Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

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Zwanzigstes Capitel.

Dagobert war noch immer nicht einheimisch in seines Vaters Hause geworden. Diether hatte zwar viel von seinem mürrischen Wesen abgelegt, aber seine Freundlichkeit war Novembersonne. Er schien den Sohn eher zu meiden als zu suchen und der fröhliche Ostersonntag war vor der Thüre, ohne daß er seinem Dagobert nur ein einzig Mal gesagt hätte, ob es ihn freue, daß ihn der Papst freigesprochen, – ob nicht. Der Sohn blieb daher ungern in dem Hause, wo er nur trübe Gesichter sah, denn auch Margarethe war von einer unbeugsamen Schwermuth befallen. Die zwei Tage, die er bei den Eltern zugebracht, waren ihm schneckenlangsam hingekrochen und um Zerstreuung zu suchen, befahl er seinem Vollbrecht – der's vorgezogen hatte, bei dem leutseligen Herrn zu verbleiben – die Pferde zu satteln und einen Lustritt mit ihm zu machen. Der lange Knecht war's wohl zufrieden und bald trabten sie im Freien. »Ei, welches ist denn jenes Gebäude dort an der Anhöhe?« fragte Vollbrecht, da sich zu ihrer Linken ein Haus zeigte mit einem Thürmlein, dessen farbig Ziegeldach lustig leuchtete im Mittagstrahl. Dagobert blickte hin und hielt sein Roß an. »Sieh' doch,« sprach er, »das ist der Schellenhof, der meinem Vater zusteht. Eine Meierei, auf welcher ich als Knabe manch' heitern Tag verlebt. Es ist schon recht lange her, seit ich das wohnliche Haus zum letzten Male gesehen und ich verspüre eine Lust in mir, die alte Crescentia zu begrüßen, die dort als unsere Schaffnerin haust und manch liebes Mal meinen Gaumen mit einem Becher Milch, oder mit saftigen Kirschen erquickt hat. Da wir eben keinen absonderlichen Zweck vor Augen haben, dächte ich, wir ritten an den Hof hinan.«

Gesagt, gethan. In kurzer Frist stiegen die Reiter an der Pforte ab. Zwei Dachshunde, die auf den Stufen lagen, umkreisten bellend die Pferde und über die Halbthüre des Hauses lehnte sich ein altes, aber freundliches Gesicht, den Ankömmling mit Vergnügen bewillkommnend. »Grüß' dich Gott, alte Magd!« sprach Dagobert treuherzig und reichte ihr die Hand, »sieh', es freut mich in der Seele, daß ich dich lebendig und munter antreffe. Kennst du mich denn noch?« – »Ei, wie sollte ich nicht?« antwortete die Frau mit vieler Rührung und die Pforte weit öffnend. »An meinem alten Körper sind die Augen noch das Beste. Ein Gesicht, wie das Eure, vergißt sich auch nicht so leicht. Tretet ein, lieber Junker Dagobert, tretet nur einen Augenblick ein in meine Klause.« –

Der Jüngling folgte ihr bereitwillig und ließ sich's in dem engen Stüblein gefallen, wo Crescentia mit Schürze und Borstwisch Ordnung schaffte, den Tisch rein machte, die Katze vom Ofen, die Lieblingshenne vom Fensterbrett jagte und einen ledernen Sorgenstuhl herbeischleppte für den lieben Gast. Dagobert sah sich, der Knabenzeit eingedenk, in dem kleinen Gemache um, das ihn heimisch ansprach mit Allem, was darinnen stand und lag. Da waren noch die alten Schränke zu schauen und der mächtige Tisch mit dem knaufigen Gestell, und die bunte Truhe, und das Himmelbett mit den blau und weiß geflammten Vorhängen, und der Weihkessel an der Thüre, und das Crucifix zwischen den Fenstern, und selbst die Dreikönigskreuze über dem Eingang standen wieder da, mit Kreide angemalt, wie vor Zeiten. – »Hier war ich glücklich!