Ludwig Steub
Novellen und Schilderungen
Ludwig Steub

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Der Staatsdienstaspirant.

Aus dem deutschen Leben.

Wir haben einmal in den Werken eines englischen Weltweisen die Behauptung gelesen, die Hälfte der Menschen wisse nicht, wie die andere Hälfte lebe. Bei näherer Betrachtung dieses Satzes glaubten wir zu finden, daß dieses Urtheil noch viel zu günstig laute. Es wollte uns bedünken, als ob zwar immerhin das Leben der Familie sowohl als das der Einzelnen eine Anzahl heiterer oder trüber Eindrücke mit sich führe und veranlasse, die allen Menschen aller Zeiten und Zonen gemeinsam sind, daß dagegen auch mit dem irdischen Fortkommen, wie es die Verhältnisse eines jeden Individuums bedingen, eine Summe von Freuden und Schmerzen, von Hoffnungen und Befürchtungen verknüpft sey, von denen der außerhalb des bestimmten Kreises Stehende nur zerstreute Anschauungen, ohne eigens darauf gerichtete Beobachtungen und Studien aber nie eine ausgiebige Kenntniß besitzen könne. Da nun aber gerade diese letztern Empfindungen dem menschlichen Leben die überwiegende Farbe geben, dieselben jedoch den Unbeteiligten nur zufällig und vereinzelt ersichtlich werden, so möchten wir eher sagen, der Mensch, wenigstens einer, der nie aus seinem Kreise getreten ist, kenne nur diesen, vielleicht noch etwas Weniges von dem nächst verwandten, sonst aber keinen.

Der Gelehrte zum Beispiel, der seinen Rock anthut, er sey ausgebürstet oder nicht, hat keine Ahnung von der Freude, die ein junges Mädchen empfindet, wenn es zum ersten Male ein neues florseidenes Ballkleid überwirft. Eben so wenig weiß der Richter, der mit dumpfem Gleichmuth den Aktenkasten auf- und zuschlägt, von dem Behagen, das sich in hellem Scheine auf das Antlitz der Hauswirthin legt, wenn sie ihren Leinwandschrein eröffnet. Der Städter, der, zu frühe aufgewacht, das Fenster öffnet und das Gesicht verdrießlich über die kalte Morgenluft wieder zurückzieht, denkt er wohl an die Wonne, in der zur selben Stunde der Waidmann lebt, der draußen im Forste auf den Rehbock wartet? Der Dichter geht mit eben dem Vergnügen durch sein letztes Trauerspiel, als der Landwirth durch seine frisch gedüngten Auen, aber es fällt dem Einen nicht ein, dabei auch an den Andern zu denken.

In der That scheint auch Manches darauf hinzuweisen. daß die Gegenwart diesen Mangel allgemein fühlt; sie scheint ihn fast als etwas zu betrachten, das einer schleunigen Abhülfe bedürftig sey. Herkömmlicherweise hat sich denn auch die Literatur dieser Lücke zugewendet, und so haben wir bereits Salonsnovellen zum Besten derer, die nie einen Parketboden betreten, und bürgerliche Pracht- und Misèrestücke zur Orientirung der Aristokratie des Geldes und der Geburt. Will sich die höhere Gesellschaft und das Bürgerthum über das Leben der untersten Klassen belehren, so stehen vor der Hand die schätzbaren Pöbelromane der Engländer zu Gebote, die wenigstens Analogien zur Erkenntniß der heimischen Zustände liefern. Auch wird es schwerlich mehr lange dauern, bis ein glücklicher Finder das Bauernleben entdeckt und dem Publikum zur Beschauung ausstellt. Außerdem aber sind seit Jahren auch schon Schritte geschehen, um den Festländer mit dem Leben zur See, den Städter mit dem Treiben der Fischer, Jäger und Räuber novellistisch bekannt zu machen, und in einer Anzahl der trefflichsten Produktionen sieht sich endlich der zahme Mensch den halb und ganz wilden, den Beduinen, den Irokesen und Neger gegenübergestellt. Bei all Dem gibt es indeß manche Sphären, die noch ihren Bearbeiter erwarten, sogar in unserer nächsten Nähe, und wir wenigstens meinten zu entdecken, daß das Leben der Staatsdienstaspiranten, dieser allenthalben in Deutschland verbreiteten Gattung, bisher noch gänzlich übersehen worden. In dieser Meinung haben wir uns daran gemacht, den bisherigen Lebenslauf eines derartigen Zeitgenossen zu schildern, welcher, ist er auch kein Musterbild der ganzen Art, doch viele charakteristische Züge, die sonst in ihr zerstreut angetroffen werden, in sich vereinigt. Wir geben diese Skizze um so leichteren Herzens, als wir von dem Geschilderten außer einigen Eigentümlichkeiten nur Rühmliches zu melden haben, übrigens aber auch demselben nicht gerade befreundet, sondern nur so weit bekannt sind, um seinen Lebensgang in kurzer Entfernung betrachten zu können, so daß wir uns auch nicht gegen die Pietät verfehlt haben würden, wenn wir die christliche Liebe des Lesers für diese oder jene Schwäche hätten in Anspruch nehmen müssen.

