfrig im Kaffeehaus sitzen und in halben Träumen die schwimmenden Buchstaben aus den neuesten Journalen zusammenlesen. In der That sind sie auch beneidenswert die Glücklichen, die da oben im Hochlande leben und sich der milden Sonne, des breiten Schattens und des weichen Grases erfreuen, die da im seligen Nichtsthun ihren Sommerhof halten. Dieser Glücklichen sind übrigens nicht wenige, denn in Tirol lebt zur schönen Jahreszeit kürzer oder länger fast die Hälfte der Bevölkerung ein paar tausend Fuß höher als die warmen Thäler. Die Botzner haben auf einem weiten Bergrücken zwei Flecken angebaut, wo ein halbhundert Familien in ländlicher Kurzweile die Hitze überstehen, ebenso haben die reichen Familien zu Meran, zu Trient und Roveredo ihre Villen im Gebirge. Die wohlhabenden Leute, welche keine eigenen Höfe besitzen, gehen dafür in die Bäder, wo billig und gut zu leben ist, und deren sich allenthalben fast von Meile zu Meile finden. Und endlich lassen sogar die ärmsten Leute den Sommer nicht vorüber, ohne in die Frische zu gehen, oder wie sie es nennen, ins Heuliegen, was darin besteht, daß etwa ein Dutzend Männer, Weiber und Kinder mit Mundvorrath, mit Schüsseln und Pfannen auszieht, hinauf in die Hochalmen, dort eine leere Sennhütte einnimmt und etliche Tage die Kur gebraucht. Dabei vergraben sie sich bis aufs Hemde ausgezogen tief ins Heu und kommen schweißtriefend wieder heraus, was ein unwiderstehliches Mittel gegen den Rheumatismus und das Gliederweh des ganzen Jahres seyn soll.

Unsere Sommerfrische war auf dem Ritten, am Rand einer steilen Hochebene, fast dritthalbtausend Fuß hoch über der Stadt. Hier grünt keine Rebe mehr, kein Mandelbaum und keine Melonen; die Landschaft und ihre Erzeugnisse sind nordisch, etwa wie am Tegernsee oder bei Fischbachau in Bayern. Die Felder tragen Roggen oder Gerste, die Wälder bestehen aus Lärchenbäumen, wie diese überhaupt auf allen Höhen und Bergen ihr treffliches Fortkommen haben, aber der Streu wegen von unten bis oben an den Zweigen beschnitten werden, was sie ihres schönsten Schmuckes entkleidet. Hier stehen viele hübsche Häuser der reichen Botzner mit niedlichen Gärten, mit Kegelbahnen und anderen Lustbarkeiten. Auch ein sehr wohl eingerichteter Schießstand ist zu erwähnen, der an Sonn- und Feiertagen seine Stammgäste anzieht. Nur zum Lustwandeln ist eigentlich wenig bequeme Gelegenheit, da der Bergrücken in steilen Hügeln auf- und absteigt, und die Aussicht in den Lärchenwäldern unfrei ist. – Die Sommerfrischler vermissen indessen dies Vergnügen nicht zu schmerzlich. Entweder unternehmen sie größere Auszüge auf die nahen Berghäupter mit Pferden, Eseln, Trägern und reichem Mundvorrath, oder sie bleiben stillvergnügt in ihren Gärten.

Unser Doktor besaß kein eigenes Haus auf dem Ritten, sondern hatte sich eine etwas beschränkte Wohnung gemiethet – unser einer wohnte nicht weit davon beim Selrainer, was ein sehr gutes Wirthshaus ist. Man findet da nicht allein trefflichen Wein und die landesübliche Küche, sondern auch alle hochgebirgischen Leckereien wie sonst nirgends, namentlich Geflügel, wie Schneehühner und dergleichen Arten, die mir jetzt im Augenblicke nicht mehr alle einfallen.

