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7. Über die neue Verfassung des Deutschen Reiches.

Ende August 1813.

§ 1. Gerecht und bescheiden ist der Wunsch jedes Deutschen, das Resultat eines zwanzigjährigen, blutigen Kampfes sei für sein Vaterland ein beharrlicher Zustand der Dinge, der dem einzelnen Sicherheit des Eigentums, der Freiheit und des Lebens, der Nation Kraft zum Widerstände gegen Frankreich als ihrem ewigen, unermüdlichen, zerstörenden Feind verschaffe.

§ 2. Es ist von der größten irdischen Angelegenheit die Rede. 15 Millionen gebildeter, sittlicher, durch ihre Anlagen und den Grad der erreichten Entwicklung achtbarer Menschen, die durch Grenzen, Sprache, Sitten und einen inneren, unzerstörbaren Charakter der Nationalität mit zwei anderen großen Staaten verschwistert sind. Der Gegenstand der Erwägung ist also wichtig, der Moment verhängnisvoll, Zeitgenossen und Nachwelt werden streng diejenigen beurteilen, die, zu der Lösung der Aufgabe berufen, durch ihre Stellung im Leben ihr nicht alle Kraft und allen Ernst widmen.

§ 3. Die alte Verfassung Deutschlands versicherte jedem seiner Einwohner Sicherheit der Person und des Eigentums; in den größeren, geschlossenen Ländern verbürgten beides Stände, Gerichtsverfassung, in den übrigen die Reichsgerichte, die Oberaufsicht des Kaisers. Die Willkür der Fürsten war durchaus in der Abgabenerhebung, in ihrem Verfahren gegen die Person ihrer Untertanen beschränkt. Alle diese Schutzmauern sind eingerissen, 15 Millionen Deutsche sind der Willkür von 36 kleinen Despoten preisgegeben, und man verfolge die Geschichte der Staatsverwaltung in Bayern, Württemberg und Westfalen, um sich zu überzeugen, wie es einer Neuerungssucht, einer tollen Aufgeblasenheit und einer grenzenlosen Verschwendung und tierischer Wollust gelungen ist, jede Art des Glücks der beklagenswerten Bewohner dieser einst blühenden Länder zu zerstören.

§ 4. Die Folgen eines solchen Zustandes werden fortschreitend verderblicher. Nahm die ältere Zerstückelung Deutschlands seinem Bewohner das Gefühl der Nationalität, verminderte sie das seiner Selbständigkeit, gab sie ihm einen kleinlichen, vom Interesse des Vaterlandes abgewendeten Blick, so behielt er, der unter dem Schutze der Gesetze lebte, doch Sittlichkeit, ein Gefühl seiner persönlichen Würde. Beides wird aber schnell untergehen in diesen kleinen Despotien, wo er der Laune des Regenten und seiner Günstlinge preisgegeben und unwiederbringlich verloren ist, sobald er es nur im geringsten wagt, seine Fesseln zu lösen, sich zu erheben. Der Deutsche wird also fortschreitend schlechter, kriechender, unedler werden, die Entfremdung der verschiedenen Länder mit jedem Jahre wachsen, sollte die gegenwärtige Zerstückelung durch einen zukünftigen Friedensschluß befestigt werden.

§ 5. Durch die Erhaltung dieser kleinen Despotien bleibt ferner der überwiegende Einfluß Frankreichs auf Deutschland fortdauernd, wird gleich der Rheinbund formell aufgelöst. Denn es grenzen mehrere dieser kleinen Souveräns, als Baden, Württemberg, Darmstadt usw., unmittelbar mit Frankreich, an das sie die Furcht fesselt. Die mehr zurückliegenden, als Bayern, Sachsen, sehen aus Eifersucht gegen ihre mächtigeren Nachbarn Frankreich als ihren Beschützer an, das durch die mehrere Gewandtheit seiner diplomatischen Agenten, durch seine bisher begründeten Verbindungen, durch anscheinende Vorteile, die es momentan anzubieten imstande ist, einen Grad von Einfluß behaupten kann, der den übrigen Mächten aus mehreren Gründen unerreichbar sein wird.

§ 6. Die Fortdauer der Zerstückelung Deutschlands in 36 Despotien ist folglich verderblich für die bürgerliche Freiheit und für die Sittlichkeit der Nation und verewigt den überwiegenden Einfluß Frankreichs über eine Bevölkerung von 15 Millionen zum Nachteil für sie selbst und für die Ruhe der übrigen Mächte Europas. Benutzen die an der Spitze der deutschen Angelegenheiten stehenden Staatsmänner die Krise des Moments nicht, um das Wohl ihres Vaterlandes auf eine dauerhafte Art zu befestigen, beabsichtigen sie nur, auf eine leichte, bequeme Weise einen Zwischenzustand herbeizuführen, durch welchen die nächsten Zwecke einer vorübergehenden Ruhe, einer etwas erträglichen Lage erreicht werden, so werden Zeitgenossen und Nachwelt sie des Leichtsinns, der Gleichgültigkeit gegen das Glück des Vaterlandes mit Recht anklagen und als daran schuldig brandmarken.

