Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

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Einundzwanzigstes Capitel.

Der heilige Ostertag hatte sich einen schönen Schmuck von Sonnenschein und Wärme angelegt, allein an dem Abend desselben war glänzendere Helle, wenn gleich nur von Kerzenlicht, und eine viel angenehmere Wärme in den Stuben des adeligen Gesellenhauses Limpurg zu finden. Die Gemächer waren geschmückt wie zu einer Hochzeit. Bunte Vorhänge waren an den Fenstern ausgemacht, allenthalben vielarmige Wand- und Deckenleuchter angebracht und der Fußboden entweder mit gewirkten Teppichen belegt, oder mit weiß und rothem Sand bestreut, den man in allerlei seltsamen Figuren aufgeschüttet hatte. Auch die Tafel, an welcher heute recht viele der edlen Gesellen, sammt ihren Frauen und Töchtern und Schwestern, das abendliche Ostermahl begehen wollten, war herrlich hergerichtet in dem Saale, welcher der Schauplatz der Schmäuse und Geschlechtertänze zu sein pflegte. Blendendweiße Tischtücher mit buntem Rande, die Ecken in zierliche Knoten geschlungen, bedeckten die Tafel, mit schimmerndem Geräth versehen, so wie der gegenüberstehende Credenztisch mit prächtigen Gefäßen besetzt war. Die Becher der Gäste waren schon bekränzt mit den zum Fest gehörigen Maaslieben oder Osterblümchen, und die mit bemalten Ostereiern voll angehäuften Zinnschüsseln standen hin und wieder auf Tisch und Schrein aufgepflanzt, um den hin- und herwandelnden Herren und Frauen als eine kleine Ergötzlichkeit des Gaumens zu dienen, bis das Zeichen zum Mahle gegeben sein würde. Der größere Theil der ungemein ansehnlichen Zahl von anwesenden Stubengenossen war im großen Vorgemache versammelt, um den mächtigen Ofen, dessen Flächen mit dem in Farben ausgeführten Wappen der Vaterstadt geschmückt waren, so wie die Wände umher mit der langen Reihe von Limpurgs Geschlechterwappen, mit den auf großen Pergamenttafeln geschriebenen Ordnungen der Trinkstube, dem bedeutenden Namensverzeichnis von Meistern und Gesellen und den Panieren der Gesellschaft.

Plaudernd unterhielten sich die Gäste von dem, was der Tag gerade gebracht hatte. Die jüngeren Anwesenden sprachen von Scherz und Liebe, zeigten sich gegenseitig die prachtvollen Ostereier, die sie empfangen, gesandt in zierlichen Körben, oder auf seidenen und duftenden Kissen, mit den niedlichsten Sprüchen bemalt. Der zärtliche Freier benutzte das Dämmerdunkel des Ofenschattens, um der Geliebten das Geschenk zu machen und einen süßen Blick dafür zu erhalten. Gespielinnen und Freunde bekränzten sich gegenseitig mit den Blumen, in welchen die Ostergeschenke gelegen und mancher zärtliche Reimspruch ging von Munde zu Munde. Währenddessen redeten die jungen Frauen von der Herrlichkeit der bevorstehenden Frühlingsfeste, die älteren von dem Barfüßer, der heute das wirksamste und ergötzlichste Ostergelächter erdacht, von der Deutschherrenkirche, in welcher das ansehnlichste Osterlicht zu schauen gewesen, von dem Bäcker, der die schmackhaftesten Fladen zum Feste geliefert. Unter den Männern ging hingegen vom Wechsel und Gewerbe die Sprache, von Gerichten, Fehden und dem Concilium. Trotz diesen ganz verschiedenen Redestoffen stand dennoch die Menge beisammen auf einem Knaul, als ob das Gespräch nur einen und denselben Gegenstand beträfe; zwei Herren allein hatten sich von der Versammlung abseits gezogen und besprachen sich eifrig in einer Ecke des Gemachs: der Schultheiß und der Oberstrichter. – »Ihr würdet mich zur ewigen Dankbarkeit verpflichten,« sagte der Letztere, das Gespräch zu Ende leitend, »wenn Ihr dem Jungen irgend einen Denkzettel anhängen wolltet. Ihr findet eher die Gelegenheit hiezu denn ich. Mir dürfte er schwerlich in's Gehege kommen.« – »Ich denke, mir ist er schon in's Gehege gerathen,« entgegnete der Schultheiß finster; »seid unbesorgt, ehrbarer Herr; was man sucht, findet sich wohl; ich bin vielleicht sogar bald im Stande, Euch über wichtigere Dinge Aufschluß zu geben, denn ich vermuthe nicht mit Ungrund, daß in jenem Hause gewisse Verhältnisse obwalten, die bis jetzt gut gethan haben, sich mit dem Schleier des Geheimnisses zu verhüllen.« – »Meint Ihr, gestrenger Herr?« fragte der Oberstrichter schnell, »das wäre Wasser auf meine Mühle und wenn die Dinge von der Art wären, mein Amt zu beschäftigen . . . um desto besser.« – »Ich verspreche noch nichts,« antwortete der Schultheiß einlenkend, »die Zeit wird lehren, wie ich mich zu verhalten haben werde.« – Der Andere bückte sich mit der Freundlichkeit, die willig vor dem Mächtigeren verstummt und ihre Neugier in den Zaum nimmt. Das Stubenmeisteramt, das der Schultheiß bekleidete, machte ihm die nächsten Anordnungen der Tafel zur Pflicht und als Alles besorgt war und er schon mit dem silbernen Stabe in das Gemach schreiten wollte, um der harrenden Gesellschaft das Zeichen zum Mahle zu geben, kam ihm der Altbürger Diether Frosch hastig entgegen und zog ihn in das Tafelzimmer zurück.

