Rudolf Steiner
Die Pforte der Einweihung
Rudolf Steiner

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Vorspiel

Zimmer der Frau Sophia, in gelbrötlichem Farbenton gehalten. (Sophia mit ihren beiden Kindern, einem Knaben und einem Mädchen, dann Estella.)

Singen der Kinder: (Sophia begleitet auf dem Klavier)
Der Sonne Licht durchflutet
des Raumes Weiten,
der Vögel Singen durchhallet
der Luft Gefilde,
der Pflanzen Segen entkeimet
dem Erdenwesen,
und Menschenseelen erheben
in Dankgefühlen
sich zu den Geistern der Welt.

Sophia: Und nun, Kinder, geht in eure Stube und überdenkt die Worte, die wir eben geübt haben (Sophia geleitet die Kinder hinaus, Estella tritt ein.)

Estella: Sei mir gegrüsst, meine liebe Sophie. Ich störe dich doch nicht.

Sophia: Nein, meine gute Estella. Sei mir herzlich willkommen. (Fordert Estella zum Sitzen auf und setzt sich selbst.)

Estella: Hast du gute Nachrichten von deinem Manne?

Sophia: Recht gute. Er schreibt mir, dass der Kongress der Psychologen ihn interessiere, trotzdem die Art, wie da manche grosse Frage behandelt wird, wenig ansprechend sei. Ihn als Seelenforscher interessiert aber gerade, wie die Menschen sich durch eine bestimmte Weise geistiger Kurzsichtigkeit die freie Aussicht auf die eigentlichen Geheimnisse unmöglich machen.

Estella: Nicht wahr, er hat doch vor, selbst über ein wichtiges Thema zu sprechen?

Sophia: Ja, über ein Thema, das ihm und auch mir sehr wichtig scheint. Eine Wirkung verspricht er sich allerdings nicht von seinen Ausführungen, in Anbetracht der wissenschaftlichen Vorstellungsarten der Kongressteilnehmer.

Estella: Es führt mich ein Wunsch zu dir, meine liebe Sophie. Könnten wir diesen Abend nicht gemeinsam verbringen? Es ist heute die Aufführung der »Enterbten des Leibes und der Seele«, und du könntest mir keine grössere Freude machen, als wenn du mit mir zusammen die Vorstellung besuchen wolltest.

Sophia: Es ist dir entfallen, liebe Estella, dass heute abend gerade für unsere Gesellschaft selbst die Aufführung ist, auf die wir uns seit langer Zeit vorbereitet haben.

Estella: Ach ja, das hatte ich vergessen. So gern hätte ich diesen Abend mit der alten Freundin verlebt. Ich freute mich von ganzem Herzen, an deiner Seite in die tiefen Untergründe unseres gegenwärtigen Lebens zu schauen. – Doch deine mir so fremde Ideenwelt wird auch noch den letzten Rest des schönen Bandes zerstören, das unsere Herzen verknüpft, seit wir zusammen auf der Schulbank gesessen.

Sophia: Das sagtest du mir schon oft; doch hast du mir immer wieder zugeben müssen, dass unsere Meinungen keine Scheidewand aufzurichten brauchten zwischen den Gefühlen, welche seit der gemeinsam verlebten Jugend in jeder von uns für die andere leben.

Estella: Es ist wahr, das habe ich oft gesagt. Doch erweckt es mir immer wieder Bitternis, wenn ich sehen muss, wie mit jedem Jahre fremder dein Empfinden wird allem, was mir im Leben wertvoll scheint.

Sophia: Wir könnten einander eben dadurch viel sein, dass wir uns gegenseitig gelten liessen in dem, wozu unsere verschiedenen Anlagen uns geführt.

Estella: Ach, oft lasse ich mir von meinem Verstande sagen, dass du darinnen recht hast. Und doch ist etwas in mir, was sich auflehnt gegen die Art, wie du das Leben betrachtest.

Sophia: Gib dir doch ernstlich einmal zu, dass du damit eigentlich von mir die Verleugnung meines innersten Wesenskernes verlangst.