§ 7. Die Frage, welche Verfassung soll Deutschland erhalten als Resultat des zwanzigjährigen Krieges, kann auf keine Art umgangen werden, das Wohl seiner Bewohner, das Interesse Europas, die Ehre und Pflicht der die großen Angelegenheiten der Nationen leitenden Staatsmänner erfordert, daß man sie mit allem dem Ernste, der ihrem Umfange, und mit der tiefsten Besonnenheit, die ihrer Heiligkeit gebührt, erwäge und Flachheit, Leichtsinn und Genußliebe entferne.

§ 8. Die Art der Auflösung der Aufgabe muß zwar das Erreichbare, aber auch das unter dieser Bedingung möglichst Vollkommene befördern.

§ 9. Das Wünschenswerte, aber nicht das Ausführbare, wäre ein einziges, selbständiges Deutschland, wie es vom 10.–13. Jahrhundert unsere großen Kaiser kräftig und mächtig beherrschten. – Die Nation würde sich zu einem mächtigen Staate erheben, der alle Elemente der Kraft, der Kenntnisse und einer gemäßigten und gesetzlichen Freiheit in sich faßte. Dieses schöne Los ist ihr nicht beschieden, auf anderen Wegen muß sie ihre innere, gesellschaftliche Entwicklung zu erreichen suchen, die dieser entgegenstehenden Hindernisse beseitigen, neue Einrichtungen und Verfassungen schaffen.

§ 10. Deutschland hat eine Richtung genommen zu einer Trennung in zwei größere Teile, in das nördliche und südliche. In dem ersteren besaß Preußen, in dem letzteren Österreich ein Übergewicht in den öffentlichen Angelegenheiten. Verschiedenheit der ursprünglichen Stämme seiner Bewohner, der Saßen und Franken, der Sitten, der Religion, der Gemeindeeinrichtungen veranlaßten und beförderten diese Trennung, und sie würde ohne Schwierigkeit in dem gegenwärtigen Augenblick können ausgeführt werden. Ist es möglich, die Einheit der Nation zu erhalten, so hat dieses unstreitig einen großen Vorzug in Hinsicht auf Macht und innere Ruhe. In diesem Falle ist es nötig, die Macht des Kaisers oder das Oberhaupt des Staates noch mehr zu verstärken. Inwiefern ist aber dieses den Absichten der Verbündeten angemessen?

§ 11. Das, was in der Folge gesagt wird von der Organisation der Staatsverfassung des Ganzen, kann auch angewandt werden, wenn man sich Deutschland in zwei größere Bundesstaaten aufgelöst denkt, die sich an Preußen und Österreich anschließen.

§ 12. Bereits im Dezember äußerte sich der tapfere und geistvolle Kronprinz von Schweden in einem dem russischen Hofe mitgeteilten Memoire über die Notwendigkeit einer Deutschland zu gebenden neuen Verfassung, die die kaiserliche Gewalt verstärkt, ohne die Landeshoheit gänzlich zu lähmen. Auch der kurhannoversche Minister Graf Münster schlägt in seinem Memoire d.d. 5. Januar 1813 vor, den Ständen das Recht des Friedens und Krieges zu nehmen und es dem Reichstage zu übertragen.

§ 13. Die Vernichtung der französischen Organisation und die Auflösung des Rheinbundes sind die ersten Bedingungen der Wiederherstellung der deutschen Freiheit. »Diese trügerische Fessel, mit welcher der Allentzweiende das erst zertrümmerte Deutschland umschlang, kann als Wirkung fremden Einflusses länger nicht geduldet werden«, sagt der verewigte Feldmarschall Kutusoff in dem namens der verbündeten Mächte an die Deutschen den 25. März a.c. erlassenen Aufruf.

§ 14. Mit ihr gehe die Souveränität oder die Despotie der 36 Häuptlinge unter und gestalte sich um in eine den Bedürfnissen und Wünschen der Nation angemessen umgeformte Landeshoheit.