Der Schultheiß erröthete leicht, faßte sich jedoch bald wieder und sprach: »Willkommen, mein wack'rer Schöff! Sehnlichst haben wir Eurer gewartet. Und Eure Ehefrau . . . Ihr habt sie doch mit Euch gebracht, darf ich hoffen?« – »Mit nichten, Herr,« versetzte Diether, »doch zweierlei Botschaft bringe ich, die Frau Margarethen angeht und von der ich auch reden muß, ehe Ihr zu Tische sitzt. Ihr habt neulich eine Rose in meinem Hause zurückgelassen . . . ein feines Kleinod und viel zu kostbar für meine Wirthin, die es Euch durch mich zurückstellen läßt. Ferner habt Ihr die Güte gehabt, heute morgen Euern Buben in mein Haus zu senden, der ein blankes Körblein trug, mit diesem silbernen Granatapfel, angefüllt von wohlriechender Essenz und verziert mit einem Minnespruch. Der alte Diether, der früh das Lager verläßt, fand den Buben, der an Frau Margarethens Thüre harrte und nahm ihm das zarte Geschenk ab. Er bringt Euch nun Beides wieder: die Rose von Gold, den Apfel von Silber, mit der Bitte, seinen kleinen Hausstand mit solcher Freigebigkeit ferner nicht zu beschämen. Sein Haus war stets ein Wohnsitz der Zucht und Ehrbarkeit und wird und soll es ferner bleiben, wozu Gott helfe!«

Der Schultheiß nahm heftig die Kleinodien aus Diether's Hand und sagte halblaut zu dem Schöffen: »Ihr habt recht gut die Zeit gewählt, mich zu beleidigen, denn rings um uns wandeln Leute hin und her, die mit ihren Falkenblicken in Eurem zornigen Antlitz zu lesen verstehen. Ihr mögt indessen Eurem Ehegemahl berichten, daß nur Versehen und Irrthum diese Geschenke, für andere geschätzte Freundinnen bestimmt, in ihren Bereich gebracht und daß ich mich zu hoch dünke, an dem Honig zu naschen, in welchem ein altersschwacher Thor und ein lasterhafter Stiefsohn geschwelgt. – Seid übrigens versichert, guter Schöffe,« setzte er mit dem freundlichsten Lächeln hinzu, um die neugierigen Gaffer irre zu führen, – »daß ich Euch den heutigen Abend nach Kräften gedenken werde.« – Diese Worte, mit welchen der Ritter dem Altbürger den Rücken kehrte, demüthigten Margarethens Gatten um so empfindlicher, je stolzer er in dem Gefühle seines Rechts und des vom Schultheißen beabsichtigten Unrechts gewesen war. Dürr ausgesprochen, schonungslos herausgesagt, hatte er nur den Verdacht gehört, den er schon längst im stillen Herzen bewahrt, und von Empörung und Scham zugleich bedrängt, wollte er die Trinkstube verlassen, als der Schultheiß an der Spitze der paarweiß gehenden Gäste wieder eintrat und ihn so vertraulich unter dem Arme nahm, als wäre niemals etwas zwischen ihnen vorgefallen. – »Biederer und ehrsamer Freund,« sprach der gestrenge Herr mit lauter Stimme und freundlicher Geberde, daß alle Umstehenden seine Worte vernehmen mußten, »es ist schon lange her, seit Euer Unfall Euch hinderte, an unserm geselligen Mahle Theil zu nehmen. Da Ihr nun gewissermaßen heute auch das Fest der Auferstehung feiert, so beliebe es Euch, hier zwischen den Stühlen der Stubenmeister und an meiner Seite Platz zu nehmen. Wir haben oft zusammen gesessen im Rathe, zusammen gestritten im Felde; laßt uns nach geraumer Zeit wieder zusammen tafeln.«