Herr Johann Baptist Schimmelhauser wurde vor etwa dreiunddreißig Jahren in einem süddeutschen Städtchen geboren, dessen Name hier nichts zur Sache thut. Sein Vater war ehedem ein angesehener Bürger und Handelsmann gewesen, allein die Kriegsläufte hatten seinen Wohlstand dergestalt untergraben, daß er bald nach dem allgemeinen Frieden mit seinen Gläubigern in schwere Prozesse gerieth, welche höchst unglücklich für ihn endigten. Er wurde von Haus und Hof vertrieben und mußte zufrieden seyn, in einem kleinen Gemeindeamte Schutz vor Hunger und Elend zu finden, die ihm einst so entlegen gewesen waren. Herr Schimmelhauser galt allgemein für einen verständigen Mann, aber das war ihm nicht aus dem Kopfe zu bringen, daß er noch auf seinem Hause säße, wenn der Herr Aktuar Schlingelmann, der sein Schuldenwesen behandelt hatte, ihm gewogener gewesen, überhaupt nicht mit so entsetzlicher Strenge verfahren wäre; denn, meinte er, es hätte sich so machen lassen, wie so.

Um die Zeit, wo sein Wohlstand und seine Hausehre unterging, war Johann Baptist noch ein Knäblein, das in den unteren Klassen der deutschen Schule lesen und schreiben zu lernen begann, was aber nicht verhinderte, daß schon jetzt sein Verhängniß festgestellt und ein Spruch gethan wurde, dessen Folgen noch zur Stunde auf ihm lasten. Es war nämlich der große entscheidende Tag, wo das Anwesen und die Gerechtsame seines Vaters dem Meistbietenden zugeschlagen wurde, ein Tag der peinlichsten Aufregung für den ehrbaren Bürger, als dieser mit funkelnden Augen und zitternd in seiner Seelenangst hereintrat, den Knaben vorrief und, ihm die Hand auf den Scheitel legend, mit bebender Stimme sagte:

»Baptist, du mußt ein Jurist werden; die können die Menschen am unglücklichsten machen. Schlag nur dem Schlingelmann nach; es soll auch Andern gehen, wie mir.«

Die Worte verhallten, aber der Eindruck blieb. Baptist, wiewohl nur aus einer Art von Blutrache zum Rechtsgelehrten bestimmt, schien nie die Frage an sich zu stellen, ob er auch dazu passe; vielmehr wollte es Manchen bedünken, als fände er jetzt schon in der Sicherheit über seinen künftigen Beruf eine gewisse Beruhigung, und es soll dem bescheidenen Knaben sehr gut gelassen haben, wenn er im Spiel mit seinen Altersgenossen, so oft die Lebensbahn besprochen und die Rollen ausgefeilt wurden, während die Andern in sich einstige Fürsten und Herren, Generale und Seekapitäne zu schauen vermeinten, still und sittsam sagte: »Ich will nichts werden als ein Jurist.«

Baptist wuchs ruhig in die Höhe und wurde immer älter. Die langen Jahre des Gymnasiums lagen glücklich hinter ihm; sie waren mit Ehren überstanden. Glänzende Talente wahrzunehmen, hatte er seinen Lehrern keine Gelegenheit gegeben, allein einen gewissen phlegmatischen Fleiß, der nie mehr thut, als er soll, aber dieses gründlich, den konnte ihm keiner absprechen. So war denn die Zeit gekommen, wo Baptist als Herr Johann Baptist Schimmelhauser die hohe Schule beziehen sollte. Ein mäßiges Stadtstipendium, das gerade vorher erledigt und darauf von dem Magistrate ihm zugetheilt worden war, reichte wenigstens so weit, daß er ein beschränktes Leben ohne Zuschuß aus der väterlichen Sparbüchse führen konnte, und ein schönes testimonium paupertatis sollte ihn auch von der Verbindlichkeit des Honorarzahlens befreien. Die übrigen Vorbereitungen waren bald getroffen; ihm aber blieben die letzten acht Tage im väterlichen Hause ein Erinnerungsstück für sein ganzes Leben, denn er hatte sich's ausgebeten, für diese Abschiedstage den Speisezettel bestimmen zu dürfen, und so waren sie denn zu einer wochenlangen Schwelgerei geworden, wo er nichts genoß als seine Lieblingsgerichte, Fleischknödel in Wildpretsauce, Leberwürste und Sauerkraut, Schweinsbraten mit bayrischen Rüben u. s. w.

Sein Vater, der sich von jetzt an Johann Baptist Schimmelhauser senior nannte, führte ihn in der Universitätsstadt auf, besorgte ihm seine Wohnung, kundschaftete die billigsten Mittagstische aus, verabredete dann das Uebrige mit seinem Sohne und ging wieder seiner Wege. Baptist, wenn auch in der Welt noch wenig erfahren, denn er hatte seine Vaterstadt bis dahin nur verlassen, um die Kirchweihen der nächsten Dörfer zu besuchen, fand sich doch bald in das neue Wesen, das ihn umgab, obwohl er es sich ganz nach seiner Weise zurichtete. Es schien ihm ein großes Glück, daß er in eine Stube mit einem ältern Studenten gerathen war, der ebenfalls die Rechtsgelehrsamkeit betrieb, und der ihm mit überzeugender Darstellungsgabe Alles bezeichnete, was er als Jurist zu wissen brauche und was nicht. Mit Vergnügen vernahm er da, daß das Meiste, was am schwarzen Brette als Aufgabe für die beiden ersten Jahre angeschlagen stand, eigentlich unnützer Hausrath sey, da Philosophie, Philologie und Geschichte den Rechtsgelehrten gar nichts angehen, so wenig als Chemie, Botanik und dergleichen, insofern in allen Fällen, wo wissenschaftliche oder technische Fragen auf die Entscheidung eines Rechtsstreites Einfluß haben, es Sache der Parteien sey, dem Richter Alles und Jegliches an die Hand zu geben, was von den betreffenden Wissenschaften oder Künsten einschlage, wie denn auch der Spruch: jura noscit curia ein Mehreres nicht besage. Was aber etwa die Anthropologie Interessantes habe, das wisse ein erwachsener Mensch ohnedem schon.