« sprach Dagobert, all' die veralteten Herrlichkeiten musternd, »glücklicher als jetzt; und jene Glückseligkeit verdankte ich dir, gute Frau.« – »Ei, warum solltet Ihr denn jetzt nicht eben so viel und doppelt so viel Freude haben denn sonst?« fragte Crescentia, ihm gutmüthig auf die Hand klopfend, »Ihr verdient's ja, glücklich zu sein; und gewißlich seid Ihr brav geblieben, wie Ihr's war't. »»Ach,«« sagte oft mein Seliger, »»wenn ich's nur erleben könnte, den kleinen Junker als unsern Herrn zu sehen. Sein Vater ist zwar gut, aber zehn Mal besser würde der Sohn.«« Nun freilich,« fuhr sie fort mit einem Seufzer, »diese Zeit hat mein Alter nicht erlebt; er würde sie auch nicht erlebt haben, wenn er noch so alt geworden wäre; wir wußten damals noch nicht, daß Eure Mutter Euch der Kirche verlobt habe.« –

»Gott erhalte Euch meinen Vater noch lange, – erwiderte Dagobert, »einen bessern Gebieter findest du schwerlich wieder.« – »Mag sein,« versetzte Crescentia trocken, »das Bessere, sagt ein Sprichwort, kommt nicht immer nach. – Eure Schwester, das Fräulein Wallrade, war kürzlich hier. Das Fräulein hat alle Baulichkeiten und Ländereien betrachtet, Stall und Garten besichtigt, und nach allen Einkünften und Zinsen des Guts gefragt. Das ist eine genaue Herrin und wird Vieles ändern, wenn sie den Hof antritt.« – »Wallrade?« fragte Dagobert, mit mehr Theilnahme schon, »Wallrade? Ei, wie käme sie dazu?« – »Sie hat mir versichert,« sprach die Alte, »daß sonder Zweifel die Meierei an sie fallen würde und sich überhaupt so herrisch und stolz betragen, als ob Euer Vater schon auf dem Schragen läge und sie die einzige Erbin sei.« – »Hm!« schaltete Dagobert ein, »es dürfte aber leicht anders kommen, gute Crescenz. Laß' uns von andern Dingen reden, gute Seele, von deinen kleinen Sorgen, von deinem bescheidnen Wohlstande, von deinen Leiden und Freuden.«

»Ach,« versetzte die Alte lächelnd, »was soll ich Euch denn sagen, lieber Junker, das Euerm gelehrten Verstande nicht langweilig vorkommen sollte? Der Leiden habe ich, dem Himmel sei Dank, nur wenig. Die Vergangenheit hatte mir deren mehr beschert. Die wenigen Freuden schaffe ich mir selbst, oder die Jahreszeit bringt sie. Damals war eine böse Zeit als mein Wolfram starb. Euer Vater hatte just zum zweiten Male gefreit und Eure Stiefmutter war eingezogen in aller Pracht und Herrlichkeit, aber auch mit allem Uebermuth einer leichtsinnigen Jugend. Da sollte Alles neu erstehen und aufgeputzt werden; da war Alles zu alt und zu verjährt. Das alte Geräthe aus dem Hause und die alten Diener hinterdrein, hieß es damals. Ich hatte das Unglück, den Groll der schönen Frau auf mich zu ziehen, weil ich ihr nicht den gehörigen Reverenz erwiesen, da sie den Schellenhof zum ersten Mal besucht. Aber du lieber Gott – mein Wolfram war gerade gestorben – im Hause Alles drunter und drüber; ich fand kaum ein Wort für mich, geschweige denn für die gestrenge Frau. Sie zürnte deshalb auf mich und ich war die erste, die aus Eures Vaters Dienst entlassen wurde, – eine arme Wittib, ohne Habe und Mutter eines noch unerwachsenen Mägdleins. Zudem hatte mein Alter noch Schulden hinterlassen, die ich nicht decken konnte, und schon wollte ich das Kleid, das ich auf dem Leibe trug, allein behaltend, meinen Rosenkranz auf meines Mannes Grab