Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

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Neunundzwanzigstes Capitel.

Die gute Crescenz hatte nichts Eiligeres zu thun, als den Weg zur Giebelkammer zu suchen, um die holde Esther, die kaum, von Thränen und Leid erschöpft, entschlummert gewesen, aus der süßen Ruhe zu wecken. Das Mädchen fuhr erschrocken empor und ihr Schrecken verdoppelte sich, als ihre Pflegerin ihr in's Ohr rief: »Du bist verrathen, Mägdlein! auf! dein Heil ist nur die schnellste Flucht!« – »Verrathen?« stammelte Esther, »woher wißt Ihr? . . . wer hat das gethan?« – Crescenz säumte nicht, den Auftritt mit Zodick der staunenden Zuhörerin zu berichten, die sich hierauf in Danksagungen gegen sie erschöpfte. – »Ei, so laß' Dank und glatte Worte beiseite!« schalt endlich die Alte, »was ich dabei gethan, ist gar keines Lobes würdig. Welcher Mensch in der Welt wird solch' ein Galgengesicht gutwillig in's Haus und sich die Gurgel abschneiden lassen? Darauf hatte es der Schurke doch am Ende bei uns Beiden abgesehen. Die Gefahr ist jedoch nicht vorbei, sondern sie kommt erst heran. Entweder ist es wahr, was der Bursche behauptete und der Judenarzt hat dich an den Schultheiß verschwatzt und in diesem Falle mußt du schleunig fort; oder es ist nicht wahr und der Schandbube gibt selber dich an; dann mußt du auch fort. Darum kleide dich und laufe; es blutet mir mein Herz, daß ich dich vor die Thüre stoßen muß, – aber überall wirst du besser sein, als in den Händen des lustgierigen Schultheißen.« – »Hochgelobter, gepriesener Gott!« seufzte Esther trostlos, »kann dein Vaterauge sehen solche Bedrängnis, ohne zu helfen? O, daß er fern sein muß, auf den ich baue, wie auf einen Engel.«

Crescenz hätte gerne der Klagenden den Trost gegeben, daß Dagobert nicht mehr ferne sei, allein sie bedachte noch zu rechter Zeit, daß diese Kunde den Schmerz des Mädchens und ihren Widerwillen gegen die plötzliche Trennung vom Schellenhof vermehren würde und dennoch war, ihrer Meinung nach, kein besseres Mittel vorhanden, dem nahenden Unheil zu entgehen. Sie begnügte sich daher, der trauernden Esther aufzutragen, sich in Wald und Busch so lange verborgen zu halten, bis der nächste Abend herangekommen sein würde und alsdann fein vorsichtig auf dem Hofe sich wieder zu melden. Unnachsichtlich drängte sie indessen jetzo zum Abschiede, denn neben der Furcht, das Mädchen selbst in der Feinde Schlingen fallen zu sehen, beunruhigte sie das Los gar sehr, das ihrer warten dürfte, ward ihre Theilnahme an dem heimlichen Handel bekannt.

Aber so sehr sie auch drängte, so sehr Esther sich beeilte, ihrem Willen folgsam zu sein, so waren doch Warnung und Vorsicht zu spät gekommen. Die Hunde, die sich bisher nicht geregt hatten, fuhren auf einmal mit wüthendem Toben aus ihren Hütten, und an ihrem kurz darauf folgenden erbärmlichen Geschrei war bald zu merken, daß einige derbe Schläge sie zur Ruhe verwiesen. Zugleich polterten mehrere Stöße gegen die Hausthüre und barsche Stimmen verlangten Einlaß. – »Herrgott! schütze deine Magd!« stöhnte Crescenz und löschte schnell die Lampe aus, die sie mit in die Kammer gebracht hatte. »Halte dich ganz ruhig und still, Estherchen,« flüsterte sie derselben zu, die sich, an allen Gliedern bebend, in eine Ecke des Stübleins verkroch; »bis ich hinunterkomme und Licht mache und dem Gesindel die Thüre öffne, fällt mir vielleicht ein Nothbehelf ein und ich rette dich vor diesen Spürhunden.«

Rasch tappte die Alte die Treppen hinab und begann durch das Schlüsselloch mit den Bewaffneten vor dem Hause zu unterhandeln. Diese waren jedoch keineswegs gelaunt, Scherz oder Zögerung mit sich treiben zu lassen und drohten, Thür und Fenster in Stücken zu hauen, wofern nicht alsogleich aufgethan würde. Da sich nun Crescenz entschuldigte mit Mangel an Licht, so erboten sich die Belagerer, ihre eigenen Laternen herzugeben, um das Haus zu durchsuchen. Wie sie dann immer heftiger wurden und ohne Aufhören im Namen des Oberstrichters die Oeffnung begehrten, auch indessen das Gesinde zusammengelaufen war und sich wunderte über den Verzug der Schaffnerin, so blieb der Letzteren nichts übrig, als in Gottes Namen dem rohen Söldnerhaufen Einlaß zu geben. Der Anführer der grimmigen Schar fuhr sogleich mit Donnerstimme über die Alte her: »Den Judenbalg gieb heraus, den du in deinem Hause versteckt hältst! heraus! ohne Widerstand und Ausflucht. Du bist des Todes, wenn du nicht blitzschnell thust, was wir begehren!« – Crescenz spielte die Ueberraschte, die Unwissende, aber ihr linkisches Leugnen machte die Herren noch dringender, die gar nicht übel unterrichtet zu sein schienen. – »Lüge, daß du erstickst!« schrie der Führer, »wir werden doch wissen, welch' Nestlein wir hier auszuheben haben! Spare also deine Winkelzüge und freue dich auf den Pranger, alte Kupplerin, welche Söhne von ehrlichen Bürgern verführt zur Gemeinschaft mit nichtswürdigen Jüdinnen. Mach' dich fertig und steige voran. Wir wollen schon finden, was unser ist.« – Je näher die Gefahr rückte, desto trotziger wurde indessen die Alte und hätte sich beinahe verleiten lassen, eine Betheuerung darauf abzulegen, daß die gesuchte Jüdin sich nicht im Hofe befinde. Indem drängte sich eine neue Figur in den Kreis und der häßliche Zodick stand wieder frech und leibhaftig wie vor einer halben Stunde vor dem zankenden Weibe. »Glaubt nicht der Hexe!« rief er den Söldnern zu, »die Dirne ist nicht gekommen aus dem Hause. Das Vöglein steckt oben im Nest. So Ihr erklimmt die Stiege, hört Ihr's schon piepen und flattern.« – »Der Jude hat eine Nase wie der Teufel!« schwor der Anführer der Häscher, welche lärmend gegen die Treppe vordrangen. Vergebens suchte Crescenz den grinsenden Zodick Lügen zu strafen, vergebens gegen ihn selbst eine schwerere Anklage zu richten; sie wurde nicht gehört und der andringende Haufe riß sie in seinem Wirbel mit fort. Den schlagendsten Beweis, daß sie mit Ränken umgehe, schien obendrein das Erscheinen einer Dirne zu liefern, die oben auf dem ersten Treppenabsatz sich sehen ließ, gehüllt in unordentlich übergeworfene Nachtkleider und mit ängstlicher Stimme herunterschrie: »Aber Frau, Frau, um Alles in der Welt! was soll das Getöse? was gibt es denn?«