Nichts desto weniger belegte Schimmelhauser die meisten dieser Collegien, wie die andern Studenten auch, und selbst auf den Bänken wurde er selten vermißt, denn er fürchtete üble Nachrede, die etwa in seiner Vaterstadt verbreitet werden möchte. Dabei aber konnte Anfangs seinen Nachbarn eine gewisse Träumerei in seinen Blicken und zuweilen auch eine gänzliche Abwesenheit von dem Vortrage des Docenten nicht entgehen, und geraume Zeit hielten sie ihn derohalben für einen Schwärmer oder für verliebt, bis die Sache später durch sein Bekenntniß aufgeklärt wurde, er habe im Anfang besonders die letzten acht Tage am väterlichen Tische so gar lange nicht vergessen können. Die Zeit indeß heilte auch diese Sehnsucht und die Erinnerung an jene Freuden der Vergangenheit trat mehr und mehr in den Schatten; aber Herr Johann Baptist Schimmelhauser hielt sich auch von da an nicht veranlaßt, den ihm auferlegten Wissenschaften lebhaftere Theilnahme zuzuwenden, und so gab er denn, wenn er etwa von einem der Bekannten über seine Ansicht in diesem oder jenem Punkte zur Rede gestellt wurde, stets unerschütterlich die Antwort: »Das ist Alles Sache der Parteien.«

Im Uebrigen lebte er eingezogen und sparsam, denn er kannte den haushälterischen Ernst Herrn Johann Baptist Schimmelhausers senior zu wohl, als daß er hoffen konnte, ihm am Ende des Semesters ein paar unberichtigte Rechnungen anheimstellen zu dürfen. Das rauschende Studentenleben ging daher nur von ferne an ihm vorüber. Man hat nie erfahren, daß er an irgend einer der Vergnügungen desselben Theil genommen hätte. Dagegen weiß man, daß er öfter, wenn er sich eine gute Stunde machen wollte, seine Bücher in den Schrank schloß, die Vorhänge zuzog, sich in aller Heimlichkeit eine Pfeife anbrannte und mit dieser nachdenkend in der Stube auf und ab ging. Zuweilen setzte er sich auch Stundenlang in ein abgelegenes Wirthshäuslein, wo er sicher war Niemand anzutreffen, der ihn kannte. Selbst dem Schlummer ergab er sich nicht selten unter Tags aus dem Grunde, daß dies die Unterhaltung, die am wenigsten in's Geld gehe.

So gingen denn auch die beiden, den philosophischen Studien geweihten Jahre vorüber. Er hätte sie vielleicht langweilig genannt, wenn er überhaupt gewohnt gewesen wäre, etwas kurzweilig zu finden. Als er aber sofort im fünften Semester wieder auf die hohe Schule zog, trat er als Candidatus juris auf, und er soll dabei einiges Behagen nicht verheimlicht haben, daß er jetzt endlich den Punkt getroffen, auf den er seit zehn Jahren unablässig gezielt. Den Doktrinen, deren Aneignung ihn nun zum Rechtsgelehrten stempeln sollte, sah er übrigens ohne Spannung entgegen; doch fand er für gut, in seiner Lebensweise einige Aenderungen eintreten zu lassen, indem er einesteils den Nachmittagsschlummer aufgab, anderntheils einige Stunden für die Repitition der Collegien feststellte. Auch fing er jetzt an, in den Vorlesungen nachzuschreiben, was er früher folgerechter Weise für unnöthig hatte halten müssen, und während er ehedem sich seinen Platz gern in den letzten Bänken auswählt, setzte er sich nunmehr, um Alles genau zu hören, lieber in die ersten.

Auf diese Art erübrigte er sich denn genug, um anständig durch das Schlußexamen zu schlüpfen, und als er sein Attest in der Tasche hatte, verließ er sein Dachstübchen und kam als geprüfter Rechtspraktikant in seiner Geburtsstadt und im väterlichen Hause an. Herr Johann Baptist Schimmelhauser senior hatte damals schon lange gekränkelt, und nun, als sein geprüfter Sohn von der Hochschule zurückkehrte, hatte er nicht mehr weit zum Tode. Aber das freute ihn noch auf dem Sterbebette, daß sein Eingeborner dem väterlichen Rufe treu geblieben und Jurist geworden war.

»Baptist,« sagte er, »du hast deßwegen ein Rechtsgelehrter werden müssen, damit du dich im Leben auskennest, damit dir Niemand etwas Unrechtes anhaben könne. Mich freut's, daß ich's noch erlebt habe.«

Noch öfter kam er in dieser Weise auf den Stand seines Sohnes zu sprechen, immer mit innigem Behagen, aber die Beziehung auf Schlingelmann schien ihm jetzt ferne zu liegen. Er erwähnte seiner nicht mehr, sondern starb, mit diesem und aller Welt versöhnt.

