Ludwig Steub
Novellen und Schilderungen
Ludwig Steub

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Eine Woche am Bodensee.

Im Frühling 1850.

I.

Von Augsburg bis ins Allgau hinauf begleitete uns damals das abscheulichste Wetter; aber als wir in tiefer Nacht über die Lindauer Brücke rollten und erwachend nach dem Himmel auslugten, waren alle Schneewolken abgezogen, und die Sterne funkelten in hellem Glanze. Um aber vom Wetter abzukommen, so ist es bekanntlich eine sehr interessante Streitfrage, ob die Insel, auf welcher Tiberius bei der Belegung der Rhätier sein Castell gebaut, für Reichenau oder für Lindau (mit seiner Heidenmauer) zu halten sey. Indessen läßt man jetzt in letzterer Stadt diesen alten Hader gutmüthig liegen, und beschäftigt sich desto eifriger mit Reederei und Küstenschifffahrt, so daß die Lindauer im Sommer ihre bayerische Flagge selbst unter den Wällen von Schaffhausen wehen lassen. Wenn nun der Wanderer sieben lange Jahre vom Leben auf den Wassern nicht mehr gesehen als Isarflöße und die Einbäume auf dem Würmsee, so begrüßt er mit geziemender Freude die schnellen Dampfer mit ihrem schlanken Leibe, die da im Port so heimlich aus- und einfahren. Auch sieht er da noch manches Andere, wovon man sich zwischen München und Fürstenfeldbruck nichts träumen läßt, wie Hafenbauten, Baggermaschinen, Schiffswerfte, Leuchtthürme &c. Selbst von Matrosen hört man ganz ernsthaft sprechen und von Schiffskapitänen, gleichsam als säße man am Strand der Nordsee bei einem Austernfrühstück. Nicht minder weichen die alten »Lädinen«, diese Ostindienfahrer des Bodensee's, die schon Tiberius kopfschüttelnd betrachtet, nicht minder weichen auch sie dem neuen Geiste der über diesen Wassern schwebt, und gehen in den modernen Lastschiffen auf, welche, elegant und schön betakelt, nach den besten Hamburger Mustern gebaut sind. Und endlich, was ein empfindsames Herz so sinnig anspricht, der edle Theergeruch an diesem Hafen, der unmittelbar vom Weltmeer hereinzuduften scheint, und die Gedanken auch wieder hinausträgt so weit die deutsche Flagge weht, und sie verrinnen läßt zu einem ungeheuern Welttraum von deutscher Bedeutung und Wichtigkeit, von Nationalreichthum und kosmischem Güterleben!

Wer übrigens in diesen Tagen an den Bodensee kommt, der findet die Gemüther wie umgestülpt. Alle großen und gefährlichen Ideen scheinen auf leichten Schwingen davongezogen, und man hört kein Wort von den mächtigen Fragen welche Deutschland erregen, weder in den Weinschoppen noch in den Gasthäusern, nicht auf den Dampfbooten, nicht am Familientische. Die Lindauer sind so getreu wie je, und brüten nur über einem zweifachen Räthsel: warum man nämlich den Bürgern monatelang Einquartierung beschert und die Kaserne leer gelassen, und warum sie damals der General F.* so entsetzlich angefahren habe. Letzteres namentlich hätten sie nur im Bewußtsein ihrer Unschuld so ruhig ertragen können, sonst aber in keinem Fall. Uebrigens haben die unaufhörlichen Märzbewegungen das alte schwäbische Lindauer Bataillon, das sich seit den Kriegszeiten selbst an den Seewein gewöhnt hatte, bis nach Lohr in Unterfranken geschoben, und dafür liegen jetzt altbayerische Krieger von Passau in Besatzung. Von Spannung aber fühlt man nichts, da der gemeine Mann so zu sagen »ein guter Kerl« ist, und die Offiziere von Anfang an erklärt und bisher gezeigt haben, daß sie mit den Bürgern angenehme Freundschaft pflegen wollen.

