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7.

Unüberwindliche Neugier trieb Markwitz am folgenden Tag nach Helmershausen. Er war überzeugt, daß er Jettka auf den ersten Blick ansehen würde, ob die Vision des vorhergehenden Abends Traum oder Wirklichkeit gewesen sei.

Jettka begrüßte ihn völlig unbefangen. Sie scherzte sogar darüber, wie interessant sein Besuch gestern gewesen. Markwitz schämte sich förmlich seines Verdachts, nur eins fiel ihm auf und erregte von neuem leisen Zweifel: Warum war Jettka heute so krankhaft bleich mit tiefen Schatten unter den Augen? Ihr Wesen verriet jedoch kein körperliches Unwohlsein, sie war ebenso angeregt und elastisch wie bei dem letzten Zusammensein.

Sie spielten eine Partie Billard, und Markwitz unterhielt sich sehr gut dabei. Seine Partnerin war heute ganz besonders amüsant und gut aufgelegt, aber nichts in ihrem Wesen erinnerte an die Vision der letzten Nacht.

Er hatte keine Ahnung, welch einen Aufwand an Selbstbeherrschung sie zu dieser Täuschung brauchte. Ihr Stolz forderte es gebieterisch. Er sollte und durfte nicht ahnen, daß sie schwach geworden war, zum erstenmal im Leben der Schwäche unterlegen! Er durfte nicht wissen, bis zu welchem Grad er ihr Herz und Sinne gefangen hatte, bis zur plötzlichen, blitzartigen Offenbarung der elementaren Naturkraft der Liebe!

Er war ja doch nur ein Mann wie alle andern, wenn er eine Gabriele heiraten konnte und wollte. Und er würde Gabriele und ihr Geld heiraten, trotzdem er heute schon wissen mußte, daß sie, sie allein die andere Hälfte seiner Seele war.

Er macht es wie die andern. Er genießt den Verkehr mit ihr, er berauscht sich an den exquisiten Genüssen, die sie zu bieten vermag, und fragt sich nicht, was er dem Weib schuldig ist, dem er die Seele mit allen stärksten Lebenstrieben weckt und das ihm die seltensten Freuden bereitet hat.

Wer hat je nach ihrer hungernden, leidenden Seele gefragt? Sie soll geben, immer geben, und sie empfängt nichts dafür!

In wenigen Tagen kehrt Gabriele zurück, und dann darf sie wieder ferne stehen und die Zuschauerin dieser widerwärtigen Liebeskomödie sein. Dann darf sie mit ansehen, wie der Mann, den sie zu einem König, zu einem Gott machen könnte und möchte, sich zum Sklaven einer eitlen, verwöhnten Frau erniedrigt! Das Geld, das fluchwürdige Geld allein schließt alle Türen und Tore auf zum Erdenglück, zur Lebensfreude; der Besitz des Goldes allein baut die Brücke, die trockenen Fußes über den Sumpf, über den Schmutz des Lebens hinwegführt, zu jenen Höhen, wo sich die Ersten, die Besten und die Glücklichen zusammenfinden. Wer dieses Zaubermittel nicht besitzt, sich zu den höheren Regionen zu erheben, der bleibt im Staub, im Dunkel, der gehört zum Pöbel der Enterbten, und ob er sonst alles hätte, was ihn berechtigte, in der vordersten Reihe der Menschheit zu stehen!

Vor Jettkas brennenden Augen, die wie im Fieber glühten, tauchte eine Vision auf – das schimmernde Gold, die Juwelen, die blauen Scheine, die sie in Gabrielens Geldschrank gesehen. Ein Schwindel wollte sie erfassen, wenn sie das Glück dieses Besitzes abschätzte; wenn sie es verglich mit ihrem Elend, mit der jahrelangen Not, mit der herabwürdigenden Schäbigkeit, zu der sie gezwungen, dem ängstlichen Rechnen mit dem Groschen und dem Pfennig, mit der Erniedrigung, die sie ausgekostet hatte, als ihr Vater noch bettelte und borgte, überall, wo es etwas zu betteln und zu borgen gab.