Ueber die beiden Jahre, die jetzt folgen und die Herrn Schimmelhausers Assessorexamen vorausgingen, eilen wir hinweg. Er war bei dem Landgerichte seines Städtchens als Praktikant in Dienst gegangen, bildete sich in aller Stille zu einem brauchbaren Geschäftsmann heran, und stellte nach und nach in sich jene Lebensansichten und Verhaltungsmaximen fest, die wir später bei ihm finden werden. Man hörte wenig von ihm reden und sah ihn auch nur selten in einem alten grünen Frack über die Straße gehen. Sein Einkommen war zu kärglich, als daß er sich viel hätte zeigen können. Der Vater hatte nichts hinterlassen, und was der Gerichtsvorstand gab, reichte nur zum notdürftigsten Unterhalte. Er soll sich damals schon nach einer Anstellung gesehnt haben, doch zeigte er sich in Veröffentlichung seiner Wünsche jedenfalls sehr vorsichtig, denn es war augenscheinlich noch zu früh.

Das Assessorexamen war endlich auch überstanden, und nach einigen Monaten kam die Note. Es war eben nicht die beste, was Herr Schimmelhauser dem Umstande zuschrieb, daß die Beantwortung der gegebenen Fragen allenthalben aus Büchern habe geschöpft werden müssen, die er nicht zur Hand gehabt. Doch war es eine angenehme Stunde, als das versiegelte Schreiben einlief, und er setzte sich hin und machte seine erste Eingabe.

Um diese Zeit begab sich ein Ereigniß, das die Umstände unseres Freundes wesentlich verbessern sollte. Es starb nämlich der Ehegatte seiner Muhme, und die kinderlose Wittwe, die sich jetzt einsam fühlte in der weiten Welt, trat ihrem Vetter Baptist näher und begann sich mehr und mehr seiner anzunehmen. Bisher hatte sie nicht viel von ihm wissen wollen, denn nach dem Votum, das sie in frühern Jahren im Familienrathe abgegeben, sollte aus dem Jüngling ein geistlicher Herr werden, und da diesem entgegen der Vater darauf bestand, daß er der Justiz geweiht werden müsse, hatte sie sich ihm lange Zeit hindurch fast abhold gezeigt. Jetzt aber fing sie an zu fühlen, daß er doch der Nächste sey ihres Stammes, der Sohn ihres armen Bruders, und so mochte es ihr christlich scheinen, dem Vetter etwas von ihrem Wohlstande zufließen zu lassen. Sie stand, ohne Reichthümer zu besitzen, eben so fern von allem Mangel, als Herr Schimmelhauser nahe daran. Ihr Gemahl war ein Korbmacher gewesen und hatte während seines Daseins so fleißig Körbe gemacht, daß seine Wittwe unabhängig leben und sogar selbst einen austheilen konnte, als es einem jungen Manne einfiel, um ihre Hand zu werben, die sie nimmermehr vergeben wollte.

Als nun eines Tages die Base unsern Baptist auf der Gasse fragte, ob er sie nicht zuweilen in ihrer Einsamkeit heimsuchen wolle, zeigte er sich allerdings etwas verlegen und wußte nicht recht, was er antworten sollte; aber als er sich einmal den Muth gefaßt hatte und hingegangen war, kam er immer häufiger. Er fand bald, daß die böse Base eigentlich eine ganz gute Frau sey, und sie gewahrte mit Vergnügen, daß Vetter Baptist, den sie sich früher so gerne als völlig mißrathen gedacht hatte, ein sehr rechtschaffener Praktikant geworden. So fing sie nun an zu überlegen, wie ihm wohl am sachdienlichsten beizuspringen wäre, und die nahe bevorstehenden Ostern boten ihr gleich die erste Gelegenheit dazu. Am Ostersonntage erwachte Herr Schimmelhauser ganz feierlich in seinem Stübchen, und als er die Augen aufgeschlagen, sah er auf dem Tischchen vor seinem Bett einen neuen Feiertagsfrack auf einem schönen Teller, und als er verwundert, was das zu bedeuten habe – denn er hatte schon seit Jahren keinen Rock mehr bestellt – das schmucke Gewand in die Höhe hob und zur allseitigen Betrachtung näher an sich heranzog, bemerkte er auf dem Teller darunter drei neue Thaler, die ihn hell und freundlich anstrahlten. Ungeduldig rief er nach der Hausfrau, welche schon auf sein Erwachen gewartet zu haben schien, und alsbald hereinstürzend sagte: »Gehört alles Ihnen, Herr Praktikant, ein Osterpräsent von der Frau Base.«

Herr Schimmelhauser lächelte vergnügt, aber bei aller Fröhlichkeit über die Bescherung vergaß er nicht, daß er schon seit drei Monaten den Miethzins schuldig sey, und so nahm er gleichwohl die drei Thaler in die Hand, um sie in die seiner Hausfrau zu drücken, worauf jedoch diese ablehnend erklärte:

»Darf nichts mehr annehmen, weil den Miethzins von jetzt an eine unbekannte Wohlthäterin zahlt.«

