Julius Stettenheim
Unter vier Augen
Julius Stettenheim

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Bei dem Grafen Taaffe.

Der Belagerungszustand war kaum über dem schönen und lebenslustigen Wien ausgebrochen und noch so klein, daß man ihn nicht bemerkte, als ich auch beschloß, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und den Minister in einen ebenso kleinen Belagerungszustand zu versetzen. Ich eilte in das Ministerhôtel.

Hier trat mir der Portier entgegen. Ah, sagte ich zu demselben, es freut mich, daß Sie kommen, aber den Minister können Sie jetzt nicht sprechen, um mich anzumelden. Stören Sie ihn nicht, er regiert gerade constitutionell, ich werde ungemeldet eintreten.

Eine Minute später stellte ich mich dem Minister vor. Da Se. Excellenz verdrießlich war, so nahm ich an, daß er mich bereits seit einiger Zeit erwartete, und ich entschuldigte mich daher, so gut es ging.

36 Er bot mir in der höflichsten Form keinen Stuhl an, worauf wir uns setzten.

Was führt mich zu Ihnen? fragte ich den Minister, um das Gespräch zu eröffnen.

Sie wollen etwas über den kleinen Belagerungszustand hören, erwiderte der Graf, ich weiß dies, und ich will Ihnen zuvörderst Alles sagen, was wir uns von dieser Ausnahmemaßregel versprechen.

Der Minister schwieg. Ich lauschte.

Es entstand eine Pause.

Als dieselbe vorüber war, lauschte ich, und der Minister schwieg.

Endlich brach ich das Lauschen. Excellenz, bat ich, gestatten Sie mir eine Frage. Versprechen Sie sich von dem kleinen Belagerungszustand in Wien mehr Erfolg, als derselbe in Berlin hatte, oder weniger?

Der Minister bejahte, indem er das Haupt schüttelte.

Ermuthigt fuhr ich fort: Glauben Ew. Excellenz, daß die Socialdemokratie durch Ausnahmemaßregeln zu beseitigen ist, oder daß sie nur noch mehr erstarkt? Der Minister verneinte, indem er mit dem Kopf nickte.

Einmal im Zuge, ließ er seinem Schweigen freien Lauf. Ich störte ihn nicht, sondern berechnete 37 im Geiste die Zahl der nicht gesprochenen Worte, welche ich zu telegraphiren haben würde. Als der Minister 1572 Worte geschwiegen hatte, unterbrach ich ihn, indem ich sagte: Ew. Excellenz werden ohne Zweifel dies Alles im Abgeordnetenhause haarklein wiederholen. Oder werden demselben keine weiteren Eröffnungen gemacht werden?

Der Minister verbeugte sich, als wünschte er, daß ich ihn verabschiede. Ich hatte indeß, da ich bereits gefrühstückt hatte, keine Eile. Um mich trotzdem nicht unnöthig aufzuhalten, nahm ich wieder das Wort: Excellenz, nicht ich, aber das Volk fürchtet, daß der kleine Belagerungszustand dazu benützt werden würde, Ihre politischen Gegner zu unterdrücken. Ist dem so?

Der Lenker der österreichischen Geschicke nickte wieder.

Ist dem so? wiederholte ich laut.

Der Minister fuhr auf. Ich hatte einen Traum, sagte er.

Darf auch ich ihn haben? warf ich ein.

Mit Vergnügen, antwortete der berühmte Staatsmann. Ich hatte einen Traum, den ich jetzt oft habe, in dem es mir nicht einfällt, die Ausnahmemaßregeln im politischen Sinne zu verwerthen, oder gar ein Attentat gegen den Liberalismus oder gegen die Presse zu unternehmen.

38 Kann ich mich darauf verlassen? fragte ich den Minister.

Sie wollen mich verlassen? sagte er. Dann war es mir überaus angenehm, denn Sie haben Eile.

O, das schadet nichts, Excellenz, warf ich ein, ich bin nicht pressirt.

Nun, dann will ich Sie nicht länger aufhalten, entgegnete der Minister, indem er mir die Hand reichte, in welcher er schon seit Langem sämmtliche Fäden des socialistischen Treibens hatte. Dabei hatte er sich erhoben.

Noch eins – sagte ich.

Keins mehr, rief der Graf. Sie scheinen nicht zu wissen, daß der kleine Belagerungszustand über Wien und Umgegend verhängt ist, also auch über meinem Bureau schwebt, und wenn Sie diese Maßregel mißachten, indem Sie gegen meine Wünsche sich auflehnen, so – Er griff zur Klingel.

Ich war, ehe er sich dessen versah, aus dem Zimmer getreten und ging die Treppe hinab, froh, meinem Blatte Vieles mittheilen zu können, was mir der Minister nicht anvertraut hatte. Unten traf ich den Portier wieder an, den ich bat, Sr. Excellenz für mich Adieu zu sagen.


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