Karl Spindler
Der Jude
Karl Spindler

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Siebentes Capitel.

Seit mehreren Tagen hatte sich Dagobert nicht im Hause seines Oheims blicken lassen und wurde doch von dem Letztern, wie von dessen Freundin Fiorilla sehnlichst erwartet, wenn gleich aus verschiedenen Beweggründen. Sein endliches Erscheinen nach dem sonntäglichen Hochamte befriedigte die seiner harrenden Seelen. Zum großen Befremden des Jünglings schien weder der geistliche Zuschnitt seines Rockes, noch die ernste gesammelte Miene, mit der er eintrat, einen besonders günstigen Eindruck auf den Prälaten zu machen. Im Gegentheile: er bewillkommte den Neffen finster und kalt. Fiorillens bedeutende Geberden und scheues Fortschleichen wiesen auf Sturm. »Ist es also,« – begann Monsignore, »daß man sich vorbereitet zu dem heiligen Stande, den man zu ergreifen gedenkt? Schäme dich dessen, was ich von dir vernehmen mußte!«

Dagobert fragte schüchtern nach der Sünde, die er begangen haben sollte.

»Du willst nicht wissen, dich nicht entsinnen!« rief der Prälat; »verstockter, unbußfertiger deutscher Tollkopf! Ich will dir erklären, was ich meine: Ein Jüngling von altbürgerlichem Geschlecht, zum Dienst der alleinseligmachenden Kirche bestimmt, in ihr Friedenkleid gehüllt, wird auf offener Straße ein faustfertiger Klopffechter. Um einen Ketzer zu vertheidigen, schlägt er einen Christen zu Boden! Das kann nur ein Deutscher thun. Schäme dich! Bereue und bitte sogedachte Frevel dem Herrn der Heerscharen ab. Noch einmal ein Wort für den Ketzer verloren – noch einmal zu seinen Gunsten die Faust gezückt, und ich ziehe meine Hand von dir ab. – Keine Einwendung! Ich weiß wohl, daß Ihr in Deutschland selbst im Chorrock das grobe bäurische Wesen nicht ablegt, das Ihr adelig Thun nennt; daß Eure Bischöfe und Stiftsherren sogar zu Gaule steigen und Eure Turnereien und Ringelrennen mitmachen. An dir jedoch will ich dies Unheil nicht erleben. Bereue demnach und begieb dich in Demuth hinweg, um dich vorzubereiten auf den Besuch, den du morgen bei Sr. Eminenz dem Erzbischof von Ravenna ablegen wirst. Ich tafle heute bei dem hochwürdigsten Herrn und will den gerechten Zorn, den er gegen dich empfindet, welchen ich bereits seiner Gunst empfohlen, in die gewohnte Milde umzustimmen suchen. Doch thue ich dieses nur dies erste und einzige Mal. Entferne dich!«

Dagobert nahm die Predigt stillschweigend hin, verließ ebenso das Gemach und wurde von Fiorillen, die seiner auf dem Vorplatze wartete, unter Bedeutung der völligsten Heimlichkeit in ihre Stube gewiesen. – »Monsignore hält seinen Imbiß heute auswärts,« flüsterte ihm die Schlaue zu; »bleibt bei mir zu Gaste und rührt Euch nicht, bis der Ohm von dannen ging.« – Dagobert ließ das Mädchen lächelnd gewähren. Nach einer langweiligen Stunde verließ der Oheim das Haus und Fiorilla rüstete die Tafel. Die Speisen wurden durch sie selbst heraufgeschafft, der umherlauernde Diener mit einem Trinkgeld vergnügt und in's Weinhaus gesandt, die Thüre verschlossen, und Base und Vetter setzten sich in friedlicher Einsamkeit zu dem Mahle, geschmückt von den Kränzen der Ceres und des Bacchus. Fiorilla hätte nicht ungerne den kleinen heidnischen Gott, der gewöhnlich die Dreizahl vollmacht, mit in die Gesellschaft gezogen. Aber so freundlich ihre Worte und Geberden den kleinen Schalk einluden, so blieb er doch aus; er scheute sich vor Dagoberts Unempfindlichkeit, die im Anbeginn unter der gleißenden Larve des unbefangensten Frohsinns verborgen, gegen Ende der Mahlzeit in ein nachdenkliches Schweigen überging. – Fiorilla's Spott rüttelte ihn aus demselben. »Da plaudre ich nun und plaudre mir die Zunge lahm,« rief sie schäckernd, »und Ihr sitzt da, wie aus Holz geschnitzt. Bekennt, was Euch so fühllos gegen die Rede einer jungen, muntern Dirne macht, die Euch für ihr Leben gern gefallen möchte. Ist's die Bußpredigt Eures Ohms, so schlagt sie Euch kühn ans dem Sinn. Er ist auch kein Heiliger. Ist's die Erinnerung an ein verlassenes Liebchen, so vertraut Euren Kummer meiner uneigennützigen Freundschaft. Oder wäre es vielleicht die Bewerbung um meines Herzens Gunst, die Euch auf der Zunge sitzt und, muthlos, sich nicht auszusprechen wagt . . .? Nur keck heraus damit. Wer weiß, sagte ich: ›Nein‹ darauf.«

