Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

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Siebzehntes Capitel.

An einem wonnigen Frühlingsmorgen lustwandelte Herr Diether, der Altbürger, in seinem Gärtlein, das vor der Stadt gelegen war und trotz seinem einfachen Plankengehege und dem darin schlicht von Dielen auferbauten Lust- und Werkhäuslein höher von ihm geachtet wurde, als sein stolzes Haus zu Frankfurt selbst. Auf den Arm seiner Ehefrau gestützt – denn noch war die Wunde, an der er darniedergelegen, nicht völlig vernarbt – schritt er sinnend, aber hellen Auges, auf und nieder und erging sich in der würzigen Luft und dem warmen Himmelshauche. Frau Margarethe ihrerseits in Gedanken versunken, aber dennoch ein Auge sorglich auf den bresthaften Gatten geheftet, während das andere nach dem kleinen Hans hinüberschweifte, der mit Elsen in einem Winkel des Gartens spielte, schwieg gleich ihrem Herrn. Da begehrte der Letztere zu sitzen und Margarethe führte ihn zu der Bank an der Thüre des Häuschens. Als sie nun Beide darauf Platz genommen, fingen die Glocken der Stadt an ihr Geläute ertönen zu lassen. Diether schlug die Hände fromm zusammen, sah eine Weile still vor sich hin und redete alsdann: »Sie haben in der Stadt ein gottesfürchtig Werk vor. In diesem Augenblicke legt der hochwürdige Stiftsdechant, Herr Jakob Herdan, den Grundstein zu einem stattlichen Thurme, der am Damm aufgeführt werden soll. Ehrenwerth ist es, da ein Denkmal für den lieben Herrgott hinzusetzen, wo früher das Rathhaus stand, auf dem der Bürger Wohl besorgt wurde; und ziemlich ist's zu gleicher Zeit, daß ich von Gebreste verhindert, von Amtswegen bei der heiligen Wandlung zu sein, den festlichen Augenblick begehe mit frommer That und Rede. Seht, meine werthe Hausfrau, ich habe es bis jetzt aufgespart, mit Euch etwas zu besprechen, das mir am Herzen nagte. Es kann Euch nicht entgangen sein, daß ich seit einiger Zeit wohl nicht derselbe gegen Euch war, der ich früherhin gewesen. Ich kann leider nicht leugnen, daß der Tag, an welchem Euer Bruder uns mit gewohnter Unverschämtheit heimsuchte, eine Quelle des Argwohns und traurigen Verdachts für mich geworden. Ich schäme mich schier, die Reden des wüsten Menschen zu wiederholen, die niemals einen Eindruck auf mich hätten machen sollen. Aber der Mensch ist ein schwaches Geschöpf; den Funken zum Brande anzublasen, ist ihm ein gering Geschäft. Der Böse verblendete mich ganz, da mich der Meuchelmörder überfallen und gezeichnet hatte. Ich beklage den Wahn, der mich gehässig gegen Euch anreizte, daß ich Eure Hilfe von mir stieß, bis ich ohnmächtig mich Eurer Fürsorge überlassen mußte. Da gingen mir endlich nach und nach die Augen auf. Euer still besonnenes Thun, gleich weit entfernt von dem Trugeifer einer Heuchlerin, wie der schadenfrohen Sorglosigkeit eines Weibes, das sich Witwe zu werden sehnt, erweichte mein Gemüth. Dennoch argwöhnisch, wie ich war, las ich aufmerksam in Eurem Blicke und mir entging die ruhige Freude nicht, mit welcher Euch meine Genesung erfüllte. O, diese Ueberzeugung trug viel zu meiner Herstellung bei und als ein gerechter Mann, der sich nicht scheut, sein Unrecht einzugestehen, frage ich Euch heute, unterm Blau des Himmels, ob Ihr den greulichen Verdacht vergeben könnt?«

»Mein werther Eheherr . . .« stammelte Margarethe überrascht und beschämt. »Wie könnt Ihr doch meinen, daß ein Groll gegen Euch . . .«

»Lieb' Weib,« fiel Diether ein, »scheltet mich aus, wie einen Heiden, daß ich zweifeln konnte an Eurer Ehre und Eurem Christentum auf das Zeugnis eines Lügners hin und auf die That eines meuchlerischen Buben. Nein,« – fuhr er fort, Margarethens Wange und Hand streichelnd, – »dies fromme Angesicht konnte mich nicht an einen andern verrathen; diese Hand, die mich so zart und sorgsam pflegte, hat nicht auf das Leben eines alten Mannes gezielt.« –

»Jesus!« seufzte Margarethe erschrocken. »Was kommt Euch zu Sinne, lieber Herr? Die Heiligen mögen Euch verzeihen, wie ich es thue, ob solchem schnöden Verdacht.«

»Wenn Ihr vergebt, die Beleidigte, so thun es die Heiligen nicht minder,« antwortete Diether, »und fürder sollt Ihr nicht klagen können. Der Versucher soll nimmer an mich kommen. Mein Siechthum hat gar vieles anders gemacht in meinem Innern. Eine recht süße Wehmuth, wie ich sie nie gefühlt, seit ich zum ersten Male freite, hat mir's angethan und den Wunsch in mir erregt, Alle, die mir nahe angehören, um mich her versammelt zu sehen, den Bruder, den Sohn und . . . ach ja . . . auch die Tochter, obgleich sie sich von uns geschieden hat mit Vorbedacht. Seht, Margarethe, auch um dessenwillen muß ich Euch danken. Wallrade hat Euch schwer beleidigt und dennoch tratet Ihr nicht zwischen sie und mein Verlangen.«

»Die Jahre werden viel geändert haben,« erwiderte Diether's Gattin sanft. »Damals wollte sie nicht meine Tochter heißen; jetzt würde sie vielleicht meine Freundin.«

