Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

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Einunddreißigstes Capitel.

Das zweifelhafteste und unschlüssigste Herz, das jemals geschlagen, schlug in des Altbürgers Diether Brust. Die Eröffnungen, welchen er auf dem Rathhause beigewohnt, hatten das Gebäude seines Argwohns erschüttert, aber es nicht gänzlich niederzuwerfen vermocht. Daß nicht Margarethe, daß nicht Dagobert den Mord gegen ihn gedungen, daß weder Sohn noch Gattin die geliebte Wallrade geraubt, daß der kleine Hans wirklich sein, bei Willhild verpflegter Johannes sei, das war ihm völlig klar geworden; die Bilder seiner Hausfrau, seines wackeren Dagobert's, trüb und düster umflort bisher in dem Hintergrunde verweilend, näherten sich ihm, heller, glänzender, wie Sterne, die das dunkle Gewölk durchbrechen, aber noch immer zweifelte er an ihrer völligen Reinheit; noch immer fand er es möglich, daß ein verbrecherischer Bund zwischen Beiden bestanden, daß Johannes die Frucht desselben gewesen. Und dennoch – so wankelmüthig, so ungleich in seinem Wollen ist der Mensch – dennoch umklammerte er jetzt mit aller Liebe den Knaben. In ihm sah er jetzt die letzte Stütze seines Alters und seines Hauses; im nächsten Augenblicke fürchtete er den Bastard in ihm zu erkennen. Aber trotz diesen Zweifeln, trotz diesem Treiben zwischen Vaterliebe und der Angst eines Getäuschten, hätschelte und pflegte er den Knaben, da er der Einzige zurückgebliebene, der Letzte seiner Lieben war. Margarethens Flucht senkte einen nimmer ruhenden Stachel in seine Brust. Wo war sie hingeflohen? Durfte er jemals hoffen, sie wiederzusehen? Sollte er bereuen, was er gegen sie gethan? Sollte er sich beruhigen mit dem Gedanken, daß er ihr gethan, wie sie verdient? Aehnliche Zweifel bestürmten ihn, gedachte er Dagoberts, dessen Heimkehr nach der geschehenen Ladung des heimlichen Gerichts sich nicht erwarten ließ, da bei dem Namen schon der beschlossenen Acht der Gerechte wie der Schuldbewußte scheu entwich, wo er nur entweichen konnte. Und Wallrade endlich? War sie nicht die Beute eines Räubers, vielleicht das Opfer des Mords geworden? Und, kam sie jemals auch in's Vaterhaus zurück – mit welcher Stirne sollte er sie empfangen? Mußte er sie nicht, wie sie sich einst von seinem Hause losgesagt – lossagen von ihr, die ihm den Sohn geraubt, die den Unfrieden verschwenderisch in seinen Garten gesäet hatte, während sie doch selbst auf der Bahn der Schuld geschritten war, wie nur zu deutlich das Töchterlein bewies, mit welchem die furchtsame Magd entkommen war. Die Zofe hatte auf alle Fragen, die Diether an sie gerichtet, mit der größten Seelenangst geantwortet, und dadurch den Verdacht einer Mitwissenschaft an der geheimen Verbindung Wallradens auf sich geladen, die sie endlich nicht mehr leugnen konnte. Den Namen des Mannes, der Wallradens Gatte geworden war, hatte sie genannt; einen Namen, den Diether vorher nie gehört. Den Ursprung jener Liebe, die Begebenheiten bis zur ehelichen Verbindung des Paares hatte sie ziemlich genau angegeben. Ein Wetterstrahl hatte eine Scheuer auf Wallradens Gute entzündet und die Feuergefahr den Hütten der Knechte, wie dem Wohnhause gedroht. Die Nothglocke auf dem Thürmchen des einsam gelegenen Meierhofs hatte die fern wohnenden Nachbarn herbeigelockt, und Einer der fernsten, gerade zu jener Zeit im anstoßenden Forste auf seinen Wildgängen verweilend, war mit den Uebrigen herbeigekommen und hatte durch seine entschlossene Besonnenheit das Allermeiste zur Rettung von Wallradens Habe beigetragen. Diese Hilfeleistung hatte dem Junker von der Rhön, einem nicht reichen, aber altadeligen schönen Manne, gewisse Rechte auf des Fräuleins Dankbarkeit gegeben. Liebe ward daraus und ein Feind dieser Liebe entstand: des Junkers Vater, der Wallradens minder adeligen Stamm verachtete, und, einer Zusage zu Folge, seines seligen Waffenbruders verwaiste Tochter zur Gattin für seinen Sohn erzog. Hingegen fand sich auch ein helfender Freund, ein deutscher Herr, der im nächsten Städtchen in Angelegenheiten seines Ordens verkehrte und täglich auf Baldergrün zur Einkehr war. Er war es, der eines Abends einen Mönch zum Meierhof brachte, der das Paar, väterlichem Verbote zum Trotz, einsegnete, zu einer Ehe, aus welcher ein Kind entsprang.

