Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6. Aus Steins Aufzeichnungen zur Geschichte und Volkswirtschaft von Europa.

1809 – 1810

Ist die Geschichte einer Nation Abdruck ihrer Sinnesart, wie bezeichnet dann die französische Geschichte die der Franzosen? Bestimmt die Staatsverfassung die Auswahl der Wissenschaften, so kann man sich leicht erklären, warum eine Nation, die durch Bureaukratie regiert wird und wenig Geselligkeit fühlt, Metaphysik mit so vielem Ernst betreiben wird; sie ist durch ihre Verfassung von allen öffentlichen Angelegenheiten zurückgedrängt, zur Spekulation verdammt, weil sie zum Handeln gelähmt ist; das ist der Fall der Deutschen.

In keiner Geschichte findet man eine solche Unsittlichkeit, einen solchen moralischen Schmutz als in der französischen – nirgends stellt sich dieses deutlicher und überzeugender als in der Geschichte der Revolution dar, deren Gang gleich eine lasterhafte und verbrecherische Richtung nahm, sobald die Schwäche der Regierung kund wurde und die Nation ihren Charakter ohne Scheu vor Strafe zeigen konnte. Unter Napoleons Despotismus schmiegte sie sich knechtisch, aller Gemeingeist, aller Sinn für Wahrheit und Recht verschwand, ihren Platz nahm Sklavensinn, gemeiner Egoismus, Habsucht, Sinnlichkeit und Ränkesucht ein. Ist es zu erwarten, daß diese bewegliche, leichtsinnige, selbstische Nation, bei der wenigen Gefahr, die sie vom Auslande zu erwarten hat, im Innern ruhig bleiben werde?

Die edelsten Charaktere, die in der französischen Geschichte erschienen, sind die, welche Religiosität oder Rittergeist geläutert und veredelt hatten.

Unser Zeitalter hält die Vergleichung mit dem 15. und 16. Jahrhundert nicht aus. – Ein verunglückter Versuch, einer zahlreichen Nation eine bürgerliche Verfassung zu geben, ungeschickte, partielle Einwirkung von außen, und ein Eroberungs- und Unterjochungskrieg, den ein glücklicher Feldherr mit überlegenen Kräften gegen mittelmäßige Feldherrn der vereinzelt auftretenden, nach dem Einfluß des platten Egoismus geleiteten Nationen führt, bietet weder in der Erzählung seiner Geschichte noch in seinen Resultaten das Interesse an, welches das große Schauspiel hat des Wiederauflebens der Wissenschaften, des Kampfes besserer religiöser Meinung mit dem Aberglauben des Mittelalters, der Eroberung von Amerika, des Entstehens einer unermeßlichen Schiffahrt. In jenem Zeitalter erscheinen seltene Begebenheiten und seltene Menschen, in dem unsrigen seltene Begebenheiten durch die Gemeinheiten und Ungebundenheit der Menschen herbeigeführt.