legenGesetzlicher Gebrauch, sobald die Wittib ihres Mannes Schulden nicht bezahlen konnte. Nach geleistetem Eide war sie durch obige Handlung aller Verbindlichkeit quitt. und dann mit meinem Kinde betteln gehen, als ein Menschenfreund durch seine unvermuthete Hilfe uns von der bittersten Armut rettete. Wir zogen auf das nahe Dorf und lebten von der Unterstützung des biedern Helfers. Meiner Hände Arbeit versorgte den Mund, die Milde jenes Edeln half unsern übrigen Bedürfnissen ab. Indessen hatte hier ein Gärtner aus Welschland sein Wesen getrieben, des Meierhofs Nutzen verkleinert, die Herrschaft betrogen. Durch unsern Freund kam die Schelmerei an den Tag, durch unseres Freundes Fürbitte wurde ich wieder hier eingesetzt, nachdem ich sechs Monden lang dies Haus hatte meiden müssen. Die gestrenge Frau, die ihre Voreiligkeit in ihrer Herzensgüte gerne wieder verbesserte, hat mich seither gut behandelt, und vor zwei Jahren meine Else zu sich als Gürtelmagd genommen. Von jener Zeit an lebe ich hier allein und einsam. Der Lenz erfreut mich mit seinen Blumen, der Sommer mit seinen Gaben, im Herbste breche ich die Früchte der Bäume . . .«

»Und im Winter?« fiel Dagobert ein. »Wie steht es da? Nicht dem Sturme des Nords allein bist du preisgegeben, sondern auch dem Muthwillen, der Raublust böser Gesellen, denen du in deiner Einsamkeit nicht widerstehen könntest.« – »Ei, warum denn nicht?« fragte Crescentia lächelnd. »Glaubt ja nicht, daß ich so ganz mutterseelen allein sei. Ein paar rüstige Knechte sind immer hier zur Hand. Heute ist ein besonderer Fall. Meine Leute sind nach der Stadt gelaufen, weil, wie es heißt, die gefangenen Juden vor Gericht gestellt werden. Ich hätte nicht selbst das traurige Schauspiel sehen mögen, aber wissen will ich doch, was an der Sache ist, weil der eine der Gefangenen mir besonders am Herzen liegt und ich mir nicht einbilden kann, was er verbrochen haben soll.« – »Wen meint Ihr da?« fragte Dagobert aufmerksam. – »I nu, den armen Mann Ben David, der mit seinem Vater im Gefängnis liegt,« versetzte Crescenz, »und der eben jener Wohlthäter war, welcher ein halbes Jahr hindurch mein und meines Kindes Leben fristete.« – »Ben David, sagt Ihr?« fuhr Dagobert heftig fort, »der Jude Ben David? Er heute vor Gericht? Er noch nicht frei? und auch Jochai im Kerker? Beim Himmel! du weißt nicht, Crescenz, welche Nachricht du mir mittheiltest. Ich muß fort, – zur Stelle fort; – Vollbrecht! die Pferde vor!« – »Ei, was habt Ihr denn, mein guter Junker?« rief Crescentia, »so schnell wollt Ihr scheiden? Kennt Ihr den Juden? Habt Ihr schon etwa vernommen, wessen er beschuldigt?« – Aber ihr Fragen und ihr Rufen verhallte, denn schon saß Dagobert zu Roß, schon flog er mit seinem Knechte den Sandweg hinab zur Heerstraße und erreichte in Kurzem die Stadt. Wie im Fluge ging's, Zwinger und Gassen entlang bis zur Judenstraße. Hier waren jedoch die Reiter gezwungen, ihre Pferde zu bändigen, denn die Gasse stand gedrängt voll von Menschen. Die Bewohner der Gasse hielten sich in ihren Wohnungen verkrochen, Wache hatte die Pforte von Ben David's Hause besetzt, aber dennoch strömten Menschen darin aus und ein und soeben führte man daraus ein ohnmächtiges Weib auf die Gasse in Gewändern, wie sie die Bürgerinnen kleiner Landstädte zu tragen pflegten. »Das arme Weib!