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4. Beurteilung eines Entwurfs über Reichsstände.

8. September 1808.

Von Stein bespricht hier den Entwurf eines Herrn von Rhediger, der für den ganzen Staat eine und dieselbe Repräsentation vorschlug, die nicht auf Ständen beruhen und aus Notabeln, d.h. Beamten, bestehen sollte. Er tritt diesen Vorschlägen entgegen, u.a. mit dem Gedanken nicht einer Aufhebung, sondern einer Verbesserung des Adels. Vgl. G. H. Pertz, Leben des Feldmarschalls Grafen Neidhardt von Gneisenau I, S. 398. der Notwendigkeit, der Nation eine Teilnahme an der Gesetzgebung, selbst an der Verwaltung einzuräumen, bin ich überzeugt sowie von der Richtigkeit der aufgestellten allgemeinen Bedingungen, unter denen diese Rechte zu übertragen sind, nämlich Entfernung sowohl von Ängstlichkeit als von Unvorsichtigkeit.

Die Teilnahme der Nation an der allgemeinen Gesetzgebung und Verwaltung kann zwar nur durch Reichsstände ausgeübt werden, es bleibt aber noch immer ein wichtiger Geschäftskreis für die Provinzialstände übrig, nämlich Aufsicht auf die Provinzialbehörden und beratschlagende und ausführende Teilnahme an Einrichtungen, Anlagen, Verordnungen, die sich nur auf die Provinz beziehen.

Die Bedürfnisse der Provinzen bleiben unbekannt und unabgeholfen, wenn allein durch die Staatsbehörden abgeholfen werden soll, man muß diesen durch Gemeinde- und Provinzialvorsteher zu Hilfe kommen und den Gemeindegeist an die Stelle einer alles durchgreifenden Bureaukratie setzen. Hiernach wird also der Grundsatz, »die Repräsentation muß eine und dieselbe sein«, für den ganzen Staat näher bestimmt.

Der Einheitstendenz, welche man in der allgemeinen Versammlung befürchtet, wirkt am kräftigsten entgegen Zusammensetzung der Stellvertreter aus allen Provinzen und der eigentümliche Gang des Geistes des Deutschen, der langsam und bedächtig zu verfahren und in das Einzelne, oft in das Kleinliche zu gehen geneigt ist. Die Rechtlichkeit des Deutschen, sein ruhiges, besonnenes Wesen sichern gegen alle die Unregelmäßigkeiten und das wilde Wesen der französischen Volksversammlungen, und die Geschichte aller deutschen Republiken, aller deutschen Vereine, wozu ich auch die Schweiz und Holland rechne, beweist, daß ruhiges, besonnenes, gemeinschaftliches Beraten, pünktliches, treues Ausführen überall zu finden war, wo der Deutsche frei und ungestört seine Kräfte äußerte.

Wir finden alle uns bekannte, einigermaßen gebildete Nationen in Stände eingeteilt, in eingeschränkten Monarchien ihre Teilnahme an der Regierung in verschiedenem Verhältnis bestimmt; darf man es also erwarten, daß eine solche allgemeine Einrichtung ohne Nachteil durch einen einzigen Beschluß vernichtet werde? Das Übergewicht eines Standes über seine Mitbürger ist nachteilig, ist eine Störung der gesellschaftlichen Ordnung, und man schaffe es ab. Der Adel im Preußischen ist der Nation lästig, weil er zahlreich, größtenteils arm und anspruchsvoll auf Gehälter, Ämter, Privilegien und Vorzüge jeder Art ist. Eine Folge seiner Armut ist Mangel an Bildung, Notwendigkeit, in unvollkommen eingerichteten Kadettenhäusern erzogen zu werden, Unfähigkeit zu den oberen Stellen, wozu man durch Dienstalter gelangt, oder Drängen des Brotes halber nach niedrigen, geringfügigen Stellen.

Diese große Zahl halbgebildeter Menschen übt nun seine Anmaßungen zur großen Last seiner Mitbürger in ihrer doppelten Eigenschaft als Edelleute und Beamte aus. Man verringere also die Zahl der Edelleute, man hebe den Armenadel auf, und der übriggebliebenen geringeren Anzahl reicher Familien weise man einen politischen und amtlichen Wirkungskreis an, der sie zur Bildung und Entwicklung ihrer Kräfte auffordert. Reichtum vereinigt das eigene Wohl des Grundbesitzers mit dem allgemeinen, und durch die Erinnerung der Taten der Voreltern verbindet sich der Ruhm der Nation mit der Familienehre. Ist der reiche Adel von politischer Tätigkeit entfernt, so wird Trägheit und Genußliebe ihn beherrschen und ihn zu einer unnützen und verächtlichen Klasse herabwürdigen. Es werde also aus dem reichen Adel ein Oberhaus gebildet und dessen Glanz aufrecht erhalten durch Aufnahme von Männern von großem Ansehen, es entstehe aus Reichtum oder Verdiensten um den Staat.