Wenn die Städter wieder von ihren Bergen herabsteigen, ist die Weinlese nicht mehr fern; es naht die Zeit der Traubenkur und die Fremden ziehen in dichten Haufen durch das Etschland. Um diese Zeit kommen denn auch nach Payrsberg manche Reisende von fern her, theils um Briefe an den Hausherrn zu bestellen, theils um den schönen Garten zu besehen. Da hatten wir manchen lieben Freund zu Tische und zechten oft lange, sintemalen der Wein zu Payrsberg sehr schmackhaft ist. Nicht seltner Gast war zum Beispiel Friedrich Lentner, der im Winter seit langen Jahren zu Meran lebt, den Sommer aber in Bayern zubringt, jetzt damit beschäftigt, in des Königs Auftrag Alles zu sammeln, was von alten Sitten, Gebräuchen, Mähren und dergleichen noch unbeachtet in Dorf und Stadt zu finden ist. Friedrich Lentner ist eigentlich ein Münchner, kam aber schon in Jünglingsjahren nach Tirol und hat sich seitdem so eingelebt, daß er kaum mehr von einem Tiroler zu unterscheiden ist. Vor bald zehn Jahren schrieb er das Tiroler Bauernspiel, eine sehr schöne Geschichte von Anno Neun, und seitdem noch viel andere Erzählungen aus den Bergen. In Meran ist er so zu sagen der Genius der Heiterkeit, der den Winter durch Alles lenkt und leitet, alle Scherze angibt, alle Maskeraden zeichnet, alle Gedichte fertigt. Nicht minder ist er auch ein großer Nothhelfer der Stadt bei andern Feierlichkeiten, wenn ein beglückender Erzherzog einherfährt, namentlich wenn Erzherzog Johann sein Schloß Schänna besucht und bei seinen Nachbarn zu Meran zuspricht. Auch das heurige Schännaer Hausschießen ist in seinem festlichen Schmucke zunächst von unserm Freunde angeordnet worden. Wegen so vieler Verdienste hat er schon im vorigen Jahre das Ehrenbürgerrecht von Meran erhalten. Im selben Jahre hat er sich auch mit einer lieblichen Tochter Merans verehelicht.Friedrich Lentner ist seitdem zu Meran gestorben, den 23. April 1852, im achtunddreißigsten Jahre seines Lebens, noch reichlich bedacht mit Undank für die vielen Verdienste, die er sich um jene Stadt erworben.

Eine sehr gern gewährte, seit Jahren ausgeübte Herbergsgerechtigkeit zu Payrsberg hat auch der »Fragmentist«. Von der Persönlichkeit, von Geburt, Lehrjahren und weiterem Erdenwallen dieses seltenen Mannes wissen eigentlich die wenigsten deutschen Leser etwas Zuverlässiges und es wird daher nicht verboten seyn, gerade bei dieser so günstigen Gelegenheit über ihn zu sprechen.

Tschötsch ist ein kleines Dorf nicht weit von Brixen in Tirol, liegt auf sonnigem Abhange über dem Eisack und genießt einer sehr schönen Aussicht über den Thalweg des Stromes sowohl als über die Hochebene zu dessen beiden Seiten. »Dieses reizende Rebengelände,« sagt ein tirolischer Topograph, »mit seinen Obstgärten und Kastaniengruppen, hüllt sich schon vollends in südländischen Schmuck und die Trauben an seinen terrassenartigen Hügeln gekocht, geben einen Wein, der den bessern des Landes beigezählt wird. Es gehört zu den auserlesenen Vergnügungen der Brixner, an den schönen Herbsttagen in zahlreichen Gesellschaften nach Tschötsch zu wallen und bei dem edlen Weine und gebratenen Kastanien oder frischen Nüssen sich gütlich zu thun.«

