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10. Kapitel.
Ein Spiel der Leidenschaften.

»Um mit meiner Erzählung vom Anfang zu beginnen,« hub Hofmeister an, »muß ich ziemlich weit zurückgreifen, bis auf jenen Tag, da der Vater des Ermordeten und jener Dame, die hier zwischen uns sitzt, vom Leben schied.

Am gleichen Tage wurde ich von Herrn Dr. Weiß in seine Kanzlei gerufen, weil er meines fachmännischen Rates zu bedürfen glaubte. Tags vorher, so erzählte er, habe er bei der Nachricht von der schweren Erkrankung des Fabrikanten Kipferl nach einem Depot gesucht, welches dieser ihm vor einiger Zeit übergeben, und es nicht mehr gefunden. Ich konstatierte, daß an der Kassa ein Teil der Rückwand ausgesägt worden sei und zwar gerade an der Stelle, welche dem Fache entsprach, in welchem das Depot aufbewahrt gewesen.

Ich kam nicht dazu, den Fall weiter zu verfolgen, denn während ich in der Kanzlei weilte, war der Fabrikant gestorben und Herr Dr. Weiß erklärte, daß die weiteren Schritte den Erben vorbehalten bleiben müßten.

Wenn es aber auch nicht meine Sache war, unaufgefordert weiter vorzugehen, so konnte natürlich mich nichts hindern, mir über den Befund meine eigenen Gedanken zu machen. Ich muß Ihnen gestehen, Herr Doktor, daß ich schon damals, als ich in Ihrer Kanzlei weilte, mit absoluter Sicherheit den Mann kannte, der das Dokument entwendet, und dieser Mann – – – sind Sie!«

Aller Augen wandten sich bei dieser unerwarteten Wendung dem Advokaten zu, der totenbleich, aber vollkommen gefaßt, auf seinem Stuhle saß. »Fahren Sie fort,« gebot er mit heiserer Stimme.

Hofmeister neigte zustimmend das Haupt. »Es wird Sie vielleicht interessieren, wieso ich, nicht etwa auf den Gedanken, sondern zu der Gewißheit kam, daß nur Sie selbst das Dokument genommen haben könnten. Sie erinnern sich, daß ich mir genau die Stelle zeigen ließ, an welcher das Dokument nach Ihrer Angabe gelegen hatte. Ich führte nun sowohl die rechte als auch die linke Hand nacheinander durch die Öffnung in das Innere des Faches ein. Obgleich ich ziemlich lange Arme habe, jedenfalls längere als Sie, Herr Doktor, war es mir nicht möglich, von rückwärts bis an jene Stelle heranzukommen, auf welcher das Dokument gelegen haben sollte. Außerdem aber, und das ist ebenso wichtig, lag noch ein Bündel lose aufgeschichteter Papiere in dem Fache und zwar so, daß ein eingeführter Arm den Stoß Schriften unbedingt hätte in Unordnung bringen müssen, was nicht geschehen war.

Sie sehen also, daß ich mit Gewißheit sagen konnte, die Sägefläche an der Rückseite sei nur fingiert, um den Glauben zu erwecken, das Kuvert sei durch dieselbe entfernt worden, während es in Wirklichkeit auf dem gewöhnlichen Wege, durch die vordere Kassatüre, herausgeholt worden war. Und da nur Sie den Schlüssel zur Kassa besaßen, so folgte mit zwingender Logik – – –«

»Weiter,« gebot Dr. Weiß. »Weiter.«

»Ich übergehe die verschiedenen Nebenumstände, welche diese wichtigste Entdeckung stützten und vervollständigten. Genug, es war mir klar, daß nur Sie selbst das Kuvert hatten verschwinden lassen. Da ich aber die traurige Entwicklung nicht vorausahnen konnte und zu eigenmächtigem Vorgehen keinerlei Berechtigung besaß, ja nicht einmal den Erben etwas mitteilen durfte, da ich Ihnen als meinem Auftraggeber ausdrücklich Schweigen versprochen hatte, so schwieg ich auch.

