Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

1.

Frau von Menglin saß vor ihrem Schreibtisch, den Kopf auf die gefalteten Hände gestützt, und starrte, statt zu schreiben, durch das Fenster in den Park hinaus, der ihr Landhaus umgab.

Es war Herbst geworden über Nacht. Wie häßlich faulendes Laub, sterbende Blumen und Schmutzpfützen sind! Und dazu diese fahle, graubleiche Beleuchtung!

Schrecklich – Herbst und Einsamkeit – Gabriele von Menglin fröstelte, trotz des leise knisternden Feuers in dem großen Majolikakaminofen ihres Boudoirs.

Die junge Frau in tiefer Witwentrauer riß sich gewaltsam aus ihrem unschlüssigen Sinnen und nahm jetzt energisch den zierlichen Federhalter vom Tintenfaß, beides Gegenstände der Kunstindustrie, die in Übereinstimmung mit dem kostbar geschnitzten Damenschreibtisch Schaustücke waren, mehr zum Bewundern als für den praktischen Gebrauch geeignet.

Die Feder flog hastig über den Monogrammbogen von pergamentartiger Dicke, die weiße, weichgerundete Frauenhand schrieb mit tadelloser Eleganz:

 

»Mein teurer Freund!

Ihre Zeilen, Ihr so ehrenvoller Antrag, Ihre warmen Worte rühren und bewegen mich tief; aber sie erfüllen mich mit aufrichtigem Schmerz, weil sie trennend zwischen uns treten und die schöne Harmonie unseres Verkehrs stören. Zugleich muß es mich tief betrüben, daß Sie mich für so treulos und wankelmütig halten – mein armer Eduard ruht noch kein Jahr in seinem Grab – Sie wissen, wie ich ihn geliebt, wie mich sein Tod an den Rand des Wahnsinns brachte, wie ich ihm auf dem Totenbett geschworen, mein ganzes zukünftiges Leben unserm einzigen, süßen Kind zu widmen – und Sie wollen mich zum Treubruch verleiten? Nein, lieber Freund, Sie unterschätzen die Frauen! So treulos, so undankbar ist kein liebendes Weib!«

Hier übermannte die Rührung Gabriele von Menglin, sie preßte das schwarzumränderte Batisttuch an die tränenden Augen und ging ein paarmal hastig im Salon auf und ab. Die große Spiegelwand, die auf einen Druck in der Wand verschwand und den Weg in ein geheimes Kabinett öffnete, strahlte ihre ganze Gestalt wieder.

Die Witwentrauer stand ihrer goldgelben, üppigen Schönheit vorzüglich. Gabriele wußte das. Und das junge Witwentum umgab ihr Haupt wie eine Gloriole.

Sie war hinreißend in der Pose der schmerzgebeugten, trauernden Witwe, mit ihrem einzigen, liebreizenden Kind, das ihr auf ein Haar glich.

Und sie hatte aufrichtig geglaubt, dieses kleidsame Martyrium, wofür sie sich bewundern und anbeten ließ, sei nie zu heilender Schmerz für den Verlust des »armen Eduard«. Daß der »arme Eduard« sie häufiger als ihr lieb war eine eitle Gans genannt, daß er sie mit Eifersucht und kleinen und größeren Rücksichtslosigkeiten gequält hatte, schien aus ihrem Gedächtnis ausgelöscht zu sein.

Ihrer eigenen mündlichen Überlieferung nach war dieser Eduard ein Unikum, ein nie dagewesenes Wunder seines Geschlechts. Man konnte ihn sich gar nicht anders vorstellen als in der Stellung eines dienenden Pagen, zu ihren Füßen sitzend, mit einer Gitarre im Arm, zu der er unablässig das Preislied ihrer Schönheit und ihrer Reize sang.