Bis hieher hatte der Altbürger durch unablässiges, geschicktes Forschen die Magd in ihren Geständnissen gebracht. Es schien, nach ihrer Verwirrung und ihrer Angst, die sie oft zu Thränen zwang, noch manches Geheime an's Licht des Tages treten zu wollen – da unterbrach des Schultheißen Willkür und der Dirne leicht verzeihliche Flucht die Reihe ihrer Bekenntnisse, und Diether fand darin nur die einzige untrügerische Gewißheit, daß Wallrade seiner ausgezeichneten Liebe nicht würdig gewesen. Zwar fand das Fräulein einen kräftigen Vertheidiger an dem Prälaten, welchen die unabänderlich erfolgte Absetzung und Verweisung aus seinem Stifte zu Cesena wieder zum Stammhause getrieben hatte, als einen Obdach suchenden Gast. Allein, so innig Diether auch den gelehrten Bruder geliebt hatte, so konnten dennoch seine Reden nicht mehr den Eindruck machen, wie vor längerer Zeit, denn Diether erkannte den Geist der Heuchelei, des demüthelnden Stolzes, der in dem Prälaten regierte, und der Vaterlandsliebe des Altbürgers galten die Worte des Bruders schon deshalb gering, weil dieser Letztere deutsche Sitte nicht aufhörte zu schmähen, und dagegen Wälschlands Vorzüge zu preisen, ob er gleich jetzo, aus seiner zweiten Heimat gestoßen, unter einem deutschen Dache sein Haupt niederlegen mußte, aus deutscher, ehrlich erworbener Habe seiner Bedürfnisse Gewährung schöpfte, und von all' seiner wälschen Herrlichkeit nur das zweideutigste Kleinod, Fiorilla, behalten hatte. Es fiel dem zu Argwohn und Verdacht gereizten Diether nicht schwer, das wahre Verhältnis zwischen dem Prälaten und seiner Freundin zu ergründen; theils jedoch benahm das, von Gebrechen aller Art belastete Alter des Monsignore dieser Verbindung das öffentliche Aergernis, theils schloß sich Fiorilla mit wahrer inniger Liebe an den kleinen Knaben Hans, der ohne alle weibliche Pflege geblieben war, weil Diether, bei der ersten Kunde von Margarethens Flucht, im Aufwallen seines Zornes die, jede Mitwissenschaft leugnende Else aus dem Dienste gejagt hatte. Der arme Kleine fand in Fiorilla's Sorgfalt Elsens Pflege in doppeltem Maße wieder – und Diether – sah er die Liebe der Pflegerin zu dem Knaben – bedauerte nur, daß ihm der Zufall Wallradens holdes Töchterlein geraubt und ihm kein Mittel zu Gebote stehe, etwas Gewisses von dem Schicksale der kleinen hübschen Agnes zu erfahren. Ueber das Geschick ihrer sogenannten Mutter kam er dafür binnen einigen Tagen in's Klare.