Auch Bregenz liegt nicht weit von Lindau, stolz auf seinen Gebhardsberg, der die unendliche Fernsicht über den See und über alemannisches Hoch- und Flachland bietet. An einem hellen Sonntagsnachmittag ward selbst dieser Stadt ein Besuch gemacht auf einer Landstraße, die, sobald sie den kaiserlichen Boden erreicht, eine Zierlichkeit entfaltet, wie wir sie »im engern Vaterlande« schwer wieder zu finden wüßten. Uebrigens ist jetzt zwischen Lindau und Bregenz dasselbe herzliche Einverständnis wie zwischen Ludwig von der Pforten und Felix von Schwarzenberg. An jenem Tage war es auf dem langen Wege wie ein eifrig und inbrünstig gepflogener Bittgang von lauter österreichischen Infanteristen, welche ihr Vaterland auf einige Stunden verließen, um in den Schenken und Brauhäusern auf der bayerischen Seite sowohl ihren Durst zu löschen als konstitutionelle Ideen auszutauschen. Auch der Winter verging sehr lustig bei dieser Freundschaft. Noch am Anfang des Märzen erzählte man von den Bällen welche die Helden von Oesterreich den Fräulein vom See bereitet, und selbst jetzt soll man auf dem Casino zu Lindau noch leicht die seelenvolle Harmonie entdecken, welche zwischen den Schönen und Tapfern von dies- und jenseits lieblich nachdauert.

So viel ist übrigens richtig, daß jetzt in Vorarlberg eine ehrfurchtgebietende Armada beisammensteht. In Bregenz war auf den Straßen kaum durchzukommen vor Soldaten, und weiter hinein in Dörfern und Flecken soll man sich auch schwer rühren können. Außerdem ist noch der Bau eines Hafens zu erwähnen, der sehr stattlich zu werden verspricht, jedenfalls schon angelegt für die Zeiten, wo die Zollschranken gefallen seyn werden, denn bis jetzt liegt das Städtchen nicht innerhalb der großen Verkehrslinien des See's. Die Stimmung der Bewohner war natürlich in zwei Stunden, während welcher man sich wenig mit ihr abgab, nicht leicht herauszufinden. Die Beamten schienen zu hoffen, es werde denn doch einmal wieder gehen; das Ministerium sey ungeheuer thätig und so schnell im Fortschritt, daß der Untergebene kaum mehr nachkomme. Das übrige Publikum schien etwas zaghaft und verstimmt wegen Einquartierung, Papiergeld, drohender Steuern &c.

Vorarlberg ist bekanntlich ein Land voll gescheiter Leute, die zum Theil sehr reich sind, große Fabriken besitzen und weite Reisen machen, mit mannigfaltigen Ideen und der Kenntniß fremder Zungen behaftet. Früher war das Gebiet eine Art Afterrepublik unter habsburgischer Zucht, welche bei so großer Ferne in nachsichtige Gemütlichkeit ausartete. Die Fürsten und Herren, welche ehedem dieses rhätische Vorland ziemlich schlecht bewirtschaftet, wurden schon vor langen Zeiten von dem Erzhause ausgekauft, und so hat das Ländchen von den Vorzügen einer hohen Aristokratie keine Erinnerung mehr, jetzt auch keine Begier darnach. Es gefällt sich vielmehr möglichst demokratisch einherzugehen, und zeigte im Jahr der großen Erhebung einen schönen und rühmenswerthen Zug nach einem großen, deutschen Vaterlande, welches leider zur Zeit noch Vorarlberger und Nichtvorarlberger vergeblich suchen. Der Unterschied zwischen Herr, Bürger und Bauer scheint hier sogar im äußerlichen einer Ausgleichung sehr nahe. Die Landleute gucken jetzt sogar ins Modejournal, um sich Sachdienliches herauszunehmen. Die jungen Bauernweiber und die Mädchen kommen mit Hüten in die Stadt vom selben Schnitte wie die der Kreispräsidentin, nur von wohlfeilerem Zeuge – Halbhüte heißen sie – und den gebräunten Nacken deckt ein langer Shawl. Man kann nicht sagen daß dies übel aussieht, aber doch bin ich darob »verhofft«. Ich glaube es war die Eifersucht des »Gebildeten«, daß sich die Andern nun auch gebildet kleiden wollen, und sohin fast ein schnödes Gefühl. Seyen wir also nicht zu bedenklich über diese Erscheinung, und wenn wir eine junge Bauerndame von Bregenz mit Halbhut und Shawl, und eine frische Miesbacherin mit Mieder und Spitzhut vor uns haben, so laßt uns keine derselben durch Zurücksetzung kränken, vielmehr beide freundlich willkommen heißen.