Wie von einer höheren Macht getrieben, gezogen, erhob sich Jettka aus dem Dunkel eines entlegenen Winkels, in dem sie zusammengebrochen, nachdem Markwitz sich verabschiedet hatte und sie die Maske der harmlos heiteren Gesellschafterin fallen lassen konnte. Fast wie eine Schlafwandlerin ging sie langsam, schleppenden Schrittes, mit schlaff herabhängenden Armen durch die Flucht der eleganten Wohnräume, bis sie vor der Spiegeltür des Geheimkabinetts stand. Sie kannte den Druck, dem die Tür gehorchte, im nächsten Augenblick befand sie sich allein dem großen eisernen Geldschrank gegenüber, der Gabrielens Schätze barg.

Sie verstand auch diesen Schrank zu öffnen, Gabriele hatte ihr die Mechanik gezeigt und die Schlüssel anvertraut, da während ihrer Abwesenheit Gelder zu entheben und aufzubewahren waren. Jettka öffnete ein Fach nach dem andern. Mit zitternden Fingern zählte sie die Geldrollen und die Tresorscheine, und sie weidete sich an dem Anblick der Juwelen. Die Hälfte von diesen Schätzen würde ihrem Elend ein Ende machen und für Gabriele nur ein geringer Verlust sein.

Mechanisch legte sie alles wieder an seinen Platz bis auf das letzte Silberstück, verschloß sorgfältig jedes Fach und jede Tür und ging, wie sie gekommen.

Aber wie in einer Halluzination sah sie den ganzen Abend bis in die Träume der Nacht hinein das Gold, die blauen Scheine und die Juwelen vor sich. Mitten in der Nacht erwachte sie mit dem wahnsinnigen Verlangen, zu diesen Schätzen zurückzukehren, nur um das Gold sehen und berühren zu können, das Gold, nach dem ihre Seele dürstete.

Am folgenden Tag, als Markwitz zur üblichen Stunde wiederkam, nahm sie seinen Besuch nicht an, sondern ließ sich mit Unwohlsein entschuldigen.

Ebenso am nächsten und dritten Tag.

Sie war nicht zu seinem Vergnügen da, zu einer vorübergehenden Unterhaltung während Gabrielens Abwesenheit! Lieber wollte sie das öde, leere Leben weiterleben, die furchtbare seelische Einsamkeit weitertragen, ehe sie sich zur Lückenbüßerin herabwürdigen ließ! Eine Jettka Ebenschütz ist nicht zur Lückenbüßerin geschaffen!

Als Markwitz am zweiten Tag abgewiesen wurde, merkte er bereits die Absicht, und eine seltsame Verstimmung bemächtigte sich seiner. Am dritten Tag fühlte er eine Niedergeschlagenheit, über die er sich kaum Rechenschaft zu geben vermochte. Er ließ Jettka fragen, ob er ihr einen Arzt schicken dürfe, sie lehnte es jedoch dankend ab.

Den Aussagen der Dienstboten nach war sie nicht bettlägerig, sondern ging ihren gewohnten Beschäftigungen nach – warum wollte sie ihn also nicht sehen?

Eine brennende Neugier, ihren Seelenzustand zu ergründen, trieb ihn am vierten Tag wieder nach Helmershausen. Er wählte eine außergewöhnliche Stunde für diesen Besuch, und als er sich im Schloß nach dem Befinden von Fräulein Ebenschütz erkundigte, sagte man ihm, sie ginge im Park spazieren.

Ohne Besinnen ging er ihr nach und suchte sie in den großen Alleen und versteckten Laubgängen, die abwechselnd mit weiten Rasenflächen und kunstvollen Gartenanlagen das Schloß umgaben.

In einem entlegenen Laubgang fand er sie, tief in ihren langen, dunklen Mantel gehüllt, denn ein kalter Herbstwind wühlte und zerrte in den Baumkronen, wirbelte die letzten welken Blätter hoch in die Luft und streute sie über Wege und Rasenflächen. Er fühlte bei ihrem Anblick eine nervöse Gereiztheit wie Zorn in sich aufsteigen.

»Warum isolieren Sie sich so gänzlich?« fragte er, sie begrüßend. »Ich bin mir nicht bewußt, eine Ungeschicklichkeit begangen zu haben, die Ihnen das Recht gibt, mich so ohne weiteres aus Ihrer Nähe zu verbannen.«

Sie hatte seinen Gruß förmlich erwidert und ging einen Augenblick schweigend neben ihm.

Es kochte in ihr, aber sie blieb äußerlich ruhig und kalt. Der starke Wind, der ihr die Kleider um die Füße wickelte und sich in ihren Mantel setzte, machte ihr das Gehen schwer. Einzelne Haarsträhnen flogen ihr über das Gesicht, sie strich sie energisch unter die blaue Tellermütze, die sie fest über den Kopf zog.

