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2.

Acht Tage darauf saß eine junge Dame neben Gabriele am japanischen Teetischchen in der behaglichsten Ofenecke des Salons. Draußen vor dem Portal des Landhauses hielt noch der Wagen, der sie von der Bahnstation gebracht hatte, und ein stattlicher Reisekoffer wurde soeben abgeladen.

»Wie gut von dir, liebe Jettka, daß du auf meine Bitte sofort gekommen bist! Es war gewiß ein großes Opfer, jetzt, im Spätherbst, aufs Land zu gehen,« sagte Gabriele, indem sie ihre Cousine mit Aufmerksamkeiten überhäufte, unter denen sich eine gewisse Verlegenheit verbarg. Das Geheimnis ihrer neuen Liebe, das zwischen ihnen stand, machte sie verlegen; sie hatte es brieflich nur angedeutet und wußte nicht, wie Jettka es auffassen würde.

Auch Jettkas äußere Erscheinung brachte sie aus dem Gleichgewicht. Sie hatte eigentlich eine häßliche, alte Jungfer erwartet.

Sie wußte noch ganz genau, was für einen großen Mund, für struppig rote Haare und Sommerflecken die kleine Jettka gehabt hatte und wie eckig mager sie gewesen war.

Eine lilienschlanke Gestalt, von der Biegsamkeit einer saftgrünen Weidenrute, war ihr heute entgegengetreten, und mit welchem Schick gekleidet! Ganz schwarz und sehr einfach, aber welcher Sitz, welche Haltung!

Von dem Gesicht wußte man freilich noch nicht recht, ob man es schön oder häßlich nennen sollte. Es war sehr unregelmäßig, der Mund immer noch zu groß und die Nase zu kurz. Aber alabasterweiß, ohne Fleck und Tadel schimmerte die Haut, und der große Mund zeigte wunderschöne Zähne hinter sehr roten Lippen.

Die ehemals roten Haare hatten sich zu tiefem, gesättigtem Braun verdunkelt, und seltsam kontrastierte die feine, gerade Linie der dunklen Brauen mit den viel zu hellen Augen von unbestimmter Farbe, die dem Gesicht einen ungewöhnlichen Zug gaben.

»Wie lange wir uns nicht gesehen haben und wie du dich verändert hast! Ich hätte dich kaum wiedererkannt,« fuhr Gabriele fort über Äußerlichkeiten zu plaudern.

Jettka hatte den Begrüßungssturm mit viel Ruhe über sich ergehen lassen. Behaglich in die Sofaecke geschmiegt, nippte sie an dem japanischen Täßchen, dessen Porzellan durchsichtig wie Glas war.

»Nun, und das große Geheimnis, von dem du schriebst? Natürlich ein Herzensgeheimnis?« fragte sie endlich mit einem Lächeln.

»Woher weißt du das?« Gabriele sah sehr verwirrt und verlegen aus.

»Ja, was für ein Geheimnis kann denn sonst eine hübsche, junge Witwe haben?« lächelte Jettka, indem ein Blick über die blonde, behaglich gerundete Frau hinflog, der die ganze Persönlichkeit innerlich und äußerlich zu taxieren schien. »Du willst doch nicht etwa spekulieren, irgendein industrielles Unternehmen ins Leben rufen, dein Gut in eine Aktiengesellschaft verwandeln, Konkurrenten totmachen, Millionen verdienen, oder auf deiner Scholle Bellamys Zukunftsstaat verwirklichen – oder für die Frauenfrage eintreten mit deinem Geld, eine Universität für Frauen gründen – oder –«

»Um Gottes willen, hör' auf! Mir schaudert vor all solchen Dingen!«

»Also – da bleibt nur ein Liebesgeheimnis!«

»Und du verurteilst mich nicht, daß ich vor Ablauf des Trauerjahres mein Herz schon wieder verloren habe?«

»Ich würde dich nur verurteilen, wenn du eine törichte oder unwürdige Wahl getroffen hättest. Eine Frau wie du ist alleinstehend gar nicht denkbar. Du gehörst in die Ehe. Und wenn dir vier Männer stürben, würde ich dir raten, so bald als möglich den fünften zu nehmen.«

»Jettka, du bist ein Engel!« rief Gabriele und fiel der Cousine von neuem um den Hals.

Sie fühlte sich so ungeheuer erleichtert durch Jettkas Toleranz, daß sie sofort geneigt war, sie für ihre beste Freundin zu halten.

Und nun schüttete sie ihr überfließendes Herz aus in der Beichte ihrer Liebesgeschichte.