»O gewiß,« bekräftigte Diether; »die Zeit macht milder. Aber wehe thut mir's, daß bis jetzo auf mein redlich Schreiben weder Antwort kam, noch der herzliche Besuch von den Dreien, die sich zu Costnitz plötzlich zusammen doch gefunden. Ich hatte mir Alles so schön und heimlich ausgedacht, – wie ich Wallraden – die liebe widerspenstige Tochter – in deine Arme führen wollte; wie ich den zu unserer Wonne so glücklich gesundeten Sohn an der Geschwister Brust gelegt hätte; . . . aber meine Freude fiel in den tiefsten Brunnen. Dem Greise versagen sich die, die er liebt.« –

»Habt Ihr denn nicht uns?« fragte Margarethe mit ängstlicher Freundlichkeit und hob den Knaben, der sich herbei gemacht hatte, auf den Schoß des Gatten, dessen Nacken sie umschlang. »Bedürft Ihr, um glücklich und zufrieden zu sein, noch anderer Herzen, die Euch fremd geworden zu sein scheinen?«

»Nicht doch, geliebte Ehefrau!« betheuerte der gerührte alte Mann, den Buben und seine Gattin abwechselnd herzend und liebkosend, »nicht doch, herzliebes Söhnlein! Aber wenn ich Euch gleich inniger im Busen trage als die Vermißten, . . . sie sind doch auch meine Kinder, vorab der Dagobert, der die Freuden des Hausvaters dahinten lassen muß, um der Mutter zu einer fröhlichen Urständ zu helfen.«

»Hier, sagt man, soll ich Herrn Diether finden?« fragte am Eingange des Gartens eine Stimme, die Margarethen nicht fremd, ihrem Gatten eine liebe war.

»Wallrade!« riefen Beide überrascht und Diether's wankende Knie versagten dem Aufstehenden den Dienst. Indessen kam die Unerwartete und dennoch Ersehnte langsam und stolz herangeschritten, von Elsen begleitet, die ihr den Weg zu dem Elternpaare wies. »Wallrade! Tochter!« stammelte Diether unter Thränengüssen der Freude, die Arme weit öffnend. »Willkommen, Fräulein!« setzte die Stiefmutter hinzu, die Hand ihr reichend. Aber weder in die Arme des Vaters sank die Tochter, noch ergriff sie die dargebotene Rechte. Einige Schritte von Diether entfernt, stand sie stille, warf einen durchdringenden Blick auf das Paar und schlug die Hände zusammen. »Herrgott!« sprach sie, »wie verändert finde ich Euch, Vater! Die letzten Jahre scheinen Euch nicht zugesagt zu haben!« Diether überhörte diese Worte, bewegt von den Gefühlen, die das schwache Alter doppelt empfindet, aber Margarethe faßte sie auf, die wie ein kalter Hauch an ihr warmgewordenes Herz drangen. »Die letzten Tage, wollt Ihr sagen, Fräulein!« erwiderte sie empfindlich. »Die letzten Jahre waren gut und von Eurer Kindlichkeit wird es abhängen, ob der heutige Tag ihnen gleichen soll. Euer Vater harrt noch immer der schicklichen Umarmung entgegen. Ich möchte Euch nicht gern umsonst darauf aufmerksam gemacht haben.«

Wallrade näherte sich dem Vater, küßte seine Hand und Wange mit Förmlichkeit und neigte sich steif vor Margarethen. »O, mein liebes Kind!« sprach Diether, der sie neben sich auf das Bänkchen niederzog, »wie erquickt mich dein Anblick. Ja, in Frauenherzen wohnt Versöhnlichkeit und der Funke der Liebe. Du, das verloren geachtete Kind, kehrst in's Vaterhaus zurück, während Sohn und Bruder ferne bleiben.« – Wallrade zuckte leicht die Achseln und wendete sich zu Margarethen mit den Worten: »Ehrsame Frau, wenn mich der Vater schon verloren achtete, . . . um wieviel strenger mag nicht Euer Urtheil über mich gelautet haben?« –

»Ihr irrt,« versetzte Margarethe ruhig; »was das heiße Blut der Jugend fehlte, steht den reiferen Jahren zu, wieder gut zu machen. Mein Herr liebt Euch, darum seid Ihr auch mir kein unlieber Gast.« – »Wacker gesprochen, liebe Wirthin!« rief Diether, ihr entzückt die Hand entgegenstreckend; »Ihr seid eine Perle, wie sie wohl selten ein Greis in seinen Winterkranz flechten darf und ich denke, Wallrade soll Euch bald innig befreundet sein. Umhalst Euch vor meinen Augen. Das letzte widerstrebende Gefühl versinke in der freundlichen Annäherung. So; und nun, meine wiedergefundene Tochter, küsse auch deinen Bruder, den kleinen muthwilligen Johann, die Wonne meiner alten Tage.« – Wallrade sah sich mit verdüstertem Antlitz nach dem Jungen um, der, wie Margarethe erst jetzt bemerkte, sich hinter die Bank und die Gewänder der Mutter verkrochen hatte. – »Johann, wo steckst du?« fragte Diether liebreich, »komm', umarme deine Schwester!« – »Ei, du einfältiger Bube,« ermahnte Margarethe den Weigernden, »was muß denn Schwester Wallrade von dir denken? Komm', komm' doch!« – Sie zog den schüchternen Buben, der sich aus allen Kräften sträubte, mit Gewalt herbei und erschrak jetzo selbst über die Blässe, die sein Gesicht überzogen hatte. Aengstlich gebückt, mit niedergeschlagenen Augen, stand der Kleine da, als hätte er ein Verbrechen begangen. Nichts konnte ihn bewegen, der Fremden nur einen Blick, eine Silbe zu schenken. Diese Scheu, welche Diether und Margarethe sich nicht enträthseln konnten, machte augenscheinlich den widrigsten Eindruck auf Wallraden. Sie stand auf, – zweifelhaft, ob sie ihr Gesicht dem Knaben zuwenden oder es von ihm kehren sollte. Ihre Augen brannten, ihr Mund zuckte und ihre gespannten Züge drückten die Leidenschaftlichkeit aus, die ihre Brust beseelte. Ihren Unmuth mühsam bemeisternd, wies sie des Knaben Hand von sich, als die Mutter, in deren Arme er sich geflüchtet hatte, ihn bewog, ihr die widerstrebende zu überlassen.