Selbst gen Constanz ist man gefahren, fast nur aus Patriotismus, aus dem Streben sich an Allem was das Vaterland Großes und Schönes hat, zu erbauen, dießmal nämlich an dem herrlichen Heere, an dem dunkelblauen Bollwerk Deutschlands. Das hab' ich immer als eine meiner wenigen Tugenden anerkennen müssen, daß ich selbst die Preußen gern habe, und diese Zuneigung auch widerstrebender Umgebung mitzutheilen suche. Ueberhaupt, wenn uns nicht, wie man euphemistisch sagt, »die Geschichte« auseinanderhielte, man könnte fast zur Einsicht kommen, daß die gegenseitigen Stammeseigentümlichkeiten einander eher anziehen als abstoßen. Also um die Preußen zu sehen in ihrer Pracht, stand ich auf dem Dampfboot, das gegen Westen fuhr, nach dem uns glücklich erhaltenen Großherzogthum Baden. Es war ein elegischer Abend, wo der See schon schlummerte noch ehe es Nacht war, und eine feurige Wolke, halb so groß als der Abendhimmel, über der Schweiz hing, und der Kirchthurm von Uttwyl ganz schwarz in die Gluth hineinstieß. Die Dörfer und Städte auf dem fernen deutschen Ufer verloren sich mälig in die blaue Finsterniß, während die Häuser und Schlösser auf dem eidgenössischen ihre Lichter anzündeten, die Abendglocken läuteten und die beschneiten Berghäupter von Rhätien und Helvetien ein zartes Alpenglühen überkam. Der Dampfer ging tiefathmend seinen Weg durch die spiegelglatte Fluth, immer abendwärts, und zuletzt stiegen wir in der That bei finsterer Nacht zu Constanz auf den Damm, wo die Pickelhauben – mein Reiseziel – unserer warteten.

Eine Pickelhaube ist aber wirklich ein schwarzlederner Sturz über einen preußischen Kopf, trägt vorne einen Adler und verjüngt sich oben in eine metallene Spitze. Sonst ist die Pracht der Kriegsgewänder etwas abgetragen, und es scheint seit dem badischen Feldzuge nicht mehr viel dafür geschehen zu seyn. Das Regiment ist aus der Gegend von Magdeburg, und gilt im Ganzen für wohlerzogen und sittsam. Die Offiziere gestatten Annäherung im Museum, gehen aber sonst nicht mit den Bürgern um. Nach verlässigen Angaben ist man mit den Preußen als Quartierleuten im badischen Oberlande nicht übel zufrieden. In Vorarlberg lobt man auch die Oesterreicher, freilich mehr die aus deutschen Ländern als die andern. Ebenso haben die Bayern am Untersee und im Schwarzwald ein gutes Andenken hinterlassen, und es ist eine wahre Geschichte, daß sie ihre Freistunden hergaben um den Knechten und Dirnen in Hof und Feld zu helfen, wofür sie dann manche Freundschafts- und Liebesdienste zurückerhielten. Anmaßender und begehrlicher seyen die Württemberger und über diese noch die Hessen gewesen, weil der Dünkel desto größer sey, je kleiner die Armee.

Constanz ist nicht arm an Merkwürdigkeiten. Das große Concilium goß einen soliden Heiligenschein auf das bescheidene Seestädtchen, das seitdem nach allgemeiner Meinung freilich immer mehr heruntergekommen ist, und wie schon der griechische Weltweise bei Jacobs vorhergesagt, jene kurze Zeit der kirchlichen Wollüste mit langer Verkümmerung bezahlen mußte. Auch das Haus wird gezeigt, wo Barbarossa mit den lombardischen Städten seinen Frieden schloß, nun ein Weinhaus, in dem man noch jetzt eine Flasche guten feurigen Barbarossa trinken kann. Nicht minder ist die Herberge anzumerken, wo Johannes Huß gewohnt. Die Stelle, auf der der fromme Held verbrannt worden, war viele Menschenalter hindurch vergessen oder wenigstens bestritten, ist aber jetzt durch Professor Josua Eiselin wieder glücklich festgestellt, und liegt in dem Gartenland vor den Thoren, nicht weit von dem Plane, wo Herzog Friedel von Tirol sein »Gestech« hielt, um Johann XXII. unbeachtet aus der Stadt zu bringen. Den Weg zur Wiederfindung wies die Chronik Herrn Ulrichs v. Reichenthal, der damals zu Constanz lebte und die traurige Feierlichkeit mit vielem Fleiße beschrieben hat. Dieses Zeitbuch, vor langen Zeiten einst gedruckt, ist jetzt wieder fast verschollen und sollte jüngst neu aufgelegt werden, was aber wegen der Kostspieligkeit des Unternehmens nicht auszuführen war. Es wird auf dem Stadthaus mit großer Freundlichkeit gezeigt, und enthält viele leidliche Malereien, die den Hergang der Dinge sehr angenehm verdeutlichen. Wer nicht Muße hat das ganze Buch zu lesen, der läßt sich doch die Stelle zeigen wo Hussens Gericht beschrieben wird. Da kommt er selbst auch mehrmals vor im Conterfei mit blonden lockigen Haaren, bleichen Antlitzes und ohne Bart; die Worte aber, die sein Martyrium schildern, nachdem er auf dem Scheiterhaufen stand, lauten wie folgt: »Und wolt angefangen haben zu predigen in tütsch, das wolt ihm Herzog Ludwig (von der Pfalz) nit vergunen und hieß ihn brennen. Da nahm ihn der Henker und band ihn mit Schuh und Häs und zündt das Feuer an. Da schrie er vast und was bald verbrunnen.«