Ehe noch Diether ein Wort des Widerstrebens zu finden vermochte, hatten ihn schon die übrigen Stubenmeister zu einem Sessel geführt und ihn mit freundschaftlicher Gewalt genöthigt, sich darauf niederzulassen. Die übrigen Tafelgenossen reihten sich nach Rang und Würden um den Tisch und hinter den Stühlen der Frauen und Töchter sammelten sich die jungen Männer, die entweder zu spät gekommen waren, um einen Sitz zu finden, oder deren Lebhaftigkeit es vorzog, sich an keinen Ort binden zu lassen. Sie stellten sich entweder gleich wie Edelknechte bereit, auf den ersten Wink der Dame auszurichten, was sie befohlen, oder sie kauerten und knieten nieder auf gepolsterten Schemeln, um ihren Bräuten, Liebchen oder Freundinnen kurzweilige Reden und zärtlich Geflüster in die Ohren zu wispern. Nach und nach sammelte sich jedoch der große Schwarm um das untere Ende der Tafel, wo ein junger Mann in seiner Kleidung das Wort führte und allerlei lustige Sprüche und Fündlein an die Reihe kommen ließ. Der fröhliche Erzähler war Dagobert, der erst vor Kurzem eingetreten und seinen Standpunkt hinter dem Lehnstuhle der Frau von Dürningen genommen, einer Adeligen aus der Gegend von Friedberg, die, nur Besuch, über das Fest nach Frankfurt gekommen war. Mit ihr, der freundlich und gemüthlich gestimmten Wittib in dem besten Alter, und mit ihrer Tochter, einem gar muntern und lieblichen Mägdlein von vierzehn Jahren, beschäftigte sich Dagobert vorzüglich, da, den trocknen Vetter der Dame ausgenommen, beinahe niemand der Anwesenden ein Wort an die Fremden richtete. Die Mutter wußte den Liebesdienst des ehrlichen Junkers zu schätzen und hörte seinem Gespräche gern zu; mit größerer Theilnahme jedoch die holde Regina, welche den hellen Blick kaum von des angenehmen Gesellschafters Lippen verwendete, lächelnd seinen Worten mit dem lauschenden Ohre folgte und züchtig erröthete, so oft seine Augen auf ihrem Antlitz verweilten. Der schelmische Jüngling schien es nicht zu bemerken und machte sich ein Vergnügen daraus, seine Scherze fast immer an das Mädchen selbst zu richten. »Vergönnt mir,« sprach er unter Anderm, »vergönnt mir, Euer Ritter zu sein, holde Jungfrau aus der Fremde! Nennt nur Eure Farbe, damit ich sie trage zum Zeichen, daß ich der Eurige bin.« – »Unsers Wappens Farbe ist blau und Silber und grün,« erwiderte das Mädchen unbefangen, »ich selbst jedoch habe noch keine Farbe, mit der ich Euch zieren könnte.« – »Das ist schlimm!« scherzte Dagobert. »So werdet Ihr mir mindestens erlauben, Euch dies Osterei zu überreichen, mit dem Spruch, den ich mir dabei denke?« – »Und dieser ist?« fragte Regina neugierig. – »Er lautet ganz einfach,« versetzte Dagobert, »ich wünsche, Liebchen, froh und frei, mich dir, dich mir zum Osterei.« – »Ei wie schön!« rief Regina, »von einer strahlenden Röthe übergossen; die Mutter streichelte ihr aber die glühende Stirn und das goldene gescheitelte Haar und sagte mit scherzhaftem Vorwurf: »Nicht doch, junger Herr! Euer höfelndes Gerede macht die Dirne eitel.« – »Warum sollte sie auch nicht eitel sein?« fragte Dagobert lustig entgegen, »hat sie doch schon in der Taufe das Recht erhalten, eitel und stolz herabzusehen auf uns Uebrige? Was bedeutet denn Regina anders als eine Königin? Und wenn diese kleine Königin bestimmt ist, Hunderte zu beherrschen durch die Macht ihrer Holdseligkeit . . . warum nicht auch mein Herz, eines der empfänglichsten?«