»Das ist sie!« rief Zodick dem Häscheranführer in's Ohr. »Das ist sie!« donnerte der ganze Haufe und zwanzig Hände streckten sich nach der Dirne aus, die – ersehend, daß es auf sie gemünzt sei, mit jämmerlichem Geschrei: »Mein Kind! mein Kind! Hilfe! Hilfe!« zurücksprang und eine schwere Thüre hinter sich in's Schloß warf. – »Siehst du, alte Vettel!« donnerte der bestürzten Schaffnerin, die vergebens eine Erklärung versuchte, der Anführer zu, »da ist das Geschöpf, das wir suchen. Nicht die Dirne, noch ihr Junges soll uns entkommen, und brennen sollen sie Beide! sperr' auf die Thür!«

Crescenz, von tödtlichem Schreck erkältet, suchte zähneklappernd einen Schlüssel nach dem andern in das Schlüsselloch zu passen; da jedoch die Angst den rechten sie nicht finden ließ, so machten die Bewaffneten kürzere Wirthschaft und rannten die Thüre ein. Wie ein Knäuel von Wahnsinnigen stürzte der helle Haufe in das Gemach und erwischte die schreiende Dirne, da sie eben, besinnungslos vor Entsetzen, mit einem Kinde im Arme, zum hohen Fenster hinausspringen wollte.

Während nun Crescenz umsonst ihre Lunge anstrengte, um zu beweisen, daß die Gefangene nicht diejenige sei, die man suchte, während die Gefangene selbst in Thränen zerfloß und das Kind jammerte, – während die Häscher Stricke und Riemen hervorsuchten, um nicht nur allein die muthmaßliche Esther, sondern auch die Schaffnerin und ihr Hausgesinde zu binden, hatte Zodick einem Knechte die Leuchte aus der Hand gerissen und war damit unter dem allgemeinen Getöse verschwunden, um den obern Theil des Hauses zu durchsuchen. Wild klopfte sein Herz, als er die Stufen zum Giebelstübchen erstieg, denn er dachte an die Möglichkeit, daß Esther bereits seiner Wuth entgangen sein möchte; aber so wie er die Kammer öffnete und mit gierigem Auge in das Dunkel leuchtete, so machte sein ahnender Zorn hohnlachender Freude Platz. Die arme Esther hatte in ihrer Unruhe, gequält von banger Furcht, nicht an die Flucht gedacht, und sich wie ein Opferlamm in das gräßliche Schicksal ergeben. Nicht die Thüre hatte sie verriegelt und lag betend in dem Winkel auf ihren Knien. Hier ergriff sie die Faust des siegenden Feindes; hier raunte ihr seine entsetzliche Stimme in die Ohren: »Du bist mein, Estherchen! Gedenkst du meiner Worte? Der Vollmond ist da und ich komme, dich zu holen heim. Zögre nicht, kleine Spinne! Komm', daß ich dich führe vom Berge Seir!« – »Abscheulicher!« versetzte Esther, mit verachtender Würde sich erhebend; »hier sind meine Hände, feßle sie, aber höre auf zu mißhandeln die Frau, die mich hat gepflegt wie der Rabe der Wüste. Ihr Geschrei dringt herauf zu mir, Unhold. Laß' es verstummen.« – »Alles verstummt unter den Füßen des Herrn!« entgegnete Zodick höhnisch. »Auch deine Schmähung wird verstummen, Weib. Folge mir und schweige.« – Behutsam löschte er die Leuchte aus; packte Esther's rechte Hand fest in die seinige und stieg vorsichtig mit ihr die Treppe hinab. Noch dauerte das Getöse in der Stube des ersten Stockwerks; da der Bösewicht dieses hörte, zwang er auf einmal seine Beute, geschwinder zu laufen, stülpte ihr seine weite Mütze über Kopf und Augen und entführte sie also hinaus in's Weite.

Der Regen floß rieselig und kalt hernieder. Esther schauderte am Arm ihres gräßlichen Führers und ließ sich eine gute Weile durch Sand und Moor mit fortziehen im schweigenden Dunkel, bis sie endlich so viel Besinnung gewann, die lederne Mütze vom Haupte zu reißen, plötzlich stille zu stehen und mit der Stimme der Verzweiflung zu fragen: »Was ist das, Zodick? Warum hast du mich nicht übergeben den tobenden Häschern, daß sie mich bänden und fortschleppten? Und wohin führst du mich, unsauberer Geist?« – »Nach der Hochzeitskammer, Liebchen!« antwortete grinsend der Schurke, »und von dannen in's Paradies.« – »Ach!« schrie Esther, »du willst mich tödten in Schmach?« – »Nicht doch, Schickselchen,« versetzte Zodick kalt, »du wirst leben im Ueberfluß, so du thust meinen Willen. Doch ist nicht hier der Ort, wo zu reden ist von der Zukunft. Komm', komm', Estherchen? 's ist nimmer weit.« – Die Ueberzeugung, ohne Rettung verloren zu sein, gibt dem Menschen öfters übermenschliche Kräfte. Esther empfand tief, daß der Augenblick gekommen sei, diese Kräfte zu wecken mit dem verzweifelnden Willen. Mit einer Heftigkeit, die nur dem aus brennender Zone stammenden Blute eigen ist, warf sie sich wild und kreischend auf den Niederträchtigen, der sie weiter nach seiner Höhle schleppen wollte. Weiblichkeit und die zarte Sanftmuth abstreifend, welche sonst ihre Zierde waren, gestaltete sich Esther aus einem duldenden Lamme zu einem kühnen Tiger um und griff den Feind mit offener That an. Der Ueberraschte wehrte sich im Anbeginn nur schwach; da es aber Esther zu gelingen schien, ihn zurückzudrängen und von seiner Klaue sich loszureißen, da ergrimmte der fürchterliche Mensch. Vom Sturme des Zornes und der Leidenschaft hingerissen, bot er alle Kräfte gegen die Widerstrebende auf; und die Aermste, deren Kräfte endlich in dem ungleichen Kampfe erlagen, sank keuchend und wimmernd auf den nassen Sand zu den Füßen des Schrecklichen, dessen eherne Hand sie beinahe zermalmte, während er nach seinem Gürtel griff, um die Bezwungene damit zu binden. Der entsetzlichsten Mißhandlung preisgegeben, änderte Esther ihre Handlungsweise. Die Schlauheit ihres Geschlechts in das Treffen führend, ließ sie ab von dem fruchtlosen Kampfe, faltete die Hände wie eine Flehende und beschwor unter Schluchzen und Thränen den übermächtigen Feind, ihrer zu schonen. Sie wolle die Seine werden, sobald er ihr Zeit gönnen würde, sich zu fassen, zu erholen von dem gräßlichen Sturme in ihrer Seele. – Befriedigt lächelnd horchte Zodick auf die seinem Ohre willkommenen Worte und zog die Bittende unsanft vom Boden in die Höhe. – »So gefällst du nur, Estherchen!« sprach er, tief Athem holend; »du hast mir warm gemacht; aber du kennst nun auch, was es heißt, mit mir anbinden, drum ist's besser, du ergibst dich in des Herrn Befehl und folgst mir. Eile aber jetzo. Wir sind bald zur Stelle.«