Die großen Weltbegebenheiten entstanden und erhielten ihre Richtung durch große Männer, Zeitgeist, Ereignisse, – vergeblich sehen wir uns nach Heroen um, alles müssen wir von Ereignissen erwarten und suchen den Zeitgeist zweckmäßig vorzubereiten, zu leiten, welches hauptsächlich denjenigen obliegt, die die Erziehungs- und literarischen Anstalten einer Nation leiten. Hätten die Menschen, die jetzt an der Spitze der preußischen Verwaltung, mit Mut und Geist größere Ansichten gefaßt, so würden sie der Verfassung solche Einrichtungen gegeben haben, wodurch der Nation Gemeingeist und Kraftgefühl erregt und unterhalten werden, statt daß jetzt die aufgeregten Kräfte sich in Ausbrüchen von Unwillen oder in einem trüben Hinbrüten aufzehren. Dem Geist des Zeitalters fehlt eine bestimmte Richtung. Wir haben in allen den Perioden, wo große Kraftäußerungen sich zeigten, eine bestimmte Richtung des Zeitgeistes bemerkt, er war kriegerisch erobernd in den Völkerwanderungen, religiös-heroisch in den Kreuzzügen, er ergriff im 14. und 15. Jahrhundert die Wissenschaften mit einem glühenden Enthusiasmus, er erwarb sich im 16. und 17. Jahrhundert Denkfreiheit und den Besitz neuer Weltteile – am Anfang des 18. wachte er eifersüchtig auf die Erhaltung des Gleichgewichts, am Ende desselben unternahm das große Werk der Umbildung der Staatsverfassung eine leichtsinnige, unmoralische Nation, die die Idee aufgab, sich selbst zerfleischte, endlich unter der Leitung eines Eroberers alles bei ihren Nachbarn zerstörte – und nun steht die jetzige Generation umgeben von Trümmern, ohne daß sie sich deutlich bewußt ist, was sie will. Ist dieses Charakterschwäche, Genußliebe, Vielseitigkeit der Kultur, Begünstigung der Emigration? Die Schriftsteller der Nation haben zum Teil allen Abwechslungen der äußeren Verhältnisse sich knechtisch hingegeben, die öffentliche Meinung war geführt, nur sehr wenige haben feste Grundsätze aufgestellt und sind diesen und der Wahrheit und dem Recht getreu geblieben.

Die Verfassung der Staaten bedarf aber einer Umformung, da die Einrichtungen veraltet, von ihrem ursprünglichen Geist sich entfernt, und daher teils einer neuen Stählung, teils eines Ersatzes bedürfen.

Nationalwohlstand, Kultur, Künste und Wissenschaften vermehren das Leiden der Menschen, denn ihre Resultate werden nur kräftigere Werkzeuge in den Händen des Unterdrückers, um die Bande der Sklaverei fester zu schnüren.

Das Eigentümliche in dem Gemälde Napoleons ist seine Ungebundenheit, die gänzliche Rücksichtslosigkeit auf Recht, Besitz, Herkommen, auf menschliches Bedürfnis und Gefühl der einzelnen und der Massen – ein eiserner Wille, eine fieberhafte Tätigkeit und unfehlbares Glück, ein Egoismus des sich selbst vergötternden und die Menschheit in Staub tretenden Despoten.

Ehrgefühl setzt Selbständigkeit in den Meinungen und Gefühlen voraus, Napoleon zerstört es, indem er alle Selbständigkeit durch seinen eisernen Willen, durch sein rohes Behandeln der ersten Staatsbeamten, durch sein alles umschlingendes Spionenwesen erdrückt – als Werkzeug des letzteren braucht er Menschen aus den ersten Familien, man findet Montmorency, Bouillés usw. unter der Zahl seiner Aufpasser.

Seine Getreuen sind nur stolz auf ihren blinden Gehorsam, sie entsagen jedem edleren, menschlichen, gerechten Gefühl. Davoust erklärte in seinen Ausbrüchen von Wut: »Je suis son zéid, sa volonté doit être faite.« Daru äußerte gegen mich: »Considérez la volonté de l'empereur comme le fatum, il faut s'y soumettre ...«

Verschlossenheit, Mißtrauen, Habsucht, rauhe Sitten haben die Stelle von offenem Frohsinn und Liberalität eingenommen. Napoleon will den alten Adel, der auf Grundeigentum, Rittergeist und Stolz gegründet war, mit den armen Teufeln, die sich durch Sklavensinn zu einiger Bedeutenheit emporgearbeitet, und den einzelnen Großen, die er durch fremden Raub bereichert hat, ersetzen.