»Diese glatten Reden voll Muthwillen passen wenig zu dem geistlichen Stande, dem Ihr bestimmt seid, junger Herr!« warf der Vetter der Frau von Dürningen, ein hagerer, aller Lust feindseliger Patricier vom steifsten Schrot und Korn ein. Diether's Sohn schaute ihn groß an und erwiderte: »Lieber Herr, das mache ich mit meinem Gewissen aus. Habt Ihr mir keinen Spruch entgegen zu schenken?« fuhr er fort, sich lächelnd an Regina wendend. – »O ja,« entgegnete die Dirne geschwätzig, »hört nur zu, ob ich mich recht darauf besinne; ich, du, das Ei, das sind unser drei. Theilen wir das Ei, bleiben unser zwei.« – Das Mädchen schwieg, als ob der Spruch zu Ende sei. Dagobert lachte. »Man kann den überlästigsten Freier nicht besser abfertigen!« betheuerte er. »Ihr habt aber den Schluß des Reims vergessen, schöne Maid. Er schließt also: Einen wir uns zwei, bleibt's bei einerlei. Oder nicht?« – »Bleibt's bei einerlei!« wiederholte halb ernstlich, halb schalkhaft das Fräulein mit einer lustigen Verneigung und ein fröhlich Gelächter erscholl aus dem Munde der Umstehenden, während des Oberstrichters Sohn, der ausschweifende Jungherr Schweikard, der nach dem eiteln Ruhme geizte, überall der einzig gefeierte Lustigmacher zu sein, mit mißmuthiger Geberde dem Beifall entfloh, der einem Andern zu Theil wurde und seinem Vater einige Worte in's Ohr raunte. Dieser nickte beifällig und wandte sich heimlich flüsternd an den unfern sitzenden Schultheiß. Die Beiden wechselten viele und schnelle Worte, mit drohenden Blicken bald auf den, jetzt erst bemerkten Dagobert hinzielend, bald auf dessen Vater, der schon längst wie auf Kohlen neben dem Schultheiß saß, aber der Schicklichkeit halber, dem Bürgermeister, der auf der andern Seite sein Nachbar war und ihn in Fluten von Erzählungen längst vergessenen Begebenheiten vertiefte, zuhören mußte.

Dem Altbürger war es klar, daß der Schultheiß mit seiner überraschenden Freundlichkeit nur bezwecke, vor der Gesellschaft den Zwist zu verbergen, oder ihm eine noch empfindlichere Beleidigung zufügen zu können. Daher war es ihm sehr willkommen, als der Stubendiener ihn benachrichtigte, im Vorgemach harre ein Knecht, der ihm Wichtiges zu verkünden habe. Er stand schnell auf; indessen erschien aber auch bereits der Hausmeister und rief mit vollen Backen: »Ihr werdet Euch wundern, ehrsamer Herr Frosch. Das Unglück . . . mir selbst zittern alle Glieder!« – »Nun, was gibt's?« fragte der Schultheiß mit schadenfroher Ahnung, während der Bürgermeister den erschrockenen Diether wieder auf den Stuhl niederzog. – »Eure Tochter, das tugendbelobte Fräulein Wallrade« . . . – stammelte der Schwätzer ferner.

»Meine Tochter?« entgegnete Diether mit erlöschender Stimme. – »Sie ist in's Unglück gerathen, da sie eine Stunde feldwegs von Wiesbaden gekommen!« platzte der Hausmeister heraus; »die Herren vom Stegreif, welche dort und hier die Landstraßen unsicher machen, haben sie aufgefangen und Gott weiß, in welches ihrer Raubnester gebracht. Erst gestern wurden ihre Leute freigelassen und mit verbundenen Augen in der Nacht an einem Kreuzwege ausgesetzt, wenig Stunden von hier, unfern auch von dem Gebirge. Knecht und Zofe haben die erschreckliche Kunde mitgebracht, und Eure Hausfrau fordert Eure Heimkehr, Herr!« – »Gleich, gleich,« stotterte Diether halb außer sich, nach Mantel und Piret rufend, welches ihm der Stubendiener zögernd und faul herbeibrachte. Indessen ging die Nachricht schnell um die ganze Tafel und Dagobert sprang ebenfalls auf, um dem Vater zu folgen, der sich gerade der Thüre näherte, als der Schultheiß zu dem Bürgermeister laut genug sagte: »Wie könnt Ihr nur eine Frage verschwenden nach dem Thäter, wohlweiser Herr? Wie die Sachen in jenem Hause stehen, ist mir nicht fremd. Man muß wissen, daß die Stiefmutter und der eigene Bruder die arme Schwester stets verfolgten und daß der Ersteren leiblicher Bruder ein weitberüchtigter Buschklepper ist, der im Stadtbann wie im Kirchenbann liegt, um den ganzen Handel begreifen zu können.« – Diether horchte hoch auf; schleuderte dann einen vernichtenden Blick auf seinen Sohn und rannte ungestüm aus der Thüre. Dagobert, den Groll des Vaters übersehend, trat jedoch festen Schrittes auf den Schultheißen zu und sagte mit Gewicht: »Wie mögt Ihr nur, edler Herr, solch' unüberlegt Wort in offener Gesellschaft meinem Vater und mir zum Gehöre reden? Wie mögt Ihr meine Stiefmutter beschimpfen, die des Leuenbergers sittenlosen, übeln Wandel nicht theilt, sondern stets ein Muster von Rechtschaffenheit für die ganze Stadt gewesen?«