Als der Mord geschehen war, und ich den Bericht in den Zeitungen las, fiel mein Verdacht sofort auf Sie, Dr. Weiß. Noch fühlte ich mich nicht berechtigt, davon zu sprechen, aber auf eigene Faust verfolgte ich die Spur.

Von einem Ihrer Schreiber erfuhr ich, daß der Ermordete wenige Stunden vor seinem Tode, bevor er in den Klub fuhr, bei Ihnen gewesen. Die Zeugenaussagen, denen ich dank der Zuvorkommenheit des Herrn Untersuchungsrichters beiwohnen durfte, vermehrten die Verdachtsmomente.

Zwei Punkte waren es insbesondere, die für meine Auffassung sprachen. Die Bedeutung des einen ist von den amtlichen Funktionären erfaßt, aber leider falsch gedeutet worden. Es war dies die Tatsache, daß die Haustüre nach Ihrem Weggang eine Zeit lang offen stand, bevor sie von der Köchin geschlossen wurde. Ich las aus dem geschilderten Vorgang etwas Anderes heraus. Sie, Dr. Weiß, haben das Haus überhaupt nicht verlassen. Sie sind im Dunklen vorausgeeilt, haben die Haustüre aufgeschlossen und wieder zugeworfen, so daß man glaubte, Sie seien hinausgegangen, während Sie in Wirklichkeit sich irgendwo im Dunklen verbargen.

Der zweite Punkt, von dem ich sprach, ist sonderbarerweise gar nicht beobachtet worden, obwohl er doch sehr auffällig war. Der Diener des Ermordeten gab an, daß die Schreibtischschublade offen und die Papiere durcheinander geworfen waren. Von einem Manne, wie es der Verstorbene gewesen, einem Menschen, der hauptsächlich dem Vergnügen lebte, war es kaum anzunehmen, daß er um 2 Uhr nachts, von einer Spielpartie heimgekehrt, sich an den Schreibtisch setzen und Geschäfte erledigen würde.

Es war mir klar, daß hier eine fremde Hand, um es gleich zu sagen, die Ihre, Dr. Weiß, gesucht hatte und ich konnte mir auch zusammenreimen, wonach. Offenbar hing die Durchsuchung des Schreibtisches mit der Unterschlagung des Testamentes und dem Besuche des Ermordeten, den er Ihnen am gleichen Abend abgestattet, zusammen. Ich kombinierte folgendermaßen:

Dieser Dr. Weiß hat irgend ein Interesse daran, das Testament des verstorbenen Fabrikanten zu unterschlagen. Nun dürfte Kipferl junior vielleicht eine Abschrift dieses Testamentes gefunden haben, als er nach dem Streit mit dem Vetter die vorhandenen Papiere im Fabriksbureau durchwühlte. Er begab sich zu seinem Rechtsfreund, um diesen von dem Funde zu verständigen.

Hätte ich damals gewußt, was ich jetzt weiß, so wäre ich schon auf diesem Punkte meiner Nachforschungen gegen Sie aufgetreten. Aber ich habe eine Eigenschaft, die bei meinem Berufe vielleicht lächerlich erscheint, die ich aber dennoch nicht missen möchte: Ich glaube von meinen Mitmenschen lieber Gutes als Böses und bemühe mich, alle ihre Taten im schönsten Lichte zu sehen.

