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9.

In einer Klinik der Ziegelstraße in Berlin lag Gabriele im Bett, den Fuß im Gipsverband.

Der Geheimrat, der sie behandelte, hatte sie eben verlassen und ihr eine etwas energische Lektion erteilt.

»Mit Ungeduld, Tränen und Klagen macht man keinen Schaden auf der ganzen Welt wieder gut, meine Gnädigste. Zerbrochene Knochen werden davon gewiß nicht heil. Ich rate Ihnen, das Unglück mit etwas mehr Fassung zu ertragen. Unnütze Aufregungen sind dem Heilprozeß durchaus nicht förderlich. Fassen Sie die unabänderliche Tatsache, daß Sie hier einige Wochen Stubengefangene sein werden, mutig ins Auge, und Sie werden sehen, wie schnell die Zeit vergeht.«

Kaum hatte der Professor die Tür hinter sich geschlossen, als die Patientin in einen hysterischen Weinkrampf ausbrach und mit der elektrischen Klingel Sturm läutete. Die Wärterin, das Kinderfräulein mit der Kleinen und Markwitz kamen zu gleicher Zeit angestürzt.

Es bedurfte der Anwendung ätherischer Riechsalze, einer großen Verschwendung von Eau de Cologne und eines Glases Portwein, um die Schwerleidende zu beruhigen und ihr die nötige Fassung zu geben, sich klar ausdrücken zu können. Ihr erster Wunsch war die Entfernung der Wärterin, der ziemlich ungnädig geäußert wurde.

Kaum war sie mit den Ihren allein, als sie in eine Flut von Klagen und Verwünschungen ausbrach.

Sie nannte den Professor einen rohen, brutalen, herzlosen Menschen, der weder Mitleid mit ihren Schmerzen noch Rücksicht für ihre erschütterten Nerven habe. Er wäre überhaupt nur ein einseitiger Spezialist, er interessiere sich nur für den Knochenbruch, ihre Person und ihr sonstiger Zustand seien ihm gänzlich gleichgültig. Sie fühlte sich schwer krank, aber er nehme gar keine Notiz davon. Für einen solchen Arzt danke sie, Markwitz solle ihm sofort schreiben, er brauche nicht wiederzukommen, und ihr einen andern Arzt verschaffen. Sie fühle, daß sie bei dieser Behandlung zugrunde gehen müsse.

Mit düsterem Schweigen nahm Markwitz diese Klagen auf. Er stand am Fenster und starrte auf die häßliche, langweilige Ziegelstraße hinaus, mit einem Gefühl, als sei es nicht der Mühe wert, eine Antwort zu geben.

Drei Tage lang hatte ihn Gabriele jetzt gemartert, und seine Geduld war zu Ende.

Sie war nie krank gewesen und benahm sich schlimmer als ein unvernünftiges, verzogenes Kind. Sie wollte keine Schmerzen ertragen und glaubte sich fortwährend dem Tode nahe, obgleich ihr Zustand völlig normal war und nicht zu der geringsten Besorgnis Veranlassung gab. Jede Unbequemlichkeit ihres Krankenlagers brachte sie zur Verzweiflung, Tag und Nacht quälte sie ihre Umgebung und brauchte stets mehrere Menschen zu ihrer Bedienung. Ihre Wärterinnen waren abgehetzt und bereits sehr mürrisch, weil sie ihnen keinen Augenblick Ruhe gönnte. Jeden Tag verlangte sie mindestens dreimal einen andern Arzt und andere Wärterinnen.

In den Stunden ihrer besseren Laune sprach sie von nichts als den Einkäufen und Toilettensorgen, die sie nach Berlin geführt. Ihr Unfall hatte sie mitten im interessantesten Einkaufsgeschäft betroffen, und all diese unvollendeten Geschäfte regten sie dermaßen auf, als hinge das Geschick der Weltgeschichte von dem glücklichen Erfolg ihrer Bestellungen ab. In den ersten Tagen hetzte sie Markwitz in allen Warenhäusern, bei Schneiderinnen und Putzmacherinnen herum, um Bestellungen auszurichten, Proben zu bringen und Erkundigungen einzuziehen, bis er energisch erklärte, sie solle lieber in Sackleinwand heiraten oder seinetwegen in der Mode des vorigen Jahrhunderts, ehe er noch einen Gang in diesen Weiberangelegenheiten machte.

