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12. An den Geheimen Legationsrat Joh. Albr. Friedr. Eichhorn.

2. Januar 1818.

Herr Dr. Schlosser wird E.H. dieses Schreiben überreichen und Ihnen von unseren ständischen Angelegenheiten sprechen, gegen deren Erfolg einheimische und ausländische Widersacher sich vereinigen. Diese erröten nicht, mit der frechsten Schamlosigkeit die Grundsätze des empörendsten Machiavellismus auszusprechen und zu verbreiten; die Bundesakte, sagen sie, verspricht zwar denen Ländern Landstände, aber die Bestimmung des Zeitpunktes und der Art überläßt sie der Weisheit, d.h. der Willkür, der Regierungen, denen Untertanen steht nur ein Erwartungsrecht zu, der Bund hat keine Befugnis, sie zu schützen, vielmehr ist er verpflichtet, wenn Unruhen entstehen, sie zu unterdrücken, ohne sich um die Merita causae, um den Grund der Beschwerden zu bekümmern.

Diese Grundsätze sprechen Fürst Metternich und Graf Rechberg aus, sie dienen zum Leitfaden des Benehmens der österreichischen und bayerischen Gesandten am Bund und an den deutschen Höfen, man versichert, Preußen und Hannover werde sich gleichfalls dazu bekennen.

Ich will es nicht untersuchen, ob ein Kabinett überhaupt und das österreichische insbesondere würdig und klug handle, zu solchen Sophistereien seine Zuflucht zu nehmen, aber standhaft und unablässig werde ich behaupten, daß sie für Preußen unanwendbar und durchaus verderblich sind.

Preußen ist ein protestantischer Staat, in welchem sich seit zwei Jahrhunderten ein großes, vielseitiges Leben, ein Geist der freien Untersuchung entwickelt hat, der sich weder unterdrücken, noch durch Gaukelspiele irreleiten läßt. Auch den Dümmsten im Volke wird man nicht glauben machen, daß es von dem Willen des Fürsten abhänge, ob, wenn und wie er eine übernommene Verbindlichkeit erfülle, und daß, wenn durch Willkür und Mißhandlungen gereizt, er sich diesen widersetze, ein Nachbar ihn totzuschlagen befugt sei.

Es sind ferner in Preußen von einem tapferen, ritterlichen, frommen und treuen König eine Folge von Zusagen erteilt worden, denen man auf das schnödeste widersprechen würde, wenn man sich zu einem solchen Gewebe von Sophismen bekennte. Im Jahre 1815 versprach der König förmlich und öffentlich, seinem Volk eine repräsentative Verfassung zu geben, der Staatskanzler wiederholte es in allen seinen, den verschiedenen Provinzialständen auf ihre Beschwerden gegebenen Antworten, neue Erwartungen wurden erregt, als man im Staatsrat ein eigenes Komitee für ständische Angelegenheiten errichtete, in den Provinzen sie den Oberpräsidenten übertrug, drei Minister herumsandte, um in den verschiedenen Teilen der Monarchie die öffentliche Meinung zu erforschen, Materialien über Vergangenheit und Gegenwart zu sammeln: und es sollten alle diese Zusagen, alle diese Tatsachen ein bloßes Gaukelspiel sein, alle Erwartungen betrogen werden?

In welchem Grad würde aber nicht der Unwille des Volkes gereizt und gesteigert, die moralische Kraft des preußischen Staates gelähmt, die seine Untergeordnetheit an physischer Kraft gegen die Nachbarstaaten, so aus einem wenigem Reichtum und Volkszahl und seinem Unzusammenhang entsteht, ersetzen soll? Auf dieser moralischen Kraft kann nur unser Verteidigungs- und Finanzsystem beruhen, diejenige Bereitwilligkeit zu großen Opfern, welche beide im Krieg erfordern, kann nur aus dem Gemeingeist entstehen, der da allein Wurzel schlägt, wo eine Teilnahme am Gemeinwesen stattfindet.

Eine solche Teilnahme vermag ferner die unvermeidlichen Unvollkommenheiten einer Verwaltung zu beseitigen, so Beamten ausschließend übertragen ist, sie seien einzelstehend oder in Kollegien vereint.

Den gegenwärtigen Moment hält man für unpassend, weil die Gemüter lebhaft aufgeregt sind, man will einen ruhigeren abwarten, – werden aber die Gemüter beruhigt, wenn man gerechte, auf Bundesakte, Edikte und mannigfaltige Verheißungen gegründete Erwartungen täuscht oder mit ihrer Erfüllung zögert? Wenn man einem treuen, besonnenen, tapferen, milden Volk, das in den Jahren 1806-1812 den schmählichsten Druck geduldet und im Jahre 1813-1815 die Fesseln mit Heldenmut zerbrochen und dem Thron den alten Glanz wieder errungen, wenn man diesem Volk mißtrauend eine Verfassung vorenthält, in deren Genuß seine Umgebungen, Franzosen, Polen, Schweden, Belgier sind?

Sind die Gemüter bewegt, so sind doch nirgends die Gesetze beleidigt, die Schranken der Ordnung durchbrochen.

Die demokratischen und verwerflichen Grundsätze einiger unserer Gelehrten können nur insofern verderbliche Folgen haben, als man die dem Volk gegebenen Zusagen unerfüllt läßt, und diese Folgen werden sich weniger äußern durch anarchischen Widerstand gegen die Regierung als durch den ihre Kraft lähmenden Unwillen, wenn sie in gefahrvollen Zeiten zu großen Anstrengungen und Opfern jeder Art auffordert.

Was nun die Form anbetrifft, die für die Verfassung gewählt werden soll, so kann man sich entweder entschließen, ganz neue zu erschaffen, oder die alten, einen geschichtlichen Grund habenden mit zeitgemäßen Abänderungen wiederherzustellen – und dieser Weg ist der einfachere, leichtere. Er ist ein Übergang, keine Umwälzung, er stützt sich auf Erinnerungen, auf das Bekannte, er beseitigt die metapolitischen, weitführenden Fragen, mit denen sich unsere unpraktischen Gelehrten und Pamphletisten beschäftigen und gleichfalls die durch den Lauf der Zeit unerträglich gewordenen Mängel der alten Verfassungen, Steuerfreiheit und fehlerhafte Repräsentation.


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