Der Ritter maß den Jüngling, auf den sich alle Blicke richteten, vom Kopf bis zu den Füßen und verzog höhnisch den Mund. »Wenn ich auch sehr gut begreife,« sprach er, »wie es kommt, daß hier der Stiefsohn für die Stiefmutter so heftig Partei nimmt, so möchte ich das Recht wohl kennen, das Euch zusteht, mich zur Rede zu stellen? Ich muß Euch auffordern, vorlauter Mensch, zu schweigen, wenn ich nicht reden soll.« – »Frei heraus,« entgegnete Dagobert, in welchem die vom Schultheiß gegen Esther beabsichtigte Unbill die Flamme schürte. »Frei heraus! Ich habe schon gesehen, daß Ihr scheel auf mich schaut. Vielleicht erfahre ich jetzt, warum. Doch rathe ich Euch, jede Schmähung gegen Vater oder Mutter unterwegs zu lassen, soll ich nicht vergessen . . .« – »Ihr habt Euch schon vergessen,« brauste der Schultheiß auf; »doch soll man nicht sagen, als wollte ich vergelten, was der Jugend Thorheit, oder der Trunk aus Euch spricht; als Ritter und Schultheiß vergebe ich Euch Eure rohe Unart. Aber als Stubenmeister dieser löblichen und reinadligen Gesellschaft habe ich ein Wort zu Euch zu sprechen, das früher schon gefallen wäre, hätte ich Euren Vater nicht schonen wollen. Warum, junger, unbesonnener Gesell, erfordern unsere Ordnungen acht Ahnenschilder zur Aufnahme in die Genossenschaft? Damit nur reinadelige Gesinnung in diesem Kreise herrsche. Wer gegen Sitte, Zucht und Biederkeit handelt, wer schlechter Gesellschaft pflegt, zum Abschaum des Pöbels herniedersteigt und mit Roheit den Adel und die Würde schmäht, wird aus diesem Hause gewiesen und also thue ich Euch.« – »Mir?« fuhr Dagobert auf und rings ward es stumm. – »Euch!« wiederholte der Schultheiß. »Wer mit Juden, Mördern und Dieben verkehrt, sie gegen die öffentliche Gewalt in Schutz nimmt, den Richter in seinem Amte lästert und bedroht, wer sich nicht schämt, an den unehrlichen Stöcker auf offener Gasse Hand zu legen, um das Gesindel zu befreien . . . der stehe nicht mehr unter uns. Dort ist die Thüre. Geht!«

