Ludwig Steub
Novellen und Schilderungen
Ludwig Steub

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Haymon und Haura.

I.

Einst stand ein Wald in der Normandie, war anderthalb Tagreisen lang, hatte viele Dickichte, aber auch manchen sonnigen Wiesengrund. Es war da ein großer Reichthum an Wild und die Herren der Nachbarschaft hatten das Gejaid darin. Oft waren viele Waidmänner zu ihrem fröhlichen Werk in diesem Forste, ohne daß dem einen ein Schall zukam von dem andern. Auf der einen Seite ging das Gehölze an fruchtbaren Feldungen aus, in denen manche Dorfschaften, auch etliche Schlösser lagen; auf der andern war das Meer, welches hier und da, wo die Küste felsig, sich in lauter Brandung brach, anderswo aber am niedern Gestade flüsternd verlief.

In einer Gegend nun, wo die Wellen ruhig an das sandige Ufer spielten und einen frischen Bach aufnahmen, war einmal zwischen zwei alten Eichen eine prächtige Decke ausgespannt. Von ihr herab reichten morgenländische Teppiche bis in den grünen Rasen. Unter dem Zelte war aus kostbaren Zeugen ein reiches Lager aufgeschlagen, auf welchem ein siecher Jüngling lag. Das ist aber jetzt schon lange her – es werden bald siebenhundert fünfzig Jahre seyn, achthalb lange Jahrhunderte.

Der Kranke streichelte mit schwacher Hand einen großen Löwen, der sich teilnehmend neben seinem Lager niedergelassen hatte. Durch die Locken seines Haares ringelte sich eine grüne Schlange, welche jedoch von Zeit zu Zeit sich aufmachte, in langsamen Bogen das Bett umging und dann an den vorigen Ort zurückkehrte. Ueber ihm wiegten sich in goldenen Reifen etliche Papageie; zur andern Seite, mit leichter Kette an einen Pfahl aus Ebenholz gefesselt, flatterte ein persischer Edelfalke. Waffen verschiedener Art, reich mit Edelsteinen verziert, waren an den Wänden aufgehängt.

Der bleiche Jüngling stützte das Haupt in die Hand und sagte in wehmüthigem Klange:

»Die Hand des Herrn liegt schwer auf uns, Haura! – Seit das schöne Kameel, das der Erzbischof von Besançon bestellt hatte, in der Rhone ertrank, haben wir kein Glück mehr erlebt. Der kostbare Psittich für den gnädigen König von Frankreich ist auch dahingegangen und weder Fürst noch Herr hat uns seitdem liebreich aufgenommen. Sonst wollten die egyptischen Kunststücke den Ungläubigen so wohl gefallen und die Wahrsagerei – nun ist uns Alles widerwärtig. Meine Augen werden bald brechen und Du wirst allein seyn in dem fremden Lande.«

»Das verhüte Gott, lieber Bruder!« entgegnete eine weibliche Stimme. »Du besserst Dich zusehends, seitdem Du den Trank des weisen Meisters Averroes genommen. Und was soll Dein schwermüthiger Blick in die Zukunft, da uns noch Reichthümer genug geblieben, um nach Hispanien zu ziehen, wenn du in den Reichen der Ungläubigen nicht länger weilen willst. Uns wird es sicher wieder gut gehen, wenn wir einmal in ein friedfertiges Land wandern, wo nicht ewiger Krieg ist, wie hier unter diesem streitsüchtigen Geschlechte.«

»Ich werde in der That bald in ein friedfertiges Land wandern,« erwiederte der blasse Jüngling, »und mir wird kein Trank mehr helfen. Und Du, Haura, suche dann nach Rouen zu kommen, wo Dich unser Hausvogt erwartet und mit ihm schiffe nach Sevilla und sage unsern Vettern, daß ich hoffe, sie im Paradiese wieder zu sehen.«

Solche traurige Worte wurden an diesem Tage noch viele gewechselt und das Mädchen weinte manche bittere Thräne dazu. Auch am andern Tage begann der Jüngling oft von seines Lebens nahem Ende zu sprechen und am dritten verschied er in den Armen seiner Schwester. Der Löwe stand betrübt am Todtenlager; die Papageien schwiegen; der persische Edelfalke flatterte schwermüthig an seiner Kette; die Schlange hob von Zeit zu Zeit unmuthig ihren Kopf empor und blickte zerstört in die Runde.

II.

Als nun am andern Tage Herr Haymon von Nullepart über die Zugbrücke seines Schlosses herausgeritten war, um in dem Walde zu jagen, kam er weit ab von seinen Gefährten und verirrte sich immer tiefer in dem Forste. Jung und feurig, zu Abenteuern aufgelegt, trabte er ohne Sorgen dahin und war manche Zeit geritten, als er von ferne hin und wieder durch die Büsche etwas schimmern sah, was seine Augen anzog. Allmälig kam er näher und gewahrte, noch verborgen durch das Gehölz, in der Lichtung des Waldes ein Zelt aufgeschlagen, von prächtigen Teppichen. Vor dem Zelte sah er eine weiße Gestalt, welche junge Zweige, wie er meinte, von wilden Rosen an einem Erdhügel einpflanzte. Die ganze Erscheinung dünkte dem Ritter nicht anders als wunderbar. So lange er denken konnte, hatte er nie gehört, daß in dem Forste sich Ansiedler aufhielten und hätte er auch solche vermuthen wollen, so waren sie sicherlich nicht von dieser Art; denn die weiße Gestalt schien ihm, so viel er aus ziemlicher Nähe ersehen konnte, zwar von besonders reizendem Wesen, doch nicht ganz von christlichem Ansehen; vielmehr verrieth das seltsame Gewand und das Geflecht der Haare eine morgenländische Herkunft und ungläubige Erziehung. Der Ritter wußte das übrigens sehr wohl zu deuten, weil in derselben Zeit gar manche seiner Gesellen kreuzfahrend im Morgenlande gewesen waren und bei ihrer Heimkehr von dem, was sie gesehen, Kunde gebracht hatten. Da konnte denn nach damaliger Sitte auch Gestalt und Ansehen der schönen Damen von Asien nicht ganz unbesprochen bleiben.

Herr Haymon soll zwar im Kampfe zu allen Zeiten ein Held gewesen seyn, aber dabei sehr wohl bewandert in den höfischen Zierlichkeiten des zwölften Jahrhunderts, überdies frisch, heiter und anmuthig. So vertraute er auch in dieser Stunde der holden Gewalt seiner Ritterlichkeit und nachdem er eine Weile in stiller Ueberraschung nach der Lichtung hinausgespäht, gab er seinem Rosse die Sporen und ritt in zierlichen Sprüngen aus dem Holze, pfeilgerade gegen das Fräulein hin, adelich grüßend mit der Hand, bis plötzlich der große Löwe, diese Annäherung witternd, aus dem Zelte heraus mit einem entsetzlichen Satze und fürchterlich brüllend dem Rosse sich entgegen warf, so daß dieses in Todesschauer sich bäumte und der Ritter, der auf die ungewöhnliche Erscheinung nicht vorbereitet war, zwar rasch, aber unschädlich aus dem Sattel in das hohe und weiche Gras heruntersank, worauf ihm der Löwe die Tatze schwer auf die Brust setzte und ihn mit funkelnden Augen anstarrte.