Unaufhaltsam riß er das Mädchen mit sich fort, durch Sandgetriebe, Weidenbüsche und verödete Triften, bis es endlich schroff über Kies und Geröll hinunterging zu einer nackten Vertiefung, in welcher bei der Mondhelle ein Sumpf stand, wie ein trüber Spiegel und daneben eine schwarze Hütte, ans deren Lücken ein mattes Licht schimmerte, dem Johanniswürmchen gleich in schwarzer Hecke. Zodick befahl Esthern, leise aufzutreten, und schlich an die lichtspendende Oeffnung, um den forschenden Blick in das Innere zu tauchen. Esther's Brust hob sich indessen wie die Brust einer Sterbenden. Und war sie nicht eine solche? Den theuern Schwur, sich eher zu tödten, als beschimpfen zu lassen, dachte sie unverbrüchlich zu halten. Welche Schrecken aber noch bis dahin an ihrem Geiste vorübergehen konnten, daran gedachte sie bebend. Zodick hatte indessen erkundschaftet, daß nichts Gefährliches in der Hütte verborgen sei. Er pochte leise an das Fensterlein und gab ein kauderwelsches Losungswort von sich, nach welchem man von innen fragte. Hierauf zog er Esther mit sich zum niedern Pförtchen der Hütte, welche schon aufgethan worden war. »Gut Zeit!« sagte er zu dem alten Weibe, das, den brennenden Span in der Hand, die Einkehrenden empfing und sorgfältig hinter ihnen zumachte. »Ist sauber die Luft und rein?« – »Drinnen ist Alles rein,« erwiderte die Alte und maß verwundert die bleiche Esther vom Kopf bis zu den Füßen. – »Ist Marten daheim?« fuhr der Mordknecht fort, argwöhnisch in alle Winkel schielend. Das Weib bejahte und stieß die Thüre zur elenden Stube der Mordherberge auf, in welcher der Anführer der Blutzapferrotte sich auf einer schmutzigen Bank wiegte, – die Augen roth und glühend vom Uebermaß des berauschenden Getränks. Esther fuhr zusammen bei dem Anblick dieses Menschen und seiner Umgebung und setzte sich stumm, mit verbissenem Schmerz auf einen Schemel in der Ecke. Das alte Weib des trunknen Marten ging forschend vor der Fremden auf und nieder. Marten reichte dafür dem Begrüßenden die blutgewohnte Hand, mit dem Vorwurfe, daß er sich lange nicht habe sehen lassen.

»Hab' andres zu schlichten,« erwiderte der Mensch; »bring' Euch da einen Gast, welcher aufwiegt alle Töchter in Israel und will ihn Euch geben in Obhut, wenn es rein und koscher ist bei Euch.« – »'s ist Alles leer,« versicherte der alte Räuber; »die Gesellen sind Alle nach Thüringen gezogen und an den Rheinstrom. Kein Mensch ist hier als das Weib und die Tochter, denn die drei Reitersknechte, die seit heut Nachmittag hier eingekehrt sind, sind nicht zu rechnen. Einer von ihnen liegt am Tode und wir haben sie und ihre Rosse in die Scheuer eingestellt, am Moor.« – Zodick winkte dem Schwätzer mit einem Seitenblick auf Esther zu. »Zu dieser Nacht verlange ich die Kammer hier nebenan, für mich und mein Weib,« sprach er und die alte Frau entgegnete dienstwillig, sie stehe bereit. »Wohl bekomm's Euch beiden,« lachte Marten. »Ich für mein Theil wollte, es käme endlich mein Knecht Wolfhart. 's geht an die elfte Stunde und ich muß noch heut' hinaus.« – Inzwischen hatte sich Zodick zu Esther herabgebeugt und raunte ihr drohend zu. »Gieb dich in dein Schicksal. Wo du Widerstand wagst, hast du den Dalles. Besinne dich kurz; ich gebe nicht mehr Frist. Ich will nicht werden alt wie Abraham, ohne zu kosten deine Reize. Du kannst werden glücklich und leben lang, sobald du wirst bekennen, wo dein Vater hat hinvergraben seine Schätze. Der schlechte Mann hat mir geleugnet ab, daß er welche besessen. Du weißt aber sicher darum und nur diesem Bekenntnis wirst du zu danken haben dein Leben. Bleibst du stumm, mach' ich dich ewig stumm nach der Hochzeit.«