In historischer Feierstimmung ging ich nun an das Thor und behändigte der Wache ein vortreffliches Certifikat über die Unschuld meines Reisezweckes, welches man mir in Lindau als einen Talisman übergeben hatte, erntete aber damit nur Zurückweisung. Das wissen nämlich die wenigsten, wie streng es jetzt die Constanzer Preußen mit diesen Urkunden halten. Schon des Tags zuvor war ich auf der Stadtkommandantur gewesen, um sicheres Geleit zu haben, und hatte wegen des großen Zudrangs gegen drei Viertelstunden gewartet. Eine Menge Eidgenossen niederen Schlags standen da, alle mit hocherhobenen Zettelchen vor den Barren. Ein schöner Jüngling und Lieutenant wandelte die schweizerischen Gäste in preußischer Sprache ab; ein badischer Offiziant vermittelte das Verständniß wenn es zu leiden schien. So bekam zuletzt ein Jeder sein Papier zurück und ging gemüthlich seiner Wege ins Freie – bis auf mich, der's zum andern Morgen versparte, und dem dann der Soldat am Thore bedeutete, daß kein Ausgang gestattet werde. Umstempeln, sagte er, müssen sich umstempeln lassen, weil das Visa von gestern ist. Zog also verdrießlich abermals auf die Commandantur, wo schon wieder ein anderer Lieutenant am Visirtische stand und gnädig seine Schuldigkeit that. Derweilen war aber das Dampfschiff reisefertig geworden, und ich eilte was ich konnte auf sein freies Deck – once more upon the waves – und es war mir als wäre ich glücklich aus der Hausvogtei entkommen; versparte auch den Besuch bei Hussens Todtenmal auf schönere Tage, wo es den Preußen nicht mehr die Dienstpflicht gebieten wird so beschwerlich zu seyn. Diese Quälerei ist übrigens so gleichheitlich ausgetheilt, daß sie Jeden trifft, die Einwohner wie die Fremden, und daß die reicheren Schweizerbauern, die sonst so viel Hausbedarf in Constanz holten, den Burgfrieden der Stadt fast nicht mehr betreten. Die Bürger nehmen das auch sehr schwer, und Einer meinte, wenn die Gewalthaber nur fünf Minuten darüber nachdenken wollten, was das für ein Schaden sey, so müßte es bald anders werden. Die Beamten dagegen, die vom besten Geiste beseelt sind, behaupten, jetzt könne man doch wieder einmal regieren. Einer derselben war so tief durchdrungen von den Vorteilen dieses Zustandes, daß er die Hypothese aufstellte: um sie einzusehen brauche man von den gewöhnlichen fünf Sinnen nicht mehr als ihrer drei, und für jeden Mann der badischen Ordnung sey es unausstehlich gewesen, wie vorm Jahr die junge Schweiz alle Sonntage herübergekommen und in allen Wirthshäusern die unfläthigsten politischen Toaste ausgebracht. Jetzt sey dem vorgekehrt, und kein Schaden, daß die herrlichen Preußen einen Appenzeller Kuhhirten unter Pönitenz gestellt, weil er ein Scharlachleibchen trug, und einem Schiffskapitän verboten, mit seinem rothen Griechenfesi ferner an Bord zu prunken. Einen jungen Bayern soll man auch wegen winzigen Rede-Exzesses auf Wochen gen Rastatt geführt haben. Gar gefährlich ist es insbesondere ungünstig von dem König von Preußen zu sprechen, was in Bayern doch Vielen zur andern Natur geworden.