Dagobert, ohne einen Augenblick in Verlegenheit zu gerathen, sprach nach kurzem Besinnen: »Lieb Bäschen! Des Oheims Donnerworte bekümmern mich keineswegs. Eben so wenig denke ich um Eure Gunst zu freien. So viel ich deren bedarf, um in Euch die uneigennützige Freundin zu schätzen, habt Ihr mir bereits zugewendet. Ein Mehreres verbietet mir mein Stand und die Liebe für den Ohm. Auch denkt Ihr nicht daran. Daher darf ich Euch frank und frei vertrauen, daß Euer Scharfsinn den rechten Zweck getroffen, indem Ihr von einem verlassenen Lieb spracht. Wenn Ihr's erlaubt und nicht dem Oheim, mindestens nicht mit ärgerlichen Zusätzen, das Gesagte wiedersagen wollt, so möchte ich wohl meinem Herzen Luft machen durch ein frei Bekenntnis, auf die Gefahr hin, von Euch gescholten oder ausgelacht zu werden, denn die Historie meiner Liebe ist nicht die gewöhnlichste.« – So schnell auch die ersten Worte Dagobert's Fiorillens Antlitz mit Unmuth beschattet hatten, so schnell erheiterte dasselbe des Mädchens natürliche Herzensgüte und die dem Geschlechte eigene Neugier und Theilnahme an Sachen der Minne. »Sprecht!« versetzte sie, »Freundschaft gelobe ich Euch und Bewahrung Eures Vertrauens.«

»Hört aufmerksam zu,« begann Dagobert. »Zu nächstem Frühling werden es zwei Jahre; da gab der Rath unserer Stadt ein großes Kampfspiel auf dem Römerberg, zu dem alle guten und ebenbürtigen Leute aus Stadt und Gegend geladen waren, und auf dem die altbürgerlichen Geschlechter mitstritten zu Pferd und zu Fuß. Ich stach auch mit, in Stahlhaube und Panzer, und ritt meines Vaters tollstes Pferd, Trotzteufel genannt, das seines Gleichen sucht in Stärke und Unbändigkeit. Ziemlich eitel von Geburt, suchte ich meinen Stolz darin, den Gaul zu reizen mit Sporn und Zügelriß, daß er stieg, sich herumwarf im Kreise und endlich, hinten und vorne ausschlagend, zu bocken begann, daß allen Zuschauern Hören und Sehen verging, und Sand und Kies hinaufsprühte zum Altan, wo die Stechgrafen saßen und die Frauen. Da ich mein Müthchen gekühlt hatte und mich wendete, um gegen meinen Mitkämpfer anzusprengen, hörte ich von den Schranken herunter ein boshaftes Gelächter schallen und ersah einen häßlichen Kerl, der, in seiner ritterlichen Tracht auf dem Geplänke sitzend, wie toll aufwieherte über meine Reiterkünste, während alle übrigen Zuschauer sie bewunderten. Ich drohte zürnend dem geputzten Wicht mit der Faust und dachte, er würde Ruhe geben. Statt dessen zieht mir der Bube eine boshafte Fratze. Darüber entrüstet, reite ich gestreckten Zuges an die Planken hin und schlage dem rothhaarigen Tölpel – der das Turniergesetz verletzte, das jede Beleidigung der Kämpfenden verpönt – mit der Glane dergestalt über die Affennase, daß er von seinem Sitze herab in den Straßenkoth purzelte. Da er, ohne einen Laut von sich zu geben, dahinstürzte und liegen blieb, gewinnt das Mitleid schnell bei mir die Oberhand. Ich schwinge mich, des Panzers ungeachtet, schnell vom Pferde und über die Schranken und springe dem Elenden bei, der von neugierigen Zuschauern aufgehoben worden war. Sowie ich aber dem Burschen das Wams lüfte, schlägt er die Augen auf und stößt mich mit der geballten Faust zurück, wie ein Wahnsinniger schreiend: »Fort! Rühr' mich nicht an, verfluchter Goi!« Durch diesen Ausruf verrieth er sich als einen Juden und weckte auf's neue meinen Zorn und den aller Umstehenden. »Ein Jude!« brüllte der Haufen, und hundert Fäuste erhoben sich drohend, denn es ist jedem aus dem Volke Abrahams streng bei uns verboten, einem feierlichen Spiele zuzusehen, weil der mißgünstige Blick des Zuschauers schon zum Schaden wirken kann, geschweige erst die tückische Zauberformel, deren sich oft die Juden bedienen sollen, um den Christen jede Lust in Leid zu verkehren.«

»Das ist wohl ein Aberglaube!« meinte Fiorilla und fuhr etwas verlegen mit dem feinen Tüchlein über die erröthende Stirne.