Eine Mönchsgestalt, vom Fieber geschüttelt und von Blässe entstellt, trat eines Morgens – der zweite nach jenem Verhöre auf dem Römer – auf einen Stab gestützt vor den Altbürger. Dem Leidenden eine milde Gabe zu reichen, war Diether's erster Gedanke – aber wie erstaunte er, da der Mönch nicht allein jede Gabe verschmähte, sondern ihn selbst mit einer unerwarteten Kunde beschenkte: mit der Botschaft von Wallradens Aufenthalt, von ihrer vereitelten Flucht, von ihrer Rückkehr in die traurige Haft – von der Gefahr, in welcher sie schwebe, von ihrem einzig auf den Vater gesetzten Vertrauen. – Diether – obwohl in Zorn glühend ob Wallradens Vergehen, fühlte doch sein Vaterherz beben bei dem Berichte ihrer Leiden. Allein, so schnell auch sein Entschluß gefaßt war, Alles aufzubieten, um sein Kind zu retten, so schnell gesellte sich diesem Vornehmen auch der Verdacht bei. Mißtrauisch maß er den Mönch von Kopf bis zu Fuß, verwickelte er ihn in verfängliche Fragen und ließ ihm nicht undeutlich merken, daß er versucht sei, ihn für ein Werkzeug jener Räuber zu halten, und die ganze Botschaft für eine Schlinge, welche seiner Habe – wo nicht gar seinem Leben – gelegt sei, wie jene Ladung zum Sprünglinsteine gewesen. – In dem matten Auge des Mönchs blitzte eine Flamme ritterlichen Unmuths auf. Doch bezwang er sich und erwiderte, so ruhig als die erregte innere Bewegung ihm verstattete, daß er sich willig als Bürge und Geißel darstelle für jedes von ihm gesprochene Wort, daß übrigens das heftige Fieber, das ihn auf einem unfern gelegenen Dorfe ergriffen und ihn abgehalten, am verwichenen Tage bereits in Frankfurt zu sein, schon der beste Bürge für sein Verweilen in jeder beliebigen Haft sei und daß er fürchte, es werde – sollte ihm Hilfe und milde Sorgfalt noch ferner fehlen – mit seinem Leben bald zu Ende sein. Der eisige Frost, welcher des Gequälten Glieder durcheinanderschüttelte, machte Diether's natürliche Barmherzigkeit rege. Er ließ den todtkranken Mönch in das Kloster des Ordens bringen, zu welchem der Unglückliche, seiner Kutte nach, zu gehören schien, und empfahl ihn der angelegentlichen Fürsorge des Paters Reinhold, Margarethens Beichtvater. Er selbst jedoch eilte auf den Römer, um die erhaltene Botschaft dem Rathe zu verkünden. Seine Feinde schüttelten ungläubig die Köpfe und behaupteten, der Schöff täusche Meister und Rath mit unhaltbaren Gerüchten und halte muthwilliger Weise die Stadt sammt ihrer bewaffneten Gewalt in Athem. Hätte er einen Andern als Räuber genannt – riefen sie – dann wäre ein Schein von Glaubwürdigkeit vorhanden; aber gerade diesen Bechtram von Vilbel zu nennen, diesen alten wackern Kämpen, der so lange der Stadt treu gedient, der sich in der letzten Frist nur, gewisser Ansprüche wegen, mit der Reichsstadt veruneinigt hat! Und diese Ansprüche, sind sie nicht geschlichtet? Hat nicht vor drei Tagen erst Bechtram Friede mit uns gemacht in Treu und Glauben und in Gegenwart der verehrlichsten Zeugen, der ritterlichen Herren vom deutschen Orden? Ein Märchen also der ganze Bericht, der Schöff entweder selbst getäuscht, oder im Begriffe uns zu täuschen, und die Klage ohne Grund! Diether's, wie des Mönchs Wahrhaftigkeit wurde jedoch um ein Gutes vergewissert, da der jüngste Bürgermeister voll Zorn in die Versammlung trat, den Wirth vom »Einhorn« auf seinen Fersen. »Gott verdamme doch alle Verräther und Meineidige!« begann er heftig, wie man es an ihm gewohnt war bei wichtigem Anlaß. »Vernehmt doch, Ihr lieben Herren und Freunde, welche Mär unser guter Bürger und Wirth zum »Einhorn« Euch zu bringen hat.«