»Grausamer! tödte mich jetzt, da ich noch bin wie das Lamm der Weide!« flehte Esther; »ich weiß nicht von dem, was du begehrst.« – Zodick kehrte ihr drohend den Rücken und stürzte ein Glas des Weins hinunter, den die katzenfreundliche Wirthin aufgestellt hatte. Indessen ging die Thür auf und Judith, Marten's und des Weibes Tochter, kam langsam und finstern Angesichts herein. Ohne zu grüßen, betrachtete sie abwechselnd Zodick wie Esther mit durchdringendem Auge. Der Jude wendete sich verächtlich von ihr – Esther nicht minder, da sie in der Dirne eine neue Feindin zu entdecken glaubte. Judith blieb in ihrer Stellung, bis der Vater sie anfuhr: »Wo streifst du herum, Dirne? Woher so spät?« – »Ich komme vom Moor,« antwortete sie gelassen, »ich habe dort gebetet.« – »Du sollst verschwarzen, Greinerin!« zankte Zodick giftig. »Bei dem Reitergesindel hat sie gesteckt in der Scheuer.« – »Dort ist der Tod,« entgegnete Judith trübe; »du witterst den Tod, blutiger Mann, darum bist du hier.« – Zodick spie verächtlich vor der seltsamen Magd aus und stürzte noch ein Glas hinunter. – »Schlinge nur, schlinge, nimmersatte Gurgel!« sprach die Dirne ernst; »bald wirst du hier Blut zu saufen haben, Zodick.« – Der Genannte wie die Andern schwiegen betroffen, und Judith wendete sich zu Esther mit der Frage: »Wie kommt es denn, daß die Reinheit eingegangen ist in diese Mordhütte an der Hand des blutigen Frevels? Bedauernswerthe Jungfrau – denn du bist's – warum bist du gekommen an diese Stätte des Verderbens?« – Esther suchte zagend in den Augen der Sprecherin, ob Wahnsinn oder reine Vernunft aus ihr rede. Judith errieth ihre Gedanken und sprach viel milder: »Ich bin nicht toll, mein schönes Bild. Alles um dich her ist nicht Wahnsinn oder Trug, es ist fürchterliche Wahrheit. Dies ist ein verfluchtes Haus; jener dort im Kleid des Elends und der Trunkenheit ist mein Vater; und dies entmenschte Weib ist die Mutter, die mich Erbarmenswerte geboren. Steh' auf, Weib, von der Seite der Unschuld, daß ich sie näher kennen lerne.« – Mit einer gebieterischen Geberde befahl sie der Mutter von Esther's Seite zu weichen und das Weib, das höhere Zungen aus ihrem Kinde zu hören vermeinte, that wie sie begehrte. Zodick machte eine ungeduldige Bewegung, zog den Alten beiseite und befragte ihn scharf nach den in der Scheuer liegenden Reitern. Marten blieb dabei, von denselben sei keine Gefahr zu besorgen. Der Eine sei sterbend, ein Zweiter zu seiner Pflege bestimmt und der Dritte sei, wie er meine, schon von dannen geritten. – »Sind's Reisige, die zurückkommen aus einer Fehde,« sagte Zodick überlegend, »so könnte zu finden sein Beute bei ihnen. Warum gehen wir nicht dahin und bringen sie um und nehmen, was sie haben? Zum mindestens sind werth die Gäule ihren Schilling.« – »Recht,« erwiderte Marten; »wenn nur kein Sterbender in der Scheuer läge! Aber 's ist ruchlos, da zu plündern, wo ein an Gebreste Verschmachtender verscheidet. Das bringt Unglück, weißt du wohl. Glück bringen nur die Leichen, die wir selbst mit rothen Wunden gezeichnet.« – Zustimmend nickte Zodick. »Du hast recht, Marten,« sagte er alsdann, 's ist gefährlich und nicht geheuer, wir wollen verharren, bis er sein wird starr, dann wollen wir sehen. Schofel ist's aber, daß in der heutigen Nacht nicht kann werden etwas gewonnen, bevor ich steige zu Bett mit dem Liebchen.«

»Ho! wenn dir das Noth anthut und Zwang, so wüßte ich wohl zu helfen,« meinte Marten mit schalkhaftem Zähnefletschen, »hab's Euch nur nicht anbieten wollen, Zodick . . . oder . . . vergebt . . . Friedrich, wollt ich sagen.« – »Laßt's beim Alten, trunkener Goi,« schaltete Zodick finster lächelnd ein, »und laßt hören, was es ist.« – »Ein glockenhell und unvereitelbarer Fang,« antwortete Marten leise;»ich weiß von guter Hand, daß heut' gegen Mitternacht am Sprünglin Bürger von Bergen nach einem Schatz zu graben gedenken, den ihnen eine nächtliche Flamme verrathen und ein Pfaffe verheißen haben soll. Die Dummköpfe haben Geld zusammen gebeutelt aus allen Kästen und Truhen, denn sie müssen hundert Mark Silbers auf den Platz bringen und nur über dem Gelde kann die Beschwörung gehalten werden. Die armen Schlucker sind wohl darauf gefaßt, den Teufel in eines Hundes Gestalt auf dem Schatze zu finden, doch auf zwei rüstige Männer mit rothgefärbten Gesichtern und scharfen Messern sind sie nicht vorbereitet. Geh' mit, Zodick, und wir heben den sichern Schatz. Ich hätte dem Wolfhart gern den Antheil gegönnt, der Bube bleibt aber aus und deine Faust ist doch die gewandtere.« – »Topp!« sprach der Andere, »ich gehe mit, doch muß zuvor dein Weib geloben, meine Esther dort zu hüten, wie den Stern des Auges.« – »Ei, warum denn nicht?« lachte die Alte frech, die hinter die Sprechenden geschlichen war. »Bei meiner Seligkeit will ich geloben . . .« – »Nichts da!« fuhr Zodick dazwischen; »bei deiner Gurgel schwöre, Alte, denn du trägst sie nicht ganz davon, wenn ich nimmer finde mein Lieb.«

Die Alte betheuerte mit aller Zuversicht, sie wolle ihre Kehle wagen, denn es sei unmöglich, daß Esther entfliehen könne aus ihrem Gewahrsam. – »Putze die Scheinlinge,« sprach noch Zodick zu der Alten; »du hast zu hüten zwei Schlangen, Esther und das blödsinnige Thier, deine Tochter. Dein Leben, Alte, ist mir Bürge, daß ich finde Alles im Alten.« – »Verlaßt Euch darauf,« schwur noch einmal die Alte, und die beiden Mörder machten ihren scheußlichen Aufzug zurecht. Die entblößten Arme wurden feuerroth angestrichen, so wie die verzerrten Gesichter, rauhe Kappen über den Kopf gezogen und ein Lederwams über die Brust geknöpft, von welchem ein nicht mit der größten Sicherheit geführter Stoß oder Hieb abprallen mußte, wie von einem eisernen Bruststück. Zodick wählte einen schneidenden Dolch aus Marten's Rüstkammer und da er die Waffe in seinen Gürtel steckte, schien er von Habsucht und Mordlust glühend und drang in Marten, aufzubrechen. Nachdem er der vor seinem grausen Ansehen zurückbebenden Esther noch einmal seine Drohungen wiederholt und sie abermals der Wachsamkeit der Wirthin empfohlen hatte, stürmte er mit seinem trunkenen Gefährten dem Schauplatze eines neuen Frevels zu.

