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11. Kapitel.
Schluß.

Am Abend desselben Tages ließ sich bei dem Untersuchungsrichter eine Dame anmelden, mit der Bitte, ihr eine Unterredung zu gewähren.

Es war Meta Falkinsky. Sie hatte sich in ein dunkles Gewand gehüllt, welches ihrer eigenartigen Schönheit ein düsteres Gepräge gab. Ihre Züge hatten einen starren Ausdruck angenommen, ihre Bewegungen waren langsam und gemessen, sie glich einer Statue, die nur für wenige Stunden durch den Willen einer Gottheit Leben erhalten hatte.

»Ich wollte um die Erlaubnis ersuchen, den inhaftierten Advokaten Weiß besuchen zu dürfen,« begann sie mit leiser Stimme.

Der Untersuchungsrichter zögerte mit der Antwort. Er kannte die Leidenschaft, mit welcher die Sängerin an dem Verhafteten hing und hätte ihr gerne die Bitte erfüllt. Aber das Gesetz sprach zu deutlich gegen ein derartiges Unterfangen.

»Leider kann ich Ihren Wunsch nicht erfüllen,« gab er zur Antwort. »Untersuchungsgefangene dürfen unter keiner Bedingung Besuche erhalten oder mit jemandem sprechen.«

Er hatte erwartet, daß die Dame ihn mit Bitten bestürmen oder durch Tränen zu erweichen versuchen würde. Aber nichts derartiges geschah. Meta neigte das Haupt. »Wenn es das Gesetz verbietet, so muß ich mich beugen. Aber ich hätte noch eine Bitte.«

Sie löste ein kleines Medaillon von ihrem Nacken und reichte es samt der Goldkette, an der es hing, dem Untersuchungsrichter hin.

»Ist es mir gestattet, meinem Freunde, zum Zeichen, daß ich auch im Unglück seiner gedenke, dies hier zu übersenden?«

Sie ließ die Feder springen und zeigte, daß das Innere ihr Bild enthielt. »Wollen Sie es ihm übergeben lassen?«

Der Beamte bejahte, gerührt durch diese Liebe, die selbst dann nicht verschwand, als der Gegenstand ihrer Neigung sich als Verbrecher entpuppte.

»Ich will es dem Gefangenen sofort überbringen lassen,« sagte er, durch ein Klingelzeichen einen Amtsdiener herbeirufend. »Wollen Sie einen Augenblick warten, vielleicht hat« – er suchte nach einer passenden Bezeichnung – »hat Dr. Weiß eine Antwort an Sie zu vermelden.«

»Es genügt mir, wenn er meine Gabe erhält,« gab sie zur Antwort. »Ich danke Ihnen.«

Und mit einem stolzen Kopfnicken verließ sie das Zimmer.

*

Am nächsten Morgen brachten die Tagesblätter von neuem ausführliche Berichte über den Fall Kipferl. Sie meldeten die Entdeckung des wahren Täters, seine Inhaftierung und seinen Tod.

»Als der Schließer am Abend die Zelle des Dr. Weiß betrat,« meldete die »Neue freie Presse«, »lag der Gefangene wie schlafend auf seinem Ruhebett. Darauf zog sich der Schließer zurück. Als jedoch eine Stunde später der Inhaftierte zu einem neuerlichen Verhör abgerufen werden sollte, zeigte es sich, daß er nicht schlief, sondern tot war.

Die gerichtliche Sektion wird zu beweisen haben, auf welche Art der Mann seinem Leben ein Ende machte. Doch scheint es von vornherein klar, daß er Gift genommen habe.

Über die Art und Weise, wie er in den Besitz desselben gekommen, kursiert in eingeweihten Kreisen eine romantische Erzählung, die wir, ohne ihre Wahrheit zu verbürgen, mit der nötigen Reserve wiedergeben. Eine stadtbekannte Schönheit, welche die Geliebte des Verbrechers gewesen sein soll, erschien gestern beim Untersuchungsrichter und bat ihn, dem Gefangenen ein Medaillon mit ihrem Bilde einhändigen zu lassen, welchem Verlangen entsprochen wurde. Das Medaillon soll aber in einem Geheimfach, das hinter der Photographie verborgen war, Arsenik enthalten haben.«