Ist die Verfassung in sich selbst fehlerhaft, die Nation energisch und beweglich, so liegt in allem diesen der Grund ihres Verfalles. – Die französische hat nur den Zweck äußerer Herrschaft und Befriedigung des Ehrgeizes eines einzelnen, der Eitelkeit aller, sie gründet sich auf Schrecken und Kraft – beide Triebfedern erschlaffen, und dieses beweisen die letzten Regierungsjahre Ludwigs XIV., der Zustand der Dinge nach dessen und Friedrichs des Großen Tode. – Eine Regierung, die das Blut und das Vermögen der Nation vergeudet, die Menschen als Werkzeuge, nicht als Zwecke behandelt, die Denkfreiheit unterdrückt, die wird, sobald sie erschlafft oder Unglücksfälle erleidet, nicht dauern, und die republikanischen Formen des Senats der gesetzgebenden Versammlung, mit denen jetzt ein Gaukelspiel getrieben wird, werden ihren eigentümlichen Geist wieder annehmen und äußern.

Bonapartes überwiegendes Feldherrntalent und sein eigentümliches Glück hatten ihn in eine Lage gesetzt, wodurch er der Wohltäter Europas hätte werden können, statt dessen Verderber zu sein. – Die gänzliche Abwesenheit leitender moralischer Grundsätze und Gefühle ist eine Folge einer seltenen, ursprünglichen Entmenschung, der Gemeinheit seines Geschlechts und der Roheit seines Völkerstammes, der revolutionären Gesetzlosigkeit, unter der sein tätiges Leben begann, und das große Elend, das sich über Europa verbreitet hat, fließt aus dieser moralischen Verwilderung.

Das Elend der Europäer besteht in der Zertrümmerung des auf Recht und Besitzstand beruhenden und die Unabhängigkeit der einzelnen Glieder verbürgenden Staatenbundes, in der Unterdrückung der politischen und Denkfreiheit, in der Vernichtung des europäischen Handels und Schiffahrt, in der Verwendung aller Kräfte der erschöpften Länder zu zwecklosen, den Ehrgeiz eines einzigen befriedigenden Plänen – also in Sklaverei, fortschreitender Verarmung und zwecklosen Kriegen.

Die französische Nation hat Nationalität und Einheit ihrer Kraftäußerungen, sie sei auf Wissenschaft oder auf Politik und Krieg gerichtet, hat mehr Masse und Bestimmtheit, aber wegen ihres Leichtsinns und ihrer Eitelkeit und Unsittlichkeit, die nur durch konventionelle Formen glänzen will, weniger Gehalt. Dem Deutschen fehlt Leichtigkeit, er hat aber mehr innere Kraft und Beharrlichkeit, er hat daher mehr erfunden (Buchdruckerei, Luftpumpe), stärkere, tiefere Denker aufzuweisen (Leibniz, Luther, Kepler, Kant), er hat mit Kraft, Beharrlichkeit dem Andringen der Franzosen, der Überschwemmung der Türken widerstanden; er hat die Kultur im Norden verbreitet und bürgerliche Freiheit in allen seinen Einrichtungen erhalten, z.B. Hansenbund, Vereine mancher Art, selbst die kollegialischen Einrichtungen seiner Bureaukratie, er hat länger Sittlichkeit und Religion erhalten, die schon im 16. Jahrhundert aus Frankreich verschwunden war (vide Brantôme und die Memoiren des Zeitalters), seine Nationalität konnte bei seiner Bundesverfassung, seinen zahlreichen Insulstaaten eine Bestimmtheit und Haltung erhalten – da seine Fürsten für fremde Sitten und fremden Einfluß empfänglich waren. Der jetzige Zustand der Dinge wird alle Nationalität ersticken sowohl in den Bundesstaaten, die geradezu französische Einrichtungen erhalten.