§ 15. Die Macht des Kaisers werde vergrößert, man setze ihn in den Stand, eine Oberherrlichkeit auszuüben, indem man allen denjenigen Mitgliedern des Reichs, so nach dem Reichsdeputationsschluß von Anno 1803 unmittelbar waren, diese Eigenschaft wieder beilege, die Länder in die damaligen Grenzen einschränke, denn es waren die großen deutschen Staaten, so sich durch Neutralitätsallianzverträge an Frankreich angeschlossen und ihren Pflichten gegen Deutschland entzogen, nicht die kleineren, die fest an der alten Verfassung hielten und von ihrer Erhaltung ihr Heil erwarteten. Die Vergrößerung einzelner Stände, die Aufhebung vieler kleinen, waren Mittel, deren Frankreich sich bereits Anno 1806 bediente, um den Einfluß des kaiserlichen Hofes zu vernichten, und diesem Mittel muß um so kräftiger engegengewirkt werden, als es in der Natur eines Bundes kleiner Staaten liegt, daß seinen Mitgliedern eine immer rege Neigung zur Unabhängigkeit und Vergrößerung beiwohnt, die nur durch ihre Kleinheit und ihr Unvermögen unschädlich gemacht werden kann.

Die Macht der Stände werde ferner geschwächt, man nehme ihnen das Recht, Krieg und Frieden zu schließen, und übertrage es dem Kaiser und dem Reichstage.

§ 16. Der Kaiser erhalte das Recht der exekutiven Gewalt, das heißt die Oberaufsicht über die Reichsgerichte, ihre Visitation, die unmittelbare Leitung der Verhältnisse mit fremden Mächten, der Militärangelegenheiten, der Reichskasse.

Er ernenne die Generalität, den Generalstab, das Kommissariat allein. In den kleinen Staaten, so unter dreitausend Mann stellen, ordne er unmittelbar die militärische Organisation, in den größeren übe er die Oberaufsicht aus.

Die allgemeinen Militäranstalten, als Festungen, Genie, Artillerie, Fuhrwesen, leitet und ordnet er allein.

§ 17. Es wird ihm eine Zivilliste und der Bedarf für das Kriegswesen, Reichsgerichte, Gesandtschaften anvertraut, aus diesen die Staatsbeamten, die er ernennt, besoldet. Das Reichsministerium besteht aus dem Reichsfeldmarschall, dem Reichskanzler, der das Konstitutionelle und Politische leitet, dem Reichsfinanzminister mit ihren Kanzleien, mit ihren in den Territorien angestellten Unterbehörden. Der Kaiser hat sein eigenes, von Österreich verschiedenes Corps diplomatique.

§ 18. Die Staatsbeamten dürfen nur Deutsche sein, sie dürfen nicht in anderen Diensten zugleich stehen.

§ 19. Der Sitz der deutschen Verwaltungsbehörden ist in Regensburg, nicht im kaiserlichen Hoflager – hierhin wird der Reichshofrat verlegt –, hier ist der deutsche Hofkriegsrat, der Reichsgeneralfeldmarschall, der Reichskanzler, die Reichskasse usw. und der Reichstag.

§ 20. Der Kaiser und der Reichstag üben die gesetzgebende Gewalt aus, ihm wird von dem kaiserlichen Prinzipalkommissar die Nachweisung über den Zustand der verschiedenen Verwaltungszweige vorgelegt – zur Einsicht und Beurteilung.

Auf dem Reichstage gilt die Stimmenmehrheit. Das Ius eundi in partes und alle auf die Religionsverschiedenheiten Bezug habende Einrichtungen, z. B. Corpus catholicorum, Paritäten in den Deputationen usw., werden aufgehoben, die Gleichheit der Ansprüche und Rechte der drei Religionsparteien bestätigt und schlechterdings gar kein Unterschied zugelassen.

§ 21. Die Reichstagsmitglieder sind Repräsentanten, keine Gesandte – es werden der städtischen Bank noch Abgeordnete aus der Reichsritterschaft, aus den Territorien nach der Ständewahl beigeordnet wegen der verminderten Zahl der Reichsstädte.

§ 22. Dem katholischen Religionsteil werden noch 27 Stimmen zugelegt, um ihn dem protestantischen gleichzusetzen.

§ 23. Münz- und Zollwesen gehört für den Reichstag. Alle Territorialzolleinrichtungen werden aufgehoben und Grenz-, Land- und Seezölle für Rechnung des Reiches errichtet.

§ 24. Die Gegenstände der Landeshoheit bleiben: innere Landespolizei, Rechtspflege, Erziehung, Kultus, Militär und Finanzen unter den oben bemerkten Beschränkungen.

§ 25. Der Unterhalt der Fürsten wird auf die Domänen angewiesen, die vom Lande verwilligten Abgaben werden zu den Reichsbedürfnissen verwandt.

§ 26. In denjenigen Territorien, die Landstände besitzen, werden sie beibehalten, die aufgehobenen wiederhergestellt und zweckmäßig organisiert, in den Ländern, wo sie nicht vorhanden waren, von neuem gebildet und ihnen eine Konkurrenz bei der Provinzialgesetzgebung, bei der Abgabenbewilligung eingeräumt, sie wählen Reichstagsgesandte auf die dritte Bank.