Deshalb sagte ich mir, daß durch eine unglückselige Verkettung der Umstände der Verdacht auf Sie fallen könnte, während Sie in Wirklichkeit am Morde unschuldig waren. Konnten Sie nicht den Schreibtisch schon gleich zu der Zeit durchwühlt haben, als Sie angeblich das Haus verließen, also noch vor Mitternacht? Konnte nicht trotzdem ein anderer, sagen wir geradezu Keröpesy, mit dem Hausherrn heimgekommen sein, ihn beraubt haben und dann entflohen sein? Der Umstand, daß die Geldsumme in seiner Hand gesehen worden war, welche der Ermordete bei sich getragen, sprach für diese Auffassung. So entschloß ich mich, auch jetzt noch zu schweigen, besonders, da ich über einen Punkt, den wichtigsten, trotz alles Nachdenkens nicht zur Klarheit gelangen konnte, über das Motiv, das Sie zur Tat getrieben.

Ein Zufall führte mich auf die richtige Spur. Ich belauschte gestern bei Ronacher das Gespräch zweier Herren, von denen der eine Sie, Dr. Weiß, genau zu kennen schien. Er gab an, daß Sie so gut wie ruiniert seien durch tolles Börsenspiel, daß Ihnen nichts Anderes übrig bleibe, als sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen, und daß man in der Gesellschaft davon spräche, Sie wollten sich durch eine Ehe mit einer reichen Dame, deren Namen alle Anwesenden erraten, den ich aber nicht nennen will, rangieren.«

Bei diesen Worten stieß Elisabeth einen leisen Schrei aus und sank halb ohnmächtig in den Sessel zurück. Weiß sprang auf, sein Blick hing verzehrend an der zarten Gestalt im Trauerkleid, über die sich ihr Bräutigam beugte, als wolle er sie vor dem Blicke des anderen wie vor etwas Unreinem schützen. Die Lippen des Advokaten bebten, er schien etwas sprechen zu wollen, aber er brachte keinen Laut hervor und sank wieder auf seinen Sitz zurück.

Der Detektiv fuhr fort: »Ich hätte das, was ich auf diese Weise zufällig erlauschte, gewiß auch in Erfahrung gebracht, wenn ich darnach geforscht hätte, denn nichts ist leichter zu eruieren, als die Vermögensverhältnisse. Sie sehen also, daß der Vorgang bei Ronacher an und für sich von geringer Bedeutung gewesen wäre, wenn er mich nicht durch eine Verkettung der Nebenumstände angetrieben hätte, den ersten aktiven Schritt in diesem Kriminalfall zu unternehmen.

Ich sandte Jobst in Ihre Loge, um zu beobachten, welchen Eindruck die Nachricht von der Gefangennahme Keröpesys auf Sie machen würde. Sie erschraken, mehr noch Ihre Begleiterin. Das war ein schweres Verdachtsmoment. War Keröpesy der Mörder, dann hatten Sie ja gar kein Interesse an ihm. Waren aber Sie es, dessen Hand den tödlichen Schlag geführt, dann freilich mußten Sie wünschen, daß es dem mit dem Verdachte beladenen Ungarn gelinge, zu entkommen, denn solange der Verdacht auf ihm ruhte, waren Sie sicher.

Ich beschloß, mir um jeden Preis klaren Einblick zu verschaffen. Verkleidet drang ich in Ihre Wohnung ein und durchsuchte Ihren Schreibtisch. Gewagt war nicht viel dabei, denn einerseits wußte ich, daß Sie wahrscheinlich sobald nicht nachhausekommen würden und schließlich, wenn es doch geschah, so war ich durch all das, was ich schon wußte, zu einem solchen Schritte genügend legitimiert.

Ich will Ihnen auch sagen, wie ich auf den Gedanken kam, in Ihrer Privatwohnung nachzusuchen. Die Erfahrung belehrt uns, daß Verbrecher sonderbarerweise Dokumente, die sie belasten, ja überführen können, nur in den seltensten Fällen vernichten, sondern zumeist gegen ihr eigenes Interesse aufbewahren. Hatten auch Sie dies getan, dann mußte sich das aus dem Schreibtisch geraubte Schriftstück in Ihrer Privatwohnung finden und zwar wahrscheinlich im Schreibtisch, denn es war klar, daß Sie bei der vorgerückten Nachtstunde nach vollbrachter Tat sich nicht ins Bureau, sondern nach Hause verfügten und es war nicht anzunehmen, daß Sie etwa das Schriftstück später in Ihre Kanzlei herübergetragen hatten. Solche Dokumente legt man so rasch wie möglich aus der Hand und trägt sie nicht gerne bei sich herum.