Herr Haymon von Nullepart, obwohl ihn sein kalter Muth auch in dieser Lage nicht verließ, besorgte gleichwohl zerrissen zu werden und sprach zu der Jungfrau, welche ruhig näher kam:

»Schönes Fräulein, so Ihr eine Gewalt habt über diesen Leuen, so möcht' ich Euch gebeten haben, rettet mir das junge Leben!«

Hierauf erwiederte ihm die weiße Gestalt in ernster Anmuth:

»Seyd willkommen in dieser Einsamkeit, soferne Ihr nicht herangeritten seyd, die Stille dieses Aufenthalts zu stören und meine Trauer.«

Als der Löwe den milden Ton dieser Worte vernahm, warf er einen fragenden Blick auf die Augen seiner Gebieterin, hob dann seine Tatze von der Brust des Ritters und stellte sich dem Mädchen zur Seite, der Dinge gewärtig.

Der Ritter aber war schnell wieder aufgesprungen, hatte die Hand an sein gutes Schwert gelegt und sprach nicht ganz ohne jene Verwirrung, welche man schon oft an solchen bemerkt hat, die eben der Todesgefahr entronnen:

»Ein guter Kämpe für ein einsames Fräulein, dieser Leu, welcher mich, wie Ihr gewahrt haben werdet, jählings aus dem Sattel warf. Das mag meiner ritterlichen Tugend geschadet haben in Euern Augen.«

»Was heute geschieht, ist morgen vergessen« – antwortete das Mädchen. »Wollte Gott, ich könnte den Staub des Abendlandes von den Füßen schütteln und all sein Gedächtniß aus dem Haupte. Das hat mir auch meinen Bruder genommen; der liegt hier unter diesem Hügel.« Dabei betrachtete sie wieder das neue Grab und die Rosenschößlinge, die sie an dasselbe gesetzt und weinte. Auch Herr Haymon schwieg und schien an ihrer Trauer mitzutragen, bis er nach einer Weile sagte:

»Eure Geschichte muß wunderbar seyn, edles Fräulein! Auch scheint Ihr von ferne herzukommen.«

»Aus dem Morgenlande« – lispelte sie.

»Vom heiligen Grabe?« fragte er.

»Ich bin eine Sarazenin« – sagte sie.

»So sey Euch Gott gnädig in diesem unwirschen Lande, so weit nicht meine Hand Euch schützen mag.«

»Auch dafür werd' ich Euch kaum viel Dank schuldig werden« – sprach das Mädchen und senkte nachdenkend das Haupt.

»Vielleicht, daß ich Euch doch eines Tages diese Stunde vergelten kann! Aber wenn es Eure werthe Trauer zuläßt, so erzählt mir Euer Schicksal.«

»Was kann das Euch bedeuten? Ihr seyd ein glücklicher Jüngling und mich hat der Jammer seit vielen Monden nicht mehr verlassen.«

»Und könnt Ihr denn nicht glauben, daß Eure Leiden auch meiner Seele weh thun?«

»Freilich seyd Ihr der erste Mensch, den ich außer meinem Bruder seit manchem Tage gesehen und deßwegen wohl einer Ehre werth!«

Während das Mädchen diese Worte flüsterte, lehnte sie sich auf den Löwen, der sich neben ihr niedergelassen hatte und in einem sanften Schlummer lag. Der Ritter setzte sich, nachdem er sein Roß an die Eiche gebunden, nicht ferne davon ins Gras.

»Mein Vater,« hob die Sarazenin an, »lebte zu Antiochien, einer der Fürsten der Stadt. Drei Brüder hatte ich auch, alle bieder und wohlgemuth, alle unablässig im Waidwerke. Den Löwen fingen sie einst in den Schluchten des Libanons, zähmten ihn und veredelten seine Natur, so daß er keiner niedern Handlung fähig ist und arabisch versteht, obwohl er es nicht sprechen kann. Auch viele andere Thiere und edle Vögel brachten sie ein in den Zwinger unseres Hauses, der am Meere liegt und lehrten sie Gehorsam und verschiedene Künste. Miri, wo bist du?«

Auf diese Ladung schlüpfte der persische Edelfalke schwirrend durch eine Falte des Zeltes und setzte sich neben das Mädchen auf den Rücken des Löwen.

Der Ritter war sehr erstaunt und schien dem Fortgang der Geschichte mit Spannung entgegen zu sehen.

»Als nun die Abendländer kamen und unsere theure Stadt erstürmten, fielen in einer blutigen Nacht mein Vater und die älteren beiden meiner Brüder. Mich rettete der jüngste an das Meer, wo wir mit unserm Hausvogt ein gutes Schiff bestiegen. Auch die Thiere, die gezähmten, wollte mein Bruder nicht den Händen der Ungläubigen lassen und brachte sie auf dasselbe Fahrzeug. Ohne zu wissen wohin, segelten wir wie Wind und Wetter uns die Fahrt anwiesen und kamen nach Sizilien. Allda nahm uns der Graf des Eilands mit angenehmer Sitte auf und verlangte von uns zu bleiben. Da nun von dem Golde, welches unser Vater in Antiochien zusammengetragen, wenig gerettet worden, so gedachte mein Bruder sich in anderer Art Gunst und Erwerb zu schaffen. Demnach brachte er vor die Augen der sicilischen Fürsten jene Zaubereien und Kunststücke, die er einst in Egypten gelernt und wurde herrlich beschenkt. Auch von den Thieren gab er ihnen manche gegen reichliches Entgelt und selbst seine Schwester brachte Schätze zu den seinigen, denn ich besitze die Gabe der Weissagung.«

Der Ritter war abermals sehr erstaunt über diese Reden und fragte das Fräulein, ob sie ihm nicht seine Zukunft vorhersagen wolle, was sie aber ablehnte.

»Und warum wollt Ihr nicht?« sagte Herr Haymon – »ich biet' Euch dreißig Byzantiner.«

»Es scheint Euch viel daran gelegen?«

»O ja, aus Eurem Munde mein Schicksal zu hören,« entgegnete der Jüngling lächelnd, »das wünsch' ich von ganzem Herzen.«

»So behaltet Eure Byzantiner und weist dafür die Hand her.«

Der Ritter folgte diesen Worten; die Sarazenin ergriff mit zwei Fingern seinen mittlern und zog seine Hand unter ihre Augen. In dieser Art hielt sie dieselbe fest und blickte unverwandt hinein, so daß dem Ritter ein magisches Zittern durch die ganze Gestalt lief. Er betrachtete emsig das Fräulein und gewahrte, wie sich ihr Auge verdüsterte, ihr Gesicht so ängstlich wurde, wie sie seufzte und selbst zu beben begann.

»Hier steht ein Ritter vor dem Hochgerichte,« sagte sie endlich.

»Ihr dürft nicht scherzen!« entgegnete Herr Haymon.

»Vor dem Hochgerichte,« fuhr sie fort, »und das seyd Ihr – da sitzt der König von England –«

»Mein Lehnsherr« – sagte der Ritter.

»Dort steht der Ankläger, ein Mann mit weißem Barte, ein alter Mann; o Himmel! er grüßt mich mit der Hand.«

»Was bedeutet das?« fragte Herr Haymon.

»Ich kenn' ihn,« fuhr das Mädchen fort – »aber der Ritter wird zum Tode abgeführt –«

»In Gottes Namen,« sagte Herr Haymon und bekreuzte sich.

»Da kommt ein Mädchen, ein verschleiertes Mädchen, das stürzt vor den König hin – das ist – das ist – Nein!– unmöglich! –«

Das Fräulein ächzte tief auf, ließ die Hand des Ritters los, zuckte zusammen und stützte fast ohnmächtig das Haupt in den Arm; Herr Haymon aber, obwohl nicht ohne innere Bewegung, sagte warnend: »Laßt diese Kunst, schönes Fräulein! denn wenn Euch fremdes Unglück so nahe geht, so könntet Ihr einst irre werden in Eurem Verstande.«

Die Sarazenin gab keine Antwort; allmälig aber erwachte sie wieder wie aus einem schweren Traume und begann von selbst ihre Erzählung fortzusetzen.

