Julius Stettenheim
Wippchen's sämmtliche Berichte, Band 1
Julius Stettenheim

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71 XV.

Herrn Wippchen in Bernau.

Auf die Gefahr hin, Sie abermals zu erzürnen, weisen wir Ihr Gesuch zurück, Ihnen umgehend die Mittel zur Disposition zu stellen, welche Sie nöthig haben, um sich auf den deutsch-chinesischen Krieg vorzubereiten. Ihr Krieg-in-Sicht-Brief erschien uns fast als ein übel angebrachter Scherz. Erst nach nochmaligem Lesen kamen wir dahinter, was Sie zu Ihrem werthen Schreiben veranlaßt hatte. Weil einige Herren der hier eingetroffenen Chinesischen Gesandtschaft von Straßenjungen belästigt worden sind, halten Sie den Ausbruch eines Krieges zwischen China und Deutschland für nahebevorstehend, überzeugt, daß, wie Sie sich ausdrücken, der auf das Tiefste beleidigte Zopf nur mit Blut abgewaschen werden könne. Und Ihr erster Gedanke richtet sich auf die Anschaffung der Toussaint-Langenscheidt'schen Unterrichtsbriefe der chinesischen Sprache, die bekanntlich gar nicht existiren, und eines Paars chinesischer Schuhe, die Ihnen, beiläufig bemerkt, viel zu eng wären.

Wir bitten Sie freundschaftlichst, sich zu beruhigen und nicht weiter an einen deutsch-chinesischen Krieg zu denken. Der sogenannte Conflict ist durch 72 Aufstellung eines Schutzmannspostens vor der Wohnung der chinesischen Gesandtschaft beigelegt worden, und Ihre Behauptungen, in Peking sei »Nach Berlin« gerufen, die chinesische Mauer mit kriegerischen Plakaten bedeckt &c., würden von Niemand geglaubt werden.

Denken Sie nüchtern über das, was Sie uns geschrieben, nach, und Sie werden flink zu Ihrer Aufgabe, uns Berichte vom orientalischen Kriegstheater zu senden, zurückkehren.

Ergebenst

Die Redaktion.

* * *

Bernau, 13. December 1877.

Wie Marius auf den Trümmern von Jeremias, so saß ich da, als ich Ihren geschätzten Brief gelesen hatte. Mir war, als sollte ich mir eine Kugel durch mein letztes Stündchen jagen, denn was zu viel ist, das ist Nichts. Ich glaubte mich mit Ihnen auf die Friedenspfeife gestellt zu haben, aber es war Essig, worin ich mich gewiegt, und meine schönsten Seifenblasen sind geknickt, ehe der Sturm sie entblätterte. Gestern noch hing ich voller Geigen, heute bin ich schon geborsten und kann stürzen über Nacht. Das empört mich, der ich keinem Wässerchen etwas am Zeuge flicke und kein Lämmchen trübe. Aber lassen Sie sich warnen: Allzu scharf gespannt, macht schartig!

73 Sie schweigen? O sagen Sie das nicht!

Sie schreiben mir, ich solle über meinen Brief nüchtern nachdenken. Das will also sagen, daß ich – verzeihen Sie das harte Wort – trinke, daß ich mich dem stillen Bacchus ergeben habe. Mich! Die Wahrheit ist, daß niemals ein Affe meine Lippen befeuchtet und mich niemals Jemand als Falstaff gesehen hat. Seit ich meine Kinderjahre vertreten habe, kann kein Hals sagen, daß ich ihn der Flasche gebrochen, und habe ich mir selbst dem Wiener Märzen-Gambrinus stets drei Seidel vom Leibe gehalten. Leere ich einen, – oder ist der Seidel ein Neutrum? – so bestelle ich mir noch einen Schnitt, aber schon nach dem zweiten Seidel tanzt Alles mit mir auf einem Vulcan, meine Beine steigen mir zu Kopf, ich sehe eine Helena in jeder Hexenküche, ich stoße mit meinen besten Freunden auf Sie und Du an, ich breche in weithinschallende Thränen aus, ich möchte den ganzen Kiepert umarmen, ich zünde die Schwefelhölzer mit meiner Cigarre an und gehe schließlich nicht zu Bette, ohne mir die Schlittschuhe angeschnallt zu haben und die Mausefalle unter mein Kopfkissen zu legen, anstatt umgekehrt. Aber weil ich das weiß und weil sich mir die Grazien, wenn sie mich fliehen, in Camönen verwandeln, welche mich gleichfalls verlassen, so nehme ich mich in mindestens Acht und genieße nie ein Glas über meine Nagelprobe. Freilich, Wasser trinke ich selten, Selter seltener, aber ich gehöre auch nicht zu jener Sekte, welche solche in Strömen schlemmt, ich habe mich dem Oelkrüglein der Wittwe Clicquot stets ferngehalten. Mit einem Wort: ich bin ein 74 Durstbold, und alle meine Handlungen zeugen von sinnloser Mäßigkeit.