In diesem lieblichen Erdenwinkel wurde Philipp Jakob Fallmerayer im Jahre 1791 geboren, der Sohn eines Landmannes mit zahlreicher Familie, aber geringen Mitteln. Bei der romantischen Lage der Heimath mögen schwärmerische Gefühle für Naturschönheiten in dem Knaben schon früh erwacht seyn. Wohlthätige Geistliche, die einiges Talent bemerkten, brachten den armen Jungen, zu künftigem Nutzen der Kirche, als Domschüler zu Brixen gratis unter und sorgten für die nothwendige Aussteuer. Außer gut geleiteten Uebungen in der griechischen Grammatik wurde indessen hier wenig Förderndes geboten und so verließ der unzufriedene Schüler im Spätherbste 1809 heimlich das Institut, um mitten durch die Unglücksscenen des Tiroleraufstandes, mitten durch die feindseligen Heerhaufen hindurch nach Salzburg zu flüchten. Dort fand er bessern und reichlichen Unterricht, auch sonst größere Freiheit, mußte sich aber nebenbei ärmlich behelfen und großen Theils durch Privatstunden den nöthigen Unterhalt gewinnen. Er hatte aber unverdrossenen Sinn, vortreffliche Lehrer und die reichliche Büchersammlung der gefälligen Benedictiner von St. Peter zu unbedingter Benutzung. Mit Eifer und nicht ohne Erfolg ward unter Leitung des in Göttingen gebildeten Pater Albert Naguzaun das Studium der semitischen Sprachen betrieben und zu gleicher Zeit durch die seltene Lehrgabe eines für den wißbegierigen Schüler nur zu früh nach Lemberg versetzten Geschichtslehrers, von Maus, die Liebe für historische Wissenschaft wunderbar angeregt und entzündet.

In diesen Zeiten hätte es sich aber bald ereignet, daß unser junger Fallmerayer ein Mönch geworden wäre, und wir hätten dann wohl der Fragmente aus dem Orient und der Vorrede dazu für immer entbehren müssen. Er meldete sich eines Tages zum Eintritt in die berühmte Benediktinerabtei zu Kremsmünster in Oberösterreich, vermochte aber die gewünschte Ruhe in einer weltvergessenen Zelle dieses Stifts nicht zu finden, weil er in Bayern die Bewilligung zur Auswanderung nicht erhalten konnte. So verließ er nach zweijährigem Studium der Gottesgelehrtheit das freundliche Salzburg und zog auf die Hochschule zu Landshut, um zum Ueberflusse auch noch mit der Jurisprudenz einen Versuch zu machen, wobei denn nebenher die historischen, klassischen und linguistischen Arbeiten mit ungemindertem Eifer fortbetrieben wurden. In diesen Bestrebungen kam ihn plötzlich, als die Deutschen mit Napoleon zu brechen anfingen, ein kriegerisches Gelüste an, er trat unter die Fahnen, wurde Unterlieutenant in einem bayerischen Infanteriebataillon, focht in der Schlacht bei Hanau und wurde wegen guten Verhaltens an diesem denkwürdigen Tage öffentlich vor der Fronte belobt. Hierauf dreimonatlicher Winterfeldzug und manches mörderische Gefecht im Innern Frankreichs. Nach dem ersten Pariser Frieden blieb der junge Held ein volles Jahr beim Okkupationskorps auf dem linken Rheinufer und im zweiten französischen Feldzuge verlebte er, als Galopin des Generals Grafen von Sprebi, unter den angenehmsten Verhältnissen, beinahe ein halbes Jahr in der Umgegend von Orleans. Insbesondere erinnert er sich mit großem Behagen an den Aufenthalt in einem Landschlosse dortiger Gegend, bei einem Marquis und einer Marquise, welche die feinen Sitten der alten Zeiten wohl zu wahren wußten und bei aller Achtung vor seinen tirolischen Manieren und Eigenthümlichkeiten gleichwohl entschiedenen Fleiß daran setzten, ihn nebenbei auch in die besten französischen Formen zu tauchen und ihm die reinsten Töne ihrer Sprache zu lehren. Es schreibt sich wohl zunächst aus dieser Schule, daß der Fragmentist das Französische sehr geläufig und mit einem besonders guten Accent zu sprechen weiß.

