Rudolf Steiner
Die Pforte der Einweihung
Rudolf Steiner

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Achtes Bild

Dasselbe Zimmer wie für das erste Bild. (Johannes, Maria, Capesius; Strader.)

Johannes: (an einer Staffelei, an der auch Capesius und Maria sitzen)
Dies waren wohl die letzten Striche;
Beendet darf ich meine Arbeit nennen.
Es war mir ganz besonders lieb,
Dass ich gerade eure Wesenheit
Durch meine Kunst erforschen durfte.

Capesius:
Dies Bild ist mir ein Wunder wahrlich.
Und ein noch gröss'res
Ist mir sein Schöpfer.
Die Wandlung, die in euch geschehn,
Es kann ihr nichts verglichen werden.
Was Menschen meiner Art
Bisher für möglich hielten.
Man kann sie dann nur glauben,
Wenn Augenschein den Glauben fordert.
Ich sah zuerst euch vor drei Jahren.
Ich durfte damals jenen Kreis betreten,
In welchem ihr zu eurer Höhe euch erhobet.
Ein sorgenvoller Mensch wart ihr zu jener Zeit;
Ein jeder Blick in euer Antlitz zeigte dies.
Ich hatte eine Rede in eurem Kreise angehört
Und musste Worte an sie schliessen,
Die sich nur schwer mir aus der Seele rangen.
Ich sprach in einer solchen Stimmung,
In der man sonst an sich nur denkt.
Mein Blick war dennoch stets gerichtet
Nach jenem leidbeladnen Maler,
Der in der Ecke sass und schwieg.
Doch schwieg und sann er
In einer ganz absonderlichen Art.
Man konnte von ihm selbst wohl glauben,
Dass er nicht eins der Worte hörte,
Die neben ihm gesprochen wurden.
Es schien der Kummer, dem er hingegeben,
Ein Leben für sich selbst zu haben.
Es war, als ob der Mensch nicht hörte,
Als ob vielmehr der Kummer selbst Gehör besässe.
Vielleicht wär's unzutreffend nicht,
Zu sagen, dass er ganz besessen von dem Kummer.
Ich traf euch bald nach jenem Tage wieder;
Und da schon wart ihr wie verwandelt.
Es strahlte Seligkeit aus euren Augen,
Es lebt' in eurem Wesen Kraft;
Und edles Feuer klang aus euren Worten.
Ihr sprachet damals einen Wunsch mir aus,
Der mir recht wunderlich erschien.
Ihr wolltet Schüler von mir werden.
Und wirklich habt ihr auch drei Jahre lang
Mit Eifer euch vertieft in alles,
Was ich zu sagen habe von dem Weltverlauf. –
Da wir uns immer näher traten,
Erlebte ich das Rätsel eures Künstlertums.
Und jedes eurer Bilder war ein neues Wunder.
(Strader ist unterdessen eingetreten.)
Mein Denken hatte früher wenig Neigung,
In sinnentrückte Welten sich zu heben.
Sie zu bezweifeln lag mir fern.
Sich ihnen forschend nahn,
Das galt mir als Vermessenheit.
Und jetzt muss ich bekennen,
Dass ihr zu andrer Meinung mich gebracht.
Ich höre oft euch wiederholen,
Dass ihr die Künstlerschaft
Allein der Gabe dankt,
Bewusst in andren Welten zu empfinden,
Und dass ihr nichts
In eure Werke legen könnt,
Was ihr nicht erst im Geist erschaut.
Ich seh' an euren Werken, wie der Geist
Sich wirksam offenbart.

Strader:
Noch nie verstand ich euch so wenig.
Es hat doch so in jedem Künstler
Lebendig sich der Geist erwiesen,
Was unterscheidet denn
Thomasius von andern Meistern?