Die Stellvertreter einer Nation müssen das Vertrauen der Nation besitzen, mit ihren Wünschen und Bedürfnissen bekannt und unabhängig vom Einfluß und Einseitigkeit sein. Der größeren Anzahl der öffentlichen Beamten, z.B. den unteren Hebungsbeamten, den unteren Militärpersonen, fehlt es an Bildung, Selbständigkeit, Bekanntschaft mit den Bedürfnissen der bürgerlichen Gesellschaft, Interesse an ihrer Erhaltung, Sittlichkeit, und sie werden die verständigen Handwerker, die mittlere Klasse der Grundeigentümer in keiner Hinsicht ersetzen. Sie werden bei ihrer Abhängigkeit von der Regierung ein blindes, leicht zu behandelndes Werkzeug in ihren Händen sein, und welche Achtung, welches Zutrauen wird eine Nationalrepräsentation genießen, die von einer Majorität, so aus Subalternen, Unteroffizieren und Dorfschulzen besteht, gewählt worden ist.

Die Masse der Eigentümer der Nation besitzt eine Unabhängigkeit, die den in Vorschlag gebrachten Notabeln fehlt; sie nehmen an dem ganzen Vorrat der Ideen und Gefühle, die einer Nation gehören, einen überwiegenden Anteil; alle Einrichtungen des Staates wirken unmittelbar auf ihren eigenen Zustand, und die Erhaltung desselben bindet sie an Ruhe, Ordnung und Gesetzlichkeit. Den Eigentümern überlasse man also die Wahl und ersinne Formen, wodurch Ordnung, Besonnenheit, Stimmfreiheit erhalten werde.

Da die Nation noch so wenig gewohnt ist, selbst zu handeln, so wenig mit ihrem eigenen Interesse, ihren eigenen Angelegenheiten, mit dem Standpunkt, auf dem sie steht, bekannt ist, so ist es unter den gegenwärtigen Umständen ratsam, ihr nur das Recht zum Gutachten, nicht zur Teilnahme an der Gesetzgebung beizulegen, die Verhandlungen jedoch zur allgemeinen Kenntnis des gesamten Volkes zu bringen und der Beratschlagungskammer oder dem Reichstag zugleich das Recht zu Anträgen auf neue Gesetze zu überlassen. Will man das Recht, auf Gesetze anzutragen, allein der Regierung erteilen, so benimmt man der Nationalversammlung einen der wesentlichsten Vorteile ihrer Einrichtung, den Einfluß auf das Fortschreiten der Gesetzgebung im Verhältnis des jedesmaligen Zustandes der bürgerlichen Gesellschaft, und dieses Fortschreiten wird allein von den Eigenschaften des Regenten und seiner Umgebungen abhängig gemacht.

Überhaupt werden sich die Menschen erst durch Geschäfte bilden, und durch Handeln wird die Nation erst mit ihrer Geschäftsfähigkeit bekannt, und man wird anfangs zufrieden sein dürfen, wenn nur der fünfte Teil der Gewählten aus geschäftsfähigen Männern besteht.

Es ist folgenreicher und wohltätiger, den Gang der Diskussionen zu ordnen, gewisse Formen, die zu beobachten sind, vorzuschreiben, als alle Gelegenheit zur Beredsamkeit, zu einem freien und edlen Vortrag über die große Angelegenheit des Staates zu unterdrücken. Die parlamentarischen Formen scheinen hinreichend zu sein, um allen Unordnungen und Mißbräuchen bei einer besonnenen, rechtlichen, verständigen Nation zuvorzukommen. Durch eine solche Art, die Geschäfte zu verhandeln, bildet sich in ihr ein praktischer Sinn für Geschäfte und eine Bekanntschaft mit den Personen, die sie zu behandeln fähig sind – und ich glaube, man muß bei den ruhigen Deutschen, die, wie einer unserer Schriftsteller sagt, unter allen Zeiten am meisten die Bedenkzeit lieben, eher Reizmittel anwenden als Opiate.


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