»Verzeihen Sie,« erwiderte sie, »es war nicht meine Absicht, Sie zu kränken. Ich war erkältet und fühle mich in solch einem verschnupften Zustand nicht genießbar für andere. Ich glaubte kaum, daß Sie es bemerken würden, ob Sie mich ein paar Tage sehen oder nicht.«

Diese Gleichgültigkeit reizte ihn noch mehr.

»Meine Gnädigste, ich fürchte, Sie haben Launen,« sagte er, ohne sich zu beherrschen. »Ich hielt Sie für eine Ausnahme Ihres Geschlechts und glaubte, Sie könnten gute Kameradschaft halten. Ich sehe, ich habe mich wieder einmal geirrt, es gibt kein Weib, mit dem man vierzehn Tage lang gut Freund sein könnte ohne Zwischenfälle, Übelnehmerei und Entfremdungen! Da sind wir beide nun aufeinander angewiesen, uns ein paar öde, triste Herbstwochen in dieser ländlichen Einsamkeit freundlich und angenehm zu gestalten – aber Sie lassen mich natürlich im Stich – Gott weiß, aus welchem kühlen Grund! Vielleicht gefällt Ihnen plötzlich die Farbe meiner Augen nicht, oder mein Bartschnitt, oder Sie finden mich im ganzen genommen ledern – bei Frauen kann man auf alles gefaßt sein!«

Sie waren einen kleinen Hügel an der Grenze des Parks hinaufgegangen, den ein paar alte, windzerzauste Wettertannen krönten.

Jettka setzte sich auf die Gartenbank im Schutz der Bäume und starrte in die weite Flachlandschaft hinaus, die sich mit Stoppelfeldern und Kartoffeläckern farblos und reizlos vor ihren Blicken dehnte. Dazwischen steife Baumalleen, in der Ferne hier und da ein Dorf, und darüber die Unendlichkeit des mißfarbenen, trüben Himmels.

»Sprechen Sie nicht über die Frauen,« bemerkte sie mit einem harten, bitteren Klang der Stimme, »Sie kennen uns ja gar nicht.«

»So, so? Meinen Sie?« fragte er mit leisem Spott. »Seit wann halten Sie mich für so mangelhaft begabt in Punkto Menschenkenntnis? Könnten Sie mir nicht ein wenig Anleitung und Belehrung erteilen über diese interessante Unergründlichkeit, genannt Frauenseele?«

Sie sah ihn eine Sekunde starr an, dann flammte es leidenschaftlich auf in ihren Augen wie Haß und Schmerz und Zornesglut.

»Ich will Ihnen etwas sagen. Sie mögen Hunderte von Frauen kennen, schöne und häßliche, angenehme und unangenehme, aber das Weib haben Sie nie ergründet. Das Weib, das eine eigene Seele hat, ist seltener als ein weißer Rabe. Und es steht mit dieser Seele in der Geschichte der Menschheit und im Strom der Zeiten wie eine heimatlose und eine Rechtlose. Es will sein eigenes Leben haben und seine eigene Liebe, aber niemand gibt sie ihm. Seit Erschaffung der Welt irrt es durch die Jahrtausende und sucht seine Ergänzung, sucht den Mann, der es mit der Seele liebt, der ihm die eigene Seele schenkt, indem er die Weibesseele nimmt. Bis auf diesen Tag hat es den Mann nicht gefunden. Der Mann fragt nach der Schönheit des Weibes und nach seiner Nützlichkeit, er fragt: Wieviel angenehme Stunden gibt mir diese, und wieviel Vorteil habe ich durch jene? Aber nach der Seele des Weibes fragt er nicht. Darum soll er auch nicht spotten und gering denken von dem, was er nicht kennt.«

Markwitz lehnte am Stamm einer Föhre und sah finster vor sich nieder. Jettkas Anklage traf ihn ins Herz. Sein Verhältnis zu Gabriele war die Illustration dazu, er fühlte, daß jedes ihrer Worte auf ihn gemünzt war.