Ich muß Ihnen das Kompliment machen, Dr. Weiß, daß Sie beinahe mich, der ich mir einbilde, eine gewisse Erfahrung zu besitzen, übertölpelt hätten. Die Idee, den geraubten Brief ganz zu oberst in das erste Fach zu legen, und auf die Vorderseite in verstellter Schrift den eigenen Namen und die eigene Adresse zu setzen, damit man glaube, das Kuvert enthalte einen an Sie gerichteten Brief, ist gar nicht schlecht. Aber eines haben Sie übersehen. Ein Schürhaken ist ein rußiges Instrument und man sollte sich immer vorher waschen, ehe man ein weißes Papier in die Hand nimmt, die zuvor einen Schürhaken gehalten.

Ich durfte Ihren Schreibtisch nicht durchwühlen, wollte ich nicht im Falle eines negativen Ergebnisses große Unannehmlichkeiten auf mein Haupt herabbeschwören, denn ich weiß ganz wohl, daß es mit dem Einbruch in Ihre Wohnung so geht wie mit allen andern Dingen. Der Erfolg entscheidet. Das, was heute als kluge Tat meinerseits gepriesen wird, würde unbedingt allseitig als frecher Eingriff verurteilt worden sein, wenn er erfolglos geblieben wäre.

Ein Rußfleck auf einem weißen Kuvert, der durch Kohlenstaub bewirkte Abdruck eines Fingers, bewies mir, daß sein Inneres das gesuchte Dokument enthalte. Ich ließ die Hülle zurück, das Dokument habe ich hier.«

Eine Bewegung ging durch die Zuhörer, als Hofmeister ein Papier hervorzog und langsam entfaltete. Nur Dr. Weiß saß stumm und bewegungslos da, als ginge ihn die ganze Sache nichts an.

»Dieses Papier,« begann der Detektiv von neuem, »ist der vielfach korrigierte und veränderte Entwurf zu einem Testament, und ich gehe wohl nicht fehl, wenn ich annehme, daß das verschwundene blaue Kuvert die Reinschrift dieses Entwurfes enthalten habe. Der Fabrikant Kipferl hat eigenhändig diese Bestimmungen niedergeschrieben, die ich Ihnen jetzt vorlesen will. Sie sind in Form eines Briefes an seine beiden Kinder gehalten.«

Und unter lautloser Stille las er: »Mein lieber Poldl, meine teure Lisi! Diese Zeilen sind mein letzter Wille, wie ich nach meinem Tode den Nachlaß zwischen euch geteilt haben will. Ich brauche euch nicht erst zu versichern, daß ich euch beide gleich liebe und daß ich keinen von euch irgendwie benachteiligen möchte. Aber gerade die Sorge um euer Wohl zwingt mich, nachfolgende Bestimmungen zu treffen.

Der größte Teil meines Vermögens besteht in der Fabrik, die ich aus kleinen Anfängen bis zu ihrer heutigen Höhe gebracht habe, wobei mein lieber Neffe Josef Neubert durch seine Tätigkeit in den letzten Jahren sich ein bedeutendes Verdienst erworben hat.

Die Fabrik muß als unteilbares Ganzes weiter bestehen und deshalb will ich, daß sie in das Eigentum meines Sohnes Leopold Kipferl übergehen soll.