Estella: Ja, ich wollte das auch alles gelten lassen, wenn nur eines nicht wäre. Ich kann mir ganz gut denken, dass Menschen verschiedener Vorstellungsarten sich in völliger Sympathie der Gefühle begegnen. Deine Ideenrichtung legt dir aber förmlich die innere Verpflichtung zu einer gewissen Überhebung auf. Andere Menschen können ganz gut so zueinander stehen, dass sie von ihren Ansichten denken, diese seien durch veaschiedene mögliche Standpunkte bedingt und stehen als gleichberechtigt nebeneinander. Deine Anschauung aber gibt sich allen anderen gegenüber als die tiefere. Sie sieht in den andern nur Ausflüsse eines untergeordneten menschlichen Entwicklungsgrades.

Sophia: Aus dem, was wir so oft besprochen, könntest du aber wissen, dass meine Gesinnungsgenossen den Wert des Menschen im letzten Grunde doch nicht nach seiner Meinung und seinem Wissen bemessen. Und wenn wir auch unsere Ideen als diejenigen betrachten, ohne deren lebendige Erfassung alles andere Leben ohne rechten Grund ist, so bemühen wir uns doch so ernstlich als möglich, den Menschen deshalb nicht zu überschätzen, weil er sich zum Werkzeug gerade unseres Lebensinhaltes machen darf.

Estella: Das scheint alles schön gesprochen. Es will mir aber einen Argwohn nicht nehmen. Denn ich kann mich davor nicht verschliessen, dass eine Weltansicht, welche sich eine unbedingte Tiefe zuschreibt, nur auf dem Umweg einer vorgetäuschten Tiefe zu einer gewissen Oberflächlichkeit führen muss. Du bist mir eine viel zu liebe Freundin, als dass ich dir kommen möchte mit dem Hinweis auf diejenigen deiner Gesinnungsgenossen, die auf eure Ideen schwören und den geistigen Hochmut in schlimmster Art zur Schau tragen, trotzdem die Leerheit und Banalität ihrer Seele aus jedem ihrer Worte und aus ihrem ganzen Verhalten spricht. Und auch darauf will ich dich nicht weisen, wie stumpf und gefühllos gegen ihre Mitmenschen gerade manche eurer Anhänger sich zeigen. Deine grosse Seele hat sich ja doch niemals dem entziehen können, was das tägliche Leben nun einmal von jedem Menschen verlangt, der im echten Sinne als ein guter bezeichnet werden muss. Doch gerade, dass du mich heute allein lässt, da, wo echtes, künstlerisches Leben spricht, das zeigt mir auch an dir, dass eure Ideen doch gegenüber diesem Leben – verzeihe das Wort – eine gewisse Oberflächlichkeit erzeugen.

Sophia: Und wo liegt diese Oberflächlichkeit?

Estella: Du solltest doch wissen, da du mich so lange kennst, wie ich mich losgerungen von einer Lebensart, die von Tag zu Tag nur jagt nach dem, was Herkommen und banale Meinungen vorschreiben. Ich habe gesucht, kennenzulernen, warum so viele Menschen anscheinend unverdient leiden müssen. Ich bestrebte mich, den Niederungen und den Höhen des Lebens nahezutreten. Ich habe auch die Wissenschaften, soweit sie mir zugänglich sind, befragt, um allerlei Aufschlüsse zu erlangen. – Nun, halten wir uns an Einen Punkt, der gerade durch diesen Augenblick geboten ist. Es ist mir bewusst geworden, was echte Kunst ist. Ich glaube zu verstehen, wie sie das Wesen des Lebens erfasst und die wahre, die höhere Wirklichkeit vor unsere Seele hinstellt. Ich meine den Pulsschlag der Zeit zu Spüren,wenn ich solche Kunst auf mich wirken lasse. Und mir graut, wenn ich nun denken soll: Du, meine liebe Sophie, ziehst diesem Interesse an lebensvoller Kunst etwas vor, was mir doch nichts anderes zu sein scheint als die abgetane lehrhaft-allegorische Art, welche puppenhafte Schemen statt lebendiger Menschen betrachtet und sinnbildliche Vorgänge bewundert, die fernstehen allem, was im Leben täglich an unser Mitleid, an unsere tätige Anteilnahme sich wendet.