Der Wirth erzählte also, daß schon seit manchem Jahre der Kaufdiener Conrad Schwarz, gemeinhin, seines Vaterlandes und seiner Mundart halber, das Schwäblein genannt, und zu Diensten des weltberühmten Hauses Ulrich, Arzt in Augsburg, stehend, auf seinen Meßzügen und Reisen in's Brabant sich in der Herberge zum »Einhorn« eingefunden habe und stets als ein ehrlicher Geselle und guter Zahler von dannen gefahren sei. Ein solches sei ebenfalls vor dreien Tagen geschehen, an dem Tage selbst, da Bechtram von Vilbel und des Raths Freunde und Abgesandte im Deutschherrenhause ihren Frieden gemacht. Nun habe aber er, der Wirth zum »Einhorn«, heute Morgen durch einen Landmann vom Maingehöft einen Zettel erhalten, den ein reisiger Knecht demselben zur Bestellung übergeben; einen Zettel, von dem Schwaben selbst geschrieben, worinnen er berichtet, der Herr von Vilbel habe ihn am bewußten Sühntage, im Heimreiten begriffen, von der Straße aufgefangen, nach Neufalkenstein geschleppt und ihn genöthigt, diesen Brief zu schreiben, damit der Wirth zum »Einhorn« zweihundert Mark Silbers als Lösegeld für den Gefangenen nach Neufalkenstein trage. Er, der Wirth, begehre nun zwar nicht, das Verlangte zu thun, sintemalen ihm bang geworden um sein Geld und seinen eigenen Leib; er habe jedoch nicht verfehlen wollen, den gestrengen Herren solches zu berichten, damit sie in ihrer Weisheit das Nöthige beschließen möchten, ob vielleicht der ehrliche Kaufdiener aus seiner Angst erlöset werden könnte. Diese Erzählung, unterstützt durch den vorgewiesenen Zettel, weckte den Unwillen der ganzen Versammlung, und Diether's Angabe fand nun unbedingten Glauben.

Der Schultheiß und Diether's Feinde, die auf Bechtram's Redlichkeit gepocht hatten, traten nun auf die Seite derjenigen, die seinen Treubruch schmähten und vollwichtige Rache für den auf dem Gebiete der Stadt verübten Frevel forderten und für den höhnenden Meineid, den der alte Buschklepper am Tage der Friedensstiftung selbst in frechem Muthe begangen. Die Furcht vor der Wuth des Raubritters und seiner Diebsgesellen in der Wetterau wich nun zurück, indem man die der freien Stadt widerfahrene Beleidigung fest in's Auge faßte, und eine Stimme nur war's, die aus jedem Munde die Befreiung der Bürgerin Frankfurts und des fremden Gastes forderte. Aber als die Mittel dazu zur Sprache kamen, da waren wieder die Zungen uneins geworden. Die Kühnsten riethen zu einem Auszug; die Vorsichtigeren verwarfen die offene Gewalt, die alle Genossen des Räubers gegen die von Streitern ziemlich entblößte Stadt anhetzen würde, und sprachen von List und besonnener Klugheit. Die Feigen schlugen vor, die Hilfe eines benachbarten Fürsten anzurufen; ein Vorschlag, der den Vaterlandsfreunden, welche jede fremde Einmischung in die Händel der Stadt haßten, vollkommen widerlich war, aber demungeachtet ein Streit entspann, welcher die Berathung der Versammelten in eine wilde Gährung verwandelte, aus welcher sich Diether, um mit seinem Gram und seinen Einwürfen allein zu sein, rettete.