»Nachdem wir etliche Wochen auf der Insel Sizilien verlebt hatten, kam aber der Marschall des Königs von England, welcher aus Palästina heimwärts fuhr, und hörte von meinem Bruder, ging zu ihm und ergötzte sich höchlich an dem, was er sah; lud ihn auch ein zu seinem Herrn nach Rouen zu kommen, da derselbe an Allem, was er mitbrächte, eine ungemeine Freude haben würde, indem er selbst einen Thiergarten mit großem Aufwands angelegt. Auf Dieses fuhren wir über Meer nach Marseille und zogen von dort herauf in diese Länder, wobei wir in manche große Stadt und auf viele feste Burgen kamen und mit Geschenken wieder entlassen wurden. Meinen Bruder aber, so freudig er sich auf die Fahrt begeben, überfiel allmälig ein großer Trübsinn und ein schleichendes Siechthum. Er meinte, der Anblick der Ungläubigen sey ihm tödtlich und so suchten wir die Hochwälder und abgelegenen Pfade auf und kamen von dem Gebirge herab in dieses Land, dessen Name mir nicht bekannt ist, so wenig als der Eure.«

»Ich bin der edle Herr Haymon von Nullepart,« sagte der Ritter, »und dieses Land ist die Normandie, welche unsere Vorfahren auf ehrliche Weise erobert haben.«

»Und als wir nun,« fuhr das Mädchen fort, »vor längeren Tagen in diese Gegend kamen, und mein Bruder dieses Waldes ansichtig wurde, da gefiel er ihm über die Maßen und er wollte in der Einsamkeit desselben sterben. So suchten wir nun diese stille Lichtung auf, wo die Aussicht auf das Meer so schön ist und schlugen das Zelt auf. Und als wir nun etliche Tage hier in der Wildniß gelebt, so wurde das Siechthum meines Bruders immer schwerer und bald verschied er auf seinem Lager und mit seinem Schwerte habe ich ihm hier sein Grab gegraben.«

Bei diesen Worten brach wieder eine Zähre aus ihren Augen und Herr Haymon schien sie mitleidig anzublicken.

»Wie kommt es aber,« fragte er nach einer Weile, »daß Ihr die Sprache der Franken so geläufig sprecht, ja sie sogar mit Zierlichkeit gebraucht?«

»Was ich Euch sagen wollte aus der Vergangenheit, das hab' ich Euch gesagt.«

»Und was gedenkt Ihr nun zu thun?«

»Noch drei Tage will ich hier bleiben im Walde und dann soll ich mich aufmachen nach der Stadt Rouen.«

»Und dann?«

»Dort erwartet mich Dionys, unser Hausvogt zu Antiochien. Dieser war ein Christensklave aus dem Frankenlande, den unser Vater jung gefangen und erzogen hatte, eine ehrliche und getreue Seele, und als wir diese Einsamkeit gefunden und das Zelt aufgeschlagen hatten, entsandte ihn mein Bruder mit unsern beiden Sklaven und mit allen Schätzen, um diese sicher zu hinterlegen und um Kundschaft zu bringen, wie es mit dem König von England beschaffen sey und ob es wahr, was der Marschall von ihm gesagt. In drei Wochen sollte er zu Rouen seyn; die sind jetzt bald vergangen.«

»Dahin, ungläubiges Fräulein! würde ich Euch gerne das Geleite geben mit etlichen gutbewaffneten Reisigen.«

»Ich bin sicherer bei meinem eigenen Gefolge.«

»Oder wollt Ihr nicht vielleicht für diese Tage Herberge nehmen in meinem Schlosse?«

»Nein!« antwortete die Sarazenin.

»Soll ich Euch nicht wenigstens Nahrung schaffen, Speise und Trank für den irdischen Leib?«

»Das schafft mir Arslan, der Löwe, der den Rehen nach geht und Miri, der Edelfalke, welcher meisterhaft auf die Vögel des Waldes stößt.«

»Darauf steht nach den Gesetzen König Wilhelms die Strafe der Blendung.«

»Ihr wilden Ungläubigen!« rief das Mädchen und lächelte zum erstenmale seit der Ritter sie gesehen. – »Wie abscheulich seyd Ihr in der Rohheit Eurer Sitten!«

»Hei,« sprach der Ritter, »findet Ihr mich denn nicht von artiger Weise und zum Frauendienst bereit und taugsam?«

»Wenn es Euch nicht schmerzt,« antwortete das Mädchen, »so möcht ich vielmehr, da die Sonne sinkt, Euch gebeten haben, mich wieder zu verlassen.«

»O, Ihr müßt diese schöne Stunde nicht muthwillig verkürzen,« rief Herr Haymon. »Ich danke dem lieben Gott im Himmel, daß er mich armen Sünder heute in diesen finstern Wald geführt, wo eine Sonne der Schönheit leuchtet, wie sie mir auf dieser elenden Welt noch nicht geschienen.«

»Schweig und fliehe,« sagte Haura abgewandten Gesichts, während der Leu, aus seinem Schlummer erwachend, heftig zu brüllen begann.

»Nicht doch,« entgegnete Herr Haymon etwas eingezogener, »laßt mich der Freude Eures Anblicks so lange genießen, als es Tag ist, da Ihr ja nichts zu fürchten habt. Führt mich lieber dort in Euer Gezelt, welches mir höchst kostbar und der Betrachtung sehr werth zu seyn scheint.«

»Das soll Euch nicht lange aufhalten,« sagte das Mädchen. »Folgt mir nur behende!«

Damit ging sie, begleitet von dem Löwen, der den Falken trug, an das Zelt und öffnete den Vorhang, so daß der Ritter mit Erstaunen die Pracht der Teppiche und das Lager von dunklem Damast, rosenrother Seide und schneeigem weißem Linnen gewahrte. Die Vögel, welche in den Reifen hingen, schlugen wie zum Willkomm mit den Flügeln und kreischten unverständliche Grüße. Die grüne Schlange, welche geringelt auf dem weißen Kissen lag, erhob ihr Haupt mehrere Spannen hoch und züngelte freundlich gegen den, obwohl ihr unbekannten Ritter.

Dieser betrachtete mit Verwunderung die prächtigen Zeuge des Morgenlandes, aber mehr noch gefielen ihm die kostbaren Waffen, welche der verstorbene Bruder hinterlassen hatte und die schönen Psittiche. Nur die grüne Schlange, die von Zeit zu Zeit wieder das Köpfchen aufreckte und ihre schwarzen stechenden Augen in der Runde herumgehen ließ, dünkte ihm keine angenehme Gesellin, obwohl das Mädchen belehrend sagte:

»Die grüne Schlange ist eine Viper aus Arabien, die sehr befreundet war mit meinem Bruder. Sie ist gutmüthig und liebt die Menschen, aber wenn sie zürnt, ist ihr Biß tödtlich.«

Alsbald setzte sich auch die Jungfrau auf das Lager, ohne weiter nach dem Thiere umzusehen; der Ritter wollte nicht weniger thun und ließ sich neben dem Mädchen nieder.