II.

In Rorschach ist ganz anderes Leben – es stehen zwar auch drei Landjäger am Hafen, aber das ist nur Zierrath, sonst weit und breit keine Uniform. Dieser Flecken ist am See das vornehmste Emporium der Schweiz, daher voll Regsamkeit. Manches Republikanische fällt dem Beobachter auf – so schon die Wirthshäuser, wo die süddeutsche Unterscheidung in Zech- und Herrenstube verschwindet, und den freien Männern, sey auch der Stand verschieden, doch Wind und Sonne gleich vertheilt werden. Es herrscht hier nicht der Schmutz des zerrissenen Bodens, zerbrochener Scheiben und rauchiger Vorhänge, sondern die freundliche Behaglichkeit einer gutgehaltenen Wohnstube mit reinlichen Tischen und hellen Fenstern auch für den gemeinen Mann. An den Wänden weniger schlechte Heiligenbilder, sehr selten die abgedroschene Geschichte der heiligen Genofeva und des verlornen Sohnes, aber desto mehr Landkarten, Stadtpläne, hübsche Lithographien, Bildnisse bedeutender Männer. Außerhalb des Fleckens sieht man fleißig gebaute, mit Obstbäumen bepflanzte Felder, eine treffliche Straße und hohe, stattliche, mit dem glänzenden Schuppenpanzer bekleidete Bauernhäuser.

St. Gallen aber, die Stadt des heiligen Gallus, ist ein gar erquickendes Bild, und zeigt wie Freiheit, Fleiß und Bildung den Menschen heben und auf dieser Welt fast schon glücklich machen können. Diese Sauberkeit der äußern Erscheinung hat man in deutschen Ländern nur selten wahrgenommen. Die Häuser, alle so blank geputzt, so wohlständig, so zufriedenen Aussehens, wetteifern in heiterm Glanze mit den Palästen, welche für Schulen, Spitäler und derlei öffentliche Anstalten erbaut sind. Man glaubt bei jedem Tritte zu merken, daß auch der letzte Pfennig des öffentlichen Seckels, ja selbst die »Erübrigungen« zum wohlverstandenen Heile des steuernden Bürgers verwendet werden. In den Bergschluchten außerhalb der Stadt, wo die Gewässer von den Höhen herunterstürzen, stehen prächtige Fabrikgebäude, eines über dem andern zwischen Gärten und kleinen Hainen. Auf den Gassen bewegt sich fleißig eine gutgekleidete Bevölkerung verständigen Aussehens, und wenn man nach einem Hause fragt, so gehen die Leute als Wegweiser mit bis vor die Thüre. Außerdem herrscht große Sicherheit des Eigenthums, und man hört nicht daß in der guten Gesellschaft Regenschirme und Mäntel »mitgenommen« und im Lesezimmer Bilder aus den Büchern geschnitten werden. Vieles entbehrt man freilich, wenn man aus unsern deutschen Großstädten kommt, z. B. die Wachparade und den Zapfenstreich, die Livreebedienten und die Kammerjunker, die Hof- und die Reichsräthe u. s. f., aber wie leicht werden uns diese Entbehrungen, wenn nur der erste halbe Tag überstanden ist!

Sonderbar klingt es, daß ohne großartigen Kunstbetrieb allenthalben zu Stadt und Land ein Streben nach Eleganz und schönen Formen für Haus und Stube bemerkbar wird, während anderswo Bürger und Bauer um die »monumentalen Schöpfungen« so gedankenlos und ungelehrig herumtrollen, wie der egyptische Fellah um seine Pyramiden. Was die Menschen betrifft, so kann man nicht gerade ebenso von Eleganz und schönen Formen sprechen, aber man bewegt sich in freundlichen, zweckmäßigen Manieren ohne überflüssige Süßigkeiten. An der Wirthstafel im Löwen, wo doch auch große Männer da waren aus dem Kanton, war keiner in seinem Benehmen jenem Würdenträger zu vergleichen, der etliche Jahre lang im bojoarischen Hof zu Ix Ix Jeden mündlich abraufte, den das Unglück in seine Nähe führte. Uebrigens haben sich die St. Galler wie die andern Schweizer um die Würde und Hoheit eines großartigen Beamtentums muthwillig selbst gebracht, da sie ihre Obrigkeiten auf kurze Jahre wählen, den allerwenigsten einen Gehalt und keinem eine Pension geben. Selbst die Richter werden durch alle drei Instanzen nur auf Zeit erkoren, gelehrte und ungelehrte durcheinander, brauchen auch kein Gesetzbuch. Was hätte man da in Bayern seit Wigulejus von Kreitmayr an herrlichen Talenten ersparen können, wenn sie so betrieben worden wäre die Jurisprudenz, dieser, wie Johannes Loredanus sagt, scopulus fatalis celeberrimorum ingeniorum et oceanus qui sublimissimos spiritus absorpserit. Freilich wird im Ausland zuweilen angenommen, die schweizerische Rechtspflege bethätige sich überhaupt mehr in väterlichen Ermahnungen als in ernstgemeinten Aufträgen, und es sey nicht so leicht zu dem Seinigen zu kommen, aber sollte es nicht auch andere Länder geben, wo die Rechtsgelehrsamkeit in tropischer Blüthe steht, und wo gleichwohl die theuern Gerichte durch Gesetz und Praxis, durch Richter und Advokaten, und durch die Schelmerei der Parteien selbst nur groteske Asylanstalten werden, immer beschäftigt den Schuldner vor dem Gläubiger zu bergen – ungefähr das gerade Gegentheil von dem was sie seyn sollen und wofür sie bezahlt sind?

