Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 1
Julius Stettenheim

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15 IV.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir bedauern sehr, wieder und immer wieder über die Art, wie Sie uns in dem gegenwärtigen Kriege bedienen, Klage führen zu müssen. Seit Ihrer werthen Monitorsprengung haben Sie nichts von sich hören lassen, als eine einzige Postkarte mit den Worten: »Halten Sie mir 1½ Spalten offen, da ich heute Abend eine überaus blutige Schlacht abschicken werde.« Aber was nicht kam, das war die in Aussicht gestellte Schlacht, und so mußten wir denn, um nur den Raum zu füllen, über Hals und Kopf eine Ausgrabung in Olympia, die gar nicht stattgefunden hat, aus der Luft greifen. Die Folgen sind nicht ausgeblieben. Gestern fragt ein Professor bei uns an, was denn das eigentlich für eine Nase der einzigen bis jetzt gefundenen Nike wäre, die ja ganz bei Nase gewesen sei und doch unmöglich zwei Nasen gehabt haben könne, und wir möchten doch die Welt nicht so leichtsinnig nasführen. Alles das verdanken wir nur Ihnen, und schlecht belohnen Sie unser Vertrauen, mit dem wir den Orient in Ihre werthen Hände legten. Wir haben dem Publikum weniger Schlachten geliefert, als irgend ein anderes Blatt, nicht mehr als etwa die 16 »Friseur-Zeitung«, die doch gewiß keinen eigenen Redakteur mobil gemacht hat.

Dazu kommt noch, daß die saure Gurke schwer auf uns lastet und daher wenig passirt. Zwar klammern wir uns noch an die Heuschrecken und Gnitzen, und Hasenclever und Pius sind immer noch ganz nette Lückenbüßer, aber ewig kann das nicht dauern, und es wäre unverantwortlich, wollten wir den orientalischen Krieg links liegen lassen.

Sie werden dies einsehen, Herr Wippchen, und uns baldthunlichst mit einer großen Schlacht oder dergleichen unter die Arme greifen. Dann erhalten Sie sofort den erbetenen Vorschuß.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, 14. Juni 1877.

Ich kann auf Ihre ergebene Zuschrift vom 12. Juni dieses Monats nur erwidern, daß Sie meine Stellung völlig verkennen. Ebenso nolens, als volens soll ich eine Schlacht nach der andern schlagen und mithin Gefahr laufen, eines schönen Tages vor Constantinopel zu stehen, während die Russen noch gar nicht daran denken, ja vielleicht nach einer verlorenen Schlacht Fersenrubel geben, um das Weiteste zu suchen. Lernte ich also Mores, wenn Sie es mich lehren, und ich würfe, in Fortunen's Bockshorn gejagt, sofort eine 17 Schlacht auf's Papier, so könnten Sie leicht zu spät einsehen, daß wir einen Faux pas zu weit gegangen sind. Besonders in diesem Augenblick darf ich keine Schlacht in's Blaue hineinschreiben, denn man zischelt sich allerlei Friedenspalmen, oder doch einen Waffenstillstand in die Ohren. Den Russen lächelt allerdings jetzt das Schwein, wie aber, wenn ihnen der eiserne Würfel den Rücken kehrt? Ohne Zweifel würden sie dann die Gelegenheit bei der Stirnlocke ergreifen, um mit heiler Gänsehaut davonzukommen.

Es ist also nicht etwa Trägheit, was ich nicht thue. Ich strecke mich nur nach der Bärenhaut. Dienst- und opferfertig, wie ich bin, würde ich dem Hercules den Stielerschen Atlas tragen helfen und einem Pelikan die Brust aufschlitzen, um meine Kinder zu sättigen. Aber in meiner Eigenschaft als Kriegsschauplatzer kenne ich meine Oblügenheiten, und da darf mir kein fremder Kukuk ein Ei in mein Nest legen und behaupten, er reiche mir das Wasser. Geschieht es, so kann mich dies zum Roland bringen, und ich möchte vor Wuth aus dem Ossa fahren und mich auf den Pelion stülpen. Verzeihen Sie die Heftigkeit meiner Sprache, aber sagen Sie selbst: Kann ich ein Kornfeld aus der flachen Hand stampfen?

Aproposito: flache Hand, so bitte ich um die Vorschußsendung mit umgehendstem Courirzug.

Einliegend der Donauübergang. Er hat mir viele Mühe gemacht. Erst hatte ich ihn nach dem Durchzug der Juden Israels durch's rothe Meer gearbeitet, aber die Brücken wollten 18 mir durchaus nicht passen. So griff ich ihn denn aus dem Steg. Glauben Sie, daß er nicht zu früh ist, so drucken Sie ihn gleich. Ich schreibe aus Kalafat. Klingt Giorgewo besser, so nehmen Sie Giorgewo. Eigensinn liegt mir ferne.

* * *

Kalafat, 10. Juni.

W. Endlich ist es geschehen! Schütteln Sie nicht ungläubig Ihren Thomas. Was Rußland wochenlang in schwebender Pein langte und bangte, ist gelungen: die Donau des Rubikons ist überschritten, und unaufhaltsam vollziehen sich die fata libelli der Türkei. Ich will versuchen, die Ereignisse des heutigen Tages wiederzugeben.

Vergeblich suchte ich den Schlaf des Gerechten auf den harten Federn des Fußbodens, als ich den Zapfen streichen hörte. Wer dachte da noch an Morpheus? Wie ein Blitz aus heiteren Wolken sprang ich in meine Beinkleider, warf mich in die Stiefel und eilte dahin, wohin mich die Tafeln der Geschichte riefen. Bald hörte ich die Kanonen von Rustschuk auf mich herniedergähnen, während die Russischen Heeressäulen auf ihren kleinen Pferden heranmarschirten. Die Geschütze auf beiden Ufern predigten bereits tauben Ohren, ich hatte ihren Donner vorher nie so brüllen hören. Die Türken, nichts Gutes ahnend, kämpften mit dem Muth der Verzweiflung, der man die Jungen geraubt. Sie sagten sich: aut Rhodus, aut salta! Aber ohne Erfolg. Mit unerschütterlicher Ruhe schlugen die Russen ihre Pontons über die Nixen und Najaden, 19 welche noch vor einigen Tagen so bedenklich angeschwollen, nun aber gefallen waren. Dann wurde der Uebergang unternommen und gelang. Der Tod schwang seine Hippe, von deren Ufern kein Wanderer wiederkehrt, und die Zahl des einen russischen Todten ist eine sehr große. Ich entrann nur durch ein Wunder seiner gesenkten Fackel. Aber auch die Türken stiegen schaarenweise zu der stygischen Sanduhr nieder. Nach fünf Stunden war Alles vorbei, – die Russen standen im Herzen des Turbans, und weithin erschallte ihr »Heil Dir im Siegerczar!« Lassen Sie mich schließen, ich bin so müde, als hätte ich zehn Fässer mit Danaiden gefüllt.


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