Aber bald sah er mit hoffnungsloser Resignation ein, daß es ihm nie gelingen würde, ihr den Kleiderteufel auszutreiben, von dem sie in hohem Grad besessen war. Die Moden und die Kleider machten einen der höchsten Lebensreize für sie aus.

Heute, am dritten Tag, nachdem Markwitz all ihre Launen und Albernheiten mit Geduld über sich hatte ergehen lassen, wurde es ihm zur unumstößlichen Gewißheit, daß die Ehe mit dieser Frau eine Hölle für ihn sein würde. Und wenn sie alle Schätze Indiens und Arabiens ihr eigen nannte.

Er hatte nur noch das eine Gefühl: Gott sei Dank, daß ich mich noch frei machen kann, daß es noch nicht zu spät ist! Sein Gewissen war dabei ganz frei.

Wohl trat in solchen Augenblicken, wo Gabriele sich durch ihren Unverstand herabwürdigte, Jettkas Bild um so heller und anziehender vor seine Seele. Jettka mit ihrem feinen Geist, ihrem allem Kleinlichen, Trivialen abgewandten Empfinden und Denken, mit dem ganzen Duft und Liebreiz ihrer intellektuellen Persönlichkeit, aber er wußte ganz genau, es bedurfte nicht Jettkas, um ihn von Gabriele zu trennen.

Gabriele selbst vollführte diese Trennung.

Und wie er jetzt durch das Fenster auf die Ziegelstraße hinaussah, dachte er nur darüber nach, auf welche Weise er den Bruch herbeiführen könne, ohne Gabriele zu sehr zu kränken und ihre Eitelkeit zu verletzen. An eine ernsthafte Kränkung ihres Herzens glaubte er nicht mehr. Gewiß, sie war gutherzig und bis zu einem gewissen Grad sinnlich erregbar, aber Menschen, die so völlig von ihrem eigenen Ich eingenommen sind und von Äußerlichkeiten, kennen keine tiefere Liebe.

Jetzt mußte er sie natürlich schonen, solange sie Patientin war, aber er wollte wenigstens sehen, hier fortzukommen. Kurz vor ihrer Heimkehr, sobald sie wiederhergestellt, würde er das entscheidende Wort sprechen. Am besten schriftlich.

Er setzte sich jetzt zu ihr und sagte ihr ruhig, aber nicht weniger energisch als der Professor, daß all ihre Klagen auf Unverstand beruhten und daß sie besser täte, geduldiger und fügsamer zu werden. Er müsse sich auf einige Tage von ihr verabschieden, da unaufschiebbare Geldgeschäfte ihn heimriefen, und er ginge mit ruhigem Herzen, weil er sie in den allerbesten Händen wüßte. Die Ohnmachtsanwandlung, die nun erfolgte, wartete er nicht mehr ab, sondern verließ das Zimmer und rief die Wärterin herbei.

Draußen, in der frischen Abendluft, atmete er auf wie erlöst. Ohne sich zu besinnen, ging er in sein Hotel, packte seine Sachen und reiste mit dem Nachtzug zurück. Und während der ganzen Fahrt war nur ein Jubelschrei in seiner Seele: Frei, frei! –

Er wußte, daß Jettka nach München zurückgekehrt war. Es war gut so. Er hatte es nicht anders erwartet, als er ihr Lebewohl gesagt, und wußte, daß sie seine Rückkehr nicht abwarten würde und die Gabrielens noch weniger. Sie würde nicht wiederkommen. Es war gut so. Später – später – vielleicht würde er den Weg nach München finden!