Zugleich zog sie den Schleier über Stirn und Augen. »Da das Herrlein meinen Anblick unerträglich findet,« – sprach sie mit angegriffener Stimme, – »so thue ich am besten, wenn ich ihm das unwillkommene Gesicht entziehe.« Wirklich schien es auch, als ob der Knabe sich begütigen wolle, denn seine Aengstlichkeit verlor sich nun so ziemlich und er heftete dann und wann die blauen Augen staunend auf das reiche hellfarbige Gewand Wallradens und auf ihre mit blitzenden Ringen gezierten Finger. Auf alle Fragen, Ermahnungen und tadelnden Reden der Eltern erwiderte er nichts; jedoch in demselben Augenblicke, als man ihn zu vermögen gedachte, zwischen Margarethen und Wallraden niederzusitzen, erstand wieder die vorige Furchtsamkeit in ihm und er suchte abermals in Margarethens Schoß Zuflucht, wie vor einer Gefahr. – »Man hat dem Buben ohne Zweifel angenehme Dinge von mir berichtet,« begann Wallrade mit beleidigtem Stolze; »wenn ihm die Schwester als ein Schreckgespenst geschildert wurde, so muß er sie freilich fliehen, wie die Sünde.« – »Ei,« erwiderte Diether, »das hat meine Hausfrau sicherlich nicht gethan, darauf wollte ich schwören.« – »Mein werther Herr dürfte es auch,« bekräftigte Margarethe mit gesteigerter Empfindlichkeit, »der Knabe hat vergessen, daß er eine Schwester hat. Unerwartet kam ihm daher deren Anblick, wenn wir nicht annehmen wollten,« – setzte sie wie im Scherz hinzu, obgleich der Ernst hinter ihrem Lächeln lauerte, – »daß Kinder eine richtigere Ahnung haben, denn die Erwachsenen, ob man sie vom Herzen liebt, oder ihnen nur des Herkommens wegen Liebkosungen erweist.« – »Das Letztere möchte sein,« entgegnete Wallrade rasch und kalt; »ich muß bekennen, daß ich Kinder dieses Alters nicht liebe, wären sie auch die Söhne meiner werthen Stiefmutter. Die Tölpelhaftigkeit der Buben ist mir in der Seele zuwider und ich werde es als ein Zeichen Eurer aufrichtigen Freundschaft ansehen, ehrsame Frau, wenn Ihr mir, so oft ich des Vaters Haus besuche, den Anblick des ungeberdigen Stiefbrüderleins erspart.« –

»Soll gerne geschehen,« versetzte Margarethe gekränkt und beschäftigte sich damit, die Haare des kleinen Hans unter dem Sonnenhütlein zu ordnen, das sie ihm aufsetzte, – damit ein Zeichen zum Aufbruch gebend.

»Das wird ja Alles werden,« sprach Diether begütigend, »was läßt mich aber deine Rede muthmaßen, liebe Wallrade? Du gedenkst nicht zu wohnen in meinem Hause?«

»Nein, mein Vater!« antwortete das Fräulein bestimmt, »ich bin seit Langem gewöhnt, in meiner Behausung Herr zu sein und meine Gewohnheiten könnten Eurer Ehefrau lästig sein, so wie mir vielleicht ihre Hausordnung. Daher habe ich's für gut erachtet, in der Herberge zum »Einhorn« abzutreten. Dadurch erspare ich uns Allen manche Unannehmlichkeit, die um so überflüssiger ist, als mein Aufenthalt zu Frankfurt nur von kurzer Dauer sein kann.« – Diether wollte sein Bedauern nicht verhehlen und der Tochter zureden, aber Margarethe unterbrach ihn schnell.

»Es sei fern von uns,« sagte sie hitzig, »des Fräuleins Willen beschränken zu wollen und darum geschehe nach ihrem Wunsche, aber die Freude, Euch an unserm Tische zu bewirthen, werdet Ihr dem Vater doch nicht versagen? – Der arme, kleine, ungeberdige und tölpelhafte Johann soll nie durch seine Gegenwart stören.« – »Ihr verbindet mich immer mehr, gute Frau,« erwiderte Wallrade in gleichem Tone, »und damit Ihr von meiner Bereitwilligkeit überzeugt werdet, so fordere ich Euch selbst auf, nach der Stadt zu kehren. An meines Vaters Seite sitzend, will ich ihm vom Ohm erzählen, der ihn zärtlich grüßen läßt.« – »Gruß ersetzt wohl bei Tafelfreuden die Einkehr,« entgegnete Diether seufzend und zum Weggehen fertig, sich auf Wallradens Arm stützend, »aber wehe thut mir's doch, daß er nicht selber kam und daß Dagobert ausbleibt, auf dessen treuen Kindessinn ich Felsen gebaut hätte.« – »Von Dagobert laßt mich schweigen,« äußerte Wallrade mit geheuchelter Bekümmernis, war aber im Augenblicke, auf die Aufforderung des besorgten Vaters bereit, dies Schweigen zu brechen. Mit dem alten Diether vorausgehend, entwarf sie dem ängstlich Zuhörenden ein hämisch ausgemaltes Truggemälde von Dagobert's Lebenswandel in Costnitz und führte den Pinsel so gut, daß der Vater in dem Verleumdeten bald den verlorenen Sohn beweinte. – Während dieser Einflüsterungen ging in beträchtlicher Entfernung hinter Vater und Tochter Frau Margarethe, den Knaben an der Hand, nachdem sie Elsen voraus zur Stadt geschickt, um zu einem erweiterten Mittagsmahl Anstalten zu treffen. Die Art und Weise, wie die ungeliebte Wallrade sich im ersten Augenblicke des Vertrauens des Vaters bemächtigte mit geringschätzender Hintansetzung der Gattin desselben, – die Kränkungen, die Wallrade mit freigebiger Hand an die Stiefmutter und den Knaben gespendet, griffen hart an das reizbare Herz der stolzen Leuenbergerin. Wie aber oft das menschliche Gemüth – ein weibliches insbesondere – aus Dingen Trost gewinnen kann, die an sich geringfügig sind, so beruhigte sich auch hier Margarethe mit dem Gedanken, daß der Knabe durch seine deutlich ausgesprochene Abneigung der Gegnerin Stolz verletzt habe. Von dieser kleinen Vergeltung erfreut, bückte sie sich mit größerer Freundlichkeit, als sie sonst wohl dem Knaben zuwendete – zu demselben hinab und streichelte seine Wangen. »Du bist ein wack'rer Bube,« sprach sie belobend zu ihm, »ich habe dich lieb vor Allen, wenn du gegen Wallraden ferner dich beträgst, wie heute. Willst du?« – »Was du befiehlst, Mutter,« erwiderte der Knabe freundlich.