So viele Nachtheile indeß diese Beamtenlosigkeit herbeiführen mag, eine schöne Folge ist ihr nicht abzusprechen, nämlich der höfliche und rücksichtsvolle Umgang der Obrigkeiten mit den andern Leuten, welche in diesem Jahre zufällig keine Obrigkeit geworden sind. Sah man doch des Abends einen guten Theil des jetzt versammelten Großraths beim Hirschenwirth, und konnte sich nur freuen über das angenehm manierliche Wesen dieser Herren, welche vielleicht an gesundem Menschenverstand ebenso weit voraus, als an Grobheit zurück sind hinter den bekannten ultramontanen Parlamentsrhetoren zu Derwischabad. Daß man auch sehr wenige Abgaben bezahlt, wollen wir gar nicht erwähnen, um nicht verlarvter Wühlerei beschuldigt zu werden.

Nun hat zwar allerdings auch die Schweiz ihre Gegenden, wo die Menschheit und ihre Cultur sich nicht viel anders darstellt als zwischen Feldmoching und Ampermoching im rechtgläubigen Altbayern, und solche zurückgebliebene Gegenden sollen leider die katholischen Kantone seyn. So ergäbe sich denn, daß gerade calvinistische Ansichten vom Uebersinnlichen auf einem kleinen freien Gebiet die meisten Chancen bieten für bürgerliches Glück und gedeihlichen Haushalt auf Erden. Freilich muß dies vielleicht mit ewiger Verdammniß gebüßt werden, und schon aus diesem Grunde ist den Deutschen nicht zu rathen calvinisch zu werden und Germanien in fünfhundert Kantone zu zerschlagen, wenn auch die Mission, die uns geworden, jene deutsche Zukunft voll Macht und Größe vorerst zu träumen und später auszuführen, die pfahlbürgerliche Behaglichkeit einer helvetischen Kantonscapitale nicht aufwiegen sollte. Vielmehr wollten wir nur ungefähr Folgendes andeuten: wie der Dichter immer wieder auf den uralten Homeros zurückgehen soll, um sich an seiner Einfalt zu erziehen und zu bilden, so sollten auch auswärtige Menschenfreunde und sogar Staatsweise hin und wieder durch den Garten dieser kleinen Republiken gehen, um an ihrer Einfachheit sich zu erquicken und daraus zu lernen. Auch den regierenden Fürsten und solchen, die es werden wollen, sollte man dringendst empfehlen, nicht mehr nach Italien zu reisen, sondern auch zuweilen in die Eidgenossenschaft. Dort sehen sie hauptsächlich wie viel Elend der Mensch ertragen kann, ehe er sich selbst das Leben nimmt – und dieß stimmt das fürstliche Gemüth leicht despotisch – hier dagegen, wie wenig Weisheit dazu gehört, ein Volk glücklich zu machen, wenn man es nur sich selbst überläßt.