Herr Schimmelhauser war nicht wenig erstaunt über diese Worte, verstand aber doch, was sie sagen wollten, und blieb nur noch so lange im Bett, bis er sich auf einen wohlgesetzten Danksagungsspruch besonnen hatte. Dann aber zog er sich eiligst an und spazierte in dem neuen Fracke zu seiner Base, welche mit freundlichem Lächeln seine Rede anhörte und zu wiederholtenmalen ihre Freude darüber äußerte, daß er jetzt so viel gleich sehe. Herr Schimmelhauser ließ sich davon selbst unschwer überzeugen, und es beeinträchtigte auch sein Gefallen an dem neuen Gewande nur wenig, als ihm Abends beim Bier der Schneidersmann, der den Rock gemacht hatte, mit aufrichtiger Gemütlichkeit versicherte, es sey dieß der wohlbekannte Hochzeitfrack seines seligen Freundes, des Korbmachers, den derselbe fünfzehn Jahre lang an allen Sonn- und Feiertagen getragen, was man ihm übrigens gar nicht anmerke, maßen es vortreffliches Brüsseler Tuch gewesen.

Von jetzt an ging es unserm Praktikanten ganz erträglich. Für seine Kleider bot die Hinterlassenschaft des seligen Korbmachers lange hinaus gar trefflichen Nachschuß; um den Miethzins fragte er nimmer, und um seine Wäsche nahm sich die Base so mütterlich an, daß sie nie weniger wurde, indem sie von Zeit zu Zeit heimlicherweise einem abgetragenen Stück ein neues unterstellte. So kam es, daß Vetter Baptist sogar hin und wieder in der Tasche einen überflüssigen Thaler klappern hörte, und dieß regte ihn gewaltig auf. Er verfiel nachgerade in Dinge, die ihm früher nie in den Sinn gekommen; es war, als wenn er jetzt noch am Rande seiner Blüthezeit verlorene Jugendjahre hereinholen wollte, obgleich auf der andern Seite der Gleichmuth, mit dem er seine dahin gerichteten Versuche mißlingen sah, wieder auf die Annahme führen mußte, er trachte, sich nur einmal die Ueberzeugung zu verschaffen, daß er kein Geschick dazu habe, um sich dann desto vorwurfsloser zur Ruhe begeben zu können. So sah man ihn jetzt eines Nachmittags sogar beschäftigt, Billard zu spielen, was er jedoch sogleich gutwillig wieder aufgab, nachdem er vorerst ein Loch in's Tuch gestoßen, dessen Ausfüllung sein ganzes damaliges Vermögen auffraß. Als er dieß verschmerzt, wollte er's mit der Jagd versuchen, ließ sich sofort zu einem Treibjagen einladen, that aber nur einen einzigen Schuß, und setzte auch diese Belustigung nicht fort, weil jener einem Treiber durch den Hut gegangen war. Ebenso mißlich gestaltete sich der Ausgang, der ihm bestimmt war, da er zum ersten Male als Reiter auftrat. Nachdem er eines Abends seinen Wunsch, auch diese Leibesübung zu versuchen, geäußert hatte, versprach ihm der Gastgeber zum goldenen Löwen sein ehemaliges Lieblingspferd, ein betagtes Thier, das mit der Weisheit des Alters eine mädchenhafte Sanftmuth verband. In der That stieg Herr Schimmelhauser eines Nachmittags in den Sattel und ritt, von männiglich angestaunt, zum Thore hinaus. Anfangs ging Alles recht gut, aber der Reiter gewann bald zu viel Vertrauen und ruhte nicht eher, als bis er das Pferd durch allerlei Künste in raschen Trab gesetzt hatte. Seltsam angewandelt von dieser ungewohnten Bewegung wollte Baptist allerdings schnell wieder auf den früheren Schritt zurückkehren, verlor jedoch Steigbügel wie Sitz und konnte sich nur dadurch vor dem Falle wahren, daß er sich fest in die Mähne klammerte, wobei er aber unbewußter Weise mit dem Sporne lebhaft in die Weichen seines Thieres bohrte. Dadurch immer muthiger gemacht, stürzte der Gaul fort und fort über Wies und Feld, bis er zuletzt in dem wohl bekannten Stalle eines nahe gelegenen Dorfwirthshauses seine Ruhe wieder fand, nachdem er den Reiter an der Thüre rücksichtslos herabgestreift. Dieser fand sich zwar nicht bedeutend verletzt, aber doch so schmerzhaft geschunden, daß er dem Wirth zum goldenen Löwen alsbald einen eigenen Boten schickte, er möge ihn mit seinem Einspänner abholen. Herr Schimmelhauser wurde über diesen neuen Unfall zwar vielfältig belächelt, zeigte aber keine Empfindlichkeit, sondern sagte lediglich: »Ich hab's jetzt doch probirt!«

