Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

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Fünfunddreißigstes Capitel.

»Laßt den Hund laufen, gelehrter Herr! Der Bube entlauft seinem Galgenholze nicht. Schade, daß mein Bolzen ihm nicht in's Bein flog, sondern durch die Mütze. Er wäre sonst gewißlich nicht davon gerannt wie ein Heide!« – »Der elende Mensch!« antwortete dem alten Ammon der Mann, der schier gekleidet wie ein Cleriker, vor dem Jäger auf einem Feldsteine saß und ausschnaufte. »Mein ganzes Gepäcke hat er mitgenommen und ich dank es nur deiner Hilfe, guter Mann, daß ich mit dem Leben davon gekommen bin; der Schurke hatte nicht wenig Lust, mich auch des Geldes zu berauben, das ich im Gürtel trage.« – »Aber sagt mir doch,« fragte Ammon, »wie's kommt, das ein gelehrter Herr, wie Ihr, um diese Abendzeit allhier im Busche zu finden ist?« – »Du weist es allsobald,« versetzte der Mann im aufgeschürzten Talar; »von Frankfurt fuhr ich weg, um gen Friedberg zu gelangen. Der Karren brach jedoch, eine Stunde Weg's von hier. Ich saß mißmuthig und halb zerschlagen am Rande der Heerstraße und wartete bei meinem Gepäck die Rückkehr des Fuhrmanns ab, der auf dem Gaule nach Hilfe geritten war. Man sah nur wenige Menschen auf der Straße. Kommt plötzlich durch's Feld und über Wiesenpfade ein Mann daher, rüstig und stark darauf losschreitend, den Dornstock in der Hand, und also scharf um sich blickend und dennoch sorglos vor sich hingehend, als sei er wohl bekannt auf all' diesen Stegen und Wegen rings im Land. Da mir zu lange dauerte bis mein Knecht zurückkam, so fragte ich den Wanderer nach demselben und verrieth ihm meinen Unfall. Da meinte er, ich könnte wohl noch lange vergebens warten und am Ende schon zu Friedberg sein, ehe der Geselle vom Dorf zurückgekommen, wenn ich nur ihm folgen wollte auf abgekürztem Pfade, den er genau zu finden wisse. Mir war der Vorschlag recht und ich trug nur Zweifel wegen meines Gepäcks. Der breitschulterige Mann lachte und meinte es wäre ein bloßes Kinderspiel für ihn, mir das Gepäck zu tragen bis zur Herberge zu Friedberg, und wenn ich ihm daselbst zum Lohne einen frischen Trunk wollte reichen lassen, so würde er herzlich damit zufrieden sein. Er hatte noch nicht ausgeredet und ich auch noch nicht »Ja« gesagt, und flugs hat er den Bündel auf dem Rücken und wanderte rüstig voraus. Ich folgte ohne Argwohn und kam mit ihm in solch' Gespräch, daß ich nicht bemerkte, wie er mich in diese Gegend geführt hatte, wo rings um uns einsam Gestrüppe steht, doch weit und breit kein Thurm noch Thor von Friedberg. Und da ich endlich es bemerke und ihn deshalb zur Rede stelle, so lugt er frech ringsum und spricht: »er werde sich wohl im Pfad geirrt haben; der Abend sei jedoch noch nicht weit vorangerückt und wir würden zeitig noch nach Friedberg gelangen, dessen Thurm schon zu sehen sei.« Wie er mir nun zeigt, nach welcher Seite ich gehen müsse, um ihn zu gewahren und ich dem bösen Rathe des falschen Menschen folge, sauste mir der Dornstock in's Genick, daß ich hinfalle und ihm, dem Räuber, keinen Widerstand zu leisten fähig bin. Mein Schreien war jedoch nicht vergeblich, und – wohl mir – dein Ohr hat's zeitig genug vernommen, ehe der Schurke mich geplündert. Mag er doch laufen mit dem Pack: der Herr wird ihn schon lassen verlahmen und . . .«