In welchen Qualen Esther zurückblieb, läßt sich nicht beschreiben. Sprachlos starrte sie zu der beräucherten Decke der elenden Stube hinauf und flehte in ihrer Seele um Vernichtung. Judith saß an ihrer Seite mit gefalteten Händen und betete mit lauter Stimme ein lateinisches Gebet. Die Mutter, nachdem sie die Hütte wieder verschlossen, fragte die Tochter mürrisch, was sie denn daher plaudre in unverständlicher Sprache? – »Es ist ein Gebet für die Todten,« antwortete die Dirne kurz und ernsthaft. – »Ei, welch' thöricht Beginnen!« schalt die Mutter; »draußen ist's schwarze Nacht und schauerlich ist's, jetzo an die Bahre und das Grab zu denken.« – »Stirbt nicht einer draußen in der Scheuer am Moor?« fragte Judith entgegen. »Liegt nicht einer schon längst begraben im Moor? Ach, du verderbte und leichtsinnige Mutter! Ich fürchte, wir werden bald zu Grabe singen müssen und zehn Jahre meines Lebens gäbe ich darum, wäre diese Nacht schon vorbei.« – »Verdient Euch einen Gotteslohn,« jammerte Esther, vor innerer Bewegung aufspringend . . . »und schafft mich vom Leben, noch ehe sie vergeht diese Nacht und wiederkehrt mein Henker.« – »Hättest du mir auch nicht gesagt, daß du nicht getauft bist,« entgegnete Judith verweisend – »ich würde es an deiner Rede hören. Verzweifle nicht an dem Gott über uns, denn so weit sein Sternendach, so weit und unendlich seine Gnade. Seine Liebe gibt uns den Tod, weil er uns ferner nicht zu missen vermag in dem Vaterhaus, dem Himmel, und vor bitt'rer Schmach bewahrt er uns durch den Tod; aber nicht vorgreifen darfst du ihm. Und wahrlich, wahrlich, du wirst ferner athmen, ich verkünde dir Leben im Angesicht des bejammernswerthen Weibes, das dich bewacht, wie das verkaufte Schäflein unter dem Messer. Du wirst leben, denn mein Gebet hat Kraft und meine Ahnung wird lebendig.« – »Tochter! du hast den Verstand wahrlich verloren!« seufzte die Mutter, unruhig in der Stube umherwandelnd. – »Nein, Mutter,« redete Judith, »du aber hast dein Heil verloren, unglückliches Weib, und sie ist, fürchte ich, verstrichen, die Zeit der Besserung. Du wirst zur Hölle gehen müssen, wenn nicht meine Thränen ihre Flammen auslöschen.«

»Ach, wie lieblos bist du gegen mich vor der Fremden!« klagte die Alte mit schmerzlich bewegtem Gewissen. – »Ich hasse dich ja nicht,« antwortete Judith milde und nahm die Hand der Mutter; »komm', wir wollen uns vergeben, wie Leute, die von der Jammerwelt zu scheiden begehren.«

»Du wirst mich noch aufbringen durch dein abgeschmackt Gewäsch,« versetzte die Alte, deren Geduld auszugehen begann, »schweige, ungerathenes Kind, deren Thorheit wir unbegreiflich lange nachgegeben haben. Schweige.« – »Das kann ich,« entgegnete Judith aufstehend. »Ich will hinausgehen an das Moor, wo mich das Schilf versteht, und einer mit mir betet aus der kalten Tiefe. Denn auch aus Schlamm und Röhrig dringt der Todten Gebet zum lieben Gott.« – »Nicht von der Stelle!« eiferte die Frau, sie zurückhaltend;»du sollst mich nicht allein lassen in der Nacht. Du hörst's, über die Berge kommt ein Wetter daher und es donnert dumpf und greulich. Du sollst dableiben, sage ich dir.« – Judith besann sich eine Weile, kehrte dann ruhig um, kauerte sich zu den Füßen der Mutter am Herde und sagte weich: »Ich will bei dir bleiben, Mutter. Ich will dir noch gehorsam sein und erfüllen, was ich dir gelobte bis an's Ende. Denn bald wird sie vorüber sein, die Zeit des Gehorsams, denke ich, deine Zeit, unglückliche Mutter.« – »Sprich doch nicht so frevelhaft,« schalt die Alte; »mich schauert vor deiner Liebe, wie vor deiner Bußpredigt.«

»Fühlst du das?« fragte Judith langsam, »fühlst du das bei meiner Liebe, was soll ich fühlen, wenn du mich deine liebe Tochter nennst? – Doch sieh', die Fremde ist entschlummert vor Ermattung. Sie scheint von uns die unglücklichste zu sein und ist doch viel, viel reicher, als wir. Sie hat ein gut Gewissen und einen Vater, der unschuldig im Kerker leidet. Unschuldig, Mutter. Aber, nicht wahr, du kennst das Wort nicht mehr? Gieb mir die Hand, armes Weib, ich will dir vergeben im Namen des Herrn, der über uns gebietet, wenn nur ein Funken von Reue in deiner rauhen Brust aufschlägt.« – Die Alte schlug erbittert die dargebotene Hand aus und stand ergrimmt auf. Judith seufzte aus tiefer Brust und ließ geduldig geschehen, daß die Mutter die arme Esther ziemlich derb aus ihrer Betäubung aufschüttelte und ihr befahl, sich in die Kammer zu begeben, wo sie bis zu Zodick's Rückkehr eingeschlossen verbleiben sollte. Esther warf scheue Blicke um sich her, als befürchte sie, den gräßlichen Bräutigam zu schauen; dann schlug sie die Augen noch einmal mit bitterm Vorwurf gen Himmel und ließ sich halb bewußtlos von der Alten an die Thüre der elenden, ringsum dunkeln Kammer geleiten. Judith war indessen aufgestanden und faßte auf der Schwelle ihre Hand. »Thue nicht vorschnell!« ermahnte sie das leidende Mädchen, »bete in dem Dunkeln dieser Kammer, aber tödte dich nicht und kämpfe gegen die Verzweiflung. Wahrlich, ich sage dir, du wirst leben, und dein Frühling wird nicht in dieser Sturmnacht untergehen, denn schon rollt über Himmel und Gebirge der Wagen desjenigen, der dich retten wird, so gewiß als sein Sohn Mensch geworden ist.«