Um aber den Leser über Zweck und Ziel der Schweizerreise nicht länger hinzuhalten – dazumal lebte in St. Gallen der Fragmentist, geboren zu Tschötsch bei Brixen, in dem Befreiungskriege bayerischer Lieutenant, später Professor, Reisender im Orient, dann Parlamentsmitglied für Au und Haidhausen zu Frankfurt, später zu Stuttgart, noch später Flüchtling und Hochverräther, ein Gebietiger des Scharfsinns, wie ihn der Sultan in seinem Ordenspatent nennt, zugleich Gegenstand und Inhaber eines königlich bayerischen Steckbriefes. Im Löwen wohnte er, aber in der Sonne traf ich ihn im Lesezimmer, ganz allein, den Hut tief in die Stirne gedrückt, eifrig über den deutschen Zeitungen. Es war ein freundliches Wiedersehen, obgleich der ganze, von ihm vorausgesehene Schiffbruch der großen deutschen Hoffnungen zwischen jetzt lag und seinen letzten Tagen in München. Wie aber denen, die den Herrn lieben, alles zum Besten gereichen muß, so ist ihm auch das Exil höchst förderlich gewesen; die freie Luft und die Gesundbäder zu Appenzell haben den ermatteten Körper wieder gestärkt, die Stimme geht wieder klar von der Brust, und der Humor erfreut sich seiner alten frischen Bosheit. Auch die Lust mit dem Publikum zu verkehren, ist wieder vorhanden, und man soll in nächster Zeit Verschiedenes lesen, was der Beschreibung nach schon recht bitter werden dürfte. Zum vollen Seelenfrieden, meint er, fehlen ihm nur die Feinde, und er will sich jetzt behend etliche Dutzend auf den Hals schreiben, damit Alles in seine Ordnung komme. Das aber kann er noch immer nicht vergessen, daß die Allgemeine Zeitung damals seine Spruchpoesie so buchstäblich genommen und das pauvre, vieux, malade, fugutif in alle Welt habe gehen lassen. Denn erstens sind wir gar nicht arm, zweitens in den besten Jahren, drittens hechtgesund, und viertens ist jetzt auch der Steckbrief abgewürdigt, und der Gebietiger des Scharfsinns kann wieder unbehelligt sich durch alle Lande ergießen »wo es an Salze gebricht«.

Vorderhand indeß gingen wir nur lustwandeln auf die Morgenpromenade bis zu einem Hause, das, laut seines Schildes, H. J. J. Müller, Dachdecker und »Kabisschnätzler« innehat, von dort aber wieder nach der Stadt. Es hülfe nichts zu verheimlichen, daß wir auch über Lord Palmerston, den Tiger, gesprochen haben. Der Fragmentist beklagt sich über den großen Mißverstand, daß das gelehrte Europa in seinen Dogmen einigen Griechenhaß zu spüren glaube. Nicht daß die Hellenen von »Strutz und Kukkurutz« zur Freiheit gediehen, habe ihn verdrossen, sondern daß sie nicht gleich großer geworden. Zu viel Honig habe er aus den großen Alten gesogen, als daß er ihren kleinen Enkeln – wenn man sie nur so nennen dürfe – nicht dankbar seyn sollte. Aber was ihm die Galle aufrege, sey, daß die freundlichen Großmächte nicht auf seine Worte hören wollten. Immer habe er sie doch um Geld und Flotten angegangen, und auch die Griechen selbst schon dringend gebeten, mächtiger zu seyn als sie wirklich sind. So ohne Hülfe müsse natürlich das ganze Volkskapital sammt Zinsen im ägeischen Meere zu Grunde gehen. Wenn man das neue Hellas in civilisirte Gegenden, etwa nach Thüringen, unter sanfte Nachbaren versetzen könnte, so würde er sein ganzes Geschäft niederlegen, und lieber über Seidenbau im Haspelmoos oder Aehnliches schreiben.

Allein daß man sein Schooßkind gerade der Büffelnatur dieser Engländer aussetze, gerade wo der Weg nach Ostindien vorbeigehe, und daß man sie habe zum Nachtheil und Schaden der Krämer von Nottingham so viele Schiffe bauen lassen, das habe er nie billigen können und immer dagegen geeifert. Wenn nun der Uebermächtige in Versuchung falle, das zu nehmen was ihm Niemand wehre, zumal, wenn es geschehe, um einen Ehrenmann, wie Don Pacifico, zu vergnügen, so sey das höchlich zu bedauern, aber vorauszusehen gewesen. Ihm liege übrigens nichts an dem Ruhme, hier das Kommende geweissagt zu haben, vielmehr schmerze ihn nur, daß man seine guten Dienste für die öffentliche Aufklärung nicht anerkennen wolle. Das schöne Lob und empfehlende Sittenzeugniß aber, das er letzthin in der besagten Allgemeinen Zeitung dem jungen Padischah ausgestellt, solle, obwohl schon bisher nicht unverdient, doch noch mehr eine Aufmunterung für die Zukunft seyn und den hoffnungsvollen Monarchen, der den Werth der unabhängigen süddeutschen Presse vollkommen anerkenne, zu rühmlichen Thaten und edlen Handlungen begeistern.