Um meine Tochter nicht zu benachteiligen, müßte ich eigentlich bestimmen, daß ihr der Erbe des Geschäftes die Hälfte des Wertes in Barem auszahlen solle. Da ich aber befürchte, daß durch diese Kapitalsentziehung das Unternehmen selbst leiden könnte, so bestimme ich folgendes: Mein Sohn soll verpflichtet sein, seiner Schwester im Falle der Verehelichung außer der standesgemäßen Aussteuer soviel an barem Geld mitzugeben, als er ohne Schwächung des Geschäftes im betreffenden Zeitpunkt geben zu können glaubt. Der Rest der auf Elisabeth entfallenden Hälfte des Vermögens soll im Geschäft verbleiben und als eine Art unkündbares Darlehen betrachtet werden, welches durch verhältnismäßigen Anteil am Reingewinn zu verzinsen ist.

Auf diese Weise glaube ich das Interesse von euch beiden gewahrt zu haben.

Was meinen lieben Neffen Josef Neubert anbetrifft, so verfüge ich, daß er nach meinem Tode als Mitbesitzer in die Fabrik eintreten soll. Sein Anteil am Gewinn hat fünfundzwanzig Prozent zu betragen.

Sollte, wie ich hoffe und wie ich es zu meiner Freude sich entwickeln sehe, zwischen meiner Tochter und Josef sich eine Neigung ausbilden, die zu ihrer ehelichen Verbindung führt, so verliert Josef an dem Tage, da er meine Elisabeth heiratet, natürlich sein Viertel, da ihm doch als Mann der Erbin die Hälfte des Ganzen zufällt.«

Hofmeister ließ das Papier sinken. »Was weiter folgt, sind Bestimmungen über Legate, die an langjährige Mitarbeiter und an Wohltätigkeitsanstalten auszuzahlen sind. Dieser Teil des Testamentes hängt mit dem vorliegenden Fall nicht zusammen.

Als ich dieses Papier in den Händen hielt, war eigentlich die Kette der Beweise tadellos geschlossen. Nichts war mir unklar, nicht einmal daran konnte ich zweifeln, daß Dr. Weiß den tödlichen Schlag geführt. Der kleine Rußfleck auf dem weißen Briefumschlag war ein stummer, aber furchtbarer Ankläger.

Dennoch beschloß ich so lange zu schweigen, bis es sich aufgeklärt hatte, auf welche Weise Keröpesy in den Besitz der Barschaft des Erschlagenen gelangt sei. Ich zweifelte nicht daran, daß sich diese scheinbar so belastende Tatsache einfach erklären würde. Darum nahm ich mir die Freiheit, durch den Amtsdiener nicht nur die beiden Erben sondern auch den Mörder vorladen zu lassen, eine Stunde nach der Zeit, da das Verhör Keröpesys angesetzt war. Meine Rechnung hat sich als richtig erwiesen, restlos ist sie aufgegangen.

Ich würde wünschen, daß dieser Mann hier aufstehen und mir beweisen könnte, was ich gesprochen, sei nur ein Hirngespinst, ein Trugschluß, ich würde mich gerne eines besseren belehren lassen. Aber leider weiß ich, daß dem nicht so ist. Was ich gesagt habe, ist Wahrheit, traurige Wahrheit.«

Minutenlanges Stillschweigen trat ein, als Hofmeister geendet hatte. Nur das leise Schluchzen Elisabeths, die, das Gesicht an der Brust des Bräutigams verborgen, ihren Tränen freien Lauf ließ, durchklang den Raum. Die Augen der Männer wanderten hin und her zwischen dem Mörder und dem Detektiv, die beide wie traumverloren da saßen und vor sich hinstarrten ins Leere.

Plötzlich richtete sich Weiß auf, fuhr sich mit der Rechten über die Augen, als wolle er einen Schleier fortwischen, der seinen Blick umflorte, und begann: »Ich leugne nichts. Es ist alles so, wie Sie gesagt haben. Ich habe das Spiel verloren, es hat keinen Zweck, noch weiter ein Geheimnis bewahren zu wollen, das keines mehr ist. Ich kann meine Karten aufdecken.

