Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 1
Julius Stettenheim

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

95 XX.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir haben, wie Sie wissen, Ihren jüngsten, von der türkisch-griechischen Grenze datirten Bericht abgedruckt und unterließen es als selbstverständlich, Sie zu bitten, keinen zweiten von daher folgen zu lassen. Denn die ganze Demonstration der griechischen Regierung war nur eine flüchtige Episode und erregte kaum das Interesse der Leserwelt. Sie überschätzen sie augenscheinlich. Denn anders läßt es sich nicht erklären, daß Sie uns mittlerweile mit türkisch-griechischen Schlachten förmlich überschütten. So sandten sie uns eine Schlacht bei Salamis, in der Sie die Rolle der Perser den Türken unter dem Commando eines Xerxes Pascha übertragen, und muthen damit den Lesern eine Naivetät zu, die man unter unmündigen Kindern vergeblich suchen würde. Damit nicht zufrieden, schildern Sie den Einzug der Siegestruppen in Athen und unter den bei dieser Gelegenheit stattgehabten Feierlichkeiten eine Theater-Festvorstellung, eine Aufführung der »Wolken« von Aristophanes, eines Stückes, dessen Inhalt Sie erzählen, woraus aber hervorgeht, daß Sie dasselbe für die L'Arronge'sche Posse »Mein Leopold« halten, obschon Sie, wohl um sich selbst zu täuschen, Vater und Sohn ganz richtig Strepsiades und Pheidippides nennen. In solchen und ähnlichen Ausschreitungen aber können und werden wir Sie nicht unterstützen.

Ihr jüngster Brief gehört in dieselbe Kategorie. Sie schreiben, der alte Schliemann sei in Ihnen wach geworden, und schildern nun, wie Sie das Grab der Braut von Korinth aufgefunden. In der Schilderung des steinernen Sarges aber wird Jeder die des Sarges der Julia, welche in jedem »Führer durch Verona« zu finden ist, wiedererkennen, und auch diesen Brief haben wir deshalb zu den Uebrigen legen müssen.

Wir erklären Ihnen schließlich, daß wir Sie nicht verstehen, wenn Sie zur Reise nach Doppelbaden, wie Sie Baden-Baden zu nennen belieben, eine größere Summe Geldes fordern, da Sie, um über den Congreß zu berichten, ja doch nicht dahin reisen, abgesehen davon, daß der Congreß noch im Werden begriffen ist.

In Erwartung einer baldigen Fortsetzung Ihrer Berichte grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

97 Bernau, 28. Februar 1878.

Wenn das Datum Ihres werthgeschätzten Schreibens nicht dagegen spräche, so hätte ich geglaubt, Sie wollten mich in den März schicken, indem Sie mir anzeigen, daß Sie meine griechischen Berichte links im Papierkorb liegen lassen. Aber nein, es ist kein Maskenschanz, den Sie mit mir treiben, es ist Ihr völliger Ernst, Sie haben die vier Briefe, die ich mit meiner Herzdinte geschrieben, vernichtet, haben, kühl bis an den Fischer hinan, alle vier von sich gestreckt. Und warum? Ich will es Ihnen sagen: Es fehlt Ihnen der Sinn für das Perikleische Zeitalter, wie unsereinem. Hic haeret lacrimae, – hier liegt der Hund im Pfeffer! Ihnen ist die Schlacht bei Salamis vielleicht die Wurst gleichen Namens, und die Wolken des Aristophanes sind Ihnen – verzeihen Sie das harte Wort! – dunkel. Nun, über den disputandum läßt sich nicht streiten. Die Herrlichkeiten Griechenlands, dem Vandalen sind sie, wie der Dichter sagt, Stein und Bein, und ich habe nicht Lust, meine Perlen nach der Speckseite zu werfen.

Sie werden es eines Tages bereuen, mich unwürdig behandelt zu haben. Meine Arbeiten haben Sie übermüthig gemacht, aber es ist dafür gesorgt, daß die Kämme nicht in den Himmel schwellen, und wenn Sie tausendmal die Poesie Griechenlands von Ihren Lesern stoßen: Galiläi bewegt sich doch!

Dies ist, was ich Ihnen in zwei Worten sagen mußte. Ich hatte Ihnen noch einen Brief aus Athen geschrieben, habe 98 denselben aber der Asche übergeben. Es war dies eine Schilderung der Sitzung des griechischen Parlaments, in welcher der Krieg gegen die Türkei auf der werthen Tagesordnung stand. Die Reden der Abgeordneten Drakon und Solon über den Antrag Pindar, der schließlich an eine aus den sieben Weisen bestehende Commission verwiesen wurde, hatte ich fast wörtlich mitgetheilt, – nun sind sie bis auf die Erinnerung verbrannt.

Wenn sich in Ihrer Brust noch ein menschlicher Vorschuß von 40 Mark regt, so senden Sie mir ihn als einen Beweis, daß ich nicht unversöhnlich bin und Ihnen gern die Hand reiche.

* * *

Kragujewatz, 24. Februar.

W. Nach einer strapaziösen Distanz bin ich hier, auf serbischem Boden, angelangt. Während sich die Diplomaten Europas den Dardanellenschlüssel aus der Nase ziehen, sind die Türkei und Rußland abgesagte Freunde geworden und haben sich den Frieden erklärt. Ich sende Ihnen die Friedensstipulationen unter Halbmondband. Gestern sah ich mir das künftige Bulgarien an, heute die Gebietstheile in Bosnien, durch welche Serbien vergrößert werden soll. Rußland ist unersättlich, ein Löwe, welcher Blut wie Heu geleckt hat und sich nun weder an Verträge, noch an die Menschlichkeit kehrt. So fordert es von der Türkei 1410, schreibe 1410 Millionen Rubel, wohl wissend, daß der türkische Schatz leer ist wie ein 99 Wahn. Natürlich wird es dafür baares Gebiet und klingende Panzerschiffe nehmen. Und die Türkei? De mortuis nil nisi admirari! Für sie giebt es nur Ein Mittel: sie muß eines Tages zum Schutz der Christen in Rußland einen Krieg vom Zaun greifen, um so zu versuchen, den status wieder auf den alten quo ante zu bringen.

Ich eile zum Congreß nach unserm Berlin. Adieu, Wahlstatt! Ich verlasse diesen Ort morgen um 11 Uhr 28 Minuten Vormittags, treffe um 11 Uhr 57 Minuten in Berlin ein, überschreite ¼ nach 12 Uhr in einer Gepäckdroschke die Weidendammer Brücke, hoffe um 12½ Uhr die Linden im Rücken zu haben und bald darauf den »Kaiserhof« zu betreten. Dort wechsele ich durch einen kurzen Schlaf die Wäsche und komme dann zu Ihnen, um Ihnen die Hand zu umarmen.

Auf ein fröhliches Wieder-Revoir also!


 << zurück