Er suchte sein Haus auf, um Zerstreuung in der Gesellschaft seines Knaben zu finden. Wie vom Blitze gerührt stand er jedoch da, als ihm sein Knecht Eitel berichtete, Dagobert sei angelangt, als Vollbrecht, der Knecht des Junkherrn, ihm den Referenz machend, vorüber ging, und Dagobert selbst ihm auf der Stiege entgegen kam. – Des Vaters Verwirrung war grenzenlos und Schreck und Beschämung knickten seine Knie ein, daß er das Geländer der Stiege erfassen mußte, um nicht zurückzusinken. Dagobert reichte ihm schnell die helfende Hand, an welcher er den Vater zu seinem Schlafgemach geleitete. Schwer athmend ließ sich der Schöffe in den Sorgenstuhl nieder und erst nach einiger Zeit wagte er die Anrede: »Du hier, Dagobert? Und Wallrade? . .« – »Mein Bemühen war vergeblich,« entgegnete der Sohn bedauernd. »Dafür – hab' ich vernommen – habt Ihr selbst gelegenere Kunde erhalten, wozu ich Euch und mir von Herzen Glück wünsche, Herr Vater.« – »Dir?« fragte Diether mit spöttelnd ungläubiger Miene. – »Weiß es der Himmel, auch mir,« versetzte Dagobert. »Ich habe zwar nicht viel Ursach, Wallraden Gutes zu wünschen, aber mehr denn sie lieb' ich meinen guten Leumund und bin herzlich froh, daß endlich die Stadt erfahren wird – und auch Ihr beineben, Herr Vater, – daß ich Wallraden nicht hab' stehlen lassen.« – Diese Worte, obgleich weit von jeder Anmahnung an grollenden Spott gesprochen, trieben dem Alten die Röthe der Scham auf die Wange. »Das eig'ne Gewissen ist des Menschen fürnehmster Richter,« sprach er stockend, und Dagobert entgegnete gelassen: »Das ist's, Herr Diether. Mein Gewissen ist jedoch heil, wie ein frisches Auge, darum bin ich auch hier, wo der Teufel recht geschäftig gewesen ist, mich anzuschwärzen vor aller Welt. Ein bied'rer Mensch weicht dem Satan nicht aus, sondern nimmt ihn bei den Hörnern und wirft ihn aus dem Wege.« – »Du sprichst kühn!« meinte Diether, der ihm forschend in's Auge sah. – »Ich vertraue auf den Himmel,« antwortete Dagobert muthvoll, »darum fürchte ich auch nicht den Schultheiß, nicht den Oberstrichter, nicht des Prälaten, der hier in's Nest gezogen ist, Verleumdungen; auch die heilige Acht nicht, die mich einer Ladung vor ihren Stuhl gewürdigt hat.« – Diether's Wange sank von hoher Röthe in die Blässe des Todes herab. »Unglücklicher,« murmelte er, »du frevelst. Fürchte jenen Stuhl, vor welchem der Sünde die letzte Larve entfällt und die Wahrheit sich aufthut in finst'rer Nacht.«

»Ich scheue die Wahrheit nicht,« entgegnete Dagobert fest. »Ich wünsche sie, mein Vater. Wollte Gott, die unbekannten Herren ergründeten sie beim fröhlichen Sonnenlicht, aber auch um Mitternacht stehe ich ihrer Ladung und morgen soll der Frohne nicht umsonst meiner warten.« – »Du wolltest ernstlich . . .« – »Sollte ich mich verfehmen lassen, mein Vater, um unter dem Messer irgend einer Blindschleiche der Acht zu fallen, sonder Gehör und Verteidigung? Oder wäre das ernste Gericht im Grunde bloß ein Fastnachtsschwank, den man nur aufführt, sobald sich Zuschauer eingefunden haben, und unterläßt, sobald kein Mensch seine Ohren dazu leihen will? Ich halte mehr von dem finstern Richterstuhle und will ihm meine Referenz nicht versagen, damit ich vernehme, wessen man mich eigentlich beschuldigt hat, und mich rein waschen von der aufgelogenen Sünde.« – »Eine trotzige Zuversicht!« schaltete Diether warnend ein. – »O, daß Ihr sie nicht theilen mögt, Vater,« sagte hierauf der Jüngling und ergriff wehmüthig Diether's widerstrebende Hand, »o, daß Ihr der Erste seid, der den Stein auf mich geworfen, und der Letzte, der ein offenes Ohr für meine Schuldlosigkeit haben wird! Ich habe meiner Gedanken innerste Kammer durchsucht und nicht eine Spur von Gottlosigkeit darin gefunden. Und Ihr – der Gerechte – Ihr verdammt mich, während ich rein bin, wie ein hilfloses Kind! Doch habe ich gegen Euch keine Waffen. Im Gegentheile, ich wähle Euch zu meinem Beistande vor dem Stuhle zu Sachsenhausen und gewiß schlagt Ihr mir's nicht ab, mich dahin zu begleiten, wo die Wahrheit sich aufthut in finst'rer Nacht.«