Bald darauf begleitete er die Base, welche mit einer jungen Verwandten ausnahmsweise die Kirchweih eines nahe gelegenen Dorfes besuchte, auf diesem Freudengang, und draußen wurde er in kurzer Zeit so übermüthig, daß er zum erstenmal in seinem Leben auf den Einfall kam, zu tanzen. Die junge Verwandte gab sich willig dazu her, und sie legten ohne sichtlichen Unfall einen vollen Walzer zurück. Aber als er nun seinen Tanzsechser bezahlen wollte und der schnurrige Musikant diesen anzunehmen sich weigerte, weil er doch keinen Takt gehalten habe, freute sich zwar Herr Schimmelhauser über diese Uneigennützigkeit, tanzte jedoch an diesem Abende nicht mehr. Zur Base sagte er: »Ich hab's nur probiren wollen,« und sie ließ sich's gefallen; beim Nachhausegehen aber schlossen sich der Muhme und ihrer Begleiterin noch mehrere junge Mädchen an, welche ein beständiges Flüstern und Kichern unterhielten, das ihn Anfangs allerdings gar nicht belästigte, weil er eben im Mondenscheine daherwandelnd die Frage untersuchte, ob ein Tänzer, der keinen Takt halte, auch nicht gehalten sey, ein Honorar zu bezahlen, und ob, im Falle er eines bezahlt, ihm die Condictio indebiti zustehe. Als ihm aber endlich eine der muthwilligen Schönen den Rath gab, er solle sich versuchsweise heimgeigen lassen, um sein Ohr doch einmal etwas an Musik zu gewöhnen, so wollte ihm dieses fast etwas spöttisch bedünken, und da er an den Umgang mit dem andern Geschlechte nicht gewöhnt und bei der Friedfertigkeit seines stillen Lebens überhaupt nicht geübt war, sich bei solchen Anlässen durch eine rasche Erwiederung schadlos zu halten, so fiel ihm die Rede schwer auf's Herz, noch schwerer aber das darauf folgende Gelächter, in welchem sich die Mädchen gar nicht mehr mäßigen wollten. Er glaubte jetzt zu fühlen, daß es mit diesen Künsten für ihn vorüber sey, tröstete sich aber dennoch, und noch vor dem Einschlafen mit dem Gedanken, es sey gut, daß er jetzt einmal erfahren habe, wie wenig er dazu geschaffen, auch sey dieser Tand nur geeignet, Geld und Zeit aufzufressen, wovon er weder das Eine noch das Andere im Ueberfluß besitze.

Andern Tags kam er zur Base wieder in seiner gewöhnlichen Ruhe, und sagte in Bezug auf den gestrigen Auftritt lediglich:

»Base, jetzt hab' ich ausgetobt; aber versuchen hab' ich's müssen.«

Die Base lächelte und meinte, er hätte früher dazu thun sollen. Er aber schüttelte den Kopf und sagte:

»Solche Sachen taugen nicht für den Geschäftsmann.«

Mit diesem Tage war Herrn Schimmelhausers Flegeljahr zu Ende, und von jetzt an floß sein Leben wieder, wie es vorher gethan, leisen Zuges dahin, ohne Unfall und Mißgeschick; nur wurde es jetzt, wenn möglich, noch abgemessener, als ehedem, und was früher noch etwa der Willkür und einem augenblicklichen Einfall preisgegeben war, das zog er nun gleichmäßig in feste Regeln. So finden wir uns denn auch im Stande, bei dieser Epoche angekommen, ein genaues Bild seiner Tagesordnung zu geben, und wir wollen uns dieses Vergnügen, in Anbetracht ihrer Wichtigkeit für unsere Erzählung, denn auch nicht versagen.

Herr Schimmelhauser also verließ tagtäglich sein Lager um halb acht Uhr; er war kein Freund der Morgenröthe, behauptend, wenn man überhaupt auf derlei Dinge Werth legen wolle, so thue die Abendröthe die nämlichen Dienste, und zog sich dann gemächlich an, so daß er mit dem Schlag acht in seine Kanzlei trat. Dort verlebte er in Amtsgeschäften den Vormittag, wartete in Ruhe den ersten Klang der Mittagsglocke ab, spritzte seine Feder aus und ging in den goldenen Löwen zum Essen. Hiezu gönnte er sich nur eine halbe Stunde Zeit, und nach Tische begab er sich Sommer wie Winter auf den Spaziergang um die Stadt herum, wobei er abwechselnd einen Tag zum obern, den andern zum untern Thore hinausging. Seine Wanderung endigte in dem Häuschen seiner Base, welches das letzte der Vorstadt war, dort erwartete ihn ein Glas Bier, dem er aus eigenen Mitteln eine Pfeife Tabak beifügte. Hier blieb er an dem runden eichenen Tisch vorne am Fenster sitzen, bis es drei schlug. Eigentlich sollte er schon um zwei Uhr wieder in der Kanzlei seyn, aber der Gerichtsvorstand hatte ihm schon lange, wegen seines Fleißes in den übrigen, diese eine Stunde geschenkt. Von da an saß er wieder emsig auf seinem Drehstuhl bis sechs Uhr, und dann ging er nach Hause, um dort bis sieben Uhr zu verweilen.

Er las da, je nachdem es kam, das Regierungsblatt, das er später, wie wir hören werden, excerpirte; dann fütterte er eine Grasmücke, welche er einst im Garten der Base gefangen; zuweilen blickte er ausruhend zum Fenster hinaus, meistentheils aber war er mit Schreibereien beschäftigt. Entweder rechnete er seine eigenen Ausgaben zusammen und stellte sie zum Behuf des Monatschlusses in übersichtliche Ordnung, oder er faßte Gratulationsbriefe für Namens-, Geburt- und Neujahrstage ab. Einige davon gingen an einen Pfarrer, der sein Firmpathe war, andere waren für die Base bestimmt, der er in späteren Jahren nicht mehr mündlich gratuliren wollte, weil er in seiner kurzen Festrede einmal gestockt hatte, so daß sie ihm darauf helfen mußte, und wenn's auf den Namenstag des Gerichtsvorstandes zuging, so war sein Tisch voll verschiedener Briefsteller, und er hatte es, so zu sagen, recht hart; denn er mußte nicht allein für seinen eigenen Bedarf einen Glückwunsch anfertigen, sondern auch für sämmtliche Kinder seines Vorstandes, welche um diese Epoche von dessen Frau immer ihm zugewiesen wurden. Endlich verfaßte er auch alle Quatember seine Bittschrift um eine Anstellung, so daß er also des Jahres viermal mit der Bitte, ihm doch auch etwas zu leben zu geben, ehrfurchtsvollst »erstarb«.