Sophia: Meine liebe Estella, du willst eben nicht begreifen, dass da erst das reichste Leben sein kann, wo du nur ausgeklügelte Gedanken siehst. Und dass es Menschen geben darf, welche deine lebensvolle Wirklichkeit dann arm nennen müssen, wenn sie nicht gemessen wird an dem, woraus sie eigentlich hervorsprudelt. Es mag dir manches herb klingen an meinen Worten. Allein unsere Freundschaft fordert ungeschminkte Aufrichtigkeit. Du kennst, wie so viele, von dem, was Geist genannt wird, nur das, was Träger des Wissens ist; du hast nur ein Bewusstsein von der Gedankenseite des Geistes. Auf den lebendigen, den schöpferischen Geist, der Menschen gestaltet mit elementarer Macht, wie Keimeskräfte in der Natur Wesen gestalten, willst du dich nicht einlassen. Du nennst wie so viele zum Beispiel in der Kunst das naiv und ursprünglich, was den Geist in meiner Auffassung verleugnet. Unsere Art der Weltauffassung vereinigt aber volle bewusste Freiheit mit der Kraft des naiven Werdens. Wir nehmen bewusst in uns auf, was naiv ist, und berauben es dadurch nicht der Frische, Fülle und Ursprünglichkeit. Du glaubst, man könne sich nur Gedanken über einen menschlichen Charakter machen: dieser aber müsse sich gleichsam von selbst formen. Du willst nicht einsehen, wie der Gedanke in den schaffenden Geist taucht, an des Daseins Urquell rührt und sich entpuppt als der schöpferische Keim selbst. – So wenig die Samenkräfte die Pflanze erst Lehren, wie sie wachsen soll, sondern sich als lebendig Wesen in ihr erweisen, so lehren unsere Ideen nicht: sie ergiessen sich, Leben entzündend, Leben spendend in unser Wesen. Ich verdanke den Ideen, die mir zugänglich geworden sind, alles, was mir das Leben sinnvoll erscheinen lässt. Ich verdanke ihnen den Mut nicht nur, sondern auch die Einsicht und die Kraft, die mich hoffen lassen, aus meinen Kindern Menschen zu machen, die nicht nur im hergebrachten Sinne arbeitstüchtig und für ein äusseres Leben brauchbar sind, sondern die innere Ruhe und Befriedigung in der Seele tragen werden. Und, um nicht in alles mögliche zu verfallen, will ich dir nur noch sagen: Ich glaube zu wissen, dass die Träume, welche du mit so vielen teilst, sich nur dann verwirklichen können, wenn es den Menschen gelingt, das, was sie Wirklichkeit und Leben nennen, anzuknüpfen an die tieferen Erfahrungen, die du Phantastereien und Schwärmereien so oft genannt hast. Es mag dir sonderbar erscheinen, wenn ich dir gestehe, dass ich so manches, was dir echte Kunst dünkt, nur als unfruchtbare Lebenskritik empfinde. Denn es wird kein Hunger gestillt, keine Träne getrocknet, kein Quell der Verkommenheit geschaut, wenn man bloss die Aussenseite des Hungers, der tränenvollen Gesichter, der verkommenen Menschen auf den Brettern zeigt. Wie das gewöhnlich gezeigt wird, steht den wahren Tiefen des Lebens und den Zusammenhängen der Wesenheiten unsäglich ferne.

Estella: Wenn du so sprichst, bist du mir nicht etwa unverständlich, sondern du zeigst mir nur, dass du eben doch lieber in Phantasien schwelgen willst, als des Lebens Wahrheit schauen. Auf diesen Wegen gehen wir ja doch auseinander. – Ich muss heute abend auf meine Freundin verzichten. (Aufstehend.) Jetzt muss ich dich verlassen; ich denke, wir bleiben doch die alten Freundinnen.

Sophia: Wir müssen es wirklich bleiben.

(Während die letzten Worte gesprochen werden, geleitet Sophia die Freundin zur Türe. Der Vorhang fällt.)


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