»Um aller Heiligen willen! was ist vorgefallen?« fragten die meisten aus der Versammlung und zur Antwort flog die Erzählung des Vorfalls gestrigen Tages, entstellt und gehässig gemacht, rings umher, von dem Oberstrichter, seinem Sohne und des Schultheißen Neffen verbreitet. Die Dagobert Zunächststehenden wichen um mehrere Schritte zurück, denn der Angeklagte hatte ja mit Juden zu thun gehabt und den Nachrichter berührt. Die Frauen, die am längsten für ihn Theilnahme gehegt, rümpften, da sie von der Judendirne hörten, höhnisch die Nase. Die Frau von Dürningen mit ihrer Tochter sah scheu und befangen, obwohl nicht zürnend nach dem Jüngling. So sehr indessen mehrere auf des Schultheißen rücksichtslose Schmachrede einen heftigen Ausbruch von Dagobert's Wuth befürchteten oder wünschten, so sehr hatten sich diese geirrt. Die letzten Worte des Stubenmeisters hatten eine himmlische Ruhe über das Antlitz des Beleidigten verbreitet. – »Ich dachte bis jetzo unter gefühlvollen Menschen zu stehen,« erwiderte er, sich ernst umschauend; »doch habe ich mich geirrt. Es ist wohl keiner unter all' diesen edlen Herren, der nicht sein Geld verschwendete, um einem lahmen Pferde wieder auf die Beine zu helfen, keine unter all' diesen edlen Frauen, die nicht ihr Herz zerrissen fühlte, sähe sie ihren Schoßhund in Gefahr. Doch sprechen sie über mich das Urtheil, weil ich mit dem erbarmenswertesten Menschen Mitleid fühlte; weil ich eine Grausamkeit abwehrte, die nur in dem traurigsten Verfolgungsgeiste, nicht im Richteramte ihren Grund findet. In Gottes Namen denn, ich wußte nicht, daß Juden weniger als Hunde und Gäule sind und diese Lehre ist der Verweisung aus diesem Hause wohl werth. Ich gehe mit Freuden und ohne Groll, denn ich erzähle nicht einmal den ehrsamen Anwesenden, was zwischen dem gestrengen Herrn Schultheiß und dem schlechten Judenarzt Joseph abgeredet worden ist.« – Mit einem mitleidenden Blicke streifte er noch einmal alle Umstehenden, besonders den höhnisch lächelnden Oberstrichter und den verlegenen Schultheiß, gürtete langsam seinen Stoßdegen um, band das Piret unterm Kinn fest und verließ ohne irgend ein Zeichen des Lebewohls das Tafelzimmer. Sein Scheiden war das Zeichen zu offenem Zwiste in der Gesellschaft. Manche, mit dem Geschlechte der Frösche theils befreundet, theils verschwägert, erkühnten sich, dem Stubenmeister Vorwürfe über sein hartes Benehmen gegen den Sohn eines angesehenen Altbürgers und Schöffen zu machen. Ohne Dagoberts Schuld an dem Vorfalle in der Judengasse vertheidigen zu wollen, sprachen sie von dem zahlreichen Anhange Diether's, der sich in seinem Sohne schwer beleidigt sehen würde, von der Rache, die wohl auf eine oder die andere Weise nachfolgen dürfte. Die Widersacher verlachten jede Drohung und gedachten des Ausgewiesenen und seines Vaters mit den ehrenrührigsten Beinamen. »Sie mögen versuchen, wie weit ihre Ohnmacht reicht,« rief der Schultheiß, »ich habe meine Pflicht gethan und werde als Stubenmeister wie als Schultheiß mein Recht behaupten.« – »Für rebellische Bürger gibt es noch Thürme!« drohte der Oberstrichter. – »Was ist hier auch viel zu scheuen?« lachte des Schultheißen Neffe, »Dagobert's Wandel auf dem Concil ist stadtbekannt, sein Leumund nicht ehrenvoll.« – »Der verruchte Mensch will nicht einmal der Mutter Gelübde erfüllen und Pfaffe werden!« klagte der Vetter der Frau von Dürningen mit heuchlerischer Miene. – »Wohl uns, wenn der liederliche Pickelhering sich nicht mehr in adliger Gesellschaft zeigen darf,« schrie des Oberstrichters Sohn und der Schultheiß fügte, wie mit prophetischer Zuversicht, hinzu: »Es dürften vielleicht bald ganz andere Dinge von dem Hause der Frösche zur Sprache kommen!« – Die dem geschmähten Geschlechte Anhangenden brachen schmollend und zürnend auf; die Freuden des Festes waren gestört und aus der fröhlichen Ostertafel eine gallige Gasterei geworden, an welcher Feindseligkeit und Haß ihr Panier aufsteckten.

Verachtung gegen seine Feinde, aber auch ein ruhiges Bewußtsein im Herzen, hatte Dagobert sein väterliches Haus wieder gefunden. Vollbrecht öffnete ihm die Thüre. »Wo ist mein Vater?« fragte er den Knecht. – »Der gestrenge Herr hat sich durch den Peter zum Stadthauptmann leuchten lassen, um ihm die Anzeige von dem Raube zu machen.« – »Gut,« versetzte Dagobert, »die zurückgekommenen Leute meiner Schwester?« – »Sie schlafen schon in wohlverriegelten Stuben,« berichtete Vollbrecht, »denn die ehrsame Frau meinte, sie könnten wohl selbst allenfalls das arme Fräulein getödtet, oder an einen Räuber verkauft haben.« – »Möglich wär' es allerdings,« erwiderte Dagobert, »ich will morgen die Leute sprechen. Gieb mir die Kerze und warte indessen auf den Vater.« –