Capesius:
Ich habe nie bezweifelt,
Dass Geist im Menschen wirksam sich erzeigt;
Doch bleibt ihm sonst
Des Geistes Wesen unbewusst.
Er schafft aus einem Geiste,
Doch er versteht ihn nicht.
Thomasius jedoch erschafft im Sinnensein,
Was er bewusst im Geiste schauen kann.
Und er gestand mir immer wieder,
Dass seiner Art kein andres Schaffen möglich ist.

Strader:
Mir ist Thomasius bewundernswert;
Und ich gestehe frei,
Dass mir in seinem Bilde
Capesius, den ich zu kennen glaubte,
Erst wirklich ganz sich offenbart.
Ich glaubte ihn zu kennen;
Das Kunstwerk zeigt mir klar,
Wie wenig ich gewusst von ihm.

Maria:
Wie könnt ihr, lieber Doktor,
Des Werkes Grösse so bewundern
Und doch der Grösse Quelle leugnen?

Strader:
Was hat Bewundrung,
Die ich dem Künstler zolle,
Mit Glauben an sein Geistesschaun zu tun?

Maria:
Man kann dem Werke Beifall zollen,
Auch wenn der Glaube an die Quelle fehlt.
Doch könnte man in diesem Falle nichts bewundern,
Wenn dieser Künstler nicht den Weg beschritten,
Der ihn zum Geiste hat geführt.

Strader:
Man sollte doch nicht sagen,
Sich hinzugeben an den Geist, es sei
Erkennend ihn durchdringen.
Es schafft im Künstler Geisteskraft,
Wie sie im Baume oder Steine schafft.
Erkennen aber kann sich nicht der Baum,
Es kann dies nur, wer ihn betrachtet.
Der Künstler lebt in seinem Werk
Und nicht in Geisterfahrung.
Doch wenn zu eurem Bilde jetzt
Mein Blick sich wendet,
Vergess' ich alles, was den Denker lockt.
Es leuchtet meines Freundes Seelenkraft
Aus diesen Augen, die gemalt doch sind.
Es lebt des Forschers Sinnigkeit
Auf dieser Stirn;
Und seiner Worte edle Wärme,
Sie strahlt aus allen Farbentönen,
Durch welche euer Pinsel
Dies Rätsel löste.
O diese Farben, sie sind flächenhaft
Und sind es nicht,
Es ist, als ob sie sichtbar seien nur,
Um sich unsichtbar mir zu machen.
Und diese Formen,
Die als der Farbe Werk erscheinen,
Sie sprechen von dem Geistesweben,
Von vielem sprechen sie,
Was sie nicht selber sind.
Wo ist, wovon sie sprechen?
Nicht auf der Leinwand kann es sein;
Denn da sind geistentblösste Farben.
So ist es in Capesius?
Warum kann ich es nicht an ihm erschauen?
Thomasius, ihr habt gemalt,
Dass dies Gemalte sich durch sich
Im Augenblick vernichtet,
Sobald der Blick es fassen will.
Ich kann es nicht begreifen,
Wozu dies Bild mich treibt.
Was will von mir ergriffen sein?
Was soll ich suchen?
Die Leinwand, ich möchte sie durchstossen,
Zu finden, was ich suchen soll.
Wo fass' ich, was dies Bild
In meine Seele strahlt?
Ich muss es haben.
O, ich betörter Mann.
Es ist, als ob Gespenster mich berückten!
Ein unsichtbar Gespenst;
Und meine Ohnmacht,
Die kann es nicht erblicken.
Thomasius, ihr malt Gespenster,
Ihr zaubert sie in eure Bilder;
Sie locken, sie zu suchen,
Und lassen sich nicht finden.
–-----O, wie sind eure Bilder grausam!

Capesius:
Mein Freund, in diesem Augenblick
Habt ihr des Denkers Ruhe ganz verloren.
Bedenkt doch nur, wenn ein Gespenst
Aus diesem Bilde spräche,
Gespenstig müsste ich doch sein.

Strader:
Verzeiht, o Freund,
Es war nur Schwäche...