»Glaube mir, Jettka, ich wollte nicht, es war mein fester Entschluß, Witwe zu bleiben, einzig und allein dem Andenken meines armen Eduard und unserm süßen Kind zu leben. Die Wunde, die mir Eduards Tod geschlagen, war noch frisch –« das winzige Batisttuch mit dem breiten Trauerrand wurde heftig an die feuchten Augen gedrückt – »aber, mein Gott, ich mußte das Schlimmste befürchten, wenn ich Markwitz abgewiesen hätte! Was vermag man gegen die rasende Leidenschaft eines Mannes? O diese Männer! Ich war kaum der Schule entronnen, da schlug mich Eduard in Fesseln – es gab kein Entkommen – er hatte mich einmal gesehen und schwor, zu sterben, wenn ich nicht die Seine würde. Und wie hat er mich geliebt! Er konnte gar nicht ohne mich sein – noch im Todeskampf war ich sein einziger und letzter Gedanke. – Aber Markwitz liebt mich, wenn es überhaupt möglich ist, noch mehr, und meine kleine Ella betet er an – ich werde dir meinen kleinen Engel gleich vorführen, das süße Kind schläft augenblicklich. – Markwitz wäre wahnsinnig geworden, wenn ich ihn nicht erhört hatte. Ich versuchte es mit Ruhe, ihn zur Vernunft zu bringen, aber da hättest du ihn sehen sollen! Auf den Knien lag er vor mir, er flehte wie ein Kind, der sonst so harte, starke Mann. Ich konnte den Jammer nicht mit ansehen, ich konnte es nicht übers Herz bringen, ihm den Todesstoß zu geben!«

»Seltsam,« sagte Jettka mit einem eigentümlichen Lächeln, »die Männer, die dir auf deinem Lebensweg begegnen, scheinen alle Gemütsmenschen zu sein. Ich kenne sie von einer ganz andern Seite.«

»Ach ja,« seufzte Gabriele mit einem frommen Augenaufschlag, »ich beneide dich, daß sie dich in Ruhe lassen. Glaube mir, es wird mir oft zuviel. Markwitz wird mich ebenso mit seiner Leidenschaft und Vergötterung quälen, wie mich der arme Eduard oft gequält hat.«

»Dein Gatte hat dir ein großes Vermögen hinterlassen?« fragte Jettka, indem ihr Auge prüfend über den kostbaren, behaglichen Komfort des kleinen Salons glitt.

»Sehr groß. Fast eine halbe Million bar. Dazu dies schöne Gut und die sehr rentable Fabrik mit Villa in der Stadt. Meine jährlichen Einnahmen übersteigen meine Ausgaben bei weitem.«

Jettka fragte weiter nach Markwitz, nach seinem Charakter und Beruf. Aber nach Gabrielens Schilderung konnte sie keinen andern Eindruck bekommen, als daß er ein »Beau« und ein kompletter Narr sei, denn sie kam nicht über seine äußeren Vorzüge und über seine Verliebtheit hinweg.

Später führte Gabriele ihre Cousine durch das ganze Haus, um ihr alle seine Schätze zu zeigen.

Es war alles da, was sich eine verwöhnte, elegante Frau nur wünschen kann, jeder nur denkbare Komfort und Luxus. Am liebsten schien Gabriele in der Garderobe mit ihren ungeheuren Schränken zu verweilen. Eine ganze Ausstellung der vielseitigsten und reichsten Toiletten kam da zum Vorschein.

Gabriele gab den Kommentar dazu.

»Dieses blaßblaue Kaschmir steht mir wunderbar – aber noch besser das weiße Foulard mit Spitzen – Eduard war immer ganz närrisch, wenn er mich darin sah – mit diesem fraise-empire habe ich einmal eine rasende Eroberung gemacht – unser Landrat, Baron von Wolfsberg, machte mir so den Hof, daß Eduard sich mit ihm schießen wollte – in dem schwarzen Velvet da soll ich einem Bild von Marie Antoinette sprechend ähnlich sehen – und in diesem lachsfarbenen Rips mit der terrakotta Plüschschleppe hat sich, glaube ich, Markwitz zuerst in mich verliebt –«

So ging es fort, und Jettka lächelte ihr eigentümliches Lächeln dazu, ein Gemisch von gutmütiger Belustigung und heimlich verstecktem Zorn.

Endlich kam man an das geheime Kabinett.