»Recht so, mein guter Hans!« fuhr Margarethe fort, »gehe nicht zu der falschen Frau. Sie wird dir vielleicht Honigkuchen und Semmelringe bieten, um dich kirre zu machen. Nimm aber nichts von ihr, hörst du? Sie meint es böse mit dir und mir und mit dem Vater.« – »Ach, Mütterlein!« raunte ihr der Knabe in's Ohr, »ich fürchte mich vor ihr.« – »Thue das immer, mein Söhnlein!« versetzte Margarethe, »zieh' ihr immer ein finster Gesicht und iß nicht, was sie dir bietet. Für jeden Leckerbissen, den du aus ihrer Hand nicht nimmst, gebe ich dir deren zwei.« – »O ja, Mütterlein!« entgegnete der Knabe hüpfend, »du bist ein gut und anmuthig Mütterlein, bei dem ich bleiben will. Zu der schwarzen Mutter will ich nicht mehr.« – »Was schwatzest du wieder von dem schwarzen Weibe?« schalt Margarethe; »du weißt, daß du nur von ihm geträumt hast, Bube. Vergiß doch endlich den bösen Traum!«

»Ich will ja wohl, lieb' Mutter,« sagte der Knabe, eingeschüchtert durch den heftigen Ton, »aber heute war mir's, als finge ich wieder an zu träumen und die Fremde ist gewiß die Schwarze, die mich schlagen will.« – »Lächerliches Zeug!« eiferte Margarethe, »Wallrade ist deine Schwester, Hans und Niemand sonst. Aber eine böse Schwester ist sie, ob sie gleich ein rothes lustiges Gewand trägt. Sie will uns arm machen, daß wir betteln gehen sollen, wie der arme Hug, dem du alle Samstag seinen Heller an die Pforte bringst. Denk' dir nur! Je weniger du sie aber leiden kannst, je weniger vermag sie uns anzuhaben. Folge nur fein meinen Geboten und es wird Alles gut gehen.« –

Es ging auch Alles nach ihrem Wunsche. Knabe und Stieftochter blieben einander ferne, weil sie sich nicht suchten. Diether, der, von Gatten- und Vaterliebe gleich bedrängt, in seiner unwandelbaren Gutmüthigkeit beständig hoffte, die Mißtöne seines Hauses würden sich endlich doch noch in den gewünschten Einklang auflösen, vermittelte, entschuldigte, sprach zur Sühne, wo und wie es sich nur thun ließ, und erhielt auf diese Weise einen Schein von Friedlichkeit im Hauswesen, welcher bald genug die ganze Stadt täuschte. Wallrade, die man geraume Zeit zu Frankfurt vergessen hatte, gewann nun neue Theilnahme durch die reuevolle Versöhnlichkeit, mit welcher sie, nach Diether's jubelvoller Behauptung, den Eltern die Friedenshand gereicht hatte. Der Altbürger, von den Glückwünschen seiner Freunde geschmeichelt, gewahrte in seiner Herzensfreude nicht, wie zwischen Wallraden und Margarethen die Kluft immer größer wurde. Eine Woche war also hingeschwunden, als Wallrade aus dem Vaterhause unmuthig und düster nach ihrer Wohnung im »Einhorn« zurückkehrte. Verdrießlich beurlaubte sie den abgeschmackten Herrn, der durch eine weitläufige Vetterschaft das Recht gewonnen hatte, ihr als Begleiter auf dem Heimwege lästig zu sein. Verdrießlich trat sie in ihr Gemach, wo ihre Begleiterin, in tiefen Gedanken versunken, am Fenster saß. – »Gute Wallrade,« sprach die Letztere, die Eintretende froh begrüßend; »wie freue ich mich, dich schon so frühe bei mir zu sehen. Mich quälen heute ganz absonderliche Grillen.« – »Wie so?« fragte Wallrade entgegen. – »Der schöne Nachmittag hat mich verlockt, mit meiner Kleinen in's Freie zugehen,« antwortete die Andere; »wir haben die geräuschvollsten Straßen durchstrichen und meinen Kummer hatte ich mir durch Zerstreuung erleichtert; – aber auf einmal war mir's, als ob ich unter dem Gewühle der Menschen meinen armen Rudolf erblickte. Du glaubst nicht, Wallrade, welchen Eindruck der grüne Rock auf mich machte, den ich unfern von mir durch das Getümmel schimmern sah. Rudolf! rief ich in meinem Wahn, Vater! lallte mein Mädchen, als ob es meinen Schmerz theilte. Der Mann sah sich um – und ich gewahrte ein kaltes, fremdes Gesicht. O, wie hatte ich mich getäuscht!«

»Und wie sehr verdientest du diese Täuschung!« erwiderte Wallrade hart, »verbot ich dir nicht, dich in der Stadt zu zeigen?«