»Sie haben ganz recht,« sagte er mit einer gewissen Kälte, »die seelischen Beziehungen sind nicht die entscheidenden Faktoren im Verhältnis des Mannes zum Weib. Sie werden es auch nie sein, denn die Natur hat es nicht gewollt. Der Mann hat ein gutes Recht, nach der Schönheit und Nützlichkeit seiner Lebensgefährtin zu fragen, denn das sind die Mittel zu dem Zweck, den das Naturgesetz den Beziehungen beider Geschlechter gesetzt hat.«

»Ich weiß, Sie sind ein praktischer Philosoph,« erwiderte Jettka mit einem müden Lächeln. »Ich weiß auch, daß Sie recht haben. Nur so läßt sich das Leben zwingen. Der sichere Weg ist immer der der Allgemeinheit, er ist der Weg des Naturinstinkts. Ab und zu kommt ein Träumer, er denkt, er kann höhere Naturgesetze für sich finden und neue Werte schaffen. Aber wo solch eine Prometheusseele geboren wird, da findet sich auch gleich der Felsen, an den sie das Schicksal schmiedet, und die Geier fehlen nie, die ihr Leber und Nieren zerhacken.«

Es war eine Trostlosigkeit in Jettkas Haltung und Ausdruck, die Markwitz zum erstenmal ihr Wesen entschleierte. Er fühlte, daß sie sich ihm bisher nur unter konventioneller Maske gegeben, daß hier ein tief tragisches, ihm unbekanntes Geschick verheerend und zerstörend gewirkt hatte. Mit leidenschaftlicher Anteilnahme blickte er auf sie. Er sah das hilfs- und schutzbedürftige Weib in ihr. Aber seine gesunde, kraftvolle Natur lehnte sich gegen Sentimentalität und Pessimismus auf.

»Hören Sie einen Freundesrat,« sagte er mit sehr viel mehr Wärme als vorher, »hüten Sie sich, an die Notwendigkeit des Erliegens zu glauben. Wer sich diesem Glauben hingibt, ist schon verloren. Und wer an die Notwendigkeit seines Erfolges fest glaubt, wird ihn immer finden. Und hüten Sie sich, die erliegenden für die besseren, für höhere Menschen zu nehmen. Der bessere ist auch stets der stärkere im Lebenskampf.«

Ein heller Blitz aus Jettkas Augen zuckte über ihn hin.

»Das ist ja meine Lebensphilosophie,« sagte sie mit einem Lächeln, »und in gesunden Tagen komme ich leidlich damit durch. Die schwarzen Tage bleiben nur leider nicht aus, an denen wir körperlich oder geistig unter einer Depression stehen, und dann bricht das stolze Gebäude dieser Theorie vom Recht und Sieg des Starken, von der Selbsterlösung durch den Willen zum Leben kläglich über mir zusammen. Dann bleibt nichts als ein Grauen vor dem Lebenskampf mit all seiner Härte und Grausamkeit in mir und das Sehnen nach der Menschenseele, die ihn mir kämpfen hilft. Ich weiß aber, daß man mit solchen Tiraden bei andern wenig Sympathie und Verständnis findet. Ich gehöre zu den Menschen, von denen andere stets Anregung und Aufheiterung verlangen. Bin ich nicht dazu aufgelegt, wird es als persönliche Beleidigung aufgefaßt, wie Ihr Beispiel mir heute bestätigt. Selbst die Flucht vor Ihnen hat mir nichts genützt und machte, wie es scheint, die Sache nur schlimmer.«

Sie hatte dies alles so einfach und wahr gesagt, daß es sein tiefstes Interesse erweckte. Er hatte sie noch nie so anziehend gefunden wie mit dem Zugeständnis dieser Schwäche. Sie hatte all die schillernden Hüllen, in denen sie ihre Persönlichkeit mit Geist und Phantasie zu kleiden wußte, fallen lassen und stand vor ihm in keuscher Nacktheit echten Menschentums. Und zum erstenmal sah er das Weib in seinem reinen Menschentum vor sich.

Es war, als stiege der süße, berauschende Duft einer fremden Wunderblume zu ihm auf.