Um sieben Uhr brach er auf nach dem goldenen Löwen, wo er bis zur Polizeistunde blieb und drei oder vier Gläser Bier trank. Er hatte da seinen ausgemachte Platz, den er schon seit Jahren besetzt hielt. Er liebte ihn sehr, diesen Platz, und wenn es vorkam, daß ein Unberufener sich darauf gesetzt hatte, so bemerkte er es gleich beim Eintritte und sagte: »So eben wird mir übel,« und ging nach Hause. Darauf ließ er sich seinen Abendtrunk auf die Stube holen und dachte über Rechtsfälle und Anstellungen nach, aber immerhin nahm er es sehr mißfällig auf, wenn ihm in dieser Art der Abend vergällt worden war.

Baptist's Anhänglichkeit an das Gasthaus hatte etwas Rührendes. Obgleich ihm der Wirth zum goldenen Löwen nie einen andern Dienst erwies, als daß er ihm gegen Entgelt sein Bier zu trinken gab, welches oft schlecht genug war, so lebten in ihm doch ganz die Gesinnungen jener ergrauten, treuen Diener alter Häuser, und er meinte seiner Pflicht zu fehlen, wenn er nicht Jahr aus Jahr ein an seinem langhergebrachten Platze säße. Beim Biere war er im Allgemeinen stille, und nur wenn Einer etwas Dummes sagte, lachte er; dagegen mischte er sich gerne in das Gespräch, wenn von Rechtsfällen die Rede war. Zuweilen auch, wenn der Goldarbeiter Fingerling und der Uhrmacher Scheurer am nächsten Tische über Preßfreiheit oder Oeffentlichkeit und Mündlichkeit sich unterredeten, blickte er bedauerlich hinüber und sagte mit Achselzucken ungefähr: »Fatal ist's doch, daß der Bürgerstand gar keinen rechten Leitfaden hat. So discurrirt er oft in den Tag hinein und kommt dann leicht in Untersuchung. Dem Beamten dagegen, wenn er denkt, was ihm vorgeschrieben ist, kann Niemand etwas anhaben, weder der Vorgesetzte, noch der Mitbürger.« Um eilf Uhr endlich ging er ruhig nach Hause, legte sich zu Bette und schlief ununterbrochen fort bis andern Tags halb acht Uhr; denn er hatte einen sehr gesunden Schlaf.

Der Vollständigkeit wegen müssen wir noch berichten, daß an Sonntagen eine Ausnahme von dieser Tagesordnung eintrat, indem er dann Morgens mit einem Gebetbuche, das er von der seligen Mutter ererbt hatte, in die Kirche ging, nach Tische aber, statt einmal, zweimal um die Stadt lustwandelte, Nachmittags endlich, statt in die Kanzlei, sich in den goldenen Löwen begab, um die Andern Billard spielen zu sehen. Wenn ihn da Einer im Spaß oder Ernst aufforderte, auch einmal eine Partie mitzumachen, so wies er lediglich auf jenes Loch hin, welches er vordem hineingerannt hatte, und schwieg. Für Reiten, Billardspiel, Tanzen und solchen Zeitvertreib war demnach keine Stunde ausgesetzt und sohin, wie oben bemerkt, keine Rede mehr davon. – Er vermißte, wie wir bestimmt wissen, diese Dinge nicht; aber auch die Lectüre nahm ihm keine Zeit weg. »Ich hab's öfter probirt mit dem Bücherlesen, pflegte er zu sagen, aber bei mir geht das Ding nicht. Was haben wir denn auch für Bücher? fragte er dann vorwurfsvoll. Sie geben ja nichts Gescheidtes heraus; hab' auch noch nie gehört, daß sich ein vernünftiger Mensch zum Bücherschreiben herbeiläßt. Da machen sie zum Beispiel Gedichte. Ja, wenn ich was phantasirt haben will, phantasir' ich mir lieber selber was vor. Oder die Reisebeschreibungen? was hilft's mir denn, wenn ich von der neuen Welt was lese und komme nie hin? Was helfen mir denn die Menschenfresser? Und die sogenannten Rittergeschichten? wenn sie wahr wären, ja! aber etwas Erlogenes, das mag ich nicht; da reut mich die Zeit. Und was man sonst aus den Büchern brauchen könnte, ich hab's schon oft gesagt, das ist alles Sache der Parteien. Die werden's einem schon beibringen, wenn man's wissen muß.«