»Schilt mich,« versetzte Frau Katharine, »aber zürne mir nicht ernstlich. Was würde aus mir, wenn ich deine Freundschaft einbüßen sollte? Laß' mich indessen erst gänzlich meine Erzählung zu Ende bringen. Einen besondern Zufall habe ich noch zu berichten. Du kannst dir vorstellen, in welcher Lage ich mich befand, als die Hoffnung, den Gatten zu empfangen, mir entwichen, sein Trugbild wie ein Gespenst unter meinen Händen in nichts zerronnen war. Mich kümmerte das Anstarren der Gaffer nicht. In meinem Schmerze blickte ich auf zum Himmel und drückte mein weinendes Kind heftig an die Brust, – da steht plötzlich ein junger Mann vor mir, in dem ich ohne Mühe jenen Jüngling erkannte, der uns, wie ich dir schon erzählt, zu Costnitz den räthselhaften Besuch abgestattet hat, seit welchem meines Mannes verschlossene Schwermuth anhob.«

»So?« unterbrach sie Wallrade überrascht; »jener Jüngling? Doch gewiß war's abermals nur ein Trugbild deines Gehirns.«

»Nicht doch,« fuhr Katharine fort, »die wunderfreundlichen Augen des jungen Mannes habe ich mir zu gut gemerkt, sah ich ihn auch damals nur gleich wie im Fluge. Eben so freundlich blickte er nun mich an und schien nicht weniger überrascht zu sein. »»Ei, Frau von der Rhön,«« sprach er hierauf, »»wie kommt's, daß ich Euch hier zu Frankfurt sehe? Ihr habt sicherlich unter dem Gedränge Euren Gatten verloren. Darf ich Euch an seiner Statt nach Hause bringen?««

»Seht doch!« spöttelte Wallrade mit einer gewissen Unruhe; »wie ritterlich! Und du gingst mit ihm und benahmst ihm ohne Zweifel seinen Irrthum?«

»Meine Scham ließ es nicht zu,« entgegnete Katharine; »ich ließ mich zwar von ihm nach Hause geleiten, konnte mich jedoch nicht überwinden, ihm die Wahrheit zu sagen, wie angelegentlich er sich auch nach dem Herrn von der Rhön und der Ursache unsers hiesigen Aufenthalts erkundigte. Auf der Schwelle des Hauses nahm er Abschied. Da war es aber auch, wo er mir folgende bemerkenswerthe Worte sagte: »»Grüßt Euern Gemahl von dem Unbekannten, edle Frau, und sagt ihm, er habe keine gute Zeit gewählt, hier zu verweilen. Sein böser Geist ist um die Wege. Er möge sich hüten, ihm zu begegnen. Ich werde in den nächsten Tagen selber ihn heimsuchen und ihm, so Gott will, die Kunde bringen, daß die Gefahr vorüber.«« – Somit schied er und seitdem ich zu Hause sitze, peinigt mich doppelte Angst.«

Wallrade schwieg eine Weile nachsinnend und düster. »Dieser Mensch,« sprach sie endlich, »ist ohne Zweifel selbst deines Gatten Feind, oder das Werkzeug seines bösen Geistes. Du mußt dem Fremdling ausweichen; – ich will es. Ohnehin ist meines Bleibens hier nicht mehr lange.«

»Nicht?« fragte Katharine, ängstlich in Wallradens Augen lesend, »du wirst doch nicht vergessen, was du mir, deiner Freundin, gelobtest? Hierher, erfuhren wir, habe der beklagenswerte Flüchtling sich gewendet; – hier verliert sich seine Spur dem Anscheine nach, allein du hast mir nähere Auskunft zugesichert, durch deiner Familie vielseitige Verbindungen. Versäume nicht, für mich zu handeln. Ich, die Verlassene, ohne Verwandte, ohne Güter und Freund, vermag es ja nicht.«

»Was ich gelobte, habe ich nie versäumt,« erwiderte Wallrade, »ich habe Aufschluß erhalten auf mein beharrliches Forschen; ich muß dir nun, so wehe es mir thut, mittheilen, was ich aus der reinsten Quelle geschöpft; denn deine überspannte Sehnsucht, deine auf's Höchste gereizte Leidenschaft für einen Treulosen, der dich verließ, muß geheilt werden, sei es auch durch das läuternde Feuer des Grams.«

»Gott! was werde ich hören!« seufzte Katharine in banger Erwartung, die Augen auf das unheilverkündende Antlitz Wallradens geheftet, welche hart und ohne Rührung fortfuhr, Streich auf Streich gegen das kindlich wehrlose Herz der Unglücklichen zu führen. – »Nimmer wirst du ferner den Schändlichen schauen,« sprach sie, »nach Frankreich ist er gezogen, um unter französischen oder englischen Fahnen sein Blut zu verspritzen. Nicht des Kaisers Zorn scheuchte ihn aus den Gemarken seines Vaterlandes, sondern die Furcht vor der Rache Gottes und seiner Kirche. Er liegt im Bann.«

»Herr des Himmels!« schrie Katharine auf, »im Bann? Was hat der Unglückselige gefrevelt? O rede, rede, Wallrade!«

»Du forderst mich auf, den größten Jammer dir nicht länger zu verhehlen,« versetzte das Fräulein; »der Herr von der Rhön hat das Sacrament der Ehe, das der Herr selbst eingesetzt, mißbraucht, um seinen Lüsten zu fröhnen. Ehe er dich zum Weibe nahm in böser Arglist, hatte ihn der Priester schon mit einer Andern eingesegnet vor Gott.«

»Halt ein!« rief Katharine, entsetzt auffahrend; allein die Unerbittliche vollendete demungeachtet: »Die, die er verließ, um dich zu betrügen, schmachtet dahin in Elend und Kummer sammt ihren Kindern. Und dennoch ist sie weniger zu beklagen als du; denn deine Ehe mit dem Verräther ist Sünde und Schmach, dein Kind ist unehelich gezeugt in Schuld und Frevel.«