Daheim erwarteten ihn Unannehmlichkeiten. Zu Neujahr hatte er seine Stellung als Administrator von Wildenbruk gekündigt. Gesetzlich konnte er dort nicht früher loskommen, bedeutete jedoch seinem Chef, daß er sein Amt jeden Tag niederzulegen bereit sei, wenn dieser einen passenden Ersatz finden sollte. Graf Waring, der Besitzer der großen Herrschaft Wildenbruk, war während seiner Abwesenheit dort eingetroffen und empfing den Rückkehrenden sehr ungnädig. Mißgünstige Untergebene hatten dem Grafen berichtet, daß Markwitz mehr Zeit, als für das Interesse seines Chefs gut sei, den Angelegenheiten einer gewissen schönen Witwe widme. Und so erlaubte sich der Graf die beleidigende Frage, ob er ihn eigentlich als Administrator für sich oder für Frau von Menglin engagiert habe. Er habe ihm zwar bereits seine Entlassung bewilligt, aber er glaube sich zu der Forderung berechtigt, daß er seine Pflicht ihm gegenüber erfülle, solange er sein Brot esse.

Dieser Vorwurf traf Markwitz um so peinlicher, als sein Gewissen nicht ganz frei war. Ohne es zu wollen und ohne sich dessen ganz bewußt geworden zu sein, hatte er in der letzten aufregenden Zeit seine eigenen Geschäfte vernachlässigt. Wie gewöhnlich ging es einige Zeit, ohne sich bemerkbar zu machen, jetzt sah er sich aber allerlei Schäden gegenüber, die nicht zu rechtfertigen waren. Er war zu ehrlich und anständig, um nicht frank und frei seine Schuld einzugestehen und den Grafen um Entschuldigung zu bitten. Er sagte ihm offen, daß aufregende Ereignisse ihn aus dem Gleichgewicht gebracht und vorübergehend beeinflußt hätten. Graf Waring jedoch war keine hochherzige, weitsichtige Natur, sondern eine mißtrauische. Er nahm das Bekenntnis sehr übel und wurde so beleidigend in seinen Vorwürfen, daß es zu einem schnellen Bruch kam. Nach wenigen Stunden befand sich Markwitz mit seiner Habe obdachlos auf der Straße.

Er begab sich zunächst in ein Gasthaus des nächsten Städtchens, und dort erhielt er einen Brief von Gabriele, der an Beleidigungen dem des Grafen wenig nachstand. Er war augenscheinlich in der ersten schlechten Laune über seine Abreise verfaßt. Sie machte ihm den Vorwurf gänzlicher Herz- und Lieblosigkeit. Das Schlimmste war die Verdächtigung, daß er sie nur ihres Geldes wegen heiraten wolle und schon vor der Hochzeit nicht einmal die nötige Rücksicht für ihre Person hätte. Für Markwitz gab es darauf nur eine Antwort. Er setzte sich sofort hin und schickte ihr Ring und Jawort zurück.

Jetzt war er vogelfrei.

Und aller Ärger, alle Aufregung über die erduldeten Angriffe und Kränkungen lösten sich bei ihm in einem tiefinnerlichen Aufjauchzen über diese Freiheit. Er war jung, gesund und arbeitstüchtig, die Welt stand ihm alle Tage offen. Lieber kein Leben als ein Leben in Ketten, selbst wenn diese von gediegenem Gold sind!

Jetzt, wo ihm in der Ferne ein ganz neues, seliges Glück verheißungsvoll winkte – jetzt galt es, das Schicksal zu zwingen! Einen Strich unter das alte Leben! Für ihn war eine neue Zeit angebrochen!

Irgendwo in der Neuen Welt, wo der Lebenskampf am heißesten wogte, wo für große Mühe und Arbeit hohe Preise winkten – da wollte er den Waffentanz mit dem Schicksal beginnen. Vorher aber eine kleine Erholungspause machen, sich ein Glückauf holen aus teilnehmendem Herzen, ein gutes Geleitwort auf die Reise.

Er kannte Jettkas Münchener Adresse, er wollte zu ihr. Ohne Abschied konnte er nicht auf Jahre von ihr gehen. Schon am nächsten Morgen saß er im Schnellzug nach München.

* * *


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