Mehrere andere Verwünschungen, die der Fremde auf seiner Zunge hatte, verhallten in dumpfem Gemurmel. Ammon erwiderte darauf lachend: »Nur heraus mit dem Gewetter und Gefluche. Ein meilenlanger Fluch erleichtert recht das männliche Herz, und Ihr seid ja jetzt nicht in Eurer Schule, wo es sittsam und friedlich hergehen muß. Allein im Grunde hilft doch der wetterlichste Schwur Euch nimmer zu Eurer Habseligkeit. Besser wär's gewesen, ich hätte den vertrakten Schurken in's Knie geschossen. Wo wollt ihr aber jetzt hin, gelehrter Herr? Die Stadt ist an zwei Stunden Wegs von hier und schwer zu finden für einen Fremden. Ich wollt Euch gern dahin begleiten, müßt ich nicht in meinen Wald zurück. Auch trautet Ihr wohl meinem Gesichte nicht; denn die Leute sagen, der alte Ammon sehe aus, wie der leibhaftige Teufel selbst.«

»Hätte ich nur dem Gesichte jenes Schurken nicht getraut,« seufzte der Fremde; »der Bube hat Gaunerzüge und brandrothes Haar!« – »Hütet Euch vor den Gezeichneten,« schaltete Ammon ein; »wißt Ihr jedoch sonst nichts, das auf die Spur des Sünders führen könnte? Ich wollte lauern lassen auf den Burschen, wie auf einen Iltis.«

»Ich weiß nichts, das mir außer seinem Gesichte aufgefallen wäre,« sprach der Fremde weiter. »Ein Schild, das er auf seiner linken Brust trug, könnte vielleicht einen Neubekehrten verrathen.« – »Einen getauften Juden!« rief Ammon, »das ist gefährlich Gesindel. Das vertauscht seinen Gott, wie ein Söldner seinen Hauptmann. Und dennoch ist es immer Eins, woran man glaubt. Das hab' ich auf meinen Kreuzzügen oft genug erfahren. Mir gilt der Heide, wie der beste Christ, und wenn Ihr, gelehrter Herr, in meiner schlechten Hütte übernachten wolltet, so wäre ich gern bereit, Euch ein ungläubig Dirnlein zu zeigen, das seines Gleichen sucht in der getauften und ungetauften Welt.« – »So?« murmelte der Fremde, der in Gedanken versunken war, vor sich hin, dann setzte er bei: »Ich nehme es an, Meister Graurock. Ich gehe mit Euch, aber einzig und allein um eines warmen Obdaches willen, nicht der schönen Dirne wegen.«

»Mir recht,« versetzte Ammon, »ein warmes Heulager soll Euch nicht entgehen. Morgen wandern wir dann selbander auf Friedberg los. Kommt, laßt Euch führen, denn Ihr wankt auf den Füßen; . . . was ist Euch denn? Warum stieret Euer Angesicht also in die Ferne, als wollte es in dem Hohlweg sich verlieren? Ihr werdet ja immer bleicher, Herr! was ficht Euch an?«

Der Fremde war starr und steif stehen geblieben und zeigte unverrückt mit Aug und Hand auf einen Mann, der schnell, obgleich mühsam aus dem Hohlwege zur Seite kletterte, rasch auf die Gehenden los kam, scheu von der Seite sie anblickte und ob vor Ammons Zügen, oder dem Gesichte des Fremden erschreckend, plötzlich die Kappe in die Stirne drückte, mit einem Laute der Ueberraschung sich abwendete und, wie von einem Gespenste gejagt, über die buschige Fläche sich verlor. Während der Fremde ihm bewegungslos nachstarrte, schrie Ammon, der ihn erkannt hatte, wild hinterdrein: »Hoho! sa! sa! Jude! wo hinaus? Wirst doch nicht gestohlen haben? Halt auf, Jude, halt auf!« – Sein greller Ruf scheuchte den Fliehenden nur noch flüchtiger von dannen und Ammon brach, da er dieses sah, in wüstes Fluchen und Toben aus, das nur die wiederholte, dringende Frage des Fremden unterbrach: ob der Jäger den Flüchtigen kenne und wer dieser sei? – »Ei!« schrie Ammon, »ob ich ihn kenne? Der narbige Ketzer ist kenntlich genug. Das ist eben der Vater der schönen Esther, von der ich Euch geredet.«