« scholl es theilnehmend aus dem Munde aller Anwesenden. »Ein wahres Unglück hat sie just heute zur Stadt geführt.« – »Was gibt's denn hier?« erkundigte sich Dagobert bei einem Kerl, der, Langes und Breites erzählend, unter einem Haufen von Handwerksgenossen stand, deren rothgelbe Jacken die Zunft der Löher verriethen. – »Des Juden Keller ist durchsucht worden,« erläuterte der Geselle, »ich selbst war unten. Das getödtete Kind hat man zwar nicht gefunden – die Buben haben's in den Main geworfen – aber viel anderes Zeug, das wohl bewährt, welch' ein Handwerk die Schelmen von Juden im Stillen getrieben haben.«

»Was denn?« fragten die neugierigen Zuhörer. – »Kleidungsstücke mit Blut befleckt,« fuhr der Erzähler fort, »Lumpen sowohl als Staatsgewänder, einige Kostbarkeiten, – lauter gestohlenes Gut und endlich eine Kette mit blutrothen Steinen, kenntlich für den Eigentümer durch die Steine selbst und die Arbeit des Silberschmieds. Der Schmuck hat auch schon seinen Eigentümer gefunden. Das arme Weib, das dort ohnmächtig liegt und just gelabt wird, hat ihn erkannt.« – »Erkannt?« rief der Haufe. – »Jeder von Euch,« sprach der Löher weiter, »hat ja wohl einmal von dem schönen Evchen von Bergen gehört? Weit und breit war das wunderholde Kind berühmt. Weit und breit wurde Hermann, der junge Metzger aus Friedberg beneidet, da er endlich das schmucke Mädel heimführte. Nun, schaut hin auf das arme Weibsbild, ob man eine Spur der ehemaligen Schönheit auf ihrem Gesichte erkennt; und doch ist sie's. Ihr Mann aber wurde erschlagen, da er mit der Ausstattung seiner jungen Frau nach Friedberg fuhr, und die Halskette mit den blutrothen Steinen, ein Erbtheil von Evchen's Großmutter, hat einen Theil der Mitgabe ausgemacht und sich soeben in dem Keller des verfluchten Juden gefunden.« – »Das ist nicht wahr!« donnerte dem Erzähler Dagobert zu, während die Umstehenden sich bekreuzten. Der Kerl gaffte ihn mit offenem Maule an. – »Nu, wenn Ihr's besser wißt, Herr,« antwortete er flämmisch, »so hättet Ihr den wackern Leuten hier das Ding erzählen sollen.« – Die Flut des Volks wälzte sich gerade mit aller Macht gegen Ben David's Thüre; denn die Gefangenen wurden eben herausgebracht. Der Oberstrichter, erhitzt von Eifer und Zorn, ging voraus; ihm folgten Knechte mit Körben und Bündeln, die das Gefundene fortschleppten, hierauf erschien Zodick mit siegreicher Miene und lange nach ihm die Gebundenen selbst, von Soldknechten umringt. Nachrichter und Gesellen folgten erst weit hinterdrein, denn der Oberstrichter hatte dennoch für gut befunden, sie nur als schreckende, nicht dienende Leute mitzuführen. Beim Erscheinen der sogenannten Verbrecher entfaltete das Volk wieder all' seine Roheit, denn es schämte sich nicht, aus vollem Halse das Lied anzustimmen, das in der Rumpelwoche in den Kirchen gesungen wurde, begleitet von einem tobenden Lärm ungezogener Handwerksgesellen und Straßenbuben: »Ach, du armer Judas! Was hast du gethan? Weiß ich doch sonst was, das geht dich auch an. Ach, du armer Judas! Was hast du gethan!