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3. Kapitel.
Ein Bündnis.

Die gefeierte Soubrette Meta Falkinsky lag, die üppigen Glieder in einen türkischen Schlafrock gehüllt, der die pikante orientalische Schönheit ihres Gesichtes geschickt hervorhob, auf dem Sopha ihres eleganten Boudoirs, dessen Pracht und Eleganz ein häufiges Gesprächsthema in Damengesellschaften bildete. Die Herrin des Hauses aber hatte heute keinen Blick für die zierlichen und doch kostbaren Möbel, für die blauseidene Wandtapete, die ein Vermögen gekostet hatte, oder für die zahlreichen Nippsachen und Kunstgegenstände, die rings im Raume zerstreut von dem Geschmack der Sängerin ebenso Zeugnis ablegten, wie von den reichen Mitteln, über die sie verfügte.

Für all dies hatte Meta Falkinsky heute keinen Blick. Das Buch, in welchem sie gelesen, war der Rechten entglitten und lag auf dem Teppich, sie selbst träumte, das Haupt in die Hand gestützt, vor sich hin und überhörte ganz das mehrfache, schüchterne Klopfen an der Türe.

Diese öffnete sich leise und zögernd, und ängstlich trat das Stubenmädchen ein, auf der Schwelle stehen bleibend, als sie ihre Herrin so in Gedanken versunken sah. Endlich faßte sie sich Mut und stammelte: »Ein Herr ist draußen und wünscht – –«

Die Sängerin fuhr empor und ein vernichtender Blick aus ihren schwarzen Augen traf das erschrockene Mädchen. »Dumme Gans, habe ich Dir nicht ausdrücklich gesagt, daß ich nicht gestört werden will.«

»Ich dachte – – –«, entgegnete die Zofe leise.

»Du hast nichts zu denken, Du hast zu gehorchen, sonst werfe ich Dich hinaus. Fort jetzt und sage, daß ich für niemand zu sprechen bin, für niemanden.«

In diesem Augenblick tauchte hinter der Zofe die schlanke Gestalt Keröpesys auf, der die Dienerin ohne Umstände über die Schwelle schob, die Türe hinter ihr schloß, und zu der Sängerin gewendet sagte: »Du entschuldigst, liebes Kind, aber ich bin nicht gewohnt, so lange zu antichambrieren. Für mich wirst Du doch wohl Zeit haben.«

Ein Blick voll Trotz und Zorn traf den Sprecher. »Ich wüßte nicht, warum gerade für Dich.«

Der Ungar ließ sich auf einem der niedrigen Seidentaburetts nieder, kreuzte behaglich die Füße und sagte gemütlich: »Stelle Dich doch nicht so, mein Schatz. Ich begreife ganz gut, daß Launenhaftigkeit und Despotismus Deinen Wert in den Augen Deiner diversen Anbeter erhöht, denn diese Dummköpfe werden ja immer um so verliebter, je schlechter man sie behandelt. Da mich aber nach Deinen Küssen ganz und gar nicht gelüstet – – –«

Die Stirne der Sängerin hatte sich bei diesen Worten immer mehr umwölkt, jetzt sprang sie empor, ballte die Fäuste und stampfte mit dem kleinen Fuße den Boden. »Ich habe es satt, Aladar, hörst Du, satt bis an den Hals hinauf. Ich werde meinen Bediensteten den strengen Auftrag geben, Dich überhaupt nicht mehr vorzulassen. Du bist mir verhaßt, mehr noch, ich verachte Dich, mir ekelt vor Dir. Hinaus, mir ekelt vor Dir.«

Sie warf sich erregt auf das Sopha zurück, während der Ungar in unerschütterlicher Ruhe seinen starken Schnurrbart strich und nur höhnisch lächelte. »Du hast nicht immer so gesprochen, mein Täubchen. Die Zeiten liegen noch nicht gar zu weit zurück, da Du liebegirrend an meinem Halse hingst. Freilich warst Du damals noch nicht die gefeierte Sängerin Meta Falkinsky, sondern das arme Judenmädel Mirjam Feigelstock, welche mit Recht stolz darauf war, daß ein Edelmann sein Auge auf sie geworfen hatte.«

Sie lachte bitter auf. »Ein sauberer Edelmann, ein Schurke, der aus seinem adeligen Namen nur das Recht ableitet, zu faulenzen und auf anderer Leute Kosten zu leben.«