»Esther? Ihr Vater?« rief der Fremde an seine Stirne fühlend, ob denn auch Alles um ihn her wirklich sei oder ein Traum, »gepriesener Gott! ich kenne ihn auch, diesen Mann. Sein Name?« – »Der leidige Teufel kennt ihn besser als ich,« antwortete Ammon, mit der Faust nach der Gegend drohend, in welcher der Fliehende verschwunden war, »ich konnt ihn nicht behalten.« – »Ben David!« fiel der Fremde ein; »rede, Mann des Himmels! So du sagst ja, werde ich dich halten wie einen Freund, wie einen Bruder.« – »Nun denn, in aller Hexen Namen: Ja!« rief Ammon, »so heißt der Bursche. Warum aber der Mensch davon läuft, als habe er die Kleinodien des Reichs gestohlen? Warte, Hund! Wenn ich zu Hause etwas Unrechtes merke, wenn meiner guten Esther etwas geschehen ist, so verschreibe ich mich dem Teufel wirklich und leibhaftig, um nur deiner habhaft zu werden, Jude.«

»Esther! Ben David!« wiederholte der Fremde beständig, während sein blasses eingefallenes Gesicht bald Freude, bald Kummer, bald Aengstlichkeit, bald eine Art von wildem Unmuth verrieth. – »Gott sei bei uns!« rief Ammon derb dazwischen. »Trügt Ihr nicht einen Rock wie ein christlicher Schulherr, ich würde Euch für 'nen Rabbiner halten, so verzerrt Ihr Leib und Angesicht. Laßt doch die Possen und tretet derb auf; ich kann nicht erwarten, zu sehen, was daheim ist vorgefallen.« – »Daheim! ja daheim!« wiederholte der Fremde, unbekümmert um Ammon's Reden, »ja, zu Esther laß' uns eilen. Ich kenne sie, ich kenne ihn, der an uns vorbeiflog. Ich muß ihr Schicksal wissen, ich muß . . .« – »Ihr müßt in's warme Heu,« polterte Ammon, »Kreuz und Mond! Des Galgenstricks Dornknittel hat Euren Verstand getroffen und nicht allein das Genick. Seht, hier ist schon der Pfad, dort zeigt sich der Hütte Giebel, noch ein Paar Schritte hurtig gemacht und wir sind allen Kobolden zum Trotz zur Stelle.« – Ammon's Unruhe wurde bald besänftigt, da er die Hunde fröhlich anschlagen hörte, wie sonst und Esther gewahrte, die auf dem Platze saß, den Regina wohl sonst einzunehmen pflegte. Dagobert's Braut saß in süße Schwermuth vertieft, welche zärtliche Gemüther am Vorabend ihres Liebesglücks gerne beschleicht. Der treue Freund hatte Abschied genommen, um nach der Stadt zu reiten und am nächsten Abend, mit neuen Gewändern für sein Lieb beladen, zurückzukommen. Sie hatte ihm das Geleit bis zum Waldpfade gegeben, dann in die tönenden Forsthallen Ben David's Namen gerufen und sich endlich niedergelassen in's thauige Gras, um des wackern Mannes zu harren. Ammon, der zuerst am Eingange des Gehegs erschien, war ihr willkommen, und in demjenigen, der seinen Schritten folgte, vermuthete sie den Vater. Aber ein fremdes Gesicht neigte sich vor ihr und je mehr sie dieses Gesicht betrachtete und von demselben mit glühenden Blicken durchbohrt wurde, je mehr war es ihr kein fremd Gesicht mehr. Aus der Tiefe ihres Gedächtnisses, aus dem Born kindlicher Erinnerungen mußte sie schöpfen, um sich dieses schmale Antlitz mit der Adlernase und dem geklemmten Munde zu vergegenwärtigen und sie hörte nicht auf Ammon's Stimme, sondern nur auf die schon verklungenen Laute des Fremden, welcher gesagt hatte, »Esther! Ben David's Tochter! Dich hätt' ich nimmer wieder erkannt – aber wirst du auch nicht kennen mein Antlitz?« Esther's Erinnerungen waren übrigens mangelhaft, und mit einem Seufzer aus tiefer Brust mußte der Fremde ihr zu Hilfe kommen in den Worten: »Ich habe einst geheißen Ascher, du Tochter Ben David's und wirst du mich kennen noch nicht?« – »Jehovah! unser Gott!« schrie Esther auf, »Ascher! mein Bruder Ascher! Sei gegrüßt, sei willkommen, du Verlorner!«