« – Unter diesem Geheule fiel ein neuer Auftritt vor, herzzerreißender als der, den das schöne Evchen gegeben hatte, und schmerzlich im höchsten Grade für Dagobert. Eine Dirne stürzte herbei, mit aufgelöstem Haare, bleich wie der Tod, aber bildschön im höchsten Kummer selbst; Esther, die verzweifelnde Esther, die herzueilte, jetzt erst von dem schrecklichen Gange unterrichtet, den ihr Vater thun mußte, welchen bisher zu sehen ihr nicht vergönnt gewesen. Zu seinen Füßen drängte sie sich durch, seine Hände drückte sie mit Inbrunst an's Herz, die ihrigen streckte sie nach Jochai aus, – aber wilde Gewalt stieß sie von ihren Lieben zurück. Vergebens jammerte, vergebens flehte sie, vergebens bot sie, was sie von Werth bei sich trug, für die Gnade, ein paar Augenblicke lang sich mit dem Unglücklichen zu letzen . . . ihre Bitten prallten ab von den Panzern der Wächter und da endlich diese letzteren es nicht ferner über sich gewinnen konnten, die rührende Schönheit unbarmherzig mit ihren Waffen zurückzuweisen, so kam eilfertig der Stöcker herbei, um zu thun, was dem Krieger widerstrebte. Aber, so wie er die Arme ausstreckte, um Esther zu ergreifen, fühlte er einen so heftigen Schlag im Genicke, daß ihm die Lust verging, weiter vorzudringen. – »Gott verdamme dich, ungehobelter Gesell!« rief dem bestürzt Zurückschauenden Dagobert in's Ohr, welcher die Peitsche schwang, um nötigenfalls seine kräftige Zurechtweisung zu wiederholen. »So du noch einmal dich unterfängst, die Dirne hier durch deine schändliche Berührung unehrlich machen zu wollen, so breche ich dir den Hals!« – Der Nachrichter schrie nach Hilfe. Das Volk lachte den Verhaßten aus und höhnte ihn. Da kehrte der Oberstrichter zurück. »Was gibt's da?« herrschte er. »Wer nimmt Partei für die Jüdin?« – »Ich, Herr,« entgegnete ihm Dagobert trotzig. »Ich, Dagobert Frosch, des Schöffen und Altbürgers Sohn.« – »Schande für Euch!« eiferte der Oberstrichter. »Stöcker! schafft das freche Geschöpf weg!« – »Dem Schurken kostet's die Ohren!« versetzte Dagobert, seinen Dolch ergreifend. »Er wage es nicht. Schande ist's für Euch, edler Herr, solche Gesellen in Eurem Gefolge zu führen. Den Verdammten ergreife der Henker, – den Unschuldigen nicht.« – »Die Jüdin gehört mein!« ließ sich der Stöcker vernehmen. »Sie hat dem Gebot zuwider gehandelt und ist auf die Gasse gelaufen ohne Schleier und Judenzeichen. Das Halseisen gebührt ihr und mein gehören ihre Haarflechten, so sie dieselbe nicht mit Geld lösen mag.« – »Der Teufel auf deinen eignen geschornen Schädel gehört dir, Galgenrabe!« zürnte Dagobert dem Burschen entgegen. »Soll die Dirne deshalb büßen, daß sie in ihres Herzens Angst Euer Verbot vergessen?« – »Sie ist eine schlechte Jüdin!« rief der Oberstrichter.

»Ein Jude ist auch ein Mensch!« antwortete ihm Dagobert zorniger denn zuvor. »Und kurz und gut, Ihr laßt sammt Euern Helfershelfern das Mädel im Frieden, oder ich will Euch zeigen, wie man mit Hunden umgeht!« – Der Stöcker entwich bei der furchtbaren Bewegung, die der Jüngling gegen ihn machte. Aber zu gleicher Zeit rissen auf einen Wink des Richters die Knechte die Gefangenen von dannen, welche indessen Muße gehabt hatten, einige Worte mit Esther zu wechseln. Diese letztere aus den Klauen der Schergen und des Pöbels zu retten, der nur des Richters Entfernung erwartete, um an der Aermsten seine rohe Willkür zu üben, war Dagobert's Bestreben. »Komm', Dirne, mit mir!« rief er dem Mädchen zu, »ich führe dich in's Freie!« – Dankend näherte sich ihm Esther, von Thränen überströmt. Der Oberstrichter lachte höhnisch auf. – »Ein wack'res Ritterstücklein!« versetzte er, »werd's zu rühmen wissen und Euch deshalb beloben!