Und ich soll zwischen Ihren Zeilen ein Trinker sein?

Sie haben mir weh gethan. Dies genügt mir. Ich sage mit dem Dichter:

»Es kann die Spur von meinen Erdentagen
Das Unvermeidliche mit Würde tragen.«

Nun zurück zu meiner geliebten Aufgabe. Plevna ist gefallen. Ich weiß es aus der besten Quelle, es steht in dem hier erscheinenden Kreisblatte. Sie wissen, ich sauge mir nichts aus den Enten. Verzeihen Sie mir, wenn ich mit in die Gefangenschaft muß. Mir bleibt nichts übrig, als das Theilen des Schicksals der tapferen türkischen Armee. Senden Sie mir 20 Thaler, oder wenigstens 60 Mark. Ich will nicht kleinlich sein.

* * *

Plevna, 10. December.

W. Der beste Koch triumphirt, die hungrigen Sieger sind den satten Besiegten unterlegen, die Lebensmittel gingen über die Trümmer der stolzen Festung zur Neige. Das ist die Nachricht, vor der Alles, auch Ihr Correspondent, in den Hintergrund tritt.

Ich begab mich gestern nach Mitternacht – es war anderthalb Uhr – zu Bette, um heute Morgen um 7 Komma 30 durch ein großes Getöse geweckt zu werden. Die gesammte Armee Osman Paschas griff die Cernirungslinie am linken 75 Ufer des Wid an. Dies aut mußte geschehen, ein anderes aut war unmöglich. Es galt, das Paroli zu biegen, oder es zu brechen. Denn gegen die letzte Semmel giebt es keinen Widerstand, und wenn das Brod den Weg alles Fleisches gegangen ist, so lautet die Losung: Sieg oder Tod! Die Noth war groß. Die Besatzung hatte schon zum äußersten Pferd gegriffen, und selbst Katzen standen bereits mit einem Fuß in der Küche. Das Dictu war horribel! Osman Pascha, rasch entschlossen, gab den Befehl zum Ausfall.

Nie wurde tapferer gekämpft, nie schlugen sich die Löwen wie die Türken, wie dies heute umgekehrt der Fall war. Aber das Marsglück lächelte uns nicht. Nach fünf Stunden ergab sich der tapfere Osman Pascha mit der gesammten Armee dem verhaßten, so oft geschlagenen Feinde.

Keiner entkam. Ich befinde mich unter demselben. In einigen Stunden werde ich in Wasser und Brod sitzen. Bei diesem Gedanken stehen mir die knirschenden Zähne zu Berge. Ich werde noch von Fortuna sagen können, wenn ich nicht als Spion dem nächsten Baum in's Auge schauen muß, oder, was noch schrecklicher wäre, in den Bergwerken Sibiriens zu ewigem Zobel verurtheilt werde. So strecke ich denn die Feder und sage Ihnen Lebewohl! Verzeihen Sie das harte Du! Aber es übermannt mich, mein Auge quillt, ich bin so jung . . . .

Man klopft . . . »Pappenheim, ich kenne Dich!« . . .


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