»Die Dirne hat den ganzen Sabbath vom Brocken hieher gelockt,« murrte der Forstwart vor sich hin, »und was gilt's, sie wandelt meine Hütte um in eine Judenherberge. Vater und Sohn sind schon gekommen und wer weiß, was noch Alles folgt. Nein, Jungferlein, also geht es nicht, und morgen weiß die Frau von Dürning Alles.« – Er ging mißmuthig zu seinen Hunden und in die Hütte, während Esther und der Ankömmling Ammon's gänzlich vergaßen. – »Verlorner! sagtest du,« sprach Ascher wehmüthig, Esther's Hand ergreifend, »die Wahrheit kommt nicht reiner vom Himmel, als in diesem Worte aus deinem Munde. Verloren war ich, verloren bin ich und würde es bleiben, wollte ich nicht zu rechter Zeit mich wieder gewinnen. Ach, sieh' mich nicht an, Esther. Ich habe schon des Vaters Zorn gesehen; laß' mich nicht schauen auch deine Verachtung, Vergieb mir, daß ich hingegangen bin von dem Gesetz der Väter zu einem fremden. Die Ueberredung hat mich verleitet, der finstre Geist des falschen Wissens hat mich verführt; Hoffnung auf ein zeitliches Glück hat mich bethört, daß ich gethan, was ich jetzt bereue von Herzen.«

»Ei, was muß ich hören,« fragte Esther dagegen, »du bereust, der Thora abgeschworen, dem reinen Gesetze gehuldigt zu haben? O, schwanke nicht in diesem neuen herrlichen Glauben und halte dich fest an dem Leitfaden, den des Ewigen Milde dir erlaubte.« – »Versteh' ich dich?« sprach Ascher verwundert. »Spricht also die Tochter Ben David's, des Sohnes Jochai, die nimmer versäumt haben eine von den vielen Pflichten, die zu erfüllen hat ein Sohn des Gebots? Wie kommt es, daß du mich schiltst, da ich thue, was Recht ist: Reue und Buße?«

»Ach, Ascher, entgegnete Esther milde und freundlich, »ich hätte Euch nicht gehaßt, so auch noch Alles geblieben wäre wie ehedem, denn die Gojim, wie du und deine Brüder sie nennen, sind mir doch immer vorgekommen, wie unsere wahren Brüder. Aber, es ist Alles ganz anders geworden. Ich heiße nicht mehr Esther, mein Name ist Maria und eine Christin bin ich von Geburt an, nicht David's Tochter, nicht deine Schwester.« – »Nicht David's Tochter?« fragte Ascher, »nicht meine Schwester? Wie fasse ich das?« – Esther erzählte vom Ungemach des Vaters an bis auf den heutigen Tag und das Geständnis David's, Alles der Wahrheit getreu und Ascher traute kaum seinen Ohren. »Weh' geschrieen!« rief er, da das Mädchen vollendet hatte, »Gott, was habe ich gehört? Der Herr segne den Raaf im Paradiese und der Raaf verzeihe dem Vater die Lüge, die er auf jenes Grab gepflanzt.« – »Eine Lüge?« – »Ich will sterben zur Stunde und ohne Beistand dahinfahren, wenn das wahr ist, was der Vater dir berichtet.« – »Wie?« – »O, David ist ein sanfter Herr seinen Kindern; er will sie glücklich sehen, er will allein tragen den Vorwurf, damit das Gewissen seiner Kinder frei bleibe vom Vorwurf. Er will selbst werden ein Sünder, bevor er zugäbe, daß du, Esther, eine Sünde begehest. Du, Esther, du bist David's Tochter und keine Andere. An deiner Wiege saß ich über einen Mond, wachend und dich wartend in einer Krankheit, die mit der Geburt über dich gekommen war. Ich und mein Bruder sind niemals mit dem Vater gewesen über Land. Nie hatte sie Statt die angebliche Verwechslung. Der Raaf hätte nimmer ein Christenkind in's Haus eines Gläubigen geführt, nimmer sich theilhaftig gemacht einer solchen Sünde wider das Gesetz; und dieser hebräische Buchstab an dem kleinen Finger deiner linken Hand ist eingeätzt worden von dem kunstreichen Raaf, da du noch keine Woche alt gewesen, als Zeichen unseres Hauses. Ich gelobe dir's, beim Haupte des Vaters: Du bist von seinem Blute und aus Israel.«