« – »Wie's Euch beliebt!« rief dem Scheidenden Diether's Sohn nach. »Wir sprechen uns wohl noch anderswo, Herr Oberstrichter!« – Der Letztere warf ein kurzes: »Ich denk's!« zurück und ging trotziglich davon. »Fass' meinen Steigbügel an!« sprach hierauf Dagobert zu der zitternden Esther, um die sich der Pöbel drängte, »halte dich fest, und du, Vollbrecht, reite auf des Mägdleins anderer Seite. Ihr aber, Gesindel, bleibt zurück oder wahrt Eure Köpfe!« – Nach dieser Warnung ging es so schnell davon, als die zwischen den Pferden gehende Esther Schritt zu halten vermochte. Bis an den Ausgang der Straße wogte die Menschenmasse nach; da indessen einige wohl angebrachte Peitschenhiebe die Unbändigsten des Pöbels in ihre Schranken wiesen, blieben die Uebrigen zurück und bloß mehrere Steinwürfe, die nicht trafen, gaben das letzte Zeugnis von der ohnmächtigen Wuth des Volks. »Wohin soll ich dich bringen?« fragte Dagobert. – »Vor die Stadt bringt mich, edler Herr!« seufzte Esther, »vor die Stadt nur geleitet mich.« – »So laß' den garstigen Steigbügel fahren,« erwiderte Dagobert, »und ergreife die Quaste meiner Satteldecke.« – Dies geschah; ehe jedoch noch des Zwingers Graben erreicht war, ruhte Esther's Hand schon in der Rechten Dagobert's. Vor dem Thore, zu welchem kurz zuvor der Jüngling herein geritten, saß er ab, und sprach zu Esther: »Nun sage an, mein Kind, wohin du deine Schritte zu lenken gedenkst? Warum entfliehst du den Ringmauern der Stadt? Hast du kein sicheres Obdach in derselben?« – Wehmüthig schüttelte Esther das Haupt. – »Ei, so sage doch, um Gott, wo du weiltest in den verflossenen Tagen?« fuhr Dagobert betroffen fort. »Ich wähnte dich in deines Großvaters Haus und Armen. Sprich doch, du armes Mägdlein, sprich.« – »Jochai liegt im Gefängnis, gleich meinem Vater,« antwortete Esther schluchzend. »An die Thüren unsrer Nachbarn und Glaubensfreunde wandte ich mich; aber als ob mich die Schule in Bann gethan, flohen mich alle Bekannte und nur bei dem Judenarzte Joseph fand ich eine Aufnahme, nach langem Bedenken von seiner Seite, nach vielem Einreden seines Weibes.« – »O, du bemitleidenswerthes Geschöpf!« sprach hier Dagobert, theilnehmend ihre Hand fassend, »daß du gezwungen wurdest, bei dem hoffärtigen Manne Brot und Wohnstätte zu begehren! Daß ich dich schonungslos solchem Zufall überließ! Wie aber wurdest du von ihm gehalten? Warum kehrst du nicht zu ihm zurück?« – »Erlaubt mir, davon zu schweigen!« bat Esther mit niedergeschlagenen Augen und geschämiger Wange. – »Nein, Esther,« fuhr der heftige Jüngling fort, »wissen muß ich's, du darfst mir' s nicht verschweigen!« – »Daß er mich gleich einer dienenden Magd behandelte,« sagte Esther zögernd und oft innehaltend, – »hätte ich ihm gern verziehen; aber, – daß er eines schändlichen Handels Hoffnung auf meinen Kummer, auf meine Liebe zum Vater baute . . . das kann ich ihm kaum vergeben, und nimmer kehre ich darum zurück zu dem abscheulichen Mann.«

»Von welchem Handel sprichst du?« fragte der Jüngling bebend; . . . »rede, mein Kind, ich muß es erfahren, . . . hörst du? ich muß.« – »Dem Schultheiß wollte er mich verkaufen,« antwortete Esther, ihr Antlitz mit den Händen verbergend, »ich sollte für meines Vaters leichtere Haft einen Preis zahlen, den . . . ach, erlaßt mir das Uebrige.« – »Schurke!« knirschte Dagobert. – »Ich widerstand,« sprach Esther weiter, »ich zürnte dem Unholde; da entdeckte er mir schonungslos, was mein Vater verbrochen haben soll und daß er gerade jetzo zum Hause seiner Väter geschleppt worden sei. Halb gekleidet wie ich war, heulend vor Schmerz und Angst, enteilte ich dem Hause Joseph's, fest entschlossen, nimmer dessen Schwelle wieder zu betreten.«

