Julius Stettenheim
Unter vier Augen
Julius Stettenheim

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Bei dem Gegen-Mahdi.

Ich brauche nicht zu versichern, daß mich das Schicksal des Generals Gordon ungemein interessirt. Ja, noch mehr, es erschüttert mich. Der tapfere Mann, der augenblicklich so unzählige Schriftsteller zu Feuilletons rührt und der seine Nase wahrlich nicht geschont hatte, wenn es galt, sie für das Vaterland in irgend etwas, was ihn nichts anging, hineinzustecken, sitzt im fernen Sudan eingeschlossen. England sputet sich nicht, ihn aus dem Kerker, in den er sich hineinschlich, zu befreien, denn Großbritannien sieht wohl ein, daß dabei nichts zu verdienen sei als der Beifall Europas. Ich war sehr besorgt um Gordon.

Wie er zu retten, darüber dachte ich eifrig nach. In einer schlaflosen Nacht kam ich dahinter. Die Rebellen müssen sich untereinander entzweien, sagte ich mir, und während sie sich gegenseitig die Hälse brechen, entfernt sich Gordon.

76 Ich zählte gewissermaßen im Geiste noch das Fersengeld, welches der arme Gefangene geben würde, als bekannt wurde, in Darfur sei ein zweiter Mahdi aufgetaucht, der den ersten für einen Betrüger erklärte.

Ich eilte nach Darfur. Vor dem Zelte Mahdi II. stand ein nackter Livrée-Araber und versperrte mir den Eingang. Als ich mich nicht entfernte, zog er seinen Säbel und sagte: Ich habe strengen Befehl, Niemand einzulassen.

So weiche der Gewalt, Sklave! rief ich außer mir und gab ihm ein Trinkgeld.

Der Araber nahm es und schrie: Nur über meine Leiche geht der Weg!

Ich gab ihm noch etwas, trat in das Zelt und stand dem zweiten Mahdi gegenüber.

Er saß auf der Erde, sah mich zornig an, zog seine Stirne in Falten und befahl mir, mich zu entfernen.

Das verbietet mir die Höflichkeit, antwortete ich und gab ihm einige Goldstücke.

Der neue Mahdi nahm sie und steckte sie mit einer verächtlichen Miene ein. Dann bat er mich, mir ein Stück Erde zu nehmen und mich zu setzen.

Allah il Allah! grüßte ich ihn.

Gleichfalls! sagte er, viel artiger geworden. Dann fragte er: Womit kann ich dienen?

77 Ich bin gekommen, antwortete ich, um Ihnen Glück zu wünschen. Mit namenloser Spannung hat England das Auftauchen eines Mannes erwartet, der den Rebellen Mohamed Achmed in sein Nichts zurückstoßen wird.

O dieser Achmed! rief er zornig. Dieser Mann ist gar kein falscher Prophet. Er handelte noch vor zwei Jahren mit wilden Thieren und machte ein gutes Geschäft, denn er war ein großer Betrüger. Er verkaufte Löwinnen für Löwen, und wenn der Käufer, der ein Dutzend Tiger bestellt und bezahlt hatte, die abgelieferten Bestien nachzählte, so fehlten entweder zwei Stück am Dutzend, oder sie waren schlecht gestreift, oder sie waren nicht ordentlich wild, oder es befand sich ein Puma, der nicht zu gebrauchen war, darunter. So kam er zu Gelde, und mit Hülfe desselben wurde er Mahdi.

Dieser Schwindler! rief ich außer mir.

Er hatte etwas Glück, – der Dumme hat's ja, – fuhr der zweite Mahdi fort, und so riß er die Herrschaft an sich. Aber, wie gesagt, ein falscher Prophet ist er nicht, er kann weder in die Zukunft blicken, noch etwas vorhersagen. Nichts trifft ein, was er prophezeit. Er ist ein Hochstapler. Der wahre falsche Prophet bin ich!

Unbedingt, warf ich ein und verneigte mich tief. 78 Es freut mich sehr, daß Sie ihn geschlagen haben. Aber weshalb nahmen Sie ihn nicht gefangen?

Die Engländer, belehrte er mich, haben Nichts auf seinen Kopf gesetzt. Sobald das geschehen sein wird, werde ich ihn ganz gewiß fangen und seinen Kopf zu Gelde machen. Für Geld kann man Alles bei uns haben.

Nun sah ich mir den neuesten Mahdi genauer an. Er sah genau so aus, wie man ihn sich vorstellt. Man hat, wenn man ihn scharf beobachtet, das Gefühl, als sei auch er kein echter Prophet, als sei auch ihm die Zukunft verschlossen. Um ihn auf die Probe zu stellen, bat ich ihn um eine kleine Prophetengabe. Er war bereit, nur sollte ich der Ordnung wegen vorher bezahlen. Auf meine Frage, was es für Journalisten koste, antwortete er: Nach Belieben ein Pfund Sterling. Dabei zog er den Säbel.

Ich zahlte. Alsbald blickte er in die Zukunft. Es war ein feierlicher Moment. Der zweite Mahdi hatte sich die Brille aufgesetzt und sah mit durchbohrenden Blicken in das Freie. Alles war still. Nur die Araber vor dem Zelt machten einen ohrbetäubenden Lärm, und die Kameele und Maulesel schrieen toll durcheinander. Endlich brach der Prophet das Schweigen, indem er sagte: Eine traurige 79 Nachricht. Bevor Sie mein Zelt verlassen, sind Sie mein Gefangener und müssen sich loskaufen.

Ich erhob mich.

Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, sagte er wie ein wahrer Freund, so würde ich mich nicht lange besinnen, sondern mich nach der Höhe der Lösesumme erkundigen.

Das that ich. Nun, belehrte mich der zweite Mahdi, Sie haben Glück, die Preise sind gefallen. Bezahlen Sie zwanzig Pfund Sterling und fünf Shilling Schreibgebühr, so sind Sie frei und können unbehelligt das Zelt verlassen. Dabei zog er wieder seinen Säbel.

Ich bat ihn, keine Furcht zu haben, er sei durchaus sicher, und erlegte die genannte Summe. Dann empfahl ich mich mit einer tiefen Verbeugung, da ich genug hatte, nämlich umgekehrt. Als ich im Freien war, athmete ich tief auf. Dann beschlich mich etwas wie eine Ahnung, als sei auch dieser Mahdi nicht der echte. Die Zukunft wird es lehren. Gelingt es ihm indeß, den ersten Mahdi zu vernichten, so wird England ihn ganz gewiß als den echten anerkennen.


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