Diether schrak sichtlich zusammen, und die Vorwürfe seines Gewissens pochten so heftig an sein Herz, daß er kaum eine ängstliche Weigerung hervorbringen konnte. Dagobert sah verdüstert vor sich hin, seufzte und sagte: »Ihr verstoßt mich ganz, mein Vater. So muß ich denn allein den dunkeln Weg machen. In Gottes Namen, aber mich betrübt's, daß Ihr mir verweigert, worum Wallrade an meiner Statt sicher nicht vergebens gebeten haben würde.« – »Nichts von Wallraden!« rief Diether unwillig. »Ich bin nicht ungerecht in der Liebe, die ich meinen Kindern schenke. Ich liebte Wallraden, da ich sie fleckenlos glaubte, aber nun . . . selbst gegen den ihr gehässigen Bruder vertheidige ich sie nicht.« – »Ich hasse ja Wallraden nicht,« sprach Dagobert ruhig, »doch ihrem Haß vermag ich nicht verschwenderische Liebe entgegen zu setzen und darf Euch mit dem heiligsten Eide versichern, daß diese Schwester, Eure Tochter, niemals würdig war, unsern Namen zu führen. Wollt Ihr Beweise . . .?« – »Schweig!« unterbrach ihn Diether heftig; »aus deinem Munde will ich nicht wieder hören, was ich schon weiß. Welch' ein Sieg für dich und Margarethen! Schlange nennst du Wallraden; sag' an, welch' Urtheil fällst du über Margarethen? Schenkst du ihr einen Heiligenschein, oder mußt du beschämt bekennen, daß sie schlimmer fehlte, als Wallrade?«

Dagobert schwieg nicht lange. »Dies Bekenntnis vermag ich nicht zu leisten,« sagte er; »daß jedoch Frau Margarethe fehlte, Eurer unwürdig handelte, will ich nicht leugnen. Leider darf ich's nicht.« – Triumphirend sah Diether zu ihm empor und rief: »Dank dir, mein Gott, daß des Sünders Mund soeben die eigene Schuld bekennt in der fremden.« – »Ich begreife kaum, was Euer Mund spricht,« erwiderte Dagobert, »doch schwör' ich's Euch, daß meine Lippen manches enthüllen könnten, was ich verschweige, weil Frau Margarethe Eure Hausfrau, meine zweite Mutter ist. Die Zeit ersetze das, was ich versäume.« – »Recht, doppelzüngiger Mensch,« rief Diether gereizt. »Hülle dich nur ein in räthselhafte Reden. Deine Vergehen blicken überall hervor, und das strafende Gericht wird nicht ausbleiben. Die Ehre deines Vaters hast du mißhandelt, deine eigene Ehre in den Staub getreten, dein Leben verwirkt durch deine Buhlerei mit der Jüdin, von welcher die ganze Stadt weiß.« – »Vater!« rief Dagobert mit flammenden Augen. »Beschützt habe ich Eure Ehre und nie besudelt die meinige. Vater, wer an die reine Sitte der Unglücklichen tastet, der ich Beschützer ward, weil sie keinen Freund auf der weiten Erde hat – wer Ben David's Tochter schmäht, bloß deshalb, weil sie eine Jüdin und mir lieb ist – gegen den zieht mein Zorn zu Felde, und wäre ich gleich sein Sohn. Buhlerei, sagt Ihr? Die Farbe des reinen Himmels reicht nicht an Esther's Unbescholtenheit, an eine Schurkerei habe ich noch nie gedacht. Aber unter meinem Schilde ruht die Taube sicher, ich verrathe ihre Zuflucht den Feinden nicht, und würde jetzt schon der Holzstoß für mich angezündet.«