Katharine sank mit einem dumpfen Laut vom Sessel zur Erde, und mitleidige Ohnmacht schloß ihre Augen. – Aber Wallrade leistete ihr keine Hilfe, sondern lächelte tückisch in das Unglück, das sie angerichtet. Mit grausamen Uebermuth heftete sie die wilden Augen bald auf das arme Weib zu ihren Füßen, bald auf dessen, in weichen Kissen schlummerndes Kind. Grimmiges Rachegefühl hob die kühn arbeitende Brust. Die Hände schlug sie befriedigt zusammen und murmelte höhnend zwischen den Zähnen: »Der Streich ist gefallen! Fast stehe ich am Ziele. Er, flüchtig wie ein Geächteter; sie, losgerissen von Allem, in meiner Gewalt, sein Kind mein Opfer, wehrlos hingegeben meiner Vergeltung! So mußte es kommen. Leben muß er zu seiner Qual und wenn auch die kühnste Verzweiflung ihn wieder zum verlass'nen Herde triebe, verstohlen, um jeden Preis seine Lieben noch einmal zu sehen, die Stätte öde finden und nicht wissen, wo sie athmen, die ihm theuer sind. Vergehen muß er nun langsam in fruchtlosem Jammer; vergehen muß aber auch sie an der trägen Glut fressenden Grams; und verwelken muß die Tochter, an dem Genusse des Wermuthbechers, den ich ihr reichen will vom Sonnenaufgang bis zum Abendroth.«

Die Zofe trat hier in die Stube und bebte zurück, da sie die erblaßt dahin Gesunkene ersah. »Was soll's?« fragte Wallrade. – »Rüdiger ist zurück,« berichtete die Magd, ihrer Bestürzung kaum Herr werdend. – »Zurück?« fragte Wallrade wiederum und ein heller Schein überstrahlte ihre Züge, »ich gehe ihn zu sprechen. Stehe du mittlerweile hier der Elenden bei und bringe sie zur Ruhe.«

Mit einem höhnenden Abschiedsblick rauschte sie zur Thüre hinaus, vor welcher der Knecht Rüdiger wartete. Sie winkte ihm in die Seitenstube. – »Sag' an deine Mär,« begann sie zu dem Manne. – »Gesagt ist sie bald,« erwiderte derselbe. »Es hat Alles seine völlige Richtigkeit. Der Knabe, von dem Ihr Kunde haben wollt, ist wirklich derjenige, wofür er ausgegeben wird.« – »Nicht möglich!« fiel Wallrade ein, »du lügst!« – »Ihr dürft mich einen Lügner schelten,« versetzte der Breitgestirnte gleichmüthig, »Ihr seid meine Herrschaft und ich Euer halseigener Knecht. Aber trotzdem konnte ich zu Wiesbaden nichts Anderes herausbringen. Die Frau Willhild, von welcher mir Else erzählte, da ich sie Eurem Gebote gemäß, geschickt ausforschte, hat richtig Herrn Diether's Junker erzogen und ihn verwichnen Herbst zur Stadt gebracht. Keine Seele in ihrem Wohnorte und zu Wiesbaden weiß Anderes davon zu berichten. All' meine Mühe war umsonst.« – »Schon genug,« versetzte Wallrade, »du bist ein Büffel und ich werde selbst an Ort und Stelle sehen, ob du meinen Auftrag ausgerichtet, wie ich's begehrt.«

Nachdem der Knecht sich entfernt, überlegte Wallrade mit Ernst und Fleiß, wie Alles sich zu ihren schnöden Zwecken fügen müsse. »Diese schwüle Gewitterhitze kann nicht von Bestand sein,« sprach sie zu sich selbst, »bleibe ich länger, so kommt es zur Fehde zwischen der Stiefmutter und mir. Den offenen Bruch muß ich jedoch vermeiden, bis ich ihr hart an's Leben kann. Jetzt treibt mich die Vorsicht von hinnen, denn nach dem, was Katharine sprach, ist mein Bruder angelangt und brütet sicher in geheimer Stille Verderben gegen mich. Ihm muß ich ausweichen zu gelegener Zeit und selbst zu Wiesbaden und an Willhild's Wohnort die Waffen suchen, deren ich bedarf, um Margarethen zu vernichten. Denn – falsch ist ihr Spiel; wie sollte ich den Buben nicht kennen? Warum wäre er so scheu und furchtsam gewesen, da er mich nur sah? Welch ein seltsam Verhängnis ihn auch hieher, gerade in dieses Haus geführt haben mag . . . ich will es benützen. Zuerst diene er mir als Hebel zum Sturze meiner Feindin; dann erst soll auch ihn meine verzögerte Rache ereilen. Ehe ich aber die Fahrt antrete, die mir Gewißheit verschaffen soll, wo Margarethens Sohn hingekommen, muß ich noch ein Gift bereiten, das ich in Diether's Wunde streuen kann, um sie nie verharschen zu lassen.«