»Da sei Gott vor!« entgegnete Dagobert, mit der Faust gegen die Stadt drohend, »dem hageprunkenden Fettwanst will ich's gedenken, sollte er mir einst unter die Augen kommen. Wo aber, mein gutes Dirnlein, wo gedenkst du hin? Wo leben die Freunde, wo Verwandte, die dein Schicksal beweinen?« – »Ach, nirgends, Herr;« klagte die Verlassene, »ich habe niemand, den eine Pflicht verbände, mir zu helfen. Hingegen will ich aber auf irgend ein Dorf, und in einem Stalle mich betten und täglich nach der Stadt ziehen und täglich zu den Füßen der Wächter meines Vaters um die Gnade betteln, ihn sehen zu dürfen. Vielleicht wird einmal doch meine Bitte erhört, – vielleicht gewährt man mir endlich die größere, im Kerker zu bleiben, bei ihm, dem meine Sorgfalt, mein Leben gehört.« – »Esther! Mädchen!« sprach Dagobert bekümmert; »betrübe mich nicht also und handle nicht wie eine Mörderin an dir selbst! Du solltest eine Beute des rohen Bauernvolkes werden, – am Ende dennoch durch deine unablässigen Bitten und Versuche in die Hände des saubern Gelichters gerathen, denen ich dich soeben entrissen? Wahrlich, das gebe ich nicht zu.« – Dagobert gab Vollbrechten den Befehl, die Rosse heimzuführen. Da er sich entfernt hatte, bog Dagobert, im Gespräch mit Esther, in den Sandweg ein, den er kurz vorher beritten. – »Du mußt mir eine Liebe thun,« sagte er zu Esther, die in stiller Erwartung neben ihm ging. – »Welche? mein guter Herr?« fragte sie, die sanftleuchtenden Augen zu ihm erhebend. »Sprecht. Nach dem Vater gehöre ich Euch allein.« – »Ich habe dich sonder Gefährde hiehergeleitet von Costnitz,« sprach Dagobert weiter, »dich unterwegs gehalten wie ein ehrlich Frauenbild und mich wie einen ehrlichen Gesellen.« – »Das weiß der Himmel!« betheuerte Esther mit dankbarer Neigung; »einer ehrsamen Bürgerin gleich habt Ihr mich gehalten und nicht wie eine schlechte Jüdin. Das vergelte Euch der hochgelobte Gott, der es auch gnädig mit ansieht, wie Ihr also wandelt mit mir im Freien, ohne Scham und Scheu, – mit mir, der von aller Welt Verstoßenen.« – »Wolltest du mir wohl ferner vertrauen?« fragte Dagobert mit weicher Stimme. – »Bis an's Ende, Herr, unwandelbar,« antwortete Esther. – »Deine Habe hast du mir bereits vertraut, da wir schieden,« sagte Dagobert ferner, »Herzog Friedrich's Briefe habe ich in Händen und werde dir einst Rechnung davon stellen, aber nun sollst du dich selbst mir anvertrauen.« »Gerne, Herr!« versetzte das Mägdlein ohne Säumen. – »So nimm eine Herberge an von mir,« sprach der Jüngling, den ruhigen Blick auf sie heftend, »in einem Hause, dem eine wackere Freundin vorsteht . . . was meinst du dazu?«. – »Ohne Bedenken,« antwortete Esther mit frohem Danke, »wohin Ihr mich führt, darf ich gehen.« – »So komme,« sagte Dagobert, »komme mit nur zum Schellenhofe. Die alte Crescenz will nur wohl und dein Vater steht bei ihr nach dem Heilande in den größten Ehren. Dort, mein armes Kind, dort wirst du sicher sein.«


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