Julius Stettenheim
Unter vier Augen
Julius Stettenheim

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Bei dem Bischof von Trier.

Der Bischof von Trier war kaum in Berlin angekommen und hatte noch keine Ahnung davon, daß auch ich mich hier aufhielt, als ich mich bereits im Hotel St. Petersburg unter den Linden einfand und den Portier ersuchte, dem Bischof zu sagen, daß ich bereit sei, ihn auszuforschen.

Als der Portier zögerte, beeilte ich mich, ihn anzumelden.

Korum wohnt eine Treppe hoch. Als Herr Heudtlaß dem Bischof den ersten Stock anwies, wollte er damit gewiß keine politische Anspielung machen. Das Zimmer trägt die Nr. 5. Es ist ein einfaches kleines Zimmer nach dem Hof hinaus, genau wie das des Papstes Gregor, als Heinrich so sehr tief unten sich befand.

An der Thür stand ein nicht zu großer Reisekoffer. Heinrich hatte bekanntlich nach Canossa gar keinen mit. Auf dem Tische lagen Bücher und Zeitungen.

40 Als ich eintrat, machte Korum ein verdrießliches Gesicht. Wahrscheinlich weil ich nicht früher gekommen war. Er ist ein Mann in den besten Jahren des Papstthums. Seine Haare auf den Zähnen sind noch voll. Seine lange Nase ist bedeutend kleiner als die, mit welcher wir abziehen.

Ich gab mir das Zeichen, gefälligst Platz zu nehmen, und setzte mich. Alsbald sagte Korum: Ich weiß von vornherein, daß ich Sie nichts fragen werde, worüber Sie zu schweigen haben. Dagegen bitte ich Sie, nicht blöde zu sein, sondern jede Frage, die Ihnen einfallen sollte, zu unterdrücken. Ich würde Ihnen jede Antwort unumwunden und so ausführlich wie möglich verweigern. Denn ich bin ein schlichter Seelsorger, kein Diplomat.

Auf mein Bemerken, daß es in hohem Maße interessirte, zu wissen, auf welcher Basis die erzielte Verständigung zwischen Rom und Berlin ruhe, erwiderte Korum: Ja, wenn Sie das wüßten! Wie würden Sie sich freuen, es zu wissen! Ich würde Sie dann bitten, es mir zu sagen, kein Segen wäre mir zu theuer. Als Sie eintraten, sagte ich mir: Nun werde ich gleich Alles erfahren. Wenn nach fünf Minuten der Interviewer längst wieder fort sein wird, werde ich Alles wissen, was ich wissen möchte. Nun stellt es sich heraus, daß Sie es von 41 mir wissen wollen, während ich ein schlichter Seelsorger, kein Diplomat bin.

Sie waren in Varzin?

Ich glaube, wenn ich nicht sehr irre, daß ich dort gewesen sein könnte, und zwar gestern. Aber ich habe mit dem Fürsten Bismarck nichts gesprochen, was irgendwie mit dem Culturkampf zusammenhinge. Bismarck ist im Gegensatz zu mir ein schlichter Diplomat, kein Seelsorger.

Ich erwähnte des berühmt gewordenen Anonymus v. S., um zu erfahren, wer derselbe sei. Korum nannte mir Mehrere, die es sicherlich nicht seien, so z. B. Friedrich von Schiller, den Trompeter von Seckingen oder dessen Autor Victor von Scheffel, den Barbier von Sevilla, den Ritter von Sonnenthal, den Kaiser von Soulouque, Fatinitza von Suppé und den Infanten von Spanien, worauf er fortfuhr: Ich bin für Tadel und Lob in der Presse gleich unempfänglich und lese auch keine Zeitungen. Sehen Sie, – und dabei zeigte er auf eine Menge Zeitungen auf dem Tisch, – eine solche Masse von Blättern lese ich nicht.

Ich muß gestehen, daß ich selten einen Mann gefunden habe, der so viel Journale nicht liest.

Gestern, so erzählte Korum, saß ich neben Moltke an der Table d'hote. Er ist im 42 Gegensatz zu mir ein schlichter Generalfeldmarschall, kein Seelsorger. Ich redete ihn nicht an, er schwieg, und so gab ein Schweigen das andere. Das Einzige, was Moltke mit mir sprach, war, daß er mir einmal eine Schüssel mit Fisch reichte. Das Liebste ist mir schon, es achtet Niemand auf mich, denn ich bin –

Ein schlichter Seelsorger, sagte ich, kein Diplomat. Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen schlichteren Seelsorger gesehen.

Ja, rief Korum geschmeichelt, ich bin ein Schlichter, ein Streitschlichter, ich will den Streit zwischen Kirche und Staat schlichten und zwar sofort.

Und was, fragte ich, hat Ihnen der Papst an Bismarck aufgetragen?

Ich sagte Ihnen bereits, sagte Korum, daß ich den Streit zwischen Kirche und Staat sofort schlichten will.

Ich erhob mich, er hatte mich verstanden, und je mehr ich mich der Thür näherte, desto größer wurde sein Verständniß, denn der Kirchenfürst legte mir kein Hinderniß vor die Thür, so daß ich dieselbe öffnen und hinausgehen konnte. Ich hörte noch, wie er meinen Ausgang segnete.

Dem komme ich gewiß nicht wieder.


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