Dem ihm angethanen Bubenstück nachsinnend, stieg Dagobert die Treppe empor und kam eben an Frau Margarethens Gemach vorüber, als dessen Thüre sich leise öffnete und der Altbürgerin Stimme ein leises: »Junker Dagobert! seid Ihr's?« vernehmen ließ. – »Ja freilich, ehrsame Frau,« antwortete der junge Mann, »behüt' Euch Gott und segne Euern Schlaf.« – »O bleibt,« flüsterte Margarethe, mit der weißen Hand aus dem Halbdunkel hervorwinkend, »laßt mich den Augenblick benutzen und tretet bei mir ein!« – Dagobert stutzte und Margarethens frühere unverhohlene Leidenschaft für ihn und auch zugleich etwas von des ägyptischen Josephs Geschichte fiel ihm ein. Er zögerte. – »Um der göttlichen Barmherzigkeit willen!« seufzte die Stiefmutter dringend, »einen Augenblick nur hört mich an. Fürchtet nichts, mein lieber Sohn!« – Die Bitte klang so rührend, daß Dagobert ferner kein Bedenken trug, einzutreten in das warme trauliche Gemach, in welchem, beim Schimmer einer Lampe, die schöne Margarethe in tiefem Nachtgewande ihn empfing. Sein Herz pochte, seine Hand zitterte in der ihrigen, doch fühlte er eine Art von Beruhigung, da er in ein Antlitz voll Kummer und Gram, in thränenvolle Augen sah. –..Was begehrt Ihr?« fragte er sanft und mitleidig die weinende Frau. – »Ich bin grenzenlos unglücklich!« brach Margarethe unter bittern Thränen aus und sank auf einen Stuhl. »Ich bin ein armes Weib, nicht fehlerfrei, aber so entsetzlich sollt' ich doch nicht für meine unschweren Vergehen büßen!« – »Der Gedanke und der Wunsch nach einem Fehltritt macht ihn oft zur Folter, als sei er schon vollbracht,« meinte Dagobert, doch bereute er schnell den Stachel seines Wortes und setzte hinzu: »Redet und gebe Gott, daß ich helfen könne.« – »Mein Herr, Euer Vater war hier,« sprach Margarethe in kurzen Absätzen. »Er hat unmenschlich gegen mich gewüthet. Argwohn und Grimm theilen sich in seine Seele. Unbezweifelt scheint es ihm, daß mein Bruder Wallraden aufgefangen und daß ich die Anstifterin des Frevels gewesen. Ich kann bei dem ewigen Gott beschwören, daß ich unschuldig bin, aber Herr Diether glaubt meinen Schwüren nicht. Auch Euch verwickelt der Argwohn in seinen Verdacht. Er glaubt ein Verständnis zwischen uns Beiden wahrzunehmen.« – »Ein schönes Vertrauen in Gattin und Sohn!« erwiderte Dagobert aufwallend. »Uns traut er einen Bund von dieser Schändlichkeit zu? Wir sollten unsere Verwandte an Räuber verkauft, wohl gar aus dem Wege geräumt haben? Der Vater hat sich sehr geändert. Wer nicht glauben will, muß die Ueberzeugung in der Hand sehen. Um Euern Ruf und den meinigen zu retten, setze ich mich morgen zu Pferde und reite in der Welt herum, bis ich die Spur des Unkrauts gefunden.« – »Ihr seid ein wack'rer edler Mensch!« sagte Margarethe mit auflebender Hoffnung, seine Hand in ihre gefalteten nehmend. »Seid Ihr mein Hort, wenn mich die ganze Welt verläßt . . . dann fürchte ich nichts. Guter Dagobert,« fuhr sie mit dem Ausdruck beschämter Dankbarkeit fort, »leider kann ich noch nicht so offen gegen Euch sein, als ich es sollte, denn Ihr seid unfähig, mich zu verrathen und unglücklicher zu machen, als ich schon bin. Indessen, kehrt Ihr zurück, so sollt Ihr mehr erfahren, von dem Ihr Euch nichts träumen laßt; und dann beklagt mich vollends und flucht mir nicht.« – »Ich verstehe Euch nicht,« entgegnete Dagobert unbefangen, »ich hoffe auch nicht, jemals aus Eurem Munde etwas Fluchwerthes zu erfahren, aber bei dieser Gelegenheit entsinne ich mich plötzlich eines Auftrags, den ich von guter Hand erhalten, und dessen ich mich gegen Euch entledigen muß, bevor ich ausreite, lieb' Schwesterlein zu suchen. Der arme Jude Ben David, der unter der Anklage unerhörter Verbrechen im Kerker jammert mit seinem hundertjährigen Vater, läßt Euch dringend um Hilfe anflehen.«