»Herr Gott im Himmel!« seufzte Esther ängstlich und niedergeschlagen. »Entsetzlich! Wo ist der Vater? Du wirst sehen, Ascher! . .« – »Nicht doch, mein Kind;« versetzte Ascher, seiner Sache gewiß, »ich werde nicht einmal den Vater sehen, denn er ist geflohen vor meinem Antlitze.« Esther's Staunen mehrte sich, da sie nun erfuhr, was auf dem Wege hierher vorgefallen. – »O, gewiß ist es, gewiß,« schloß er: »Vaterliebe seltener Art hat Ben David's Zunge regiert. Aber Bruderliebe ist noch gekommen zu guter Zeit, um dich zu retten für die Ewigkeit, die ohne End ist in ihren Freuden, aber auch unendlich in ihren Qualen. Höre mich an, Schwester, und glaube, was ich rede. Der Vater hatte mich bestimmt zu lehren in der Schule und ich habe darum gelernt das Geschrift und die Kunst zu lesen unsere Sprache nach der Wissenschaft und die Kabbala in all ihren Zweigen. Da kam mir's plötzlich an, als würde ich machen mein Glück unter den Christen und ein vornehmer Mann von Mainz, der sich im Hebräischen oft Raths bei mir erholte, rieth mir dringend an zu thun, wie ich gesonnen. Meine Jugend war müde, immer Knecht sein von Andern und zu gehören zu der Sohle von ganz Deutschland. Ich schwor daher der Väter Lehre ab, auf daß es mir wohl gehe auf Erden. Meine Wissenschaft wurde nun hervorgezogen aus dem Staube der Erniedrigung und jener vornehme Mann wirkte mir einen Lehrstuhl aus zu Heidelberg, um die hebräische Sprache zu lehren, nachdem ich ihn selber vorher einige Jahre unterrichtet hatte. Mir ging es wohl und der Lehrer Taufkirch war wohl gelitten allenthalben, verfehlte keine Messe, keine Predigt und hatte ausgezogen den verachteten Juden. Nichts hätte gestört mein Glück, wenn es nicht war der Wurm in meiner Brust, der plötzlich anfing, sich zu heben, mich zu quälen und nachdem ich einige Jahre hindurch gekämpft, gelitten und mich halb gegrämt zu Tode, hat Israels Gott den Sieg gewonnen über meine zeitlichen Begierden, weggeworfen habe ich das Amt, um heimzukehren zum Vater, wie der verlorene Sohn, zu den Schulen, wie das verirrte Schaf. Da erfuhr ich zu Frankfurt Euer grausam Schicksal, des Vaters Flucht, wie sie es nennen, den Tod des Jochai und dein Verschwinden. Auf's Geradewohl habe ich mich gehen lassen in die Welt und die Reihe von Abenteuern, die mich bis hieher gebracht zu diesem abgelegenen Winkel, verbürgt mir, daß es Gottes Wille sei, daß ich dich rette!«