Dieses schwieg mit gesenkten Augenlidern und schien seine Gedanken weit über das Meer zu führen, bis es endlich leise anhob:

»Die Dämmerung ist nicht mehr weit, edler Herr! und so bitte ich Euch –«

»Mahnt mich nicht an die Heimkehr, schöne Sarazenin, denn Eure Sonne wird hier leuchten, ob es Dämmerung wird oder Nacht –«

»Geht, edler Herr, geht! Hört Ihr Euer Roß den Boden stampfen?«

»Laßt es stampfen, aber laßt uns nicht auseinandergehen, wie zwei Fremdlinge, die sich nicht mehr sehen sollen in diesem Leben. Ich meine, schönes Fräulein, Ihr sollt mir Eure Minne vergönnen.«

»Was ist das?« fragte die Maid.

»Das mag ich Euch gerne lehren,« antwortete der Ritter lächelnd und lehnte sich in zarter Weise nach dem blühenden Antlitz des Mädchens aus dem Morgenlande, schlang seinen Arm um ihre Hüften und gedachte sie schmeichelnd an sein normännisches Herz zu ziehen, als sie hocherröthend einen leisen Schrei von sich stieß und auf arabisch ausrief: »El'aun,« das heißt: »Hülfe«.

Das Wort war aber noch nicht verklungen, als die Psittiche alle unheimlich ächzend sich von den Reifen erhoben und um das Haupt des Ritters schwirrten, während der Leu mit fürchterlichem Gebrüll seine Tatze ihm auf das Knie legte und die andere drohend hoch erhob, während der Edelfalke sich auf seinen Scheitel setzte und mit dem spitzen, harten Schnabel in seine Augen zielte, während die grüne Schlange behende unter seinem Arm herauskroch, sich um seinen Hals ringelte und zornig gegen seine Lippen züngelte, gleich als wollte sie ihm durch den Mund in die Seele fahren.

»O du heiliger Anselm von Canterbury,« schrie der Ritter in wilder Hast und ließ die Hüfte des Mädchens los. »Schafft mir das entsetzliche Gethier vom Leibe, liebes Fräulein! Das ist kein Kampf für einen ehrlichen Normannen.«

»Das ist der Geist meines Bruders,« entgegnete das Fräulein, »der den unvernünftigen Geschöpfen diese Weisheit gelehrt –«

»Aber beim heiligen Blut zu Lucca,« rief der Ritter abermals – »so Ihr eine Gewalt habt –«

»So Ihr bescheiden seyn wollt und sittsam, wie es einem Jüngling von Eurer Geburt geziemt, so mag ich Euch gerne helfen.«

Hierauf klatschte Haura in die Hände und rief: »Khallu sebilahu« – das heißt: »Laßt ihn los.«

Bei diesem Laute flogen die Papageien wieder auf ihre Reife, die grüne Schlange verkroch sich unter das weiche Lager, der Falke setzte sich auf das Knie seiner Herrin und der Löwe ließ sich knurrend zu ihren Füßen nieder.

Herr Haymon war seiner Befreiung über die Maßen froh und es dünkte ihm, als wenn er nun aus Dankbarkeit die Sarazenin verlassen sollte.

»Ihr seyd eine Zauberin, schöne Dame!« sagte er, »und hätte Euch der liebe Gott nicht mit überirdischer Schönheit gesegnet, so müßtet Ihr mir sehr unheimlich vorkommen. Dieweil es aber Euer Wille ist, daß ich Euch allein lasse, so gehabt Euch wohl und behaltet mich in freundlichem Gedächtniß.«

»Der Friede sey mit Euch,« entgegnete das Mädchen, sanft hinsinkend auf das Lager, gleichwie zum Schlafe, nur daß sie ihre Hände faltete und die Augen zum Himmel aufschlug. Herr Haymon zögerte noch, den Vorhang des Zeltes in der Hand, wie fest gehalten von dem hinziehenden Bilde der liebreizenden Jungfrau. Sie aber gab kein Zeichen mehr von sich und so ließ er den Vorhang fallen, schwang sich auf sein Roß und ritt langsam von dannen. Der Mond schien auf seinen Pfad und war seinen Gedanken ein angenehmer Begleiter. Das hatte er sich nicht gedacht, als er am frühen Morgen im grauen Schloß zu Nullepart aufs Pferd stieg. um Hirsche zu jagen, daß er selbst mit einem spitzen Pfeil im Herzen wieder heimkehren würde. In der That war an dieser empfindlichen Stelle ein ansehnliches Liebesfeuer ausgebrochen, das um so schmerzlicher ausschlug, je mehr Herr Haymon empfand, daß er von Anfang bis zu Ende seiner Gegenwart weder für seine Tapferkeit, noch für die sonstige Anmuth seiner Sitten und Reden ein günstiges Feld gefunden. So viel glaubte er deutlich zu spüren: bei all seiner gewinnenden Mannlichkeit hatte er der einsamen Sarazenin fürs Erste nichts abgewonnen. Wenn sie auch sichtlich ein Ergötzen hatte, wieder einmal in der Wildniß ein lebendes, menschliches Wesen zu sehen, so schien sie doch gar keinen Werth darauf zu legen, daß dies gerade die Blume der normannischen Ritterschaft gewesen. All dies machte ihn aber nicht demüthig, sondern bitter. »Und doch soll sie mir nicht entkommen,« sagte Herr Haymon zu wiederholtenmalen mit lauter Stimme zu sich selber und schlug grimmig auf seine Brust, so daß es im Wald fast wiederhallte. Je heißer seine Wünsche entbrannten, desto wilder wurden seine Gedanken. Nur zuweilen, wenn ihm die seltsame Weissagung wieder in Erinnerung kam, war's ihm eine kurze Zeit lang, als läge eine tiefe Warnung darin, bis er und zwar bald wieder zu finden glaubte, gerade durch das Geheimnisvolle ihres Wesens sey das Mädchen so zauberhaft und gerade deßwegen eines jeden Wagstücks werth.

III.

So stand er andern Tages fast zur selben Zeit vor dem Zelte und wunderte sich über die tiefe Waldesstille, da nur der Schlag der Finken, die oben im Laube saßen, zu hören war und das Rieseln des Baches, aber zu sehen weder Arslan, der Löwe, noch Miri, der Edelfalke, noch auch das Fräulein. Herr Haymon lüftete vorsichtig den Saum des Teppichs, gewahrte jedoch auch innerhalb kein Leben. Die Psittiche schliefen auf ihren Reifen, das Mädchen aber, wie er leise näher tretend ersah, lag schlummernd auf dem Lager, ein aufgeschlagenes Buch neben sich, das Haupt in das feine, reiche Haupthaar versenkt und halb vergraben in den linden Pfuhl, die Glieder anmuthsvoll ausgestreckt und mit leichten, indischen Zeugen leicht bedeckt.

Der junge Ritter war voll Freuden, daß ihn sein guter Stern zu so taugsamer Zeit dahergeführt und letzte sich gar sanft und still an der holden Schläferin, sie immer unverwandten Auges betrachtend – denn das hatte er sich gestern auf der Heimkehr auch noch bekennen müssen, daß er aus der Verwunderung und Bewegung seines Gemüthes heraus nicht einmal den Weg zur festen und standhaften Anschauung seiner Huldin gefunden, so daß er sich in der schlaflosen Nacht vergeblich besonnen hatte, wie deren wunderbares Antlitz denn eigentlich gestaltet und welche Farbe zunächst die ihrer Augen sey. Auf Letzteres kam er freilich auch zu dieser Frist noch nicht, denn die langfransigen Lider waren fest geschlossen.