»Ach Gott!« seufzte Gabriele innerlich, indem sie die hohe Krepprüsche am Hals ordnete. »Diese Männer! Sie lassen mir keine Ruhe, nicht einmal das Trauerjahr gönnen sie mir! Recht fatal, wenn Markwitz nun fortbleibt. Was fange ich nur allein an? Vor einem Monat kann ich nicht in die Stadt ziehen. Die Trauer erfordert diese Zurückgezogenheit. Es sähe ja aus, als könne ich es nicht erwarten, wieder in die Welt zurückzukehren. Überdies wird in der Villa noch tapeziert und gestrichen. Firnis- und Kleistergeruch – odiös! Wie fange ich es nur an, daß Markwitz trotzdem ..«

 

Sie ging an den Schreibtisch zurück. Wieder flog die Feder. »Haben Sie Geduld mit mir, teurer Freund, mit meinem verwundeten Herzen, meiner kranken Seele. Noch ist alles tot und öde und still in mir – ob auf den Winterfrost noch ein Frühling folgen kann?«

Die Feder stockte.

Ob ich ihm so viel Hoffnung machen darf? Er hat kein Geld – er ist bürgerlich – aber er sieht doch prächtig aus! Mein Gott, einen schöneren Mann kann ich mir kaum denken. Wir beide – welch ein Paar! –

Es klopfte, eine Zofe brachte eine Karte.

Aber der Zofe auf dem Fuß folgte schon der Gast.

Er schob Lisette energisch zur Tür hinaus und schlug sie ihr vor der Nase zu.

»Gabriele!«

Ja, da stand er in seiner sieghaften Männlichkeit!

Groß, breit, reckenhaft. Die Reiterstiefel kotbespritzt, die braune Joppe stramm zugeknöpft, eine wetterfeste Jagdmütze über den Schädel gezogen.

So war er gekommen durch Regen und Wind, er war durchnäßt, sein Bart feucht, sein Gesicht erhitzt, trotz der kalten Herbstluft.

»Er ist gekommen durch Sturm und Regen,
Er hat genommen mein Herz verwegen –«

Wie romantisch das war! Wie schmeichelhaft dies Ungestüm! Er liebte sie doch wohl noch glühender als der arme Eduard!

Hier winkte neue Lebenswonne.

Sollte sie nicht eines Opfers wert sein, des Opfers eines Glorienscheins?

»O Markwitz – lieber Freund – eben schrieb ich an Sie – wie Sie mich überraschen! Ich bat Sie –«

Gabriele sank auf den nächsten Diwan, drückte das blonde Haupt in die Kissen und fing an zu schluchzen.

Sie wußte, daß der lose verschlungene Knoten ihres schönen Haars, tief in den Nacken gesunken, sich entzückend ausnahm in dieser Stellung und daß die Rückenlinie ihres weichfließenden Trauerkleides tadellos war.

Markwitz kniete neben ihr. Er war erregt, erregt von der Spannung des entscheidenden Augenblicks und von dem Anblick des begehrten Weibes. Er stammelte Bitten und Liebesschwüre durcheinander.

Sie sah ihn mit tränenschwimmenden, flehenden Augen an.

»Haben Sie Geduld – schonen Sie mich – mein armer Eduard –« Und dabei sank sie an die breite Männerbrust.

Sie kam nicht wieder los, sie machte auch gar keine Anstrengung dazu. Und er schwor endlose Geduld und Schonung, nur lieben sollte sie sich lassen und auf Händen tragen und anbeten. Dabei erstickte er sie mit seinen Küssen.

Der starke, ernsthafte Mann war in diesem Augenblick ganz ehrlich.

Das rauhe Leben hatte ihm bis jetzt wenig Zeit und Gelegenheit zum intimen Verkehr mit Frauen gelassen, und im allgemeinen schienen sie ihm nie recht der Mühe wert. Sie waren immer und überall so leicht zu haben.

Erst Soldat, hatte er den Abschied genommen, um einem kränkelnden Vater das Gut zu bewirtschaften, das er nach seinem Tod mit allen Schulden erbte. Jahre harter, schwerer Arbeit lagen hinter ihm. Sie endeten mit seinem Ruin, er konnte das Gut nicht halten. Als mittelloser Landwirt trieb er sich lange im Ausland umher; er focht in Rumänien, in Bulgarien und Afrika, wo es Krieg und Kampf gab. Endlich kam er heim, um die Administration eines Nachbarguts von Helmershausen, dem Menglinschen Besitz, zu übernehmen.