An einer andern Stelle des Blattes fand sich unter der Rubrik »Letzte Neuigkeiten« folgende Meldung: »Wie uns knapp vor Schluß der Redaktion in später Nachtstunde gemeldet wird, hat die bekannte Operettendiva, Fräulein Meta Falkinsky, ihrem Leben durch Gift ein Ende gemacht. Über die Beweggründe zur Tat kursieren verschiedene Gerüchte, die wir erst dann verzeichnen werden, wenn sich ihre Stichhaltigkeit erweisen sollte.«

Allein diesmal erfüllte die Zeitung ihr Versprechen, die Neugier des sensationshungrigen Publikums zu befriedigen, nicht. Sonderbarerweise brachte keines der Tageblätter, von dieser Notiz abgesehen, irgend ein Wort über den Selbstmord der Sängerin oder über den Fall des Dr. Weiß. Hofmeister war am frühen Morgen von Redaktion zu Redaktion gefahren und hatte überall die Bitte vorgebracht, angesichts des allessühnenden Todes den Mantel des Schweigens über das düstere Drama zu breiten, in welchem die größten und die niedrigsten Leidenschaften so eng verknüpft erschienen, daß man nicht wußte, wo man verdammen, wo man verzeihen und wo man bewundern sollte. Gerne willfahrten alle Zeitungen der pietätvollen Bitte des verdienten Mannes.

Die beliebte Sängerin wurde unter reichem Gepränge, von einer großen Menge von Kollegen und Bewunderern ihrer Kunst begleitet, zu Grabe gebracht; als die Trauergäste den Friedhof verließen, begegneten sie am Tore einem einfachen Leichenwagen, dem ein einziger Leidtragender folgte. Ein junger Mann mit glattem, bartlosem Gesicht und großen, blauen Augen, die träumerisch in die Welt schauten. Niemand erkannte in dem unscheinbaren Manne den Detektiv, dessen Lob die Zeitungen vor wenigen Tagen gesungen, niemand ahnte, daß der einfache weiße Holzsarg die Überreste eines Menschen barg, der unter einem kalten Äußeren ein von mannigfachen Leidenschaften durchwühltes Herz trug, dessen wilde Glut ihn zuletzt dahin trieb, das schwerste Verbrechen zu begehen, welches die Menschheit kennt, Mord.

Meta Falkinsky und Dr. Karl Weiß ruhen Seite an Seite in der kühlen Erde, und ein Grabstein erhebt sich für beide gemeinsam zu Häupten der grünen Rasenhügel. Er trägt keinen Namen, nur das Datum des Todestages und darunter einen Bibelspruch: »Sie haben viel geliebt, darum wird ihnen auch viel vergeben werden.«

*

Mehrere Jahre sind seitdem verstrichen. Keröpesy ist nach Verbüßung einer längeren Freiheitsstrafe wegen Falschspiels aus Europa verschwunden. Ob er sein Hochstaplerhandwerk in der neuen Welt fortsetzt oder ob er drüben, durch die Strafe gebessert, ein neues arbeitsames Leben begonnen hat, ist nie bekannt geworden.

»Hoffen wir das Letztere,« sagte Hofmeister, wenn manchmal im Hause Neuberts, der längst der glückliche Gatte seiner Kusine ist, des Abenteurers erwähnt wird. Er hat noch immer trotz der vielen traurigen Erfahrungen seines Berufes die beste Meinung von seinen Mitmenschen. Dies gilt als die einzige Schwäche des vielberühmten Detektivs, der sich sonst in Fachkreisen der größten Wertschätzung erfreut und bei den schwierigsten Fällen, die den andern unlösbar erscheinen, zu Rate gezogen wird.

Andere freilich, und zu ihnen gehört außer dem Ehepaar Neubert auch der inzwischen zum Oberkommissär avancierte Jobst, sehen gerade in dieser angeblichen Schwäche einen der schönsten Charakterzüge Hofmeisters.

»Ein Mensch, der sich bemüht, selbst im Verbrecher die guten und schönen Seiten aufzufinden, an denen es keinem Charakter mangelt, ist ein wahrhaft guter Mensch,« pflegt Frau Elisabeth zu sagen und die andern stimmen dann stets begeistert zu, während Hofmeister verlegen, sein melancholisches Lächeln auf den Lippen, jedes Lobeswort ablehnt.

»Alles verstehen heißt alles verzeihen,« murmelt er. »Wir sind allesamt Menschen, denen nichts Menschliches fremd ist. Wer von uns könnte behaupten, er sei für immer gefeit vor der Gefahr, dem Banne der Leidenschaft zu verfallen?«

 

Ende.


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