Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 1
Julius Stettenheim

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61 XIII.

Herrn Wippchen in Bernau.

Es thut uns recht leid, daß Sie Grund zu haben glauben, sich zu beklagen. Sie werfen uns vor, daß wir Ihre, wie Sie sich ausdrücken, wichtigsten Nachrichten ungedruckt lassen. »Sie stießen mir«, so schreiben Sie uns wörtlich, »die Nadel der Cleopatra in's Herz, als Sie meine jüngsten Telegramme in Ihren caudinischen Papierkorb warfen.« Wer dies hört, muß wirklich glauben, daß Sie uns etwas Wichtiges gemeldet und wir dies etwa aus Muthwillen unterschlagen haben, während Sie, anstatt uns wirkliche Berichte zu senden, Tag für Tag telegraphirten:

Vor Plevna nicht Neues.

v. Podbielski.

Abgesehen also davon, daß Sie die bekannte Depesche aus dem deutsch-französischen Kriege einfach abgeschrieben und nur statt Paris Plevna setzten, wollten Sie uns geradezu veranlassen, uns lächerlich zu machen, und beklagen sich noch, da wir uns dagegen sträuben. Aufrichtig, lieber Herr Wippchen, wir begreifen Sie nicht!

62 Gestatten Sie uns auch, daß wir Ihre uns gleichfalls ganz unverständliche Absicht, Ihre Bernauer Wohnung und unser Bureau mit einem Telephon verbinden zu wollen, nicht weiter berücksichtigen, und versehen Sie uns bald wieder mit ausführlichen Berichten.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, 15. November 1877.

Endlich das erlösende Wort! Ich habe es herbeigesehnt, wie das zweimal verwachsene Kameel die Oase. Endlich! Nun ja, die Furcht, Sie könnten mich für einen gewöhnlichen Menschen halten, nagte an meinem Wurm, und oft genug floh das Bett mein Auge, wenn diese Furcht mich beschlich. Nun aber, da Sie mir schreiben: »Wir begreifen Sie nicht!« nun drücke ich Ihnen im Geiste Hand und Fuß, denn Sie haben meinem inneren Düppel den Sabbath wiedergegeben.

Stets sträubte sich mein besseres Du gegen die Ehre, begriffen zu werden. Nur gemeine Menschen werden begriffen. Euripides ist heute noch ein mythischer Dreifuß, Solon mußte erst ausrufen: Nemo ante portas beatus! um sich vor dem sicheren Holzstoß zu retten, und Columbus war genöthigt, zum äußersten Ei zu greifen, um seine Gegner zu überzeugen, daß der jenseitige Ocean ein festes, großes Land 63 sei. Wurde Aristophokles etwa wie mit Siebenmeilenstiefeln begriffen? Streitet man sich nicht heute noch wie bei'm Bäcker die Semmel um gewisse Stellen im Shakespeare? Und Goethe? Wenn er auch aus dem Aermel seines Pegasusses viele Gedichte schüttelte, welche wir gewissermaßen schon mit der Wiegenmilch einsaugen, begriffen ist er nicht ganz, und der Erlkönig von Thule weiß heute noch nicht, wie das Wasser hieß, an welchem der Fischerknabe saß und die Fische aus den Angeln hob.

Ich werde – das schmecke ich – bitter, und da ich in solchen Momenten leicht zum Haarklauber werde, so breche ich hier ab. Ich ziehe mich wie ein rother Faden zurück, erfreut, daß ich wieder einmal nicht begriffen worden bin. So sei es denn! Es ist ja gut, ein etwas räthselhafter, nicht leicht aufzuknackender Charakter zu sein. Auch das Telephon will ich in meinen Calendas Graecas begraben. Es thut mir weh. Aber trösten wir mich. Es hat Alles einen Rubicon, sagte ja auch der Fuchs, als ihm die Wurst zu hoch hing, und so will auch ich sagen.

Heute sende ich Ihnen keine Schlacht. Das ewige Auf- und Niedermetzeln muß unsere Leser ermüden, und wenn wir fortwährend einen vom Brand der Städte gerötheten Himmel über ihnen lächeln lassen, so ist Gefahr vorhanden, daß wir eintönig werden und dann schreiben wie Penelope, welche bekanntlich Nachts stets die Gewänder wieder auftrennte, welche sie während des Tages den Hügel hinangewälzt hatte. Ich will Aussichten auf den Frieden eröffnen. Lassen Sie mich 64 ein Mal anstatt in die Kriegsdrommete in die Aeolsharfe stoßen.

Habe ich in diesem Brief bis hieher noch nicht um 30 Mark Vorschuß gebeten, so verzeihen Sie es mir.

* * *

Constantinopel, den 12. November.

W. Gestern – die Abend-Aurora versilberte eben mit mildem Mondlicht das goldene Horn – kam ich hier an. Die Türken zitterten in ihren malerischen Trachten vor Wuth, es war das Gerücht verbreitet, der Prophet werde dem Sultan erscheinen und ihm strenge befehlen, Frieden zu schließen. Auf Windessohlen eilte ich in den Palast und fand das Gerücht bestätigt.

Der Sultan hatte gerade mit fünfundzwanzig seiner Frauen ein Gespräch unter vier Augen, als er ein seltenes Gesicht hatte. Es war allerdings der Prophet, welcher dem Sultan mit dem Koran winkte, ihm zu folgen. Der Sultan ließ sich das nicht zwei Mal winken und folgte dem Propheten in die für solche Unterredungen reservirte Moschee.

Der Prophet sah aus wie Niemann im dritten Akt desselben. Auch die Stimme hat einige Aehnlichkeit, doch hat mich sein Spiel nicht in gleichem Maße befriedigt. Er trug ein langes Gewand und ein nacktes Schwert, welches er bei den hohen Tönen seines Vortrags heftig in der Luft schwang. Im Uebrigen erinnerte der Prophet durch Nichts an die gleichnamige Oper: er war, wie mir sehr angenehm auffiel, nicht 65 von den Wieder- und immer Wiedertäufern begleitet, und ferner fehlten der Schlittschuhtanz, die Fides und der Zusammensturz der Kirche. So zeichnete sich das Erscheinen des Propheten durch große Einfachheit aus, machte aber gerade deshalb einen würdigen Eindruck.

Als er mit dem Sultan allein war, wies er auf die Gefahren eines noch länger dauernden Krieges hin, schilderte die Leere des Mekkaschatzes, pries die Ehre als gerettet, das russische Prestige als zerrüttet und gebot dem Sultan, einen ehrenvollen Janustempel zu schließen. Der Sultan wollte etwas erwidern, aber der Prophet schüttelte ihm den Kopf, warf ihn in die Knie, schlug ihm die Augen nieder, zog ihm den Turban und verschwand. Gerufen, erschien der Prophet zwar wieder, doch verbeugte er sich sprachlos, um abermals zu verschwinden.

Sie werden in den nächsten Tagen Schritte hören, welche der Sultan thut, um Rußland zum Frieden zu zwingen.


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