»Prahlender Wüstling!« zürnte Diether. »Tritt immer auf in deiner wahren Gestalt; fliehe aber die Stätte, wo ein Freistuhl Westphalens steht. Häufe nicht noch den Jammer auf mein Haupt, dich an einem Stadtthore von den heimlichen Rächern aufgehängt zu erblicken.«

»Der Herr wurde unschuldig gerichtet,« erwiderte Dagobert mit völliger Seelenruhe; »beneidenswerth wäre ich, ein schwacher Sohn des Staubes, träfe mich ein gleiches Los. Lebt wohl indessen, Vater. Ich scheide. Lieblich war mir dies Haus, da ich noch eine fröhliche Jugend darin herumtrug und mich überall in die Arme eines guten Vaters, in den Schoß einer treuen Mutter legen konnte. Aber, nun die getreue Mutter zum Himmel gezogen ist und das Vaterherz ein doppelt Erz angethan hat, sind mir erst diese Wände eng geworden und niedrig wie Särge diese Gemächer. Ich will Euch, Herr Vater, wie den wälschen Ohm, mit meinen Anblick verschonen und fürder allein für mich meine Straße ziehen. Behüt' Euch Gott und lebet wohl!« – Auf der Schwelle stieß Dagobert, in dessen Augen der Thränen Gewalt drückte und preßte, auf den kleinen Hans, den Fiorilla an der Hand führte. Fiorilla begrüßte den Jüngling mit jener Fremdartigkeit, die vor den Zeugen die nähere Bekanntschaft zu verbergen strebt; der kleine Hans jedoch jubelte laut auf und kletterte an Dagobert empor. Dieser wurde roth vor Ueberraschung und setzte den Knaben stumm wieder nieder, ohne seine Liebkosungen, wie wohl vordem, zu erwidern. Hans machte ihm kindliche Vorwürfe wegen dieses Kaltsinns. – »Die gute Mutter ist fortgegangen,« klagte er, »und Else ist fortgegangen und der Mann dort macht ein finster Gesicht. Was soll ich denn anfangen, Dagobert, wenn auch du nichts mehr von mir wissen willst?«

Gerührt blickte Dagobert auf den Knaben herab und sprach: »Wahrlich, du armes Kind . . . du bist übel daran . . . übler als du weißt und verdienst.« – Hier wendete er sich rasch zu Diether, aber der schon zum Reden geöffnete Mund verstummte vor dem stieren Blicke, mit welchem der Vater seine Söhne beobachtete. »Gutes Kind!« sagte er halblaut, »vaterloser Knabe! fasse Muth. Bist du einst Allen fremd geworden und ich lebe noch, so komm' zu mir, ich will dir Vater sein!« – »Ach ja,« wiederholte der Knabe, seinen Lockenkopf vertraulich auf Dagoberts Schulter lehnend, »du mein Vater.« – »Ich, mein Sohn, ja! bei'm ewigen Gott! ich . . .« stammelte Dagobert unter Thränen, umarmte das Kind, legte es in Fiorillens Arm und entfloh dann aus dem Gemach. Fiorilla brachte den sehnsuchtsvoll nach dem Scheidenden blickenden Knaben auf Diether's Schoß. Der zornige Mann stieß ihn aber von sich und rief: »So geh' doch hin zu deinem Vater, junger Kuckuck, und verwünscht sei die Stunde, in der mich mein leichtgläubig Herz abermals betrog!«


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