Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 1
Julius Stettenheim

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76 XVI.

Herrn Wippchen in Bernau.

Auf unsere ergebene Anfrage, zu welcher Nummer wir wieder auf einen Bericht aus Ihrer geschätzten Feder rechnen könnten, antworteten Sie nur mit einer Sechserkarte, welche die Worte enthielt: »Es ist mir in der Gefangenschaft das Schreiben nicht gestattet.« Wir hatten Mühe, uns diese Antwort zu erklären. Zuvörderst glaubten wir, daß Sie wegen irgend eines Conflicts mit dem Bernauer Nachtwächter arretirt worden seien, – an Schlimmeres wagten wir nicht zu denken, – und waren natürlich in großer Sorge um Sie. Dann aber fiel uns ein, daß Sie Ihren vorigen Bericht mit Ihrer Gefangennahme durch die Russen geschlossen hatten, und Sie können sich leicht denken, daß uns ein derartiger Grund zur Einstellung ihrer Arbeit als ein sehr frivoler erschien. Es ist dies jedenfalls ein sehr übel angebrachter Scherz, und wir hoffen und wünschen, daß Sie denselben nicht zu weit ausdehnen.

Ihren Wunschzettel zum Weihnachtsfest haben wir mittlerweile erhalten. Da wir auf demselben aber u. A. ein Paar goldener Sporen, eine Feldapotheke, eine Zither, die Marmorbüste Bellachini's, 77 eine blühende Victoria regia, drei Roßschweife, einen Citronenbaum und einen ausgestopften Gorilla verzeichnet fanden, so blieb uns nichts weiter übrig, als das Document bei Seite zu legen.

Ihren Berichten entgegensehend, zeichnen wir

ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, 27. December 1877.

Was ich durch Ihren werthen Brief gelitten, meine Zunge vermag es nicht zu fassen. Ich fragte mich, ob es nicht vernünftiger sei, des lieben Friedens willen mich von Ihnen zu trennen, und lange war ich unschlüssig wie zwei Gebündel Heu. Endlich wählte ich von zwei Uebeln das dritte und zerriß den projectirten Scheidebrief in Scherben. Ich vergebe gern, dieser göttliche Prometheusfelsen in meiner Brust ist nicht leicht zu ersticken.

Nicht ohne Grund hatte ich gemeldet, daß ich gefangen worden sei. Ich sehnte mich nach Ruhe, nach einer etwa vierwöchentlichen Bärenhaut, und sagte mit dem Dichter: »Ich denke einen langen Wallenstein zu thun.« Kein Säulenheiliger, kann ich auch nicht dauernd mit einem Bein am Schreibtisch sitzen, und daher ergriff ich die Gelegenheit bei den Hörnern, einmal gründlich Dolce far niente zu schnappen, um meine Nerven zu beruhigen. Und als nun Plevna gefallen war und der Zar sein Tedeum ex machina gebetet 78 hatte, da schien mir auch für mich der Moment gekommen, die Hände ein wenig in den Sabbath zu legen.

Sie wollen es nicht. Und wenn ich unter mir zusammenbreche und wenn mir die Poren von der Stirne rinnen, ich soll arbeiten. Wie die Wage der Gerechtigkeit sind Sie blind für meine Seufzer. Gut! Aber wenn ich eines Tages meinen Geist aushauche, dann, das weiß ich, wollen Sie es nicht gewesen sein.

Zuviel, fast genug. Was nun den Krieg betrifft, so erkläre ich denselben für beendet. Ich will damit nicht sagen, daß ich die Berichterstattung niederlege, denn es ist ja möglich, daß der nächste Telegraph wieder die erste Bombe bringt und der Horizont von Neuem gährt. Aber das ändert nichts: für mich ist der gegenwärtige Krieg vorbei. Versuchen Sie nicht, meinem Contrecoeur irgend welche Gewalt anzuthun, es hieße pour le roi de Prusse dreschen.

Ich sende Ihnen heute eine Art Idyll, wie es sich für die Zeit zwischen Weih- und Sylvester, sowie zwischen meinem Schluß und meinem Wiederbeginn des Krieges eignet. Und somit gratulire ich Ihnen zum neuen Meer der Ewigkeit, möge im Jahre 1878 der Himmel seine Geigen über Sie ausschütten! Und wenn Sie mir Ihr »Gleichfalls!« zurufen, dann schließen Sie mir gefälligst 30 Mark Vorschuß bei. Es ist wirklich nicht wegen des Geldes, aber es liest sich besser.

* * *

79 Simnitza, 20. December.

W. Nur zehn Tage dauerte meine Haft. Dann spie mich der Jonas der Gefangenschaft wieder aus. Ich verließ aufathmend das Herz Rußlands und setzte fröhlich, der mir aufgebundenen Reiseroute folgend, meinen Fürbaß weiter. Auf der Tour hierher traf ich zwei russische Grenadiere, welche in der Türkei gefangen waren und nun ausgewechselt wurden. Da hörten sie gerüchtsweise, der Kaiser von Rußland sei gefangen, und da die klägliche Kunde nicht widerrufen wurde, so waren sie rasch entschlossen und weinten zusammen. Der Eine sprach von dem Brennen seiner alten Wunde, wogegen der Andere nicht mehr zu wissen schien, was er sagte, denn er behauptete, obschon natürlich Niemand an Gesang gedacht hatte, das Lied sei aus, und er möchte wohl mit dem Kameraden sterben, wenn er, Redner, nicht Familienvater wäre. Dem Ersten war dies indeß gleichgültig. Ihm war der Czar – was mir unter nous gesagt, unerklärlich erscheint – lieber als Weib und Kind, die ihn, wenn ich richtig verstanden habe, sogar zu scheren pflegen. Sie sollten, so meinte er, betteln gehen, aber nur, wenn sie hungrig seien, was mir allerdings, da es dann doch zu spät ist, als eine lästige Einschränkung erschien. Hierauf fuhr er fort: »Die Gefangenschaft von Väterchen überlebe ich nicht, und wenn es so weit ist, dann nimm meine Leiche nach Rußland mit, begrab' mich in Rußlands Erde. Auf's Herz lege mir eine türkische Nase, in die Hand gieb mir eine Flasche Wutki und gürte mir ein Talglicht um. So will ich bis zum Ausbruch der nächsten 80 orientalischen Frage liegen, um beim ersten Kanonen- und Pferdegebrüll, wenn Väterchen, dem die Soldatengräber ja ganz gleichgültig sind, auch über mein Grab reitet, parat zu sein und das Väterchen, das Zärchen zu schützen.« Was die Beiden sonst noch mit einander gesprochen haben, das weiß ich nicht, da ich mich – es war eine tropische Kälte – entfernte. Das Gerücht von der Gefangenschaft des Kaisers hat sich, wie ich aus bestem Telephon versichern kann, nicht bestätigt.

Noch 12 Tage, und das neue Jahr hat vor 24 Stunden begonnen. Dann mehr oder weniger mehr.


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