»Um Gottes Barmherzigkeit willen, laßt mich zu ihr!« jammerte eine klagende Stimme draußen und Bilger's Gattin stürzte mit aufgelöstem Haar zu Wallraden herein. – »Ich konnte sie nicht aufhalten!« versicherte die zagend nachfolgende Zofe, da sie in Wallradens finsterm Blicke den Zorn über die unwillkommene Störung las. Verweint, bleich, mit wankenden Knien nahte sich Katharine dem Fräulein, das durch einen Wink die Dienerin entfernte; sie ergriff des Fräuleins Hand und sah sie mit dem Ausdrucke unaussprechlicher Wehmuth an. – »Was willst du, Katharine von der Rhön?« fragte Wallrade hart. – »Verbirg mich vor meiner eignen Schande!« schluchzte Katharine, »und nenne den unglücklichen Namen nicht, der mich einst selig machte und nun meine ganze Zukunft vergiften wird.« – »Wie soll ich dich denn also nennen, Unselige?« fragte Wallrade wie zuvor. – »Hab' ich denn mein Recht auf deine Freundschaft verloren?« klagte Katharine. »An deinem Busen fand ich Trost über des Gatten Verlust, als er mich und sein Kind so schnöde verlassen hatte; deinem Zureden folgte ich, als ich unseres gnädigsten Kaisers Gnade von mir wies, die für meine Zukunft sorgen wollte. Deiner ernstlichen Zuneigung vertraute ich, als du mich auffordertest, mit dir zu ziehen, um des treulosen, des geliebten Flüchtlings Spur zu verfolgen. O, steh' mir auch jetzt bei in den schwersten Stunden meines Lebens! Hilf mir in diesem Sturme meines empörten Herzens!« »Wie soll ich?« sprach Wallrade mit Kälte und unverkennbarem Widerwillen. – »Werde mir nicht fremd,« fuhr Bilger's Gattin dringender fort, »zürne nicht meiner Scheu, zu glauben, was meine Seele durchschneidet wie ein Schwert. Ist es auch sichere lautere Wahrheit, was du mir berichtet?« – Wallrade richtete sich stolz in die Höhe: »Wozu diese Frage?« sagte sie mit einem Tone, der die arme unschuldige Katharine beben machte. »Ich lüge nicht. Beruhigt dich aber ein Eid mehr als mein Wort, so schwöre ich den theuersten, daß ich Wahrheit sprach.« – »Und wer . . . wer ist die, die er zuerst umfing, um sie zu meiden für meinen Besitz?« fragte Katharine, wie von Eiseskälte geschüttelt, weiter. – »Die Unglückliche ist hier geboren, aus edlem Geschlechte stammend,« entgegnete Wallrade zögernd, »sogar nahe – nahe mit mir befreundet. Ihren Namen, wie den Ort, den sie bewohnt mit ihren vaterlosen Waisen, hoffe nicht von mir zu erfahren.« – »O, nenne mir ihn!« bat Katharine außer sich, »nenne mir das Weib!« – »Mit nichten!« höhnte Wallrade, »etwa, damit du, die leidenschaftlichste aller Frauen, die stille Zurückgezogenheit der Aermsten stören mögest durch deine Klagen, durch deine Verwünschungen?« – »O, wie hart urtheilst du von mir!« versetzte die Frau von der Rhön, »ich habe für ihn, den Verräther, keine Verwünschung, und ich sollte jener zürnen, die früher von ihm betrogen wurde, denn ich?« – »Du sprichst gut,« antwortete Wallrade gleichgültig, »nur schade, daß deine Rede gleißender ist, als die That es sein würde. Das Weib ist heftiger in seinem Haß als der Mann selbst. Ueberdies kehrst du die Waffen gegen dich selbst, sobald du ruchbar machst, daß du den in Bann Verfallenen in verbrecherischer Ehe umschlungen. So wie du die Sünde mit ihm theiltest, so müßtest du auch die Strafe mit ihm theilen. Gelüstet's dich, mit geschornem Haupt und nackten Füßen, die gelbe Kerze in der Hand, vor der Kirchenpforte zu knien? Buße zu thun vor den Augen der Gemeinde und jeden Vorübergehenden um Vergebung anzubetteln im Namen des barmherzigen Gottes und seiner Heiligen? Gewährte es dir Lust etwa, als Verführerin des ruchlosen Mannes dein Leben in einem dumpfigen Kerker bei Wasser und Brot zu vertrauern, während dein Mägdlein im Schlamm der Schande und des Mangels untergeht? Und doch wären dieses die Folgen deiner Unbesonnenheit. Das Geschlecht der rechtmäßigen Gattin von der Rhön's würde dich auf's Grausamste verfolgen. Du würdest unbezweifelt das Opfer sein.«

»Du entfaltest ein erbärmlich Los vor meinem Blicke,« seufzte Katharine, mit Thränen der Angst in den schönen Augen, »wohin ich sehe, droht mir Schande. Meinen Namen wage ich nicht mehr vor einem fremden Ohre auszusprechen.«

»Du mußt ihn auch aus der Welt tilgen,« forderte Wallrade gebieterisch, »du darfst nicht mehr nach dem Elenden dich nennen; nicht dich, nicht dein Kind; denn nur jene Erste führt das Wappen derer von der Rhön mit Recht. Und nicht nur dein Name, du selbst mußt aus dem Alltagsleben verschwinden, willst du ungefährdet sein.«

»So rede!« flehte Katharine, »zeige mir einen Weg, der zu der Abgeschiedenheit führt, die allein mir Heil bringen kann!« – Wallrade schwieg hartnäckig und erst nachdem Katharine alle Bitten der Freundschaft an sie verschwendet hatte, begann sie ernst und gemessen: »Gerne würde ich dir eine Zuflucht in meinem Hause anbieten, allein mein Gut wirft kaum meinen Unterhalt ab, und die zahlreiche Nachbarschaft, die in meinem Hofe aus- und eingeht, könnte dir gefährlich werden. Ich möchte meine Freundschaft nicht gern mit Bann und Interdict belohnt sehen.«

»Was bleibt mir übrig?« weinte Katharine und rang die Hände. »Meine Eltern sind schon lange todt. Zu Bilger's Freunden darf ich nicht, soll nicht das Gräßliche an's Tageslicht kommen, des Kaisers Hilfe hab' ich ausgeschlagen . . .«

»Mit Fug und Recht,« unterbrach sie Wallrade herrisch; »der Kaiser ist ein Meister in der Kunst, schwache Weiber zu bethören. Du weißt, auf welche Weise er meine unschuldige Freundschaft fast vergolten hätte. Welch ein Schicksal, als eine Buhlerin angesehen und in der Folge von dem wankelmüthigen Lüstling in's Elend gestoßen zu werden! Ich würde es vorziehen, den weißen Stab zur Hand zu nehmen und von der Mildthätigkeit meiner Nebenmenschen die Fristung meines Lebens zu heischen.«