Unter Allem, was seine Zeit ausfüllte, war Herrn Schimmelhauser der Nachmittagsbesuch bei der Base das Liebste. Da durfte er sich am unbefangensten herauslassen über seine Hoffnung auf eine Assessorsstelle, welche immer sehnsüchtiger wurde, und hier konnte er auch die schwierigsten Rechtsfälle vortragen, für die er im goldenen Löwen kaum mehr ein offenes Ohr gefunden hätte. Ihr erzählte er auch alle Auftritte, die sich Abends vorher beim Abendtrunke zugetragen hatten, und es freute ihn, wenn sie nochmals belächelte, was ihm Tags zuvor schon so lustig vorgekommen war. So sagte er zum Beispiele:

»Gestern haben wir wieder einen Hauptspaß gehabt mit dem jungen Praktikanten da, indem derselbe meinte, der von einer Weibsperson verklagte Liebhaber dürfe die exceptio plurium etc. nur so obenhin entgegenschützen, ohne eine Person zu nennen, während doch schon lange ausgemacht ist, daß er seinen angeblichen Nebenbuhler namhaft bezeichnen muß. Das hat uns viel lachen gemacht.« –

»Ja, das muß lustig gewesen seyn,« sagte dann die Base, »so viel weiß ich schon.«

Hiezu lächelte sie höchst vergnügt; er dagegen freute sich, daß sie die Unkenntniß des Praktikanten so erheiternd fand. »Ja, ja,« so konnte er dann fortfahren, »die Rechtsgelehrsamkeit ist keine Wissenschaft, die man so auf Spaziergängen oder beim Kartenspiel erlernen kann – das will studirt seyn. In neuerer Zeit gehört fast gar zu viel dazu: so nicht allein das römische Recht und der gemeine Civilprozeß, sondern auch das Landrecht und die Gerichtsordnung, die Strafgesetzgebung, das Staatsrecht –.« – »So wie auch,« fiel die Base ein, »das Kirchenrecht und die verschiedenen Novellen.« – »Nun, Ihr wißt's ja fast schon besser als ich,« sagte dann der Vetter aufmunternd und begann allenfalls ihr den Zusammenhang dieser verschiedenen Disciplinen, so weit er ihm geläufig war, auseinander zu setzen oder ihr zu erklären, was die Gerichtsordnung und die Novellen an dem gemeinen Civilprozesse geändert haben.

Indessen war die Unterhaltung nicht gerade alle Tage juridischen Inhalts, sondern mitunter beherrschte auch die Base das Gespräch und brachte es auf Gegenstände, die ihr näher lagen. Die Frauen sprechen am liebsten von dem, was sie am innigsten berührt, von Liebe und Hochzeiten, und auch die Base verirrte sich am allerersten in diese freundlichen Gefilde jugendlicher Wonnen. Leider war aber Vetter Baptist schwer bei solchen Dingen festzuhalten. Er hielt nämlich nicht viel auf das andere Geschlecht, nicht etwa wegen unangenehmer Erfahrungen, die er dabei erlebt, sondern wohl nur weil er es nicht kannte, und jetzt auch keine Zeit mehr hatte, es kennen zu lernen. Wenn das überhaupt ein Umstand war, der seiner ständigen Seelenruhe nur förderlich seyn konnte, so darf man denen, die ihn etwa gern anders gewünscht hätten, auch nicht verhehlen, daß gerade an diesem Gerichtssitze sich keineswegs die beste Gelegenheit bot, weibliches Wesen von der günstigsten Seite zu beschauen; denn die Frauen standen einander daselbst in zwei großen feindlichen Heerlagern gegenüber, die sich Jahr aus Jahr ein mit Wortpfeilspitzen bekriegten, welche vergiftet waren. Etliche Jahre vorher hatte man nämlich der Frau Revierförsterin, einer jungen Dame, damals von neunzehn Frühlingen, aus der Residenz ein Häubchen geschickt, welches die Blößen ihres dunkeln Haarwuchses, der durch längere Krankheit vorübergehend gelitten hatte, so meisterhaft verdeckte, daß ein junger Forstamtsactuar, der leichtsinnige Herr von Stritzel, ihr vor allen Leuten das indiscrete Compliment machte, jetzt sey sie wieder weitaus die schönste Frau in dem ganzen Burgfrieden. Die Frau Landrichterin hatte dies mit angehört und sich auf der Stelle das nämliche Häubchen kommen lassen. Allein schon bei der ersten Probe fand sie mißliebig, daß es Sommersprossen und großen Mund gleichwohl nicht verhülle, und während sie sich so gestehen mußte, daß ihre junge Freundin ungemein gewonnen habe, erlangte sie die traurige Gewißheit, daß bei ihr Alles so geblieben wie es vorher gewesen. Seit der Zeit ging die Zwietracht auf zwischen den beiden Damen – sie betraten nie wieder die nämliche Promenade, nie mehr denselben Wirthsgarten, sie vermieden sich selbst in der Kirche.

Die Landrichterin riß die ältere Frauenwelt zu sich herüber und schleuderte bitteres Gift auf den Ruf der Revierförsterin; zu dieser aber hielten mannlich ihre jüngern Freundinnen und stellten im Einklang mit ihr die Vorgesetzte als einen gräulichen Drachen dar, der nur in Besudelung jugendlicher Charaktere schwelge. Ihre Fahne war die siegreiche – Jugend und Schönheit haben immer etwas voraus – und überdieß war ihren Farben an dem feurigen Herrn von Stritzel ein Vorkämpfer geworden, der es mit dem Schwerte seiner Zunge allein schon mit den erlesensten Heldinnen des andern Lagers aufnahm.


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