»Hier ist nicht viel Interessantes – aber doch – komm nur, meine Schmuckkassette muß ich dir zeigen« – sagte Gabriele, und sie erklärte Jettka, durch welchen Druck die Spiegelwand sich öffnen ließ.

In dem kleinen Raum hinter dem Spiegel befand sich nur ein großer, feuersicherer Geldschrank und ein Schreibpult mit aufliegenden Kontobüchern.

»Hier – das Allerheiligste von meinem armen Eduard,« seufzte Gabriele, »es war nicht lange vor seinem Tod, daß er mich in diese Mysterien einweihte und mir zugleich das Versprechen abnahm, nie einen Dritten, Unberufenen hier einzuführen. Gott, Männer sind so mißtrauisch.«

»Der Schrank hat ja gar kein Schloß,« bemerkte Jettka.

»Nur nicht für Unberufene,« lächelte Gabriele, »ich kann ihn jedoch mit Leichtigkeit öffnen.« Sie schob ein scheinbar zur Verzierung angebrachtes Ornament zurück und sagte: »Drücke einmal auf diese Stelle – siehst du – Sesam tut sich auf, auch ohne Zauberwort!«

»Wie kunstreich!« bewunderte Jettka, »und doch so einfach!«

»Nun kommt aber erst die Hauptsache, die Geheimfächer!« erklärte Gabriele, »wer die nicht kennt, könnte selbst aus dem offenen Schrank nicht einen Pfennig entwenden! Die Mechanik ist überall gleich kunstreich und einfach. Sieh nur!«

Sie ließ durch einfachen Druck verschiedene verborgene Fächer aufspringen.

»Wie interessant!« fuhr Jettka fort zu bewundern, »der reine Zauberschrank!«

Die beiden Frauen amüsierten sich eine ganze Weile damit, Flacher auf- und zuspringen zu lassen und dem Schrank all seine Geheimnisse abzulocken. Gabriele lachte dabei wie ein Kind über ein lustiges Spielzeug.

»Nun zeig' mir aber auch deine Schätze,« sagte Jettka endlich.

Gabriele holte zunächst eine große Kassette von Olivenholz mit kostbaren Beschlägen hervor, die einen ganzen Schatz von Schmuck und Juwelen barg. Jettka mußte jedes einzelne Stück bewundern, und Gabriele gab in Worten die gleiche Erklärung wie zu den Toiletten.

Jettkas Staunen über diesen märchenhaften Reichtum machte der glücklichen Besitzerin so viel Spaß, daß sie dem Verlangen, es zu steigern, nicht widerstehen konnte und der Cousine auch den Anblick von Geldrollen und Tresorscheinen gewährte.

»Ach, das ist nichts, nur das Laufende, das sind ja nur Bagatellen,« sagte Gabriele mit angenehmem Selbstgefühl, »aber hier – im allergeheimsten Geheimfach liegt augenblicklich ein kleines Kapital – hunderttausend Mark – die Verkaufssumme für ein großes Forstgut, das mein Vater einmal für ein Butterbrot erworben und das jetzt durch Bahnstation wertvoll geworden war. Wir haben ein brillantes Geschäft damit gemacht – soeben – Markwitz wird mir raten, wie wir das Geld am vorteilhaftesten anlegen – aber das interessiert dich wohl nicht –«

»O doch, doch,« versicherte Jettka, »wie eigentümlich die Konstruktion dieses Fachs!«

Erst nachdem die Kräfte der beiden Frauen im Zeigen und Bewundern vollständig erschöpft waren, nachdem auch Ella, das vierjährige Wunderkind, in Spitzen und Schleifen, ihren Tribut am Weihrauch der Bewunderung geerntet hatte, fragte Gabriele etwas abgespannt: »Nun, und wie geht es denn eigentlich dir, liebe Jettka?«

»O danke, gut,« war die gleichmütige Antwort, aber Gabriele sah nicht das versteckte Zucken um den vollen, roten Mund.

»Du machst dir gewiß das Leben recht angenehm, so ganz frei und unabhängig – oder vermißt du den armen Onkel sehr?«

Gabriele gähnte hinter dem Taschentuch, schon ehe die kühl gehaltene Antwort kam.

»Ich lebe nach wie vor ganz angenehm. Papas Tod war eine Erlösung – für ihn.«

Die Unterhaltung über dieses Thema kam bald ins Stocken, da Jettka sich wenig mitteilsam zeigte und Gabrielens Interesse erlahmte, sobald von etwas anderm als von ihr selbst, ihren Schicksalen und Verhältnissen die Rede war.

* * *


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