Die Anhänger Napoleons, die Freunde der Ruhe und des Genusses, erwarten von der Universalmonarchie, deren Stiftung sie durch ihn hoffen, ewigen Frieden und eine ruhige Entwicklung der menschlichen Kräfte. Der Zustand der Ruhe ist der Entwicklung des menschlichen Geschlechts nachteilig, nie war ein solcher Mangel an ausgezeichneten Männern in Griechenland als nach seiner Unterjochung durch die Römer und in Europa als in den ersten drei Jahrhunderten nach dem Fall des römischen Freistaates. Die Kräfte der Menschen werden nicht mehr gereizt durch das Streben nach Nationalehre, nach Selbständigkeit, durch ihren Kampf im Krieg, in Unterhandlungen, durch das Reiben der Meinungen, so aus der Vielseitigkeit der Ansichten und der Mannigfaltigkeit der Richtung der menschlichen Tätigkeit entstehen. Das freie Spiel der Kräfte wird gelähmt, dem Willen eines einzelnen und seiner nächsten Umgebungen untergeordnet, er erschlafft oder verwildert, weil nichts ihm widersteht, oder er wird einseitig oder absichtlich und verderblich. Und dennoch war der Despotismus im römischen Staat nicht so fest gegründet, er verbreitete sich nicht so sehr in das einzelne, durch Konskription, durch eine allgemein eingreifende Bureaukratie, durch eine wachsame und mißtrauische Polizei als in dem französischen Reich, wo man die Freiheit des Denkens, des Handels, des Redens verliert, um nach einer Freiheit der Meere zu streben, oder wo unter dem kindischsten Vorwand eine ganze Nation sich in Fesseln legen läßt und allem, was dem Menschen heilig und wert ist, entsagt.

Österreich hat an Teilnahme und Achtung in der Welt sehr gewonnen durch sein kraftvolles und mit Äußerung edler Gefühle und Grundsätze verbundenes Bestreben, die Fesseln Europas zu zerbrechen; es hat einen unglücklichen, aber keinen unrühmlichen Krieg geführt, zwei Schlachten sind verloren durch die Fehler der Feldherrn, aber nach Äußerungen großer Kraft und Tapferkeit der Truppen; ein Sieg ist durch diese erfochten worden. Mitten unter diesen Unglücksfällen erhielt sich der Mut und die Bereitwilligkeit der Nation, alles aufzuopfern, und es entwickelten sich große Streitkräfte ...

Die Regierung muß der Nation einen freieren Gebrauch ihrer Denkkraft gestatten, durch Verbesserung der wissenschaftlichen Anstalten, Aufhebung der ängstlichen Vormundschaft, die man ausübt, und Teilnahme an der Provinzial- und Kommunalverwaltung. So wird ihr Geist gestärkt, ihr Gemüt veredelt, und ihre Liebe zum Genuß und zur Sinnlichkeit vermindert. In einem reichen Lande wie diesem gibt es eine große Menge von Menschen, die einen Teil oder das Ganze ihrer Zeit frei haben von Nahrungssorgen, und die Tätigkeit dieser Menschen muß man durch eine zweckmäßige Verfassung in Anspruch nehmen, sie veredeln und sie verhindern, daß sie ihre Kräfte nicht im Genuß verschwenden oder mir ausschließend auf eigennützige Zwecke richten.

Der Geist der preußischen Regierung beförderte kräftig die Hauptquelle der Zivilisation, Freiheit des Denkens und wohlgeordnete Staatswirtschaft – beschäftigte er sich auch oft einseitig mit Militär und Finanzen, waren auch seine staatswirtschaftlichen Grundsätze irrig, so hatten die doch die reineren Grundsätze der Nationalwirtschaft und der Regierungskunst bei ihm Eingang gefunden und waren von ihm zur Ausführung gebracht worden. Diesen so regierten Staat hat Napoleon zerstört, ausgesogen, einen beträchtlichen Teil seiner Provinzen dem aller Kultur feindseligen slawischen Einfluß überliefert, den andern einem neuen Regenten anvertraut, der ausländische Sitten, Verschwendung und ausländische Geschäftsformen von geringerem Wert hinpflanzt und seinen Bewohnern alles Gefühl von Nationalität entreißt. Auch hier erscheint Napoleon als Zerstörer, der nur den Zweck seiner Vergrößerung im Auge hat.