»Hochgelobter Gott!« jammerte Esther, »welche spitzigen Widerhaken wirfst du in meine Brust? Ben David entflohen? und ich dennoch sein Kind? dennoch aus Israel? Bruder! sei barmherzig und sage, daß Alles gewesen ist Lüge und leerer Schaum.« – »So wahr ich lebe und der Himmel gemacht ist vom Herrn, so wahr ist mein Mund,« betheuerte Ascher düster. »O, höre auf meine Stimme, Esther, damit du nicht einst bereuen mögest, was du gethan. Lasse ab von dem Jüngling, der zu Rom hält. Lasse ab von dem Gedanken, zu werden wie er. – Tröste dich nicht mit dem Gedanken, nicht du, sondern David, unser Vater, müsse verantworten die Lüge, die seine unendliche Liebe gewagt hat, auf die Gefahr, seine eigene Seligkeit zu verlieren. Gieb dich nicht in Moloch's Gewalt. Du sollst seine Sclavin sein. Warum wird er nicht ein Sohn Jakobs, wenn seine Liebe eifrig ist? Warum sollst du zu seiner Lehre schwören? Weil er Abrahams Samen verachtet, weil er dich sündigen machen will, damit du sein und der Hölle seist auf immerdar. Denn Sünde ist dieser Tausch – glaube mir, dem Sündigen. Wer seinem angebornen Herrn untreu wird, seinem Gott, wie kann der ferner treu sein im Haus, im Ehebett? Wie kann ein Solcher Treue verlangen? Und wie wird einst seine Sterbestunde sein? O, glaube, glaube an die Qualen des Abtrünnigen, ich habe sie gefühlt, ich fühle sie noch und werde erst dann ruhig werden, wenn ich gebüßt habe in einer Schule. O, kehre um,« setzte er wie in Verzweiflung hinzu; »kehre um, da es noch Zeit ist, und du dieser Buße nicht bedarfst. Sieh' mich an, wie mich der Herr geschlagen hat: Wie mein Leib zum Schatten geworden. Nicht Schlaf, nicht Ruhe kommt über mein Auge, nicht die Hoffnung in meine Brust und dieser Zustand muß sich ändern, sollte ich auch Jahre lang vor der Thüre einer Synagoge liegen und mit meinem Rücken den Gläubigen zur Schwelle dienen. Aber selbst dann würde ich nicht wieder sein, wie zuvor, wenn ich dich nicht gerettet; versiechen würde ich im Jammer, wie auch versiechen wird in Elend und Trostlosigkeit David, unser guter, allzu guter Vater. Dir gehört dann sein Tod und mein letzter Seufzer wird sein dein Werk!«

»O schweige, schweige, grausamer Bruder!« schluchzte Esther, trostlos die Hände ringend, »du greifst fürchterlich mein Herz an, das doch nichts Böses wollte, das doch nur glücklich zu sein begehrte. Aber nicht dein Tod, nicht der unseres Vaters komme über mich. Wie könnte ich die Freuden des Lebens finden, müßte ich mir vorwerfen, sie seien erkauft durch das Eure. Nimmermehr! Ich will sein stark, stärker als mein Geschlecht, stärker als der Mann selbst, der nicht freiwillig abläßt von dem, was er liebt.« – »Dann segne dich Jehovah!« entgegnete Ascher freudig. »O, gehe mit mir, Schwester, wiedergefundene Tochter Abrahams und Jakobs. Noch besitze ich Geld und Gut, zu fristen unsere Tage. Komm', theile mein bescheiden Los, tröste mich in meiner Buße, in meiner Reue, und der Herr wird uns wiederschenken den Vater, dessen Schmach und Elend gewißlich nur eine Folge ist meiner Missethat.« – »Ein Lebewohl – das Letzte, werde ich doch dem Freunde bringen dürfen?« – »Nein, nein!« herrschte Ascher; »fliehe die glatte Zunge aus Midian, fliehe den Mund, der dich bethörte. Ein Hauch der Schlange reicht hin, dich und uns Alle zu verderben. Du mußt mir folgen! O, warum ist die Nacht schon dunkel geworden? Warum leuchtet nicht die Sonne? Gleich müßtest du gehen mit mir. Aber morgen, morgen, so wie es Tag wird, folge mir!« – »Du brichst mein Herz!« rief Esther schmerzlich. »Aber mag ich doch das Opfer sein, daß der Herr nicht zürne, und daß es den Meinen wohl gehe auf der Erde! – Ich will mir denken, daß er in den Tagen, wo ich für ihn zitterte, ein Opfer der Vehme gefallen sei; aber werden diese Gedanken mich beruhigen? Werden sie nicht entsetzliche Geißeln und Stacheln sein, um zu zerfleischen mein Inneres? Mein Bewußtsein erhalte mich aufrecht, und mein hochgelobter Gott, der mich geschaffen. In seinem heiligen Namen – Bruder – ich folge dir!«


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