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12.

Als Markwitz zurückkehrte, fand er sie noch auf dem gleichen Fleck. Er fragte, ob sie fertig mit Packen sei, in drei Stunden gehe der Zug.

»Ich bleibe hier,« erwiderte Jettka ruhig.

»Nein, nein, das hieße, Sie dem Verderben überlassen,« entgegnete Markwitz heftig, »ich werde Sie zwingen, diesen Ort zu verlassen!«

»Es gibt nur ein Mittel, mich zu zwingen.« Und mit aufleuchtenden Augen legte sie die Hand auf seinen Arm, wie beschwörend. »Markwitz, ich weiß ja, daß Ihre Seele mir gehört – – Sie sind ja den langen, weiten Weg gekommen, um es mir zu sagen – – wozu also die neue Qual? Es gibt nur eine Rettung für mich – wenn Sie mich mitnehmen, mich bei sich behalten! Ich habe Mut zum schwersten, zum härtesten Kampf – – –«

»Das ist unmöglich, das Weib ist dem Mann das größte Hindernis, wenn er sich die Existenz erst begründen muß,« sagte Markwitz. »Bedenken Sie doch, Jettka, alle Konsequenzen unseres Zusammenbleibens. Nein, den ersten und schwersten Kampf muß ich allein ausfechten. Ich bin kein Abenteurer und kein Glücksritter, ich habe kein Zutrauen zu einem Glück ohne Fundament, ohne solide Grundlage. Schelten Sie mich einen Philister, ich kann nicht aus meiner Haut heraus. Und schließlich ist die gute, alte Bürgermoral doch die einzige Garantie für das Zuverlässige, für das höhere Lebensniveau. Alles andere geht ins Uferlose. Für den Bohémien habe ich gar kein Talent.«

Eine trostlose Hoffnungslosigkeit malte sich in Jettkas Zügen.

»Ist nicht Menschenglück und Menschenleben wertvoller als engherzige Moral? Bin ich Ihnen nicht mehr wert als Ihr Tugendstolz?« Sie deutete auf die Geldtasche, die er trug.

»Ich könnte nie den Ekel überwinden – –« Markwitz stockte mit einem beredten Ausdruck von Abscheu. Er wollte von dem Ekel an dem erspielten Gold reden, aber er fühlte in diesem Augenblick, daß es der moralische Ekel an der Tat war, den er nie mehr überwinden würde.

Jettka begriff das Furchtbare. Sie wurde totenbleich und wankte. Aber im nächsten Moment hatte sie ihre Haltung wieder.

»Das soll das letzte Wort sein,« sagte sie mit einer stolzen Handbewegung, als weise sie etwas von sich, »so wollen wir scheiden – jetzt – in dieser Stunde. Wenn es Sie beruhigt, sage ich Ihnen, daß ich nicht hier bleibe, ich gehe tiefer nach dem Süden – Rom – vielleicht Neapel oder Sizilien. Und da Sie doch nach dem Norden zurückkehren – könnten Sie wohl meine Angelegenheit in Helmershausen in Ordnung bringen? Es ist mir gleichgültig, auf welche Weise, und ob Gabriele davon erfährt.«

Und in völlig ruhiger, geschäftlicher Weise erörterte sie alle Äußerlichkeiten mit Markwitz, der schwer mit seiner Fassung rang. Sie behielt nur einen Teil ihres Geldes zurück, nur was sie für die nächste Zukunft brauchte, das übrige sollte Markwitz bei ihrem Bankier in München deponieren.

»Wollen Sie mir nicht noch die letzte Stunde schenken?« fragte Markwitz bittend.

Sie sah ihn mit einem leeren, starren Blick an.

»Wozu den Abschied verlängern? Gehen Sie – es ist besser so. Leben Sie wohl – –« sie reichte ihm eine heiße, trockene Hand.

»Jettka!« rief Markwitz schmerzlich.

»Leben Sie wohl!« wiederholte Jettka tonlos. Und er verstand, was sie ungesagt ließ. Sie konnte seine Gegenwart nicht mehr ertragen.

Er ging, und der Boden brannte ihm unter den Füßen. In der Bahnhofshalle erwartete er seinen Zug, ohne dem Paradies Monte Carlo auch nur noch einen einzigen Blick zu schenken. Von dem ganzen Aufenthalt war ihm nur das eine fürchterliche Bild in die Seele gebrannt: das Hotelzimmer mit seinem öden, unechten Luxus, mit dem Blick auf das im Mittagsglanz blendende Meer – und mitten im Zimmer das Weib mit der gierigen Leidenschaft in den Augen über den Tisch gebeugt, im Gold wühlend – –

Dieses Bild würde nie mehr aus seiner Seele weichen, für ewig mit Jettkas Person verknüpft. Konnte ein Weib, das sich so tollkühn jenseits von Gut und Böse gestellt hatte, je wieder den Weg zurückfinden zu dem sittlichen Niveau altehrwürdiger Rechtsbegriffe, auf dem allein er seine Zukunft und sein Leben aufbauen konnte?

Je mehr er sich vom Süden entfernte, und um so näher er der nördlichen Heimat kam, um so mehr atmete er auf, vom Bann erlöst. Frei und stark fühlte er sich nach dem Sieg über die Versuchung. In der Ernüchterung, die auf den Rausch seiner Leidenschaft für Jettka folgte, wurde ihm klar, daß Unvereinbarkeit ihr innerstes Wesen trennte. Die Wege, die Jettka gehen wollte, zu denen ihr Temperament sie führte, gingen auf Erden nur Verbrecher oder Helden des Erfolgs. Auf diesen Wegen konnte er das Weib seiner Liebe nicht finden.

Wie seltsam hatte ihn das Leben zwischen die beiden Cousinen gestellt! Zwei Extreme, vielleicht die untauglichsten für das Lebensglück und Eheglück eines rechten Mannes. Sowohl die geistige Inferiorität Gabrielens wie die zügellose Genialität Jettkas wiesen jenen Mangel an sittlichem Halt auf, der einem rechtlich denkenden, hochsinnigen Mann Liebe und Vertrauen in der Blüte knickt.

* * *

Am folgenden Morgen nach Markwitz' Abreise badete Jettka wie gewöhnlich am Meeresstrand. Luft und Himmel schwammen ineinander im blaugoldenen Glanz, und ohne auf die Grenzen zu achten, die den Badenden gezogen sind, ließ sie sich von den Wellen hinaustragen in die schimmernde Unendlichkeit, das Land ihrer Sehnsucht mit der Seele suchend.

Sie kehrte nie zurück.

Ob ein Herzschlag sie betroffen, ob sie die Richtung verloren und nicht mehr heimfand – ob sie den Tod gesucht – blieb ein Geheimnis. Da die junge deutsche Dame mit sensationellem Glück an der Bank gespielt hatte, nahm die Öffentlichkeit einen unfreiwilligen Tod, einen Unglücksfall an, als ihre Leiche später an fernen Küstenstrichen ans Land gespült wurde.

In der großen, uferlosen Einsamkeit von Himmel und Wasser hauchte sie ihre Seele aus.

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