Das östliche Europa, Rußland, Polen, Ungarn ist noch in dem Zustand, worin dessen übriger Teil sich in dem Mittelalter befand. Das Grundeigentum ist in den Händen großer Gutsbesitzer angehäuft, bei denen aber bereits eine leidenschaftliche Neigung zu den Gegenständen des höheren Wohllebens herrscht, der sie bestimmt, ihre Einnahme zu ihrem persönlichen Genuß statt zum Unterhalt eines zahlreichen Gefolges und der Ausübung einer ausgedehnteren Gastfreundschaft zu verwenden.

Dieser Hang zum höheren Wohlleben veranlaßt sie zur Verschwendung, zum Schuldenmachen, bringt sie in die Abhängigkeit der Geldbesitzer und nötigt sie entweder zum Verkauf der Güter oder zur Freilassung ihrer Untertanen gegen Entschädigungen mancherlei Art. Der Gang dieser Veränderungen in dem Zustand der Bewohner und ihres Verhältnisses zum Grundeigentum kann durch Einwirkung der Gesetzgebung noch befördert werden, wenn sie die persönliche Leibeigenschaft und das willkürliche Entsetzen von den Bauernhöfen aufhebt. Hierzu ist sie berechtigt, denn die erste ist in Widerspruch mit den ursprünglichen und unveräußerlichen Rechten der Menschheit, und die willkürliche Entsetzung von Bauernhöfen verschafft den Berechtigten wenig Vorteil und hält den Verpflichteten in einem fortdauernden Zustand von Unmündigkeit, und sein unterhabendes Land, Gebäude und Inventarium bleibt von einer elenden Beschaffenheit, da es ihm nicht eigentümlich gehört und aller Reiz fehlt, es zu verbessern und Kapital anzuhäufen. Der Landmann gewöhnt sich in dieser Lage an Sorglosigkeit bei der Benutzung und an rohen sinnlichen Genuß. Bei großen äußeren Erschütterungen durch Kriege verläßt er einen Wohnort, an den ihn die Liebe zum Eigentum nicht bindet und einen Boden, den er als ihm fremd anzusehen gewohnt war.

In den auf dem rechten Elbufer gelegenen Provinzen des preußischen Staates besaß der Landmann sein Eigentum entweder unter nachteiligen Einschränkungen, die ihn kreditlos aber auch sorglos machten, da dem Gutsherrn die Unterhaltung der Gebäude und des Inventarium auflag, oder er konnte willkürlich entsetzt werden. Mit der Verbesserung des rechtlichen Zustandes des Bauernstandes war man in den Jahren 1807 und 1808 ernsthaft beschäftigt.

Die Auflösung Deutschlands in viele kleine, ohnmächtige Staaten hat dem Charakter der Nation das Gefühl von Würde und Selbständigkeit genommen, das bei großen Nationen Macht und Unabhängigkeit erzeugt, und hierdurch das Eindringen fremder Sitten erleichtert; es hat ihre Tätigkeit abgeleitet von den größeren Nationalinteressen auf kleinere örtliche und staatsrechtliche Verhältnisse, es hat Titelsucht und das elende Treiben der Eitelkeit, Absichtlichkeit, Ränke durch die Vervielfältigung der kleinen Höfe vermehrt. Abgaben und Militärleistungen waren in den größeren deutschen Territorien, z.B. in Sachsen und Hannover, höher als in den großen europäischen Monarchien.