So wenig indeß die Lage der Ungläubigen seiner Wißbegierde genug that, so schien sie ihn doch nicht zu bekümmern, vielmehr einen andern Gedanken in ihm aufzuwecken, einen so lieblichen, daß er ihn noch frisch und neugeboren ins Werk setzte. Nachdem er nämlich einige Zeit in tiefer Ruhe mit übereinandergelegten Händen auf das morgenländische Fräulein gesehen, ihr leises Athmen und den stillen Wellengang ihrer Brust betrachtet hatte, bückte er sich und küßte sie.

So zart dies anmuthige Werk auch vollendet ward, so störte es doch den leichten Schlummer der Sarazenin und als sie ihre Augen aufschlagend, die seinigen sich so nahe sah, fuhr sie rasch auf und rief, seine Verwegenheit ahnend, zornig aus:

»Was habt Ihr gethan?«

»Ich küßte Euch,« antwortete der Ritter.

»Hebt Euch von hinnen,« befahl das Mädchen, ihre bannende Hand nach ihm ausstreckend. »Ihr seyd nicht werth, auf diesen Boden zu treten, da Ihr den Schlummer einer einsamen Jungfrau nicht zu achten vermögt.«

»Bleibt ruhig, edle Maid! und hört –« entgegnete bittenden Tones Herr Haymon. »Das wißt Ihr selbst, daß ich gestern von ungefähr in diese Wildniß gekommen bin und daß Ihr mich freundlich aufgenommen habt – aber das wißt Ihr vielleicht nicht, daß ich meiner Tage kein schöner Frauenbild gesehen, daß mir Eure wunderbare Gestalt nicht mehr aus dem Sinne geht, daß mir Eure lieblichen Worte beständig in den Ohren klingen, und daß mir Eure Minne das höchste Gut auf Erden scheint. Und seit ich Euch gestern gesehen, hat mein Herz keine Ruhe mehr gefunden und wenn dies Weh so fortdauert, so werde ich liebeskrank werden und elendiglich versiechen.«

»Auch dafür,« sagte das Mädchen wieder in sanftem Tone und blätterte in dem Buche, das neben ihr gelegen, »auch dafür hat der weise Meister Averroes einen Trank erfunden, und so Ihr einmal in solche Noth kommt so nehmet Beifuß, Osterluzei, etwas Bärenwurz –«

»O, für diese Krankheit helfen weder Kräuter noch Wurzeln, sondern nur Euer liebes Herz.«

»Von hier nach Damaskus ist nicht weiter, als unsere Herzen auseinander sind.«

»Selbst Damaskus haben die Normannen erreicht und so gebe Gott, daß ich auch noch den Weg zu Euren Gnaden glücklich zurücklege.«

»Laßt mich allein,« sprach das Fräulein nachdrücklich, »ich habe meine Gefährten diesen Nachmittag entsendet. Miri, der Edelfalke, ist seewärts geflogen, um zu fischen; der Löwe aber ging mit der Schlange lustwandeln in den grünen Wald.«

»Und der Augenblick sey gebenedeit,« sagte Herr Haymon freudig, »daß die höllischen Drachen nicht wieder zwischen mich und meine Liebe treten können!«

Er nahte rasch der Sarazenin, um seinen Arm kosend um ihren Nacken zu legen. Das Mädchen aber entschlüpfte, griff schnell nach dem goldenen Horn, das verborgen unter dem Pfuhl gelegen und stürzte zum Zelte hinaus, wie der Ritter leicht denken konnte, in der Absicht, ihre treuen Kämpen aus dem Walde herbeizurufen. Herr Haymon sah, daß nur eine rasche That ihn retten könne, und so rief er: »Gott verzeihe mir, edles Fräulein, aber da Ihr mir Eure Liebe nicht freiwillig schenken wollt, so wird es wohl mit Gewalt geschehen müssen.«

Während dieser Worte ergriff er das Mädchen am Gürtel, warf sie behende auf seinen Renner, sprang selbst in den Sattel, gab dem Rosse die Sporen und ritt im schärfsten Laufe davon.

Die orientalische Fürstentochter wußte in den ersten Augenblicken nicht, wie ihr geschehen war, doch währte es nicht lange, bis ihr Zorn ausbrach und sie sich ungestüm von dem frechen Räuber loszureißen suchte. Zartes Flehen hörte Herr Haymon nicht aus ihrem süßen Munde, dagegen manche böse Drohung in düstern Worten. Dann bemühte sich das holde Mädchen wieder mit den weichen Armen und den schlanken Füßen dem Ritter etwas abzuringen, gleichsam als strebte sie ihn aus dem Sattel zu heben, aber nachdem er ihrer schönen Unbändigkeit eine Weile zugesehen, stellte er leicht mit seiner starken Faust die nöthige Ruhe wieder her. Wenn sie Arslan, den Löwen, oder Miri, den Edelfalken, zu Hülfe rufen wollte, obgleich sie schon so ferne waren, daß ihre Stimme ungehört verklingen zu müssen schien, so schloß er mit flacher Hand den Mund und wenn sie, von ihren nutzlosen Anstrengungen ermattet, wieder ausholte und frischen Athem schöpfte, so lächelte er ihr freundlich und minniglich ins Angesicht und sagte: »Schönes Heidenmädchen, wie freue ich mich auf die Tage, wo ich Deiner Liebe froh werden soll!« Wenn sie aber mit lodernden Augen ihm entgegen rief: »Verflucht sey die Stunde, wo Ihr« – so legte er auf die weichen Lippen wieder seinen ritterlichen Finger und sagte: »Du sollst mir nicht eher fluchen, als bis drei Tage vorüber sind, wenn Dich dann noch darnach gelüstet.«

So fühlte sich der normannische Jüngling recht wonniglich beschäftigt und angesprochen, bald durch ihre wilden und doch sehr anmuthigen Gebärden, bald durch ihre zürnenden Worte, die er mit dem freundlichsten Klange der Sehnsucht vergalt. Den einen Arm hatte er um ihre volle Hüfte geschlungen, mit der andern hielt er das Köpfchen aufrecht, das sich jeweils im tiefsten Widerwillen anstellte, als wollte es sich und den ganzen leichten Leib weit über Roß und Reiter hinausschnellen.

Indessen flog der Renner und flog, immer frisch gespornt von dem freudigen Reiter, und sprengte allmälig aus dem Dunkel des Waldes hinaus in die Freiheit des Feldes, wo gar nicht mehr weit von dannen das alte Schloß von Nullepart erschien, gebieterisch herabblickend in das Thal, auf steilen Felsen einsam gelegen, mit vielen Dächern und grauen Thürmen normannischer Baukunst, an welchen sich der Epheu hinaufschlang. In die hohen Fenster der Burgkapelle schienen die letzten Strahlen der Abendsonne; über dem Thore sah man schon die spiegelnden Waffen des Reisigen, der die Wache hielt.

Bei dieser Ansicht jauchzte der Ritter fröhlich auf, so daß es seiner Beute schneidend durch das Herz ging. »Gottlob,« rief er, »da ist mein festes Schloß und eh' Ihr Euch dreimal umschaut, sind wir drinnen. Nun gebt die Wehr auf, liebes, edles, süßes Fräulein!«

Das Mädchen aber wurde durch diesen Zuspruch nur zu neuem Unmuth erhoben und zuckte abermals mit allen Kräften, um sich frei zu machen, bis sie plötzlich selber wild zu jauchzen anfing, denn gleich, nachdem Herr Haymon jene Worte gesagt, vernahm sie, auch nicht mehr gar ferne, das grauenvolle Gebrüll des Löwen, der, wie der Ritter schnell gewahrte, in schauerlichen Sätzen auf seiner Fährte war und ihn erreichen mußte auf dem steilen Felsenpfade zur Burg hinauf, wo der Renner selbst schon todesmüde fast erlag.