Die Alte stieß Judith unwillig zurück; »Blödsinnige,« schalt sie, »laß' die Dirne in Frieden. Nicht jeder bringt sich um, der damit droht und was gilt's: Ehe es Morgen wird, hat die Spröde hier in des Buhlen Arm den abgeschmackten Vorsatz vergessen und begehrt nichts Besseres denn zu leben.« – Mit einem Blicke der tiefsten Verachtung wendete sich Esther von der Unverschämten und ging stolz in die Kammer, deren Thüre die Alte hinter ihr verriegelte. Mutter und Tochter sprachen kein Wörtlein und eine angstvolle Stille lagerte sich in der Stube, nur unterbrochen von dem Schluchzen Esther's, das manchmal laut wurde, und von dem näher und näher rauschenden Hochgewitter. Die Kienspäne flackerten traurig und der Blitz der Wolken, welcher von Zeit zu Zeit einen Strahl seines blendenden Lichtes in die Hütte warf, schien der armseligen Fichtenstämme zu spotten. Mit der Heftigkeit des Gewitters stieg die Beklommenheit des alten Weibes, das alle Ueberreste von Bußseufzern und Wettergebeten aus seinem Gedächtnisse hervorsuchte, um dieselben gedankenlos mit bebender Lippe abzuplärren. Die Alte sang bald, bald betete sie mit lauter Stimme ein Stücklein eines andern Betspruchs. Dabei wurde ihre Angst immer mächtiger und Judith, die das verzweiflungsvolle Treiben der Mutter ersah, trat endlich wieder zu ihr. – »Mutter,« sagte sie zu ihr, »was sollen die Worte der Angst aus Eurem Munde, da doch das Herz nichts von ihnen weiß? Warum zerschlagt Ihr die Brust, da doch nicht der Heiland darinnen seinen Tempel erbaut? Ach, Mutter, nicht Eure Schuld belastet Euch, sondern die Mahnung an das Ende. O Mutter . . . Mutter! daß du zum Kinde werden könntest, mit offenen Ohren und vertrauender Seele und weichem Gefühl. Du würdest dann in jenem Donner der Höhe nicht den Schritt des zornigen Gottes vernehmen, sondern die Siegesklänge seiner Liebe . . . du würdest dich sehnen hinaufzugehen zu ihm, auf der Leiter seiner flammenden Blitze. – Aber nicht dem himmlischen Feuer ist dein Leben verfallen, Unglückliche.« –

Das Wort auffahrenden Zornes auf der Zunge der mitten in ihrer Angst erbitterten Mutter erstarb unter dem krachenden Gebrüll eines fürchterlichen Donnerschlags, welcher die Erde beben machte. Der Blitz, der mit ihm zugleich vom Himmel fiel, schien die Umgegend rings in Feuer zu setzen; er war indessen schon lange erloschen, als seine falbe Helle noch vor den geblendeten Augen der Weiber flatterte, die nur langsam sich wieder aufthaten. Ihre Ohren summten aber noch lange den greulichen Wetterschlag nach, der noch jetzt dumpf und langsam fortdröhnte und sich wie in einen jammernden Schmerzruf aus der Ferne auflöste. Judith, die der armen Esther klagende Stimme zu vernehmen glaubte, lehnte lauschend das Haupt an die Kammerthür.

Das Mädchen darinnen betete laut in hebräischer Sprache. Durch das Fenster jedoch, das Sturm und Wettergewalt aufgerissen hatte, drang durch den heftig niederströmenden Regen der vorige Schmerzruf in die Stube und wurde gräßlicher, je länger er währte und schien der Hütte näher zu kommen. – Judith's Haar sträubte sich und die Mutter rief mit frostig klappernden Zähnen: »Horch! Horch! O, mein Herrgott! Judith! das ist der Todte aus dem Sumpfe und verlangt nach seiner Habe!« – »O nein! o nein! Mutter!« entgegnete langsam und hohl die sehr ergriffene Tochter, »den Todten singt der Donner das Schlaflied, aber, der jetzt heraufkriecht zur Hütte, und dessen Stöhnen unterm Fenster klingt, will erst ein Todter werden und sich hinunterlegen, von wannen wir zum Gerichte gehen.« – »Um des Heilands Willen! was redest du denn?« jammerte die Mutter, »mich überläuft eine Gänsehaut. Es wird doch nicht Einer von unserm Hause sterben?« – »Ja!« erwiderte Judith mit gebrochener Stimme, da ein leichenblasses Gesicht zum Fenster auftauchte, »vor seinem Hause . . . der Vater ist's.« – »Jesus!« kreischte die Mutter, herumspringend mit dem brennenden Span, »Christus! Marten! Ach, wie bist du voll Blut.« – »Laß' mich ein!« stammelte der am Kopf auf's Entsetzlichste Verwundete – sich mit den schwachen Händen an das Fenster klammernd; »mach' auf . . . ich will drinnen ein Ende machen.« – Er sank, trotz aller Anstrengung, wieder zum Boden nieder und wurde ohne Sinnen von Weib und Tochter hereingebracht und auf Judith 's dürftiges Lager gebracht, das hinter einer elenden Scheidewand von Rohr hergerichtet war. Die Alte warf sich über den Körper des röchelnden Mannes und zerraufte sich das spärliche graue Haar. Indessen schaffte Judith besonnen und klaglos Alles herbei, was zur Erleichterung des Verwundeten gereichen konnte. Aber nicht Wasser, nicht Wein konnte das Blut stillen, das aus der gräßlichen Todeswunde floß und der Verlorene dankte es nicht den Bemühungen der Tochter, die seine Lebensgeister wieder erregte. »Der Tanz ist aus!« lallte er in wildem Sterbekampfe, »heut' holt mich der Schwarze und morgen den verdammten Edelmann, der mich zusammenhieb.« – »Wo ist der Jude?« schrie ihm Judith in's Ohr. – Marten machte mit der Rechten eine Bewegung, als ob er auf einen zu Boden Gestreckten deutete. »Halleluja!« betete die Tochter bei diesen Worten, obgleich sich die Züge des Vaters fürchterlich verzerrten und die Mutter wüthend rief: »Schlange! du preisest den Himmel an deines Vaters Sterbelager?«