Nur weniges habe ich dem hinzuzufügen, was Sie soeben gehört haben. Tatsachen eigentlich gar keine, nur über die Gefühle will ich sprechen, die mich zur Tat trieben, mit unwiderstehlicherer Gewalt als die materiellen Verhältnisse des Lebens.

Mein Vermögen und meine ganzen Einkünfte hat das Börsenspiel verschlungen. Es war dies eine Leidenschaft, gegen die ich vergeblich anzukämpfen suchte, – bis vor wenigen Monaten die einzige Leidenschaft meines Lebens.

Dann lernte ich noch eine zweite kennen: Die Liebe. Fürchten Sie nichts, Fräulein Elisabeth. Ich werde mich nicht allzulange bei diesem Punkte aufhalten, der übrigens nichts Kränkendes oder Beleidigendes für Sie hat. Liebe schändet nie, wenn es auch die Liebe eines Verbrechers, eines Mörders ist.

Ich liebte Elisabeth und war fest entschlossen, sie zu meiner Gattin zu machen. Aber wie die Dinge lagen, konnte mich nur eine sehr reiche Frau vor dem Ruin retten.

Als ich die Nachricht von der tödlichen Erkrankung des Fabrikanten erhielt, fiel mir das deponierte Testament ein. Aus gelegentlichen Äußerungen konnte ich mir so ungefähr seinen Inhalt vorstellen.

Aber das durfte nicht sein. Was nützte es mir, wenn meine Frau ein sicheres, jährliches Einkommen besaß? Ich brauchte bares Geld, viel bares Geld. Und andererseits war ich fest entschlossen, keine andere zur Frau zu nehmen, als diejenige, die ich wahnsinnig liebte.

Deshalb habe ich das Testament unterschlagen und vernichtet. Wochen verflossen, das Erbe wurde nach meinen Vorschlägen geteilt, ich glaubte alles gewonnen zu haben. Wohl bemerkte ich die Neigung zu Neubert, die in dem jungen Mädchen aufkeimte, aber weit entfernt mich abzuschrecken, erhöhte diese Beobachtung nur noch meine Leidenschaft.

Da fiel unerwartet wie eine Bombe eine Nachricht auf meine Hoffnungen, sie alle vernichtend, wie der Frühlingsfrost die Blüten erstickt. Am Abend vor seinem Tode kam der Ermordete zu mir und teilte mir mit, er habe einen Testamentsentwurf seines Vaters gefunden.

Ich schwöre Ihnen, ich dachte nicht an Mord. Meine Absicht war, mit Kipferl zu sprechen, ihn davon zu überzeugen, daß der gefundene Entwurf keine Rechtskraft habe und daß es das Beste sei, es bei der Teilung zu belassen, wie sie bereits vorgenommen war.

Sie kennen die Vorgänge an jenem verhängnisvollen Abend genau. Sie wissen, daß ich lange, ungebührlich lange dablieb, in der Hoffnung, Kipferl werde inzwischen heimkehren. Als ich endlich gehen mußte, weil die Zeit schon zu weit vorgeschritten war, verließ ich nicht das Haus, sondern handelte so, wie Ihnen der Mann hier auseinandergesetzt hat. Ich warf die Türe zu, damit man glauben solle, ich habe das Haus verlassen und schlich die Stiege empor in das Zimmer des Hausherrn, um ihn zu erwarten.

Wäre der Hausdiener daheim gewesen, um mir wie gewöhnlich das Tor zu öffnen, ja hätte nur die Köchin, die seine Stelle vertrat, nicht geschlafen, nie wäre der Gedanke, im Hause zu bleiben, in mir aufgetaucht, der Fabrikant würde heute noch leben, ich wäre kein Mörder. Kleine Ursachen bestimmen das Schicksal des Menschen.