Keröpesy lachte hell auf und verbeugte sich ironisch, als habe ihm die Dame soeben ein Kompliment gemacht. Das steigerte den Zorn der Soubrette ins Ungemessene. Ihre schönen Züge verzerrten sich und außer sich vor Wut zischte sie ihm entgegen: »Geh', sag' ich Dir, geh! Ich war eine Närrin, daß ich mich vor Dir fürchtete. Nicht soviel kannst Du mir antun, nicht soviel. Geh' doch hin und erzähle irgend einem Reporter alles, was Du weißt, daß ich eine Jüdin bin, daß ich Deine Geliebte war, aber auch ich werde nicht schweigen und werde erzählen, wie Du mich seit Monaten ausbeutest, mir Geld abpreßt mit Deinen Drohungen von Skandalen. Auch ich werde es erzählen, und zwar direkt dem Staatsanwalt. Du mußt selbst wissen, ob es Dir so gleichgültig sein kann, wenn sich dieser Herr ein wenig eingehender mit Deiner Vergangenheit befaßt.«

Keröpesy verzog die Lippen zu einem geringschätzigen Lächeln. »Rege Dich nicht auf, mein Kind, das alteriert Deine Gesundheit und macht Dich häßlich. Und durch das laute Kreischen wirst Du nicht nur die Dienerschaft herbeischreien, die doch nicht zu wissen braucht, was zwischen uns geredet wird, sondern Dir obendrein Deine Stimme verderben. Was die Drohung mit dem Staatsanwalt betrifft, damit schreckst Du mich nicht, mein Kind. Ich habe nie Geld aus der Ladenkasse gestohlen und ruhig mit angesehen, wie eine Unschuldige deshalb verurteilt wurde.«

Das Antlitz der Sängerin wurde totenbleich, als sie die letzten, langsam und mit besonderem Nachdruck gesprochenen Worte des Besuchers vernahm.

»Du lügst,« stammelte sie. »Du lügst, Du Schurke. Willst Du mich gar noch zur Diebin stempeln? Haha,« – sie lachte gezwungen – »haha, siehst Du, soviel mache ich mir aus Deiner Drohung. Siehst Du, ich lache darüber. Hahaha.«

Seine Lippen verzogen sich zu einem teuflischen Lächeln. »Spar' Dein Talent für die Bühne, mein Kind, mir brauchst Du keine Komödien vorzuspielen. Ich fürchte, das Lachen würde Dir vergehen, wenn ich Ernst mache.«

Er richtete sich in seinem Stuhle auf und seine Augen hefteten sich durchbohrend auf die Sängerin, während er schneidenden Tones, jedes Wort scharf hervorhebend, fortfuhr: »Du darfst mich für keinen Narren halten, der nur so ins Blaue hinein droht. Was ich sage, kann ich beweisen. Du willst Dich erinnern, daß bei dem Prozeß gegen Marta Feldmann viel von einer Banknote die Rede war, die ebenfalls aus der Kasse verschwunden war und leicht daran erkannt werden konnte, daß sie am Rande einige Worte mit der Feder geschrieben trug. Der Chef erinnerte sich bestimmt, diese Banknote, die ihm später fehlte, selbst in die Kasse gelegt zu haben. Nun denn, ich kann beschwören und wenns not tut sogar durch Zeugen beweisen, bei wem ich diese Banknote gefunden habe. Ja, mein Schatz, ich habe sie noch heute aufgehoben; glaube mir, es ist mir oft schwer geworden, sie nicht zu wechseln, wenn bei mir Schmalhans Küchenmeister war, aber ich konnte mich von diesem Liebespfande nicht trennen.«

Meta war auf das Sopha zurückgesunken und schluchzte laut auf, das Gesicht in die blauseidenen Kissen gedrückt. Mit funkelnden Blicken schaute Keröpesy auf die Vernichtete hinab.

»Meine Schuld ist es nicht, mein Täubchen, wenn ich diese alten Geschichten wieder ausgraben mußte,« begann er nach kurzer Pause in gänzlich verändertem Tone. »Wenigstens weißt Du jetzt, wie es zwischen uns beiden steht. Und nun bitte, trockne Deine Tränen und laß uns vernünftig reden.«

Sie richtete sich langsam empor. »Höre Aladar, ich weiß, daß Du es nur auf mein Geld abgesehen hast, daß Dir meine Person ganz gleichgültig ist; nun gut, ich will Dir geben, was ich habe, alles – keinen Kreuzer will ich behalten, aber gehe fort und lasse mich in Frieden.«