Als Lieutenant kam er aber wieder aus Frankreich zurück und erhielt seine Garnison zu Lindau, wo ein frischer Trieb zu den alten Studien erwachte. In dieser ehemaligen Reichsstadt, deren Bibliothek ihm freundliche Hülfe bot, lernte er Neugriechisch, Persisch und Türkisch. Um nun ganz zur Wissenschaft zurückzukehren, nahm er 1818 seinen Abschied, trat zum Lehrfache über und hatte sich im Jahre 1826 zum Lehrer der Universalgeschichte und der Philologie am Lyceum zu Landshut emporgeschwungen. Hier schrieb er den ersten Theil seiner Geschichte der Halbinsel Morea während des Mittelalters, welcher 1830 erschien. Darin suchte er bekanntlich nachzuweisen, daß die heutigen Griechen nicht, wie man bisher geglaubt, die Abkömmlinge der alten Hellenen seyen – vielmehr hätten im frühen Mittelalter slavische Stämme fast ganz Griechenland verheert, die alten Bewohner vernichtet und sich selbst dann auf ihrem Boden angesiedelt. Diese neue slavische Bevölkerung sey dann erst durch byzantinische Gewalt wieder gräcisirt worden und daher die griechische Sprache in Rumelien und dem Peloponnes. Eine solche Hypothese mußte in Deutschland, wo sich die Begeisterung für den Befreiungskampf der Griechen kaum erst verloren hatte, einen widrigen Eindruck machen. Sie wurde vielfach bekämpft, von ihrem Schöpfer aber wohl auch lebhaft in Schutz genommen. Jedenfalls bleibt es ein Verdienst Fallmerayer's, auf die Durchschießung des neugriechischen Volkes mit slavischem Blut hingewiesen zu haben, aber es ist kaum zweifelhaft, daß er zu weit geht, wenn er annimmt, die alten Hellenen seyen durch die Slaven fast bis auf den letzten Mann ausgerottet worden. Im Sommer 1831 schloß er zu Landshut seine vielbesuchten Vorträge und ging mit Urlaub als Begleiter des russischen Generals Grafen Ostermann-Tolstoy zum erstenmale in den Orient. Fast ein Jahr blieb er in Egypten und Nubien; ebenso lange wanderte er in Palästina und Syrien, zu beiden Seiten des Libanon herum, besah Jerusalem, Antiochien, Haleb, Balbek, Damaskus, die Residenz des Drusenfürsten, landete auf Cypern, auf Rhodus, an den jonischen Küsten und setzte sich zuletzt in Konstantinopel fest. Hier übte er sich mit den ernsten Moslem als fleißiger Gast der Kaffeehäuser in der türkischen Sprache, für die er eine große Vorliebe bewahrt hat. Die Cykladen, das griechische Festland von Sparta bis zu den Thermopylen, die sieben Inseln und das Königreich Neapel füllten das dritte Jahr.

In der Zwischenzeit war ein anderer Geist in das bayerische Schulwesen eingezogen, Fallmerayer's Stelle zu Landshut besetzt, er selbst etwas unbequem geworden. Seine Vorträge vor der lauschenden, oft hingerissenen Jugend wollte man nicht wiederkehren sehen; in der Akademie dagegen, meinte man, sey ein stillerer und doch nicht unangenehmer Ort für ihn. Er wurde auch wirklich Mitglied dieser gelehrten Gesellschaft zu München und erhielt sogar im Jahre 1836 Erlaubniß, öffentliche Vorträge über Universalgeschichte anzukündigen, zu denen jedoch der Zutritt nur dem höhern Publikum offenstehen, den Studenten aber strenge verboten seyn sollte. Statt dem höhern Publikum vorzulesen, zog indessen Fallmerayer im Sommer 1836 ins südliche Frankreich, von da nach Florenz und Rom. Kleinere Reisen nach seiner Rückkehr wechselten mit längeren seßhaften Studien ab, bis er 1840 zu München die Anstalten zu seiner zweiten Fahrt in den Orient begann.