Das Wohltätige der Verwaltung kleiner Staaten, die genauere Rücksicht auf örtliche und persönliche Verhältnisse als in großen Staaten anwendbar ist, hätte können durch zweckmäßige Einrichtungen von ständischen Provinzial- und Munizipalverfassungen erreicht werden, denen unter Aufsicht von Provinzialstaatsbeamten die Leitung der Provinzialgeschäfte überlassen worden wäre. Die Nation müßte gewöhnt werden, selbst ihre Angelegenheiten zu betreiben und sich nicht allein auf besoldete Beamte verlassen, die sie in ihrer Vormundschaft halten. Wollte man auch einen Bund kleiner Fürstentümer beibehalten, so müßte ihnen doch die Teilnahme an der Leitung der äußeren Verhältnisse, des öffentlichen Einkommens und der Verteidigungsanstalten entzogen werden. Sie würden nur die übrigen Verwaltungszweige behalten und diese nach den Beschlüssen des Reichstages oder nach Selbstbestimmung ausüben.

Die durch den westfälischen Frieden den Reichsständen erteilte Befugnis, Bündnisse mit ausländischen Mächten zu schließen, und des von den protestantischen Ständen ausgeübten juris eundi in partes oder des Rechtes der protestantischen Minorität die Beschlüsse der katholischen Majorität zu entkräften, auch in anderen als die Religion betreffenden Angelegenheiten, diese beiden staatsrechtlichen Einrichtungen mußten die Tätigkeit des deutschen Staatskörpers gänzlich lähmen. Keines von beiden dürfte also beibehalten werden, sondern die Leitung der auswärtigen Verhältnisse dem Oberhaupt des Bundes übertragen und das jus eundi in partes ganz aufgehoben werden.

Es liegt in der Natur eines Bundes kleiner Staaten, daß seine Mitglieder eine herrschende Neigung zur Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Vergrößerung haben. Die Natur des Menschen erklärt die Gründe dieser Erscheinung, und die Geschichte aller föderativen Staaten stellt sie dar. Man kann ihre Wiederholung nur vermeiden, wenn man die Leitung der äußeren Verhältnisse und des Kriegswesens dem Oberhaupt des Bundes anvertraut, mit Zuziehung des Bundestages. Bei der Zusammensetzung des Bundestages zeigen sich neue Schwierigkeiten, wenn der Staatenbund aus kleinen, erblichen Fürstentümern besteht, da auf ihm die erblichen Vorsteher der Staaten persönlich erscheinen müssen und es schwierig ist, ihre persönliche Unfähigkeit zu ersetzen.

Genießt eine Nation eine glückliche Staatsverfassung, die sie zur Selbsttätigkeit hinleitet, die ihr Freiheit und Eigentum versichert, ist ihre geographische Lage vorteilhaft und besitzt sie durch Ströme, Meere usw. eine leichte Verbindung mit den übrigen gebildeten Nationen, hat sie bereits eine Masse von allgemeinen technologischen und Handelskenntnissen erworben, so kann ihr die Regierung die freie Wahl ihrer Beschäftigungen und Unternehmungen ohne Bedenken überlassen, sie wird die zweckmäßigste und einträglichste schon auswählen.

Befindet sich aber der größere Teil der Nation in einem Zustand von Roheit und niedriger Sinnlichkeit, erschwert ihre mittelländische Lage den Verkehr mit den benachbarten Nationen, ist Freiheit und Eigentum nur das Los der oberen, privilegierten Klassen, so muß die Regierung leiten, unterrichten, aufmuntern, durch Gesetze, Belohnungen, Lehranstalten-Geldvorschüsse, Reisen.