Keröpesy hatte sein glattes, weltmännisches Wesen wieder angenommen. Eine Zigarre hervorholend und anzündend, ließ er sie zu Ende sprechen und entgegnete dann ernst: »Das sind Dummheiten. Ich bin doch kein Straßenräuber. Daß ich leider gezwungen war, öfters unter Berufung auf unsere frühere Freundschaft bei Dir Anleihen zu machen, ist mir selbst schwer genug geworden. Gerade zu dem Zwecke bin ich heute zu Dir gekommen, um mir Deine Mithilfe zu verschaffen, weil ich endlich in geordnete Verhältnisse zu kommen hoffe. Ich erwarte, daß Du mich bei diesem löblichen Bestreben unterstützst, denn abgesehen davon, daß ich natürlich meine Schulden an Dich auf Heller und Pfennig zurückzahlen werde, erfüllt sich dadurch Dein sehnlichster Wunsch: Du wirst mich für immer los. Also, darf ich auf Deine Hilfe rechnen?«

Meta lächelte finster: »Nein, das darfst Du nicht. Noch weiß ich zwar nicht, was Du beabsichtigst, aber etwas Gutes wird es nicht sein, das weiß ich schon vorher.«

Er lachte amüsiert auf. »Zum Teufel, Du hast wahrhaftig keine schmeichelhafte Meinung von mir. Aber im Ernst gesprochen, ich will wirklich solid werden. Vor Dir brauche ich mich nicht zu verstellen. Zugestanden, ich war bis heute ein Abenteurer, der sich die Mittel zu standesgemäßem Leben oft auf eine Weise erwerben mußte, die nicht ganz fair war. Aber warum geschah das? Einfach, weil ich arm bin; wäre ich reich, dann wäre ich ein Kavalier, allgemein geachtet und hoch angesehen. Nun gut, ich will reich werden.«

Die Sängerin verzog die Lippen. »Beabsichtigst Du vielleicht, weil das Falschspielen nicht genug trägt, zum Einbruch oder Mord überzugehen?«

»Wozu solche Gewaltmittel, mein Kind? Ein Edelmann hat zum Glück noch einen ungefährlicheren Weg zum Reichtum.«

»Und der wäre?«

»Ganz einfach eine reiche Heirat.«

Diesmal fuhr die Sängerin wirklich erstaunt empor. »Wie, Du willst heiraten?«

Keröpesy nahm eine betrübte Miene an und erwiderte mit heuchlerischem Hohn: »Da Du, mein Schatz, nichts mehr von mir wissen willst, so beabsichtige ich allerdings, mich aus Verzweiflung in die Arme einer anderen zu stürzen. Daß diese andere zufällig glückliche Besitzerin einer Million ist, ist für mich kein Hindernis.«

Wider Willen begann sich die Sängerin für die Sache zu interessieren. »Und welche Rolle hast Du mir bei diesem Plane vorbehalten?«

»Die meiner Helferin und Unterstützerin; wenn Du willst, meinetwegen die meiner künftigen Schwägerin. Ich will Dir die Verhältnisse kurz schildern.

Meine künftige Braut führt den nicht sehr poetischen Namen Kipferl, ist aber im übrigen ein reizendes, bildhübsches junges Mädchen, welches außerdem durch den vor acht Tagen erfolgten Tod ihres Vaters Millionärin geworden ist. Ihr Bruder, der Fabrikant Leopold Kipferl, nennt sich mit Stolz mein Freund.«

»Der Dummkopf!«

»Sehr richtig bemerkt; ich sehe, Du hast noch immer die frühere rasche Auffassungsgabe. Der Poldl, wie er entre nous genannt wird, verfügt allerdings über keinen Überfluß an geistigen Kräften. Ich werde ihn Dir in den nächsten Tagen vorstellen. Deine Aufgabe ist es, ihm meine Persönlichkeit im schönsten Lichte zu zeigen, was übrigens nicht schwierig ist, da er schon jetzt die beste Meinung von mir hat. Wie gesagt, wenn Du Dir den Goldfisch angeln willst, ich habe nichts dagegen, Dich zur Schwägerin zu bekommen. Du siehst, ich bin vorurteilsfrei.«

Meta atmete erleichtert auf; sie hatte wohl einen schlimmeren Antrag erwartet, als die verhältnismäßig harmlose Unterstützung eines Heiratsprojektes. Bereitwillig versprach sie ihre Mithilfe. »Ich kann also erwarten, Dich recht bald als glücklichen Bräutigam zu sehen?«