Von Regensburg schiffte er sofort auf der Donau ins schwarze Meer, von Konstantinopel nach Trapezunt, von da wieder nach Stambul, wo er ein ganzes Jahr verlebte, wieder mit denselben ernsten Moslem in denselben Kaffeehäusern türkisch plaudernd, was er so zu einer von allen Rechtgläubigen bewunderten Fertigkeit brachte. Vom Bosporus ging er nach dem heiligen Berge Athos, von da nach Griechenland. In der griechischen Hauptstadt soll Fallmerayer wegen seiner eigentümlichen Meinungen über die hellenische Vergangenheit zwar mancherlei Gezänke und Anfechtungen bestanden, es aber doch im Laufe mehrerer Wochen zu einigem Verständnisse mit den Hellenen gebracht haben. Nach zweijähriger Wanderschaft kehrte er im Sommer wieder glücklich nach München zurück. Von dieser Reise stammt das Bild des immergrünen Buschwaldes zu Kolchis und die Schilderung des klösterlichen Stilllebens auf dem heiligen Berge, Arbeiten, die ursprünglich in der Allgemeinen Zeitung erschienen und in Deutschland zuerst die Aufmerksamkeit des größern Publikums auf den Mann richteten, der bisher durch seine Geschichte des Kaiserthums Trapezunt und der Halbinsel Morea nur erst den Männern der Wissenschaft empfohlen war.

Seitdem unternahm er verschiedene kleinere Reisen, doch auch wieder eine größere nach Wien, Venedig und Tirol, ergänzte die Fragmente aus dem Orient, die jetzt auch gedruckt wurden, und 1847 finden wir ihn sogar wieder auf einem Zug in die Türkei. Er kam gerade recht nach Hause, um ins Parlament zu Frankfurt gewählt zu werden. Daß er später nach Stuttgart, nach St. Gallen ging, ist bekannt; seit dem Frühling vorigen Jahres blieb er zu München wohnen, nicht ohne wiederholte Abstecher nach Tirol, nicht ohne manche bittere Stunde, die ihm später die Ringseis'schen Händel zugezogen.

Durch seine Fragmente hat sich Fallmerayer eine vornehme Stelle unter den deutschen Reiseschriftstellern erworben, und doch finden sich etliche, unter anderen auch ich, die nicht wenig Lust haben, ihm ein reines deutsches Geblüt ungefähr mit denselben Gründen abzusprechen, die er einst gegen die empfindlichen Neuhellenen gebraucht. Um Brixen herum, hart am Eisack hinab wie an der Etsch hinauf, saß nämlich noch ziemlich lang ins Mittelalter herein, romanisches Landvolk, das erst allmälig deutsche Sprache annahm. Wie der Geschichtschreiber der Halbinsel Morea seine Slaven an den Zurückgebliebenen Ortsnamen, an Veligosti, Glogowa und Selichowo (Wolgast, Glogau und Züllichau), wieder erkannte, so lassen sich auch dort noch in den deutschen Landschaften die romanischen Ortsnamen erkennen und deuten, und unter anderen scheint der Name Fallmerayer nicht anderswo herzukommen, als von Valmarei, Val Mariae Marienthal. In der That zeigt auch das Aeußere des berühmten Reisenden, die dunkle, doch gutgefärbte Haut, die gebogene Nase, einige Spuren seiner südlichen Abkunft. Früher trugen zu diesem Aussehen noch schwarze Haare bei, die indessen die Zeit mehr oder weniger gebleicht. Von Wuchs ist der Fragmentist nicht besonders lang gerathen, dabei etwas rundlicht, obgleich er sehr wenig Nahrung, gar keinen Wein und erst in neuerer Zeit des Tages ein paar Gläser Bier zu sich nimmt. Der militärische Gang erinnert noch an seine Heldenzeiten. Sein Benehmen, das er nicht ungern auf jenes Landschloß bei Orleans zurückführt, ist nicht ohne Feinheit; sein Umgang voll Milde und Freundlichkeit. Besonders gesprächig wollen ihn jene, die ihm in den letzten zwanzig Jahren nahe standen, nie gefunden haben, in neuerer Zeit redet er fast wenig. An Wortwechsel und Streit selbst über seine eigenen Hypothesen nimmt er kaum je Antheil; er hat aus den türkischen Kaffeehäusern eine gewisse Gleichgültigkeit gegen diese erhitzende Gymnastik des Geistes mitgebracht. Nur am Schreibtische ist der Fragmentist, wie bekannt, etwas herb und herausfordernd.


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