Das Merkantilsystem, welches die Einfuhr leitet, läßt sich aber selbst nach den Smithschen Grundsätzen rechtfertigen, der eine Balance der Erzeugung zur Verzehrung annimmt, also den Staatsmann berechtigt, Anstalten zu treffen, die die Erzeugung vermehren und die Verzehrung ausländischer Gegenstände vermindern – entweder durch Verbot und Erschwerung des Überflüssigen oder durch Anstalten, welche die einländische Erzeugung befördern. Diese Anstalten können entweder die Unterstützung mit Kapitalien oder Leitung des Unterrichts der gewerblichen Klasse sein, um die produktiven Fertigkeiten und Kräfte zu vermehren. Der Haupteinwurf gegen das Schließen des einländischen Marktes gegen fremde Konkurrenz ist der, daß der Umfang der einländischen Industrie den Umfang des einländischen Kapitals nicht übersteigen könne, daß die Handelsgesetze das Kapital ableiten von einer produktiven auf eine weniger produktive Verwendung, und daß, indem man an die Stelle eines auswärtigen, wohlfeilen Verzehrungsgegenstandes einen einheimischen, teureren stellt, man die Rente der Nation vermindert oder die Totalsumme der genußgebenden Gegenstände, die sie kaufen kann. Man behauptet ferner, daß jeder einzelne am richtigsten unter verschiedenen Verwendungsarten seines Kapitals die zweckmäßigste wählt, da er besser imstande ist wie der Staat oder dessen Beamte, dieses zu beurteilen.

Dieser Schlußfolge, die teils aus der Begrenzung des Kapitals, teils aus der genauen Bekanntschaft, die jeder einzelne mit seinem eigenen Nutzen hat, hergeleitet ist, läßt sich folgendes entgegenstellen.

Besuchen die ausländischen Waren den einländischen Markt, so wird auf deren Ankauf ein Kapital verwandt, welches auch auf die Erzeugung der einländischen Waren verwandt werden könnte. Ist die einländische Produktion teurer, so wird dadurch zwar das Einkommen verringert, diese mehrere Ausgabe wird aber nur den Genüssen überflüssiger Gegenstände entzogen, und in diesem Fall wirkt die Beschränkung der Einfuhr als Prachtgesetz. Die Nation wird alsdann manches Entbehrliche sich entziehen müssen, sie wird aber auch vieles produzieren, was sie sonst bei freier Konkurrenz nicht produziert haben würde. Das auf den Ankauf fremder Waren verwandte Kapital wird dem einheimischen Gewerbefleiß entzogen, und das Einfuhrverbot mißleitet nicht die Richtung der einländischen Gegenstände von einem einträglichen auf ein weniger einträgliches Gewerbe, sondern verhindert seine Verwendung auf Gegenstände des fremden Gewerbefleißes.

Eine Nation, deren einländische Produktion noch nicht die Gegenstände des gemeinen Verbrauchs darstellte, würde wohl einen Teil ihres Kapitals den anderen Gewerben entziehen müssen, weil sie diese Gegenstände nicht entbehren kann. Dieses ist aber nicht der Fall, wenn die einländische Industrie Gegenstände des gemeinen Verbrauchs gut und wohlfeil produziert.

Reichtum, durch Erwerbfleiß gewonnen, kann sittenverderblich werden, indem er die edleren Gefühle im Menschen erstickt, da der Mensch seine ganze Aufmerksamkeit auf Gewinst richtet. Die Holländer waren nicht unsittlich, aber Habsucht hatte in ihrem Charakter das Übergewicht erhalten. Neben Reichtum, durch Gewalt und Unterdrückung erworben, bestehen die edelsten und kräftigsten menschlichen Eigenschaften, Vaterlandsliebe, Heldenmut usw. Streben nach Reichtum ist Streben nach dem Besitz der Befriedigungsmittel, vorzüglich der sinnlichen Bedürfnisse – dies Streben kann alle edleren Gefühle unterdrücken, es äußert sich durch Erwerbfleiß oder Gewalttat.

Die neueren Franzosen bereichern sich allerdings durch Raub, nur ist dieser Reichtum nicht dauerhaft.

Zweckmäßige Verteilung des Reichtums durch alle Klassen der bürgerlichen Gesellschaft hat wohltätige Folgen.

Die Aufklärung allein hat die Sittlichkeit der Menschen nicht verbessert, wir finden vielmehr oft reiche und aufgeklärte Völker entmutet – ein frommer, reiner, tapferer Sinn, der erhält die Staaten, nicht Reichtum und Aufklärung.


 << zurück weiter >>