Capesius:
O, sprechet Gutes nur
Von diesem Augenblick!
Als ob ihr euch verloren hättet,
So schien es. Doch ihr wart
Emporgehoben über euer Selbst.
Ergangen ist es euch wie mir recht oft.
Man mag in solchen Zeiten noch so stark
Mit seinem Denken sich gerüstet fühlen,
Man hat sich doch nur selbst bewiesen,
Dass man von einer Macht ergriffen ist,
Die nicht in Sinneswissen und Vernunft
Den Ursprung haben kann.
Wer hat dem Bilde solche Macht gesellt?
Ich möcht' für mich es Sinnbild nennen,
Was an dem Bilde ich erlebt.
Es lehrte mich erkennen meine Seele,
Wie ich vorher es nicht vermocht.
Und überzeugend war die Selbsterkenntnis.
Johannes Thomasius erforschte mich,
Weil er die Kraft besitzt,
Durch Sinnenschein zum Geistesselbst
Durch sein besondres Schauen
Im Geist hindurchzudringen.
So seh' ich jenes alte Weisheitwort
›Erkenne dich‹ in einem neuen Licht.
Man muss, um zu erkennen, was man ist,
In sich die Kraft erst finden,
Die als ein wahrer Geist
Sich vor uns selbst verbergen kann.

Maria:
Man muss, um sich zu finden,
Die Kraft entfalten erst,
Die in das eigne Wesen dringen kann,
In Wahrheit sagt das Weisheitwort:
Entwickle dich, um dich zu schaun.
Strader:
Wenn man Thomasius wollt' zugestehn,
Er habe durch die Geistentfaltung
Erkenntnis sich erworben von dem Wesen,
Das unsichtbar in euch besteht,
So sagt man damit doch,
Erkenntnis sei auf jeder Lebensstufe anders.

Capesius:
Das eben möchte ich behaupten.

Strader:
Wenn so die Sache stünde,
Dann wäre alles Denken nichtig
Und Wissen nur ein Wahngebilde.
Verlieren müsst' ich mich in jedem Augenblick.
O lasset mich allein.

Capesius:
Ich werde ihn begleiten. (Ab.)

Maria:
Es ist Capesius dem Geisteswissen
Viel näher, als er selber meint.
Und Strader leidet schwer.
Es kann sein Geist nicht finden,
Was seine Seele heiss ersehnt.

Johannes:
Es stand vor meinem Geistesauge
Der beiden Männer Wesenheit,
Schon als ich machen durfte
Den ersten Schritt ins Seelenreich.
Ich sah Capesius als jungen Mann
Und Strader in den Jahren,
Die er noch lange nicht erreicht.
Und jener zeigte eine Jugendblüte,
Die viel verbirgt, was dieses Leben
Im Sinnensein nicht reifen lässt.
Es trieb mich hin zu seiner Wesenheit.
Ich konnt' zuerst bei seinem Seelenwesen
In eines Menschen Wesenskern erschauen,
Wie Eigenschaften dieses Lebens
Sich durch sich selbst als Folgen
Bezeugen eines andern Erdenseins.
Ich sah die Kämpfe, die er durchgekämpft,
Und die aus andren Leben ihm gebildet haben
Sein gegenwärt'ges Sein.
Und konnt' ich auch sein abgelegtes Sein
Noch nicht vor meine Seele stellen:
So sah ich doch in seiner Eigenart,
Was aus der Gegenwart nicht stammen kann.
So konnte ich im Bilde wiedergeben,
Was ihm im Seelengrunde waltet
Mein Pinsel ward geführt
Von Kräften, die Capesius entfaltet
Aus frühern Erdenleben.
Und hab' ich so enthüllt ihm seine Eigenheit,
So hat mein Bild den Dienst getan,
Den ich ihm zugedacht.
Als Kunstwerk schätze ich es gar nicht hoch.

Maria:
Es wird in jener Seele weiter wirken,
Der es den Weg ins Geistgebiet gewiesen hat.

(Der Vorhang fällt, während Maria und Johannes noch im Zimmer sind.)


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