»Jetzt gebt mich frei,« rief die Sarazenin, »gebt mich frei, oder Ihr seyd des Todes.«

»Ich will auch des Todes seyn oder Euch heute noch gewinnen,« sagte Herr Haymon, drückte in Todesmuth und Liebeswuth das Mädchen mit eiserner Faust an seine Brust und zog sein Schwert.

»Ihr sollt mich aber heute nicht gewinnen,« schrie Haura, riß einen heimlichen Dolch aus dem Busen und hieb in wahnsinnigem Zorne nach dem Ritter, daß ihm der Stahl zwischen Hals und Brust dreimal Finger tief in das Fleisch stach, während der Falke, der unversehens aus heiterer Luft herabgestürzt, ihn schreiend umkreiste und mit dem Schwerte kaum von Aergerem abzuhalten war. Herr Haymon hielt nur noch mit Mühe den Sattel und seine süße Last; der Renner erwildete und stürzte mit den allerletzten Kräften noch über die Zugbrücke hinein und der Löwe war so nah an seinen Hufen, daß er endlich, wie er eifrig getrachtet, den tödtlichen Sprung auf den Rücken des Rosses dicht hinter den Ritter vornehmen konnte. Im Burghof stürzte der Renner mit aufgerissenem Leibe verendend auf das Pflaster und ächzte bald zum letztenmale; der Ritter sank schweigend, leichenblaß, von Blut übergossen auf die Staffeln seiner Freitreppe; das Fräulein drehte sich schwindelnd mit verschwimmenden Augen an den steinernen Brunnen. Das Gesinde lief sinnlos in den Bogengängen des Hauses umher und schaute mit bleichen Gesichtern auf das fürchterliche Thier, welches brüllend das Blut des Renners aufschlürfte. Der persische Edelfalke schwirrte rachgierig um den sterbenden Ritter und erwartete nur des Fräuleins Befehl, um seine Waffen einzuschlagen. –

Da war große Noth auf der alten Burg zu Nullepart, während die Sonne unterging und die hohen Fenster der Burgkapelle vergoldete.

IV.

Das Fräulein aber nahm einen frischen Trunk aus dem Brunnen, strich sich das kalte Wasser über die Stirne und blickte wieder gefaßt um sich her. Und als sie den bleichen Ritter mit gebrochenen Augen auf der Treppe liegen sah, fuhr sie sich gedankenvoll über die Augen und sagte leise vor sich hin:

»Schade um den Jüngling, so edel und so schön! Wohl habe ich eine Missethat verübt; vielleicht ist sie aber noch gut zu machen.«

Alsbald winkte sie das Gesinde herbei, den Kastellan, den Burgpfaffen und die Knechte, welchen sie sagte: »Thut was ich Euch befehle und fürchtet nichts! Dem Ritter wascht das Blut ab und bringt ihn hinauf auf ein weiches Lager. Mir aber weist den Zwinger, damit ich den Löwen versorge.«

Und so geschah es auch. Das Fräulein führte den getreuen Arslan schmeichelnd von dem blutenden Renner weg und schloß ihn in den Burgzwinger; den Falken hieß sie wieder seewärts fliegen und dann ging sie über den Burghof, wo noch das Thor offen stand und die Zugbrücke winkte, die der Burgwart wegen seines Schreckens noch nicht aufgezogen hatte, so daß sie ins Feld hinaussah und auf die dunkeln Bäume des Hochwaldes. Doch gab sie jetzt nichts mehr für ihre Freiheit, sondern eilte hinauf in das Gemach, wo Herr Haymon, den Leib von Blut und Staub gereinigt, im weißen Hemde auf sein Lager hingebreitet war, noch immer todtenstill und bleich und gebrochenen Auges. Der Kaplan und der Burgvogt waren bemüht, die Wunden zu verbinden, aber das Mädchen nahm ihnen geschäftig das Linnen aus den Händen und bat sie, die Pflege ihr zu lassen; sie sey in aller Arzneikunst wohl erfahren. Von den verschiedenen Salben, die der Burgpfaff herbeibrachte, und mit denen er schon manchen Hieb geheilt zu haben meinte, wählte sie verständig die besten aus und legte den Verband so geschickt über des Ritters Schultern und Brust, daß die beiden Gehülfen über ihre Kunstfertigkeit staunten und nicht wußten, was sie denken sollten. Endlich hieß sie die würdigen Männer gehen, da sie den Herrn jetzt selbst behüten werde; sie hoffe, es sey noch Leben in ihm und wenn dies, so müsse es bald wieder hervorbrechen. Zugleich trug sie ihnen auf, das Zelt im Walde bewachen, die grüne Schlange nicht stören und das Buch des weisen Meisters Averroes so schnell als möglich auf die Burg bringen zu lassen. Die würdigen Männer gingen und beriethen sich noch lange mit dem Hausgesinde, aber da war Niemand, der die Geschichte erklären konnte oder sagen, was der Löwe bedeute oder das morgenländische Fräulein oder der verwundete Ritter.

Unterdessen saß das Mädchen oben im stillen Gemache des Jünglings und pflegte ihn. Zum hohen Fenster sah der Mond herein und auf dem Tische stand eine Lampe. Während diese ihr wankendes Licht auf den Ritter warf, schien es dem Mädchen öfter, als zucke er mit den Augen, als gingen die Lider auf, als fielen sie wieder ermattet zu. Sie flüsterte, sie sprach leise seinen Namen, aber noch hörte er keinen Laut. Sie blies unmuthig die Lampe aus, so daß der Mond mit vollem Scheine auf das ruhige Gesicht des Todten schien. Sie wärmte seine kalten Hände in den ihrigen, sie fühlte freudig, daß er noch leise athmete, sie meinte, auch aus seinen Wangen weiche allmälig die Leichenblässe zurück und es war ihr, als fingen wieder, obwohl bleiche, Rosen darauf zu blühen an. Wie sie nun so auf der Spähe lag und ihr Mitleid mit dem armen, wehrlosen Siechen immer zunahm, kam ihr der Gedanke, ob sie nicht, weniger aus Rache, als zum Zeichen der Versöhnung, wenigstens auf dieser Welt, ihm eben so thun sollte, als er ihr heute in ihrem Schlafe gethan, und als sie sich nun wirklich über Herrn Haymon hinbeugte und ihren warmen Mund auf den seinigen legte, schlug er plötzlich die Augen auf, lächelte und sprach mit schwacher Stimme: »Gott sey Dank, liebes Fräulein, daß ich Euch noch einmal sehe auf dieser Welt, um Euch zu bitten, daß Ihr mir meine That verzeihet« – worauf das Mädchen entgegnete: »Ich hab' Euch wohl Leid und Weh gethan, aber Gott ist groß und kann es wieder besser machen.«

Sie schauten sich Beide mit sehr milden Augen an und lächelten einander freundlich zu; doch hatte der Ritter keine Kraft mehr weiter zu sprechen und verfiel in einen gesunden Schlaf, welcher so lange fortdauerte, bis am andern Morgen die Sonne auf sein Lager schien. Auch zur selben Zeit stand wieder das Fräulein an seinem Bette, welches ihn bat, ruhig und getrost zu seyn, was er ohnedem schon war. Auf seine Frage aber, wie sie es über das Herz bringe könne, jetzt ihm ihre Pflege zu leisten, nachdem er sie so schwer beleidigt, sagte sie, das sey jetzt vergessen und er möge sich mit solchen Gedanken nicht die Genesung stören. Nach Allem, was geschehen, sey sie ihm, da er ihre Hülfe bedürfe, doch freundlich gewogen.