Kipferl kam heim, aber meine Vorschläge stießen auf Widerspruch. Er enthüllte mir seinen ganzen egoistischen, habgierigen Charakter. Nicht einen Kreuzer wollte er der Schwester mitgeben, da er dazu nicht verpflichtet war. Er hatte sofort heraus gerechnet, daß es in seinem Interesse wäre, wenn die Schwester den Vetter heirate, da er dadurch ersparte, dem letzteren das Viertel des Gewinnstes auszuzahlen und obgleich er sich am selben Tage mit Neubert überworfen hatte, so siegten doch sein Eigennutz und seine Habsucht über seinen Zorn.

Ich sah all meine Hoffnungen zusammenstürzen, hatte den Verlust Elisabeths, den wirtschaftlichen Ruin vor Augen. Und warum das alles? Weil sich ein geschriebenes Papier gefunden hatte. Wenn es verschwand, wenn auch er stumm gemacht wurde, der einzige, der von dessen Vorhandensein wußte, dann – –«

Er schwieg und fuhr nach kurzer Pause dumpfen Tones fort: »Ich weiß selbst nicht, was mir in jener Stunde alles durch den Kopf ging. Vergebens würde ich zu beschreiben versuchen, was ich tat. Daß ich den andern niederschlug, mit Hilfe seines Schlüsselbundes das Dokument aus dem Schreibtisch nahm, mit seinem Schlüssel das Haustor öffnete und ungesehen entkam, all das schließe ich mehr als ich es weiß. Mein Gedächtnis kehrte erst wieder in jenem Moment zurück, da ich mich in meiner Wohnung sitzen sehe, das geraubte Papier und den Schlüssel in der Hand.

Das andere wissen Sie; einmal zum Mörder geworden, nahm ich den Kampf mit dem Schicksal auf. Ich war entschlossen, zu siegen um jeden Preis.

Als ich sah, daß Neubert schon am folgenden Tage wieder freigelassen wurde, ließ ich Keröpesy warnen. Wenn es ihm gelang, der Polizei zu entkommen, so blieb natürlich der Verdacht des Mordes auf ihm sitzen und ich konnte beruhigt sein. Ich faßte die Depesche so ab, daß Keröpesy glauben mußte, die Polizei verfolge ihn nur wegen Falschspielens.

Als mir der Polizeikommissär Jobst gestern abend beim Ronacher die Mitteilung von der Verhaftung Keröpesys machte, war ich halb und halb entschlossen, das Spiel aufzugeben. Ich verbrachte eine schlaflose Nacht, zwischen der Absicht, alles zu enthüllen, und der Hoffnung, doch noch zum Ziel zu gelangen, schwankend. Mein guter und mein böser Engel stritten um die Herrschaft, und noch einmal siegte der Geist der Finsternis.

Heute morgen begab ich mich in die Villa des Ermordeten. Wie in jener Nacht war mir auch diesmal der Zufall günstig. Niemand sah mich eintreten, niemand begegnete mir auf der Treppe oder im Gange als ich mich in das Zimmer schlich, wo die Papiere Kipferls, verschnürt und zur Abholung bereit, lagen. Ich schob den Schlüssel zur Haustüre, den ich in jener Nacht hatte mitnehmen müssen, zwischen die Papiere und entfernte mich ebenso unbemerkt, als ich gekommen.

Schon eine Stunde darauf reute mich diese Tat. Ich empfand sie als ein schwereres Verbrechen als den Mord selbst. Diesen habe ich im Banne der Leidenschaft verübt, meiner Sinne nicht mächtig; die Tat heute morgen aber war ein kaltblütiger Schurkenstreich, darauf berechnet, die Schuld für die Verbrechen, die ich begangen, einem andern aufzubürden. Es ist keine Lüge und Übertreibung, wenn ich sage, ich freue mich, daß mein Plan nicht gelungen, daß Neubert nicht eine Minute lang unter meinem Beginnen zu leiden hatte.

Ich bin zu Ende, ich habe nichts weiter zu gestehen. Und nun, Herr Staatsanwalt, tun Sie, was Ihres Amtes ist.«


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