»Verzeihen Sie mir,« bat er weich und setzte sich neben sie auf die Gartenbank, »ich war nur böse auf Sie, weil ich Sie so sehr vermißte. Ich wollte nicht gern einen Tag unseres kurzen Zusammenseins verlieren. Wären Sie mit Ihrer Verstimmung zu mir gekommen und hätten mich teilnehmen lassen an Ihren Leiden, Sie hätten gewiß nicht über Mangel an Teilnahme und Verständnis bei mir zu klagen gehabt. Sie wissen nicht, welch neuen Lebensgenuß mir der Verkehr mit Ihnen erschlossen hat. Sehen Sie, vielleicht hat der Mann im Lauf der Zeiten vergessen, nach der Seele des Weibes zu fragen, weil er den Glauben daran verloren hatte. Vielleicht hat auch er gesucht und nie gefunden. Die Notwendigkeit der Anpassung an die gegebenen Daseinsbedingungen zwang ihn, mit dem Gebotenen fertig zu werden. Wer sagt Ihnen, daß sein Lebensglück ohne Rest aufgeht?«

Jettka lehnte sich zurück und wurde sehr bleich. Sie schüttelte den Kopf. »Der Mann von heute ist zu seinem vollen Menschenrecht gekommen, er ist gesund, lebensfreudig und intellektuell hoch entwickelt als Schöpfer unserer ganzen Kultur. Es ist kein Weltschmerz an ihm. Die Frau von heute ist durch und durch Weltschmerz. Und sie ist krank. Ist sie eine Null, so steht sie sehr tief in der Achtung und Wertschätzung des Mannes. Er sieht dann in ihr nur das andere Wesen. Ist sie eine Persönlichkeit, so meidet er sie mit Mißtrauen. Wenn das Lebensglück des Mannes einen wesentlichen Rest ließe, da wo die höheren Daseinsbedingungen im Verhältnis zum Weib fehlen, so hätte er sie längst geschaffen. Der Herr der Erde, der die Fesseln von Zeit und Raum gesprengt und die Finsternis besiegt hat, würde keine Hindernisse kennen, sobald er das Bedürfnis und das Verlangen nach einer höheren Liebe als der Nützlichkeitsliebe fühlte.«

Und wieder trafen diese Worte Markwitz ins Herz und weckten einen tumultartigen Aufruhr seiner Gefühle. Er fühlte die Schwere der Schicksalsstunde wie einen dumpfen Druck auf sich lasten, als stände er vor seines ganzen künftigen Lebens Entscheidung. Aber es war keine Klarheit in ihm.

Wer war dieses Weib, das seine Seele an sich riß und seine Sinne entflammte? War sie sein Dämon oder sein guter Genius? Ihre Stimme war wie Musik, und ihre Worte erhellten blitzartig ein dunkles Gebiet seines Lebens, auf dem er in die Irre gegangen.

Er wußte plötzlich mit entsetzlicher Gewißheit, daß er die Liebe bisher nie gekannt, er hatte nicht einmal an sie geglaubt. Und die arme Gabriele mit ihren vielen Torheiten würde sie ihn nie kennen lehren. Wie schämte er sich ihrer vor Jettka!

Jettka hatte den Schlüssel in der Hand zu der Pforte, die ihm bisher verschlossen war. Er wußte, es bedurfte in diesem Augenblick nur eines Worts, und die Pforte sprang auf. Dahinter aber lag das Zauberland in ungeahnter Pracht! War es in Wahrheit das Land der Verheißung oder nur der Hörselberg für den gott- und ehrvergessenen Tannhäuser?

Ein hohles Brausen ging durch die Baumkronen im Park, und über die Kartoffeläcker zog krächzend ein Schwarm Krähen. Jettka fröstelte, zog ihren Mantel fester zusammen und stand auf. Schweigend gingen sie eine Weile nebeneinander durch den Park zurück.

»Ich muß Sie heute verlassen,« sagte Markwitz, als das Haus in Sicht kam, »aber versprechen Sie mir, daß Sie morgen für mich zu Hause sind. Wir haben unser Thema heute noch nicht erschöpft. Recht kann ich Ihnen nicht geben, es fehlt mir nur an Schlagfertigkeit, Sie zu widerlegen, denn ich bin ein Neuling auf diesem Gebiet. Ein dunkles, aber untrügliches Gefühl sagt mir jedoch, es gibt etwas auf der Welt, was die Schuld des Mannes dem Weib gegenüber einlöst, was das Weib entschädigen muß für die Hingabe, für den ungetilgten Rest, den die selbstsüchtigere Liebe des Mannes in seinem Leben läßt. Vielleicht weiß ich es morgen.«

Vor der Haustür schüttelte er ihr die Hand mit kräftigem Druck und ging mit schnellen, straffen Schritten nach dem Hof, wo sein Reitpferd im Stall stand.

Jettka sah ihm nicht nach. Langsam, mit schleppendem Gang stieg sie die Treppen empor nach den einsamen Wohngemächern.

* * *


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