So herrlich ward wohl nicht leicht ein Ritter gepflegt, als Herr Haymon von Nullepart, da er an jenen drei Dolchwunden darniederlag, welche ihm die Sarazenin geschlagen hatte. Auch kann man kaum behaupten, daß er dessen nicht gewahr ward, denn als die erste Schwäche und Kraftlosigkeit vorüber war, so erheiterte sich sein Gemüth wieder zusehends und das Heidenmädchen freute sich nicht selten über seine anmuthigen und schalkhaften Reden. Freilich gab sie nicht immer gerne Antworten, die er wünschte, und wenn er sie zum Beispiel fragte, ob ihre Herzen noch so weit auseinanderlägen, als Nullepart und Damaskus, so erwiederte sie, vielleicht seyen sie sich etwas näher gekommen, aber noch liege ein tiefes Meer dazwischen. Wenn Herr Haymon sagte, er meine nicht, daß er sie mehr lassen könne, entgegnete sie, in dieser Zeit gedenke sie auch nicht von ihm zu gehen, aber ehe er wieder in den Steigbügel treten könne, würde sie sicherlich nach Rouen ziehen, wo Dionys, der Hausvogt, wohl schon in großer Beängstigung auf sie warte. Von dort gedenke sie mit ihm nach Hispanien zu fahren, nach Sevilla, wo die Verwandten ihres Vaters, hochangesehene Häuser, sie gastlich aufnehmen würden. Sagte hierauf der Ritter: »Laßt Euch das nicht träumen; Ihr bleibt bei mir« – so erwiederte sie: »dankt dem lieben Gotte, daß er Euch so weit geholfen und sinnet nicht auf neue Sünden.« – Und in dieser Anschauung hatte sie vielleicht auch recht, denn Herr Haymon, als ein frommer, christgläubiger Rittersmann hatte immerhin einen kleinen heimlichen Schauer vor ihrem Heidenthume und, was man auch davon denken mag, seine Gedanken gingen dazumal nicht so fast auf eine eheliche Gemeinschaft mit der ungläubigen Fürstentochter, als vielmehr auf eine freilich sehr heiße Liebe, jedoch mit ungewissem Ausgange. Dessen mochte auch das Fräulein immer gewisser werden und daher kam es, daß sie mehr und mehr von ihrer Abreise sprach, je kräftiger Herr Haymon wurde und je näher der Tag schien, wo er wieder auf sein Roß steigen und dem Waidwerk oder andern ritterlichen Uebungen der damaligen Zeit würde obliegen können.

V.

Bald darauf aber wurde das Pfingstfest gefeiert und König Heinrich von England verweilte mit vielen Würdenträgern, mit Bischöfen, Prälaten und einer zahlreichen Ritterschaft zu Rouen in seinem Herzogthume Normandie. Daselbst saß er auch eines Morgens auf dem Frohnhofe vor dem Dome, um Recht zu sprechen über einen Vasallen, welcher angeklagt war, ein junges Heidenmädchen geraubt und mit Gewalt auf sein Schloß geschleppt zu haben. Das Volk von Rouen erwartete einen schweren Spruch, denn im Mittelalter war es also eingerichtet, daß einer in den Tagen der Verwirrung viele Uebelthaten und Gräuel begehen konnte, ohne Strafe, Buße oder Rache zu erleiden, aber wenn er etwa in einen strengen Jahrgang fiel, so mochte es ihm auch viel schlimmer ergehen, als in unsern gnadenreichen Zeiten. Von König Heinrich nun versah sich damals Niemand großer Milde, denn er zürnte seinen Edelherren, weil sie einander in den letzten Zeiten wieder recht meisterlich ihre Schlösser angezündet, sich die Schwerter durch den Leib gerannt, ihre altadeligen Frauen verunehrt, die Knechte erschlagen und die Länder wüste gelegt hatten.

Die Klage wegen des geraubten Heidenmädchens hatte übrigens Dionys, der Hausvogt, erhoben, nachdem ihm das Gerücht die Kunde hinterbracht. Auf sein Ersuchen hatte Herr Roger von Meulan, des Königs Großjustitiar, den Missethäter laden lassen, das heißt: seine Knechte hatten ihn bei dunkler Nacht aus seiner Burg geholt und in den Kerker, das Fräulein aber zur nämlichen Zeit zu St. Wandregisel ins Nonnenkloster gebracht.

An jenem Morgen nun stand Herr Haymon vor der Assise, wo vierundzwanzig normannische Barone sein Urtheil sprechen sollten. Er trug ein härenes graues Gewand, war barfuß und noch immer bleich von seinem Siechthum her, auch etwas schwermüthig, denn er wollte die Wahrheit der Geschichte nicht bekämpfen und kannte die Strafe, der er verfallen würde, nämlich den Tod. Nicht weit von ihm saß tiefverschleiert die Sarazenin.

Der Hausvogt stand auf und sprach:

»Ich klage wider Herrn Haymon von Nullepart, der gegen den Frieden Gottes und des Herrn Königs Haura von Antiochien, mein Fräulein und meine Herrin wider ihren Willen geraubt und auf sein Schloß zu Nullepart geschleppt, und bin bereit dies zu beweisen zu jeder Stunde des Tages.«

»Es ist kein Beweis vonnöthen,« entgegnete der Ritter – »ich bin der That geständig.«

»Ihr könnt also in Wahrheit nicht behaupten,« sprach König Heinrich, »daß sie Euch gern und willig gefolgt, Herr Haymon von Nullepart?«

Herr Haymon antwortete leise: »Ich glaube nicht, daß sie mir gerne und willig gefolgt« – während das Mädchen sich rasch erhob und ausrief: »Nein, bei Gott und dem Propheten, ich bin nicht gerne und willig gegangen, sondern der Ritter hat mich mit seiner Kraft auf sein Roß geworfen und dann im schnellsten Laufe gen Nullepart geführt.«

Auf dieses entbot König Heinrich den vierundzwanzig Baronen, den Spruch zu geben, worauf einer nach dem andern aufstand und mit emporgehaltener Rechten den Eid schwur, Herr Haymon von Nullepart sey schuldig, das Fräulein Haura von Antiochien wider ihren Willen geraubt zu haben, deßwegen seiner Ehren und Würden verlustig und dem Tode verfallen.«

»Ihr habt Euch wohl gerächt, daß ich's empfinden werde, schönes Fräulein,« sprach der Ritter, als die vierundzwanzig Barone geschworen hatten. »Und nun,« setzte er hinzu, »laßt mich abführen, Herr König, und vergönnt mir ein baldiges Ende.«

König Heinrich von England war traurig und winkte trüben Blickes den Bewaffneten, welche den Verurteilten umstanden, als plötzlich mit einem lauten Schrei das Fräulein vor den König hinstürzte, den Schleier zurückschlug und rief:

»Ich bitte um Gnade, Herr König von England, für den edlen Herrn Haymon von Nullepart, denn obgleich er mich wider meinen Willen geraubt, so hat er mich doch in Zucht und Ehren gehalten, da ich ihn pflegte. Schenkt ihm seine Würden und sein Leben, indem seine Missethat ohne meinen Schaden abgegangen ist. Auch wird meine Gegenwart nicht länger an das Geschehene erinnern und von mir in diesen Ländern bald nicht mehr die Rede seyn, da ich willens bin, morgen nach Hispanien zu ziehen, und mein Oheim zu Sevilla Haus hält.«