Vielleicht darf auch erwähnt werden, daß wir Nachmittags auf den Freudenberg stiegen, wo wir die Freude genossen, nach Deutschland hinüber zu sehen, weit über den Bodensee ins schwäbische Land hinein, ins Allgau, nach Oberschwaben und bis gegen den Rhein hinab. Dort, konnte man vermuthen, liegt Kempten, wo sie den Haggenmüller mit einem Fanghund eingefangen, dort auch Augsburg, wo sie den berühmten Steckbrief erlassen, dort unten sind die seligen Gaue, wo sie den Trütschler erschossen und den Kinkel beinahe umgebracht, »obgleich er so schöne Verse macht«. Es liegt ein etwas blutrother Schleier dahinab; wenn es nur nicht seiner Zeit eine Wetterwolke wird. Die langen Reden über Hochverrath und dergleichen haben leider nicht alle Gemüther mit diesen hochnothpeinlichen Gerichten versöhnen können. So zu sagen ist jede neue Zeit ein Hochverrath an der alten, und eine gefährliche Aufgabe dieß criminalistisch auf die einzelnen zu repartiren und mit dem Tode zu strafen. In Deutschland zumal sollte man sehr vorsichtig seyn, da laut der Erfahrung die Gewaltigen nach jedem Umschwung gerade mit den Grundsätzen regieren und renommiren, die sie vorher mit Ketten und Zuchthaus belegt haben. Da kommen denn die lieben Getreuen halbverfault aus den Festungen heraus, und sind gerade die, an denen man sein Wohlgefallen hat. Jedes Decennium schwelgt von dem Auswurf des vorherigen, und es kann eine Zeit kommen, wo der christliche Staat, oder ein anderer, die Erschossenen gerne wieder lebendig haben möchte, aber dann werden sie nicht mehr kommen wollen. Das ist das Bedenkliche an der Sache.

Nicht aus diesen Gründen allein, sondern auch aus andern glaubt indessen der Fragmentist, daß aus diesem Deutschland nie etwas werden könne. So sehr ihn auch die »Noten, Denkschriften, Verfassungsentwürfe, Protokollerklärungen und Additionalakten« eines Bessern überzeugen, und wenigstens von der Mitwirkung vieler erleuchteter Männer und selbst Diplomaten überführen sollten, so glaubt er dennoch, wie vorher gesagt, daß nie etwas daraus wird. Entweder scheint ihm die Tugend der Nation schon zu weit vorgeschritten, und diese für politische Zwecke zu leidenschaftlos, zu philosophisch, überhaupt zu groß für diese Erde, oder er fürchtet, daß die Dynasten aus höheren und mit drei Sinnen schon faßbaren Rücksichten, das Gespenst jener unheimlichen »Macht und Größe« verscheuchen müssen, oder daß es überhaupt zu unbillig sey, dreißig verschiedenen Köpfen immer denselben Gedanken zuzumuthen, daß sich gerade die christliche Freiheit in Gott nur durch die Mannigfaltigkeit und das Disparate der verschiedenen Anschläge äußern könne – mit einem Worte: es wird nichts daraus. Vielmehr werde das alte, biedere, theuere Vaterland durch seine Uneinigkeit mit der Zeit in solches Elend verfallen, daß die großen und glücklichen Nachbarn schon aus Mitleid zugreifen müssen, und so würden alle Erker, Vorsprünge und Luginslande, welche kraft der früheren Eintracht noch gegen wälsche und slavische Feinde errettet worden, abgeschliffen werden, und nichts übrig bleiben, als ein zur Erhaltung des europäischen Gleichgewichts nöthiger byzantinisch zu regierender Landstrich, in dem wenige Millionen sich selbst beweinen würden – ohne Flotte, ohne Kaiser, höchstens mit einem König von Preußen.

Trotz alle Dem wird man mir glauben, daß ich Deutschland nicht aufgegeben und auch für Griechenland ein gutes Wort eingelegt habe, allein da die Reisebeschreibung ohnedem schon viel zu lang geworden, so theile ich meine eigenen Sprüche und Verteidigungsreden vielleicht ein andermal mit.


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