§ 27. Erhält Österreich die so verstärkte Kaiserwürde, so wird seine Macht bedeutend vermehrt. Es ist ratsam, sie ihm anzuvertrauen, um sein Interesse an Deutschland zu binden und wegen des langen Besitzes und der Gewohnheit der Völker.

§ 28. Aber auch Preußen darf Deutschland nicht entfremdet werden, und es muß eine hinlängliche Kraft erhalten, um zu dessen Verteidigung mitzuwirken, ohne seine Kräfte zu überspannen und sein politisches Dasein auf das Spiel zu setzen – es muß kräftig und selbständig werden. In Preußen erhält sich der deutsche Geist freier und reiner als in dem mit Slawen und Ungarn gemischten, von Türken und slawischen Nationen umgrenzten Österreich, dessen Entwicklung daher auf jeden Fall erschwert würde, wären ihre Fortschritte auch nicht im 17. und 18. Jahrhundert noch durch Geistesdruck und Intoleranz gestört worden.

§ 29. Ein tiefes Gefühl der Schwäche hielt Preußen von einer Teilnahme an entfernteren Kriegen zurück, es besaß nur 9 Millionen Menschen, 36 bis 38 Millionen Taler Einkommen, eine Armee von 250 000 Mann, das Einkommen war für auswärtige Kriege unzureichend, die Armee für die Bevölkerung zu zahlreich, wenn man als Grundsatz annimmt, 20 000 Mann auf 1 Million zu rechnen – seine Provinzen lagen zerstreut, und ein Teil seiner Untertanen, die Polen, war feindlich gesinnt.

§ 30. Preußen bleibt wegen seiner geographischen Lage, des Geistes seiner Bewohner, seiner Regierung, des Grades seiner erworbenen Bildung ein für Europa, besonders für Deutschland, wichtiger Staat. Die Notwendigkeit seiner Wiederherstellung ist von Rußland, Österreich und England anerkannt, aber seine Wiederherstellung ist ohne seine innere Verstärkung ohne Wert und ohne wesentlichen Erfolg. Preußen hat seinen politischen Indifferentismus, den es seit dem Basler Frieden zeigte, teuer gebüßt und seine Ansprüche auf den alten Waffenruhm und eine achtbare Stelle unter den Nationen mit seinem edelsten Blute wieder erkauft.

§31. Um Preußen abzurunden und zu verstärken, müßte man ihm Mecklenburg, Holstein, Kursachsen einverleiben – über beide letztere entscheidet das Eroberungsrecht.

§ 32. Die Herzöge von Mecklenburg entschädigt ein verhältnismäßiger Teil des Herzogtums Berg.

§ 33. Ansbach erhielte ein österreichischer Herzog – Österreich gelangt zu dem Besitzstand von 1805 und zu der mit Macht und Einfluß versehenen Kaiserwürde über eine Bevölkerung von 10 Millionen Menschen, die nach Abzug der preußischen Vergrößerungen und seiner eigenen übrigblieben.

§ 34. Preußens Bevölkerung beträgt alsdann ungefähr 11 Millionen Menschen, sein Verhältnis gegen Deutschland ist das eines zur Mitsorge für seine Erhaltung verpflichteten Standes und eines ewigen Garants seiner Verfassung und Integrität. Deutschland verbürgt ein gleiches an Preußen, der Casus foederis ist ein Angriffskrieg von Auswärtigen.

§ 35. Österreich verbindet mit der Kaiserwürde die Eigenschaften eines Mitstandes und eines Garants von Deutschland und Preußen.

§ 36. Wird dieser Bund von Deutschland, Österreich und Preußen mit Treue beobachtet, mit Kraft verteidigt, so ist seine Macht hinreichend, die Ruhe und Integrität der deutschen Völkerschaften zu gründen und dauerhaft zu erhalten und vielleicht unter günstigen Umständen Frankreich das Land zwischen Rhein und Scheide wieder zu entreißen, um hier einen neuen Zwischenstaat zu gründen, der Deutschlands Vormauer gegen seinen natürlichen Feind ist. Auch Rußland wird auf immer gegen eine Invasion gesichert, die seinen Grenzprovinzen verderblich ist und selbst seine Selbständigkeit bedrohet, wenn der Angriff mit mehrerer Klugheit als Anno 1812 geleitet wird und wenn Frankreich fortdauernd alle seine Nachbarn in einer solchen gänzlichen Abhängigkeit erhält, daß es ihre gesamten Streitkräfte durch eine lange Folge von Jahren und nach einem richtig berechneten Plane gegen Rußland anzuwenden vermag.


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