König Heinrich war erstaunt über die Schönheit des Mädchens von Antiochien und über ihre blonden Haare. Daß sie die normännische Sprache, obwohl eine Morgenländerin, so zierlich zu handhaben wußte, wunderte ihn nicht minder und da er auch Herrn Haymon wegen manches guten Dienstes, den er der Krone von England in ihren Nöthen schon geleistet, besonders freundlich gesinnt war, so sprach er, während er dem Fräulein sich zu erheben winkte:

»Was haltet Ihr für Rechtens, Herr Roger von Meulan, Großjustitiar von England?«

»Um der Gleichheit der Sachen willen,« entgegnete der Großjustitiar, »gedenke ich Euch an einen Spruch zu mahnen, der vor siebenzehn Jahren erging, als zu Coutances ein hebräischer Jongleur gestorben war und Herr Robert von Carneville desselben junge Wittwe mit Gewalt auf seine Burg geführt hatte. Damals bat die Jüdin, den christlichen Glauben annehmen zu dürfen, der Ritter versprach sie zu ehelichen, der würdige Erzbischof von Rouen bat um sein Leben und König Wilhelm schenkte es ihm.«

Ein fröhliches Flüstern ging bei diesen Worten durch die Versammlung und Ritter wie Edelknechte, Frauen wie Fräulein und auch das andere Volk – alle dankten es mit vergeltenden Gebärden dem Herrn Roger von Meulan, daß er den Weg zur Gnade, zum Leben und zum Glück so wohlverständlich angedeutet. Auch König Heinrich sprach mit wohlwollendem Lächeln:

»Und was habt Ihr dazu zu sagen, schönes Fräulein?«

»Fragt erst den Ritter,« erwiederte Haura und erröthete dergestalt, daß sie, um es zu verbergen, schnell den Schleier wieder herabfallen ließ.

»Ich,« sprach Herr Haymon unaufgefordert, »ich habe meiner Tage kein edler und liebevoller Frauenbild gesehen, danke ihr auch nebst Gott mein Leben und hätte nie einen andern Willen gehabt, denn sie als Dame von Nullepart zu feiern, wäre nicht ihr schnödes Heidenthum –«

»Wollt Ihr ihn aber Eures schnöden Heidenthums wegen sterben lassen?« fragte der König wieder und gab seinem Schenken ein Zeichen, so daß Dieser einen goldenen mit Wein gefüllten Becher vor den König stellte.

»Meine Mutter,« sagte Haura zögernd, »meine Mutter ist mir in ihren gesunden Tagen und in ihren letzten Stunden dringend angelegen, daß ich dereinst, wenn ich durch Verhängniß Gottes in das Abendland geführt würde, zum Christenglauben schwören möchte.«

»Die Gelegenheit scheint günstig,« sprach der König heiter.

»Denn,« fiel Dionys, der Hausvogt, ein, »es lebte ehedem die eheliche Hausfrau weiland Herrn Hugos von Quilesait, aus der Normandie, der als Pilger bei Tyrus von den Sarazenen erschlagen worden ist. Sein schönes Gemahl aber nahm der Emir von Antiochien aus den Gefangenen und hielt sie als eine seiner Frauen. Und sieben Monate nach Herrn Hugos Tod gebar seine Wittwe das Fräulein zu Antiochien, welches sie heimlich taufte auf den Namen der heiligen Mathilde. Aus Furcht vor dem ungläubigen Herrn und Gebieter wollte sie zwar der Tochter von diesen Dingen nie erzählen, ich sage es jedoch bei meiner Treue und bin bereit, es mit den schwersten Eiden zu erhärten, dieweil ich Herrn Hugos Knecht gewesen bin und mit ihm und der Edelfrau von Quilesait vor achtzehn Jahren von dieser Stadt Rouen auf Pilgerfahrt gen Orient zog und meinen Herrn bei Tyrus fallen sah und seiner Hausfrau in die Gefangenschaft folgte, allwo sie nach sieben Jahren aus Gram und Heimweh starb. Und dort habe ich diese Zeit verlebt, bis die Kreuzfahrer mit der Beihülfe der heiligen Jungfrau Maria die Stadt Antiochien erobert, worauf ich meinen Sinn darauf gestellt, das edle Fräulein, welches eine sehr tugendsame Maid und mir allezeit eine fürtreffliche Gebieterin gewesen ist, aus dem Kriege und den wilden Stößen mit den Ungläubigen in ihr Vaterland zu bringen, was ich auch mit der Gnade Gottes ausgeführt habe. Und hier ist der Siegelring meines Herrn Hugo von Quilesait, welchen ich ihm abzog, als er erschlagen lag auf dem Strand von Tyrus.«

Als König Heinrich den Siegelring betrachtet und ihn erkannt hatte, hob er fröhlich seinen Becher empor und rief: »Hört, Ihr Herren und Frauen! Es lebe das edle Fräulein Mathilde von Quilesait, nunmehr die holde Braut des Herrn Haymon von Nullepart, den wir also begnadigen und in seine Ehren und Würden wieder einsetzen.«

Schon die Augenzeugen, welche dazumal zu Rouen vor dem Gerichtshofe standen, alle Worte hörten und Alles sahen was vorging, fanden es nachher sehr schwierig, den andern, welche zu Hause geblieben, den Freudenlärm zu beschreiben, der sich jetzt in dem gesammten Umstande des Gerichtes erhob und darum möchte es wohl den Spätergeborenen fast unmöglich seyn, davon eine getreue Darstellung zu geben. Eine schöne Augenweide war es sicherlich, als die ganze Schaar des mächtigen Hauses Quilesait herantrat, um das Fräulein als neugefundenes Zweiglein des alten und in seiner Art edlen Stammes zu begrüßen, als die Ritter und Junker, die Frauen und Fräulein sie zu küssen und ihrer Freundschaft und Liebe zu versichern eilten. Das Fräulein stand, wie man sagt, in reizender Verwirrung, nach allen Seiten hingezogen, zumeist freilich nach Herrn Haymon, an dessen Hals sie schnell etliche Zähren geweint, dann nach dem getreuen Hausvogt Dionys, dessen Anhänglichkeit in ihrem dunkeln Drange diesen fröhlichen Ausgang herbeigeführt; nach König Heinrich von England, der sich heute so gnädig gezeigt und nach der freundlichen Verwandtschaft, die sie umdrängte und einschloß. Wie dem auch sey, es ist hier nicht die Stelle, um all der Festlichkeiten zu gedenken, welche zu Ehren Herrn Haymons Brautschaft und Hochzeit dazumal zu Rouen gefeiert wurden; aber drei Wochen darauf zog der Ritter mit seiner jungen, ihm jetzt angetrauten Hausfrau und dem getreuen Hausvogt Dionysius hinaus gen Nullepart und dort fingen sie ihr ehlich Leben an, welches sie bald zu großer Anmuth und Würde brachten. Es darf nicht vergessen werden, daß des Fräuleins biderbe Gefährten im Walde, Arslan, der Löwe, Miri, der Edelfalke, die getreue arabische Viper und das andere Gethier, jetzt in der Burg versammelt, den Herrn von Nullepart auch bald als den ihrigen anerkannten und ihm alle Dienste leisteten, die er billigerweise von ihnen verlangen konnte. Und da Alles ein so fröhliches Ende genommen, vielmehr das Ende wieder der Anfang eines glücklichen Lebens geworden, so kam es, daß Herr Haymon und Frau Mathilde gar oft die Stunde segneten, wo sie sich im wilden Walde begegnet.


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