Sein Jugendfreund Eduard von Menglin hatte ihm diese Stellung verschafft.

Sie verkehrten viel miteinander; aber bald darauf starb der »arme Eduard« an einer Lungenentzündung, und er stand als Freund und Ratgeber der Witwe bei. Warum sollte er Gabriele nicht heiraten?

Sie hatte zwar seine Meinung über den Wert der Frauen im allgemeinen nicht verändert; aber ihre weißblonde, üppige Schönheit entflammte seine Leidenschaft gerade so weit, wie er zu einer genußreichen Ehe für nötig hielt, und ihr großes, unabhängiges Vermögen machte ihn zum unabhängigen Mann.

Er wußte, daß sie sich unter keinen besseren Schutz begeben konnte als unter den seinen.

Er war arbeitshart und arbeitstüchtig, gesund und einfach in seinen Gewohnheiten.

Er würde ihr Vermögen gewissenhaft verwalten und sich keinerlei Untreue zuschulden kommen lassen.

Er trank nicht, er spielte nicht, und er war kein Weiberfreund. Sein Mannesstolz sagte ihm, daß sein Charakter ein Vermögen aufwog.

»Mein Kind,« sagte Gabriele, plötzlich aus seinen Armen auffahrend.

Es klang wie ein Selbstvorwurf.

»Ich werde ihm ein guter Vater sein,« beruhigte Markwitz.

»Aber, mein Gott, die Leute, die Welt! Wie wird man mich verurteilen! Nein, nein, das ertrage ich nicht – Markwitz, wir müssen uns trennen!«

»Was gehen uns die Leute, was geht uns die Konvenienz an? Versteh mich recht, Gabriele, niemand ist gewissenhafter in Ehrensachen als ich. Ich werde nie zugeben, daß etwas geschieht, was dich in den Augen der Gesellschaft herabsetzen könnte. Und darum wollen wir unser Bündnis vorläufig, und so lange du willst, als strenges Geheimnis bewahren. Aber wir können unsern Verkehr ruhig fortsetzen wie bisher. Es ist nur sehr schade, daß dich Tante Alwine gerade jetzt verlassen hat. Kannst du dir nicht irgendeine andere Tante verschreiben?«

Tante Alwine war eine Schwester ihrer verstorbenen Mutter, die der jungen Frau seit dem Tod des Gatten Gesellschaft geleistet hatte. Andere Pflichten riefen sie vor kurzem ab.

»Du hast recht!« rief Gabriele beruhigt und sich aufheiternd. »Ich muß eine dame d'honneur haben! Laß sehen – Tante Ulrike geht im Herbst nicht aufs Land – Fräulein Weckermann, meine alte Erzieherin, hat eine Kleinstadtschule und kann nicht – Elsbeth von Drohnen, meine beste Freundin, hat ein Baby – eine Fremde möchte ich nicht haben. – Aber da fällt mir ein – richtig, das wird gehen! Jettka, meine Cousine Jettka!«

»Deine Cousine Jettka? Ich habe nie von ihr gehört.«

»Jettka Ebenschütz. Ihr Vater war der Bruder meiner Mutter. Er starb einige Zeit vor meinem Gatten. Sie ist älter als ich, und soviel ich weiß, ganz frei und unabhängig. Ich habe sie zwar sehr lange nicht gesehen, weil sie, Gott weiß wo, mit ihrem Vater in der Welt herumzog, aber als Kinder waren wir viel zusammen, und schon damals bemutterte sie mich. Ich will gleich heute einmal an sie schreiben, ich möchte sie gern wiedersehen. Sie war zwar als Kind sehr häßlich, aber ich mochte sie gern. Ihre Häßlichkeit wird wohl schuld sein, daß sie sich nicht verheiratet hat.«

Richard Markwitz war mit diesem Plan einverstanden. Aus Rücksicht auf den Ruf seiner heimlich Verlobten verließ er Gabriele bald. Er ritt beruhigt heim. Die Zukunft lag nun glatt vor ihm. Es war zwar aus mit der Freiheit, mit dem frischen, kampffrohen Werben um das, wonach ihm gerade der Sinn stand.