Keröpesy erhob sich, warf die Zigarre weg und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. »Ja, wenn es sich nur um den Dummkopf von Bruder und meinetwegen um das Mädel selbst handeln würde, dann wollte ich die Sache bald gedeichselt haben. Aber da sind noch andere Leute, die mir sehr unbequem werden können. Ein Vetter, einer jener kaltblütigen Arbeitsmenschen, deren Augen durch Stahl und Holz sehen, und der überdies in seine Kusine bis über beide Ohren verliebt ist. Und dann dieser Doktor Weiß, – – –«

Die Sängerin fuhr empor und eine jähe, glühende Röte bedeckte ihr Gesicht: »Dr. Weiß? Der Advokat Karl Weiß? Was hat der mit der Sache zu tun?«

»Er war der Sachwalter des verstorbenen Kipferl und so eine Art Hausfreund und scheint jetzt nach dem Tode diese Beziehungen fortsetzen zu wollen. Ich habe heute mit eigenen Ohren gehört, wie er sich auf den Retter des jungen Mädchens hinausspielte, das sich auf dem Friedhof draußen den Fuß verstaucht hatte und angeblich ohne sein Dazwischenkommen erfroren wäre. Ich möchte wissen, was der Mensch bei solchem Wetter auf dem Friedhof zu suchen hat? Hängen will ich mich lassen, wenn er nicht einfach dem Mädel nachgelaufen ist, denn trotz seiner vierzig Jahre scheint er tüchtig Feuer gefangen zu haben.«

Die Sängerin schnellte von ihrem Sitze empor und ihre dunklen Augen sprühten. »Also deshalb!« rief sie aus. »Ich dachte mir gleich, daß eine andere dahinter stecke, als Karl sich immer mehr von mir zurück zu ziehen begann. Freilich, ich hatte die Tarlani im Verdachte, die italienische Ballettänzerin – – –«

Keröpesy war stehen geblieben und betrachtete das erregte Weib anfangs erstaunt, dann mit einer gewissen Befriedigung. »Ah, was ich da höre, macht die Sache noch interessanter. Es scheint, als ob dieser Dr. Weiß Dein Verehrer gewesen und Dir abgeschnappt wäre?«

Meta schüttelte trotzig das Haupt. »Verehrer? Nein, ich liebe ihn, ich liebe ihn und werde nie dulden, daß eine andere – – –«

Beim Anblick der erregten, vor Leidenschaft bebenden Gestalt stieß der Ungar einen leisen Ruf der Freude und Befriedigung aus. Das vereinfachte die Sache und machte Meta zu seiner unzertrennlichen Bundesgenossin. Mit heuchlerischem Ernst fuhr er fort: »Ich kann Dir nicht verhehlen, mein Kind, daß die Angelegenheit für uns beide recht schlecht steht. Der Advokat scheint, wie gesagt, in das Mädchen verliebt zu sein, wobei ich nicht untersuchen will, wieviel Anteil die Erbschaft an der Entstehung dieser Leidenschaft hat. Und was Elisabeth, Fräulein Kipferl meine ich, anbetrifft, so könnte ihr, fürchte ich, der angesehene Advokat als Mann nicht ungelegen sein, zumal, da nach dem heutigen Abenteuer der Glorienschein des Lebensretters sein Haupt umgibt. Du siehst also, daß – – –«

Die Sängerin runzelte die Stirn und ihre weißen Zähne bohrten sich so fest in die roten Lippen, daß diese bluteten. Ihr Atem ging schwer und keuchend.

»Nie,« stieß sie hervor, »nie!«

Keröpesy streckte ihr die Hand entgegen. »Ebenso sage auch ich. Du siehst, unser beider Interesse geht diesmal Hand in Hand. Das beste Mittel, damit der andere das Mädchen nicht freien könne, ist, daß ich sie heirate. Also auf treue Bundesgenossenschaft, Meta.«

Mit glühenden Augen legte sie ihre Rechte in die Hand des Mannes, den sie vor kurzem zurückgestoßen hatte.

»Er darf keine andere lieben, er darf keine andere heiraten,« stieß sie hervor. »Du hast recht, Aladar, unsere Interessen sind diesmal dieselben. Hier meine Hand, ich helfe Dir.«

Lange noch, bis spät in die sinkende Nacht hinein, saßen der Abenteurer und das leidenschaftliche Weib nebeneinander und schmiedeten Pläne; keiner der beiden dachte daran, daß sie mit dem Lebensglück eines nichtsahnenden, unschuldigen Mädchens spielten.


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