Margarethe erblaßte. – »Es sei die höchste Zeit, läßt er Euch vermelden,« fuhr Dagobert fort, »die Folter sei ihm schon angedroht und er würde sie am Ende nicht aufhalten können. Ihr möchtet also, da er von Euch allein Hilfe erwarten könne, damit nicht säumen und seiner Ergebenheit gewiß sein.« – »Nicht säumen,« wiederholte Margarethe langsam und erschöpft, »dieses setzt meinem Elend die Krone auf. Wie soll ich ihn, wie mich retten?« setzte sie händeringend und außer sich hinzu. – »Beruhigt Euch,« sprach Dagobert tröstend, »Euch rette ich von schmählichem Verdacht und einer Fürbitte ist der arme Jude wohl werth. Die Schöffen werden über den Elenden richten und ein gutes Wort an den Vater ist wohl nur mit dem Ansuchen gemeint. Schlägt's der Vater ab, so habt Ihr Menschenpflicht gethan und könnt ruhig sein.« – »Ruhig?« rief Margarethe wie in Verzweiflung, »ich muß den Juden retten . . . oder ich bin verloren! Dagobert, edler Mensch! den ich leidenschaftlich liebte, den ich noch verehre wie einen Heiligen! nimm dich meiner an. Es streitet wider dein eigenes Recht, aber . . . rette den Juden, rette mich! Das Schicksal droht mein Verhängnis mit Füßen zu treten, wie das des Kindes, das in jener Kammer schläft.« – »Johann's?« fragte Dagobert bestürzt. – »O,« schluchzte Margarethe, »Euch allein und dem Himmel befehle ich mein und des Knaben Los! O, dieser Knabe . . . er hat keinen Vater . . . Dagobert! nehmt Euch seiner an! Werdet Ihr des Knaben Vater!«

Dagobert trat erschrocken zurück, als die Frau ihm zu Füßen sank und wie vernichtet die Hände vor das Gesicht schlug, da Diether heimkehrend plötzlich in das Zimmer trat. Entsetzt blieb der Greis am Eingang stehen und Dagobert eilte, nachdem er die Stiefmutter aufgehoben und in den Sessel gebracht, auf ihn zu: »Liebster Vater!« rief er, ohne in seiner Seele nur eine Ahnung von dem bösen Schein zu haben, den dieses späte und seltsame Beisammensein auf ihn und Margarethen warf, »Ihr kommt zu rechter Zeit. Nehmt die Mutter in Euern Schutz. Ihr Verstand leidet unter dem Argwohn, den Ihr auf sie geworfen. Mich schmerzt es, daß Ihr auch mir mißtraut. Doch, Euch zu überführen, verlaß' ich morgen mit dem Frühesten die Stadt, um Wallraden aufzusuchen, und ohne sie kehre ich nicht wieder. Vergönnt mir nur, ihren Knecht mit mir zu nehmen, denn sein bedarf ich, und versprecht mir, gegen den Schultheiß, der mich heut' auf das Gröblichste beleidigte, meine Sache zu führen bis zu meiner Heimkehr, damit der Ritter und sein Gelichter nicht glauben, daß ich aus Feigheit ihnen ausgewichen.«

Diether schwieg eine Weile, den finstern Blick zur Erde geheftet. Dann sprach er kurz: »Ich werde allezeit meines Hauses Ehre zu bewahren wissen. Mache, was du willst. Du thust aber Recht, wenn du nicht ferner weilst.« – Dagobert sah ihn groß an; um aber des Vaters Grimm nicht zu reizen, ging er still davon. Diether starrte wild zum Himmel auf. »Die Gewißheit ist da, die ich erbeten!« grollte er dumpf in sich hinein; dann fügte er, zu der Frau gewendet, hinzu: »Beschämt stand ich vor meinem Sohne, nachdem ich Eure Worte gehört. Es kann also ferner nicht zwischen uns bleiben, wie bisher. Ich hasse das Aufsehen und die Lästerungen, befehle Euch jedoch, Eure Stuben nicht zu verlassen, und weder mit noch ohne den Knaben einen Versuch zu machen, bis zu mir zu dringen. Ich will Euch ferner nicht mehr sehen und in Stille und Ruhe überlegen, wie ich, ohne Euch vor der Welt zu Schanden zu machen, noch mich herabzuwürdigen, Euer Geschick bestimmen möge.« – Dies sagend kehrte er der in Schmerz und Angst aufgelösten Gattin den Rücken und verschloß sich in seinem Gemache.


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