Das Philistertum begann.

Aber es wird Zeit, das Schiff endlich vor Anker zu legen, die Stürme hatten es oft hart mitgenommen.

Und einen ruhsameren Hafen konnte er wohl kaum finden als in den weichen, runden Armen Frau Gabrielens.

Freilich, sie ist wie alle Weiber, eitel und kurzsichtig, sogar sehr eitel. So klug wie der alte Salomo ist er längst in bezug auf die Frauen. Aber trotzdem machen sie erst das Leben voll, es geht nicht ohne sie, und ein rechtschaffener Mann wird noch immer mit ihnen fertig.

Der Herbstwind rauschte und grollte in den alten Kastanienbäumen, wahrend er langsam durch die Allee dem Ausgang des Parks von Helmershausen zuritt.

Dürre Blätter rieselten auf ihn herab, es roch nach faulenden Rosen und verwesendem Laub; der süßlich fade Leichenduft der Blumen besiegte alles und gab jedem Atemzug einen modrigen Beigeschmack.

Ein Druck legte sich auf die Brust des Reiters. Wie eine Vision flog sein vergangenes Leben an ihm vorüber.

Es waren bunt-fröhliche Bilder darunter – die Jugend mit den trauten Gestalten derer, die mit ihm jung waren – wie ein jubelnder Festreigen kamen sie daher, grüßend, winkend, mit Blumen in den Händen und Hoffnung in den Augen – Jünglinge mit dem Adlerschrei der Sehnsucht nach großen Taten – liebliche Mädchen mit lockendem, verheißendem Gesang – und über ihnen der blaue Märzhimmel – lichtblau – – –

Vorbei – vorbei!

Dann kamen ernste und düstere Bilder und Bilder mit schwarzen Schlagschatten neben leuchtendem Sonnengold.

Da war die Arbeit, jene Arbeit im Schweiß des Angesichts, die Gott selbst zur Strafe des Menschengeschlechts gemacht hat, und dunkle Blicke in die Arbeitsqual und das Arbeitselend der Welt gab es da.

Und da waren Bilder, in denen neben dem Schweiß des Angesichts das rote Herzblut der Menschen in Strömen floß.

Schreckliches hatte er gesehen, erlebt in blutigen Waffenkriegen und in den noch viel mörderischeren, grausameren, beutegierigeren Kriegen um das rollende Geld.

Vorbei, vorbei!

Der Mannesmut war ihm nicht gebrochen, und seine Mannesehre hatte er auch aus dem wildesten Kampfgetümmel als blanken Schild heimgetragen.

Darum hatte er das Lachen immer wiedergefunden und die Freude an der großen, kühnen Freiheit und der Kraft. Darum war so viel Licht neben den Schatten, so viel frohe, ehrliche Männerkameradschaft, so viel überschäumender Lebensgenuß in diesen Bildern.

Gott sei Dank.

»Muß selbst nun Philister sein,« summte er lächelnd vor sich hin. Doch als ihm am Ausgang des Parks der wilde Wetterwind wie ein auflauernder Tiger an die Brust sprang und ihm die Kehle würgte und den Atem versetzte, da gab er seinem Pferd die Sporen, zog die Mütze fester über den Schädel, und querfeldein ging's wie die wilde Jagd. Pfützenwasser und Kot spritzten ihm um die Ohren, bis ins Gesicht, dürre Blätter wirbelten mit ihm, Hasen jagten vor ihm auf und flohen in wahnsinniger Angst dem Kiefernwald zu, die Hufschläge seines Pferdes ließen tiefe Löcher in den aufgeweichten Stoppelfeldern zurück, und ganze Schwärme von Krähen stoben aufgescheucht aus kahlen Pappelbäumen, um krächzend andere Unterkunft zu suchen.

Als der Reiter vor den Pforten seines Heims haltmachte, war der Druck von ihm gewichen.

Der Herbststurm hatte seinen Kopf wieder frei gemacht von dem betäubenden, modrigen Rosenduft.

* * *


 << zurück weiter >>