»Das ist auch das Einzige, das mir beschert ist, guter Gott!« seufzte die arme Katharine. »Bilger war nicht reich. Das Wenige, das er vor seiner Flucht gewonnen hatte und zurückließ, wird bald zerronnen sein – und dann, wie Gott will! Die Freundin stößt mich von sich . . . was darf ich von fremden Menschen hoffen?« – »Höre mich,« sprach Wallrade so gleißend als sie es vermochte, »zweifelst du denn an meinem herzlichen Bedauern? Wahr ist's: der Menschen Satzung spricht ein hart und grausam Urtheil über das Verbrechen, dessen Teilnehmerin du unleugbar gewesen, darum weiche dem Schwert irdischer Gerechtigkeit aus. Wohin könntest du aber vertrauensvoller fliehen, als unter den Schirm Gottes, der die ewige Barmherzigkeit ist, und den Tod des Sünders nicht will? Vertraue, folge mir. Die Oberin des Stifts der weißen Frauen ist mir hold und würde auf meine Verwendung dich gerne unter die Zahl der Reuerinnen aufnehmen. Hinter jenen uralten Mauern bist du sicher. Todt ist dort jedes außerhalb begangene Vergehen; Buße und Versöhnung wohnen in dem Schoße jener ehrwürdigen Schwesterschaft. Durch Arbeiten und Gebet wirst du die verlorene Zufriedenheit wieder gewinnen, den sündlichen Namen, den du trägst, vertauschen mit einem neuen, gottgefälligen und die Krone der ewigen Seligkeit erringen!« – Katharine, bleich wie ein Marmorbild, starrte Wallraden unbeweglich an. Die Augen waren ohne Thränen, obschon ein bitterer Schmerz aus ihnen leuchtete. Lange konnte sie kein Wort der Erwiderung finden. Endlich öffnete sie den blassen Mund. »Wallrade!« klagte die Gequälte, »du forderst mich auf, lebendig in's Grab zu steigen? O, wie oft hörte ich, daß hinter Klostermauern der Friede nicht wohnt! Dort soll ich des Lebens Blüthe verwelken sehen? Ich bin ja noch so jung, Wallrade, ich habe kaum die Welt geschaut und soll sie schon vergessen in dumpfiger Zelle?«

»Wie's Euch beliebt,« antwortete Wallrade kalt; »mein Rath war redlich, Katharine; daß Ihr ihn nicht befolgt, möchte Euch zu spät gereuen. Mich kümmert zwar Euer Los nicht im mindesten. Wollet mir jedoch die Liebe thun, mein Haus stracks zu meiden. Ich lebe nicht gern mit Fluch und Bann unter einem Dache.«

Die grausame Rede schüttelte Katharinens schwaches Widerstreben zu Staub. Ein Strom von Thränen preßte sich unter den Wimpern der Leidenden hervor, die wie verzweifelnd sich zu Wallradens Füßen warf. »O Wallrade!« jammerte sie, »hat jemals dein Mund wahr gesprochen, als er mich Freundin nannte, – so jage mich nicht von dannen, wie den gehetzten Hirsch! Hast du nicht Mitleid mit mir – weil ich eine große Sünderin bin – so habe doch Erbarmen mit meinem unschuldigen Würmlein. Weise uns nicht hinaus in das wilde feindliche Treiben, das uns verschlingen würde! Ich habe nie gelernt, allein zu wandeln die Bahn des Lebens . . . wie soll ich es jetzt beginnen, da mir alle Stützen brachen?«

»Du fühlst es also,« – zürnte Wallrade, – »du fühlst es, daß der Strudel der Welt dich hinabziehen würde, und zögerst noch, in den sicheren Hafen zu schiffen? Thörichte, in Sünde und eitle Sinnenlust Verstrickte! Ich sollte dich vergehen lassen im Verderben . . . aber noch einmal wendet sich dir mein Herz zu. Gelobe, ehe es zu spät wird, meinem Willen zu gehorsamen. Rette dich zu den weißen Frauen. Streng ist ihre Regel, aber herrlich und süß die Zukunft, die sie durch dieselbe erkaufen. Nicht deine Strafe allein wendest du vom schuldbewußten Haupte ab . . . auch deines verbrecherischen Buhlen Pein kannst du mildern, ihm ein sanfteres Loos in jener Welt erwirken! . . .«

»O, welch einen Gedanken fachst du in meinem Gehirn an!« versetzte Katharine, erhoben durch die Vorspiegelung der Falschen. »Wenn mich eine Ursache bestimmt – ein Verlangen, so ist es der Wunsch, ihm, der mich elend machte, durch Wohlthat und Liebe zu vergelten! Ja, ja! ich folge dir – unbedingt – sein Seelenheil zu retten! – Aber . . .« fügte sie erschüttert und schmerzlich hinzu, »was wird aus meinem Kinde?«

»Deine Demuth, deinen Gehorsam belohnt der Herr auf der Stelle!« sprach Wallrade prunkend. »Deine Tochter sei die Meine. Nie werde ich mich vermählen und in deinem Kinde die Mutterfreuden kennen lernen, die ich nicht durch die Umarmung eines Mannes erkaufen möchte. Von Zeit zu Zeit bringe ich dir das Mägdlein in deine Abgeschiedenheit, um es zu küssen und zu sehen, wie mild und gut ich's mit dir meine.«

Mit der Wonne höchster Dankbarkeit umschlang Katharine Wallraden. »Du bist eine Heilige!« – jubelte die arme Mutter. »Noch vor wenig Augenblicken sah ich eine Feindin in dir und nun zwingst du mich, als meine größte Wohlthäterin dich zu verehren!«

Wallrade, welcher der herzzerreißende Auftritt, trotz der Siegesfreude, die ihr daraus erwuchs, zu lange dauerte, beeilte sich, ihm rasch und durchgreifend ein Ende zu machen. Sie versicherte unter den kräftigsten Betheuerungen der Aermsten ihre unwandelbare Zuneigung und versprach ihr zum folgenden Tag die Einführung in das Kloster der weißen Frauen, woselbst unter ihrer Vermittlung die Aufnahme vorbereitet werden sollte. Hierauf redete sie ihr zu, das Lager zu suchen, um durch Ruhe den Sturm ihres Gemüths zu beschwichtigen und überließ sich nach Katharinens Entfernung einem tiefen Nachdenken, dessen Ergebnisse am nächsten Morgen sich offenbaren sollten.


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