Die Dirne schob dem Vater den Polster zurecht und verließ dann sein Bett, um in einen Winkel zu knien. Die Alte badete den erstarrenden Mann mit siedenden Thränen, ballte die Fäuste gen Himmel und spie Gebete aus, die wie Lästerungen klangen. Marten erwiderte hierauf unverständliche Worte und vermochte bald nur stumm die Lippen zu bewegen. »Judith! Judith!« krächzte die Heulende, »er stirbt! Hilf! Hilf du jetzt, Betschwester! Hilf!« – »Laßt ihn doch vergehen!« antwortete diese eintönig, »ich sagte es ja, ich würde heute ein Todtenlied singen müssen; und . . . ach, Herrgott! wäre doch die Nacht schon vorbei, Mutter. Mein Herz ist noch nicht ruhig geworden, und meine Ahnung ist noch lebendig. Weint über Euch, Mutter, nicht um den verlorenen Mann.« Die Alte warf sich über den Sterbenden und überließ sich allen Ausschweifungen eines im wildesten Gram auflodernden Herzens. Judith ersah den Augenblick, wo die Alte ihr Gesicht in die rauhe Decke des Lagers gedrückt hatte und stille verschnaufte. Sie hob den Schlüssel auf, der dem Weibe entfallen war und schlich leise zu Esther's Kammerthüre. »Komm' heraus!« flüsterte sie, das Schloß behutsam öffnend, »der Jude ist todt, der Vater stirbt. Entfliehe!« – Wie auf den Flügeln der Hoffnung stürzte ihr das Mägdlein in die Arme und Beide schlüpften an der Rohrwand vorbei aus der Stube, ohne von der Alten bemerkt zu sein. »Ach, wohin in diesem tobenden Sturme?« fragte zitternd Esther, da vor der Thüre der pfeifende Zugwind die Flechten ihres schönen Haars durch einander peitschte, »ich sterbe, stößest du mich hinaus in das Brausen des Wetters.« – »Komm',« erwiderte Judith . . . »komm' zur Scheuer! Unter den wilden Kriegsknechten bist du sicherer, denn unter uns. O, diese Nacht ist noch nicht vorüber, sagt mir ein finsterer Geist. Komm', daß ich deine Unschuld rette aus dem Neste des Verbrechens.« –

Am Brunnen und dem wüsten Gärtlein vorüber, vorbei am Moore, das selbst unter dem Rauschen des Windes und des Regens still und bleiern zu liegen schien, leitete Judith die Zitternde zu der Scheuer leichtem Bau. Rosse stampften darinnen und da Judith die breite Thür öffnete, sahen die Eintretenden zwei Männer bei einer verhüllten Leiche sitzend und wachend beim Schimmer einer dem Verlöschen nahen Leuchte. Die Männer fuhren bei dem Geräusch nach den Waffen, aber mächtiger denn Waffe und Wehr war Esther's staunender Blick. Denn vor seinem Leuchten sank des einen Mannes Schwert zur Erde, ein himmlisches Lächeln streifte über sein verstörtes Antlitz und mit dem Rufe: »Esther! geliebte Esther! wo kommst du her bei dunkler Nacht?« stürzte er dem aufschreienden Mädchen um den Hals. Die Erschütterte, die sich in Dagobert's Armen, an seiner Brust fühlte, dachte nicht daran, seiner plötzlich, allen Felsen zum Trotz, hervorbrechenden Liebe zu widerstehen und überließ sich mit Freude und erneutem Vertrauen seinen Liebkosungen. – Während hundert und wieder hundert Fragen von ihrem und seinem Munde flogen und keine beantwortet wurde und doch eine jede auf Antwort drang, rieb sich Judith verwirrt die Stirne und sah bald betroffen auf die Gruppe der Neuvereinten, bald auf den Knecht Vollbrecht, welcher ohne viel mehr zu begreifen, regungslos dabei stand.

»Verblendete Welt!« rief sie endlich, zwischen Dagobert und Esther tretend, »ist es an der Zeit, im Rachen des Todes sündliche Flammen zu schüren? Mann! Seid Ihr ein Christ? und umarmt eine ungläubige Jüdin? Weib, willst du also das Bad der Taufe verdienen? Flieht, rettet Euch. Hier ist Eures Bleibens nicht. Mörder sind um die Wege. Fort, ohne Säumen, denn ich weiß . . . ich weiß . . . die Zeit, die ich fürchte, ist da.«

Ohne weiter ein Wort zu verlieren, eilte Judith davon, um zu den Eltern wiederzukehren. Aber am Sumpfe hielt sie ihre Schritte an und lauschte scheu nach dem schwirrenden Röhricht, auf welchem die Tropfen des langsamer fallenden Regens knisterten und aus dessen Grunde Schatten zu nicken schienen, mit glühenden Augen und verzerrten Gesichtern. Hier, auf dem Ufer warf sich die Dirne auf die Knie und breitete ihre Hände aus über das stille Moor und sprach wie eine beschwörende Hexenfrau: »Unschuldig Gestorbener auf dem Grunde und im Schilf! Zürne nicht mehr der Seele meines Vaters, denn sie verläßt den Leib gerade jetzo mit Angst und Seufzen. Zwei Augen haben sich zugethan, die den Herrn nimmer erkannt haben. Vergieb den Beiden, die noch offen stehen, um des Erlösers Willen, und ruhe fürder im Frieden. Und du, barmherziger Gott! entsündige die, die mich zeugten, und sollten ihre Laster alle auf mein Haupt fallen; laß' aber auch die schmachtende Unschuld nicht verderben, wenn es in deinem Rathschlusse ist und schone dann mein Herz nicht.« – Ihrer aufgeregten Einbildungskraft war es just, als ob aus dem bleichschwarzen Sumpf eine weiße Hand sich herausstreckte, lang und hager, die ihrige zu fassen, wie zum Pfande ihres Gelöbnisses und sie riß sich entsetzt von der unheimlichen Stätte. Indem sie mit Befriedigung dem Hufschlage der Pferde lauschte, die aus der Scheune heraustrabten und sich jenseits gen Bergen hin verloren – indem sie Gott dankte, daß er die fremde Jungfrau in seinen Schutz genommen – hörte der Regen auf und die zerreißenden Wolken ließen schwaches Licht hernieder. Es leuchtete gräßlich für Judith, denn sie erblickte den Schatten eines Mannes durch das Dunkel nach der Hütte eilen und darin verschwinden. Der Gedanke, wenn Zodick nicht todt . . . wenn der Jude jener Schatten wäre, stieß wie ein scharfes Schwert in ihr Gehirn und die Erinnerung an seine entsetzliche Verheißung schlich fröstelnd durch ihre Adern. – »Wenn er wirklich zurückgekehrt wäre aus dem gelogenen Tode!« murmelte sie zwischen den Zähnen und sah vor sich hin in das Dunkel. »O, welch ein Ende würde das Elend nehmen? Aber Gott kann binden, er kann lösen!«

Noch eine Weile horchte sie, dann drang ein entsetzliches Geschrei aus der Hütte. »Herrgott! die Mutter!« stotterte die Zusammenfahrende, »weh' mir! Der blutige Mann bringt sie um.« Und fort wollte sie, um dem Mörder die eigene Brust zu bieten, statt des Mutterherzens. Aber ihre Füße konnten nicht von der Stelle, wie eingewurzelt hielt sie der Boden. In erbärmlicher Angst arbeitete ihr Busen; der Mund versuchte zu schreien, doch seine Stimme war erloschen; alle Sinne und Kräfte schienen allmählig von ihr zu entweichen; nur das Ohr blieb in grausamem Gehorsam, denn sie mußte hören, hören, wie nach und nach das Geschrei zum Gejammer, die Klage zum Gewimmer wurde, wild unterbrochen von Zodick's fluchender Wolfsstimme. Und schwächer wurde das Gestöhne und endlich gelang es der gefolterten Tochter, sich zu ermannen und sich loszureißen von dem Platze des Entsetzens. Allein, nicht hinweg von dem Orte des Schreckens – hin drängte sie der schwarze Geist des Augenblicks. Sehen – sehen wollte sie und dem Wütherich in's Auge schauen. Wie eine wuthentflammte Löwin stürzte sie in die Hütte und vernahm in der Stube das Aechzen der Mutterstimme, die Verwünschungen des Unholdes, der Thüren zu sprengen, Kisten und Kasten zu zerschlagen schien.

Welch' ein Anblick, da Judith in das Gemach drang? Umgestürzt die Rohrwand und blutend darauf ausgestreckt die Wirthin des Hauses . . . das Messer in der Brust. Des Vaters starrer Leichnam halb aus dem Lager geschleudert, in welchem die gierigen Hände des Räubers gewühlt hatten. Schrank und Truhen erbrochen; der Raub von manchem Jahre hervorgezerrt an's Licht der Herdesflamme und zerstreut auf dem Boden liegend. Und mitten in dem Greuel dieser Umgebung der schändliche Zodick selbst stehend, durchnäßt von Regenfluten und Blut, plündernd, wählend, verwerfend und Gotteslästerungen und greuliche Flüche aus dem giftigen Munde sprudelnd.

Das schauderhafte Bild entlockte Judith einen lauten Schrei. Die endende Mutter hörte ihn noch, faltete bittend die Hände gegen die Tochter und verschied. Aber auch dem Mordbuben war die Gegenwart der verhaßten Judith nicht entgangen. Sein gräßliches Auge blitzte ihr Verderben entgegen, sein schäumender Mund stammelte: »Verflucht seist du, häßliche Brut!« und während die Linke den Sack sinken ließ. in welchen er das Kostbarste von Marten's Habe geworfen hatte, um es fortzuschleppen, suchte die wuthzitternde Rechte das Messer an der Hüfte. Judith verstand die unglücksschwangere Bewegung und kam ihm zuvor, denn das Eisen, das der von Raub und Mord zerstreute Bube am Gürtel wähnte, riß sie aus der Brust der Hingeschlachteten und zückte es schreiend gegen Zodick selbst. Dem Meuchelmörder fehlte die Faust, war sie nicht mit Stahl bewaffnet, und der feige Verbrecher erstarrte vor dem beherzten Weibe. »Komm' an!« rief ihm das Letztere entgegen, »Jude! gottesmörderischer Jude! erwürge mich jetzo, wie du meine Mutter erwürgt hast!« – »Ich hatt' ihr' s geschworen!« erwiderte Zodick frech, indem er sich gegen die Wand zurückzog, »Ihr habt davongeholfen meinem Lieb und dafür hat die alte Kehle bezahlt.« – »Niederträchtiger!« schrie Judith unter heißen Thränen schmerzlichen Grimms; »wär' ich ein Mann, du kämst nicht lebend über diese Schwelle; aber ich bin ein Weib, gerade noch stark genug, dir das Messer in den Hals zu rennen, so du mir nahst. Doch spricht der Herr zu dir aus meinem Munde: »Dein Weg auch naht sich seinem Ende. Vier Augen, die ich schonen mußte, sind geschlossen auf ewig, aber die deinen, die ich hasse, dürfen nicht allein offen bleiben. Ich habe nicht mehr den Vater, nicht die Mutter zu verschonen; und jetzt – noch heute – von diesen Leichen weg gehe ich nach Frankfurt.« – »Gott soll mir helfen!« rief der überraschte Zodick, wie zusammensinkend, »das thätst du, Ungeheuer? Drache aus Amalek?« – »Der Himmel will's!« antwortete Judith gehoben, »versuch's, mich aufzuhalten, da der Herr mir befiehlt, zu gehen!« – »Eher sollst du verschwarzen!« brüllte der Jude, auf sie losfahrend. Da stürzte die Leiche des alten Räubers vollends herab vom Lager, vor die Füße Zodick's, und dieser Sturz hemmte seinen Lauf, daß er erbebend stille stand. Judith riß die Thüre auf: »Siehst du, wem ich vertraue?« rief sie siegreich; »der Gott der Welt ist mit mir. Die durch dich elend Gemachten werden nicht sterben . . . – deine Bosheit wird enthüllt und verfällt dem Schwerte. Verzweifle, ich gehe gen Frankfurt!«

Sie warf sich entschlossen aus der Thüre und rannte wie eine Gemse davon über Hügel und Sandstürze, das Keuchen und Schnauben des sie verfolgenden Mörders hinter ihr. Ihrem kräftigen Vertrauen, dem Bewußtsein ihrer, wie von Gott selbst auferlegten Pflicht gelang es, den Vorsprung im gewaltigen Laufe zu vermehren, statt eingeholt zu werden. Zodick's Flüche wurden dumpfer, das Keuchen seiner Brust, wie seine Schritte verhallten hinter ihr, und da sie unfern vom Schellenhofe inne hielt, um von dem gewaltigen Rennen sich zu erholen, war der Nachsetzende ganz zurück geblieben. Sie zog sich hinter einen Versteck von Schlehensträuchen zurück, um ruhig sich zu erholen und nach dem Aufgange, wo schon der Tag bleichte, lenkte sich ihr Auge, in welchem jetzt die Thränen ausbrachen, die der Schmerz über den fürchterlichen Tod ihrer Erzeuger darin angehäuft hatte. Freilich betete sie ein De profundis für die des himmlischen Lichtes unwürdigen Seelen und eine gewisse Freudigkeit entstand in ihr, da sie dieser letzten Kindespflicht genügt hatte und an die schönere Pflicht dachte, die sie jetzt zu erfüllen sich vorgenommen. Diese Freudigkeit verließ sie auch nicht, als blutrothe Flammen in der Ferne aufstiegen und Hütte und Scheuer emporloderten im gefräßigen Feuer. »Dort feiert der Mörder sein Fest!« sagte sie ruhig; »seine ohnmächtige Rache zerstört das Haus des Meineids und des Mords. Fahrt wohl, arme, verirrte Eltern! Besser ist's, das Feuer verzehrt Euer Gebein, als der unehrliche Stöcker müßte es auf dem Anger begraben. Euerm unsterblichen Theil sei aber der Herr der Himmel gnädig, wie auch mir, daß meine Stimme nicht verhalle in der Wüste und Segen ersprieße aus dem Grabe der Meinigen!«


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