»Möglich!« versetzte Dagobert gleichmüthig. »Ich sage nur, was uns von Kindheit an Amme, Eltern und Schulmeister einprägen. Genug; dem Rothkopf bekam seine Neugierde übel. Rechts und links schmetterte ich mit dem Blechfäustling dem Buben in das häßliche Angesicht, und das Volk riß indessen die prächtigen Kleider, in die er sich verkappt hatte, in Stücke. So hatten wir ihm eine gute Strecke von dem Schrankewerk hinweg das Geleite gegeben, als plötzlich einige alte Juden aus ihrer Gasse herbeieilten, den Bestraften ihren Freund und Verwandten nannten und uns bei allen Verdiensten der Erzväter beschworen, inne zu halten. Ich wäre wenig geneigt gewesen, dem Gejammer der Langbärte nachzugeben, hätte nicht mit einem Male eine seidenweiche Hand meine drohende Faust aufgehalten, und eine zarte Stimme zu mir emporgefleht. Verwundert blickte ich hernieder und ich sah ein jüdisches Mägdlein vor mir stehen, in reizlose Tracht gekleidet, so wie dies Volk gewöhnlich auf der Straße gesehen wird. Verächtlich stieß ich sie von mir, da hielt mich das Mägdlein auf. Mit einem derben Fluche wollte ich die Zudringliche noch einmal von dannen weisen, aber da mein Auge auf ihr Antlitz blitzte, da war im Nu mein Zorn vorbei, und nicht um die Welt hätte ich ferner ein hartes Wort zu der Dirne gesprochen, die mit den Blicken eines bittenden Engels aus dem groben Schleier sah, und mit der Zunge der alles gewinnenden Demuth die Worte zu mir sagte: »O, schlagt nicht mehr, lieber Herr! schlagt nicht mehr! Zodick ist unser Knecht und wird sicher nimmer thun, was Euern Zorn gereizt!?«

Dagobert lehnte sich hier in den Stuhl zurück, drückte beide Augen zu, als suche er das gegebene Bild noch einmal aus der Vergangenheit zurückzuzwingen und fuhr dann mit sanfter Stimme fort. »Erwartet, liebe Fiorilla, keine Schilderung der Schönheit dieses Mädchens; selbst die Eure müßte ihr weichen. Erwartet eben so wenig einen Bericht, wie sich plötzlich mein Herz umgewandelt. Genug, der Leue war zum Lamm geworden. Mein Grimm hatte den hämischen Buben der Rache überliefert, mein Fürwort entriß ihn den Klauen seiner Feinde. Als ihn nun seine Glaubensbrüder hinwegführten, fühlte ich einen heißen Kuß auf meiner Hand und siedwarme Thränen. – Die Dirne war es, die mir also ihren Dank bezeugte. Die Hand zog ich zurück, doch nicht das Auge, das eingewurzelt schien in die Fülle von Liebreiz, die des Mädchens Antlitz darbot. Sie war aber umsichtiger als ich. »Lebt wohl, guter Junkherr!« flüsterte sie, »ich möchte Euch zwar gerne sagen, wie hoch ich Euch verehre, aber es ist Euch eine Schande, eine elende Jüdin auf offener Straße anzuhören, darum vergönnt mir nur dies Andenken von Euch mir zuzueignen.« Sie bückte sich schnell nach einer schlechten Feder, die meinem Helmbusche entfallen war, drückte sie heftig an die Lippen, verbarg sie im Busen und entfernte sich rasch. Wie ein Träumender ging ich zu dem Rennen zurück, aber mir war die Kampflust vergangen, Küraß und Haube warf ich von mir, griff zur Laute und verklimperte den Tag und den Abend im einsamen Stüblein. Je mehr ich aber klimperte, je näher trat mir das Bild des Mägdleins; trotz dem Abscheu, den ich von Kindheit auf gegen das ganze Volk der Hebräer hegte, wurde mir dieses Bild immer lieber, immer traulicher; so oft ich die Saiten rührte, trat die liebliche Gestalt in meine Zelle, neigte sich und schien mit dem Lächeln der Sehnsucht meinen Tönen zu lauschen. Wie selig war ich dann! Zwar sagte ich mir oft: Sei nicht aberwitzig und kein Dummbart, der sein Quentlein Verstand an das glühende Gesicht einer Dirne verliert, die nicht einmal an den Heiland glaubt. Mein Lehrmeister, der Predigermönch Johannes, ersah wohl meinen Trübsinn, meine wehmüthige Freundlichkeit, errieth deren Ursprung. »»Die Minne quält dich und schafft dir Herzeleid,«« sagte er warnend, »»hüte dich, mein Sohn, du bist bestimmt, der Jungfrau jungfräulich zu dienen, und darfst dem Gelüste der Sinne nicht nachhängen. Bete, mache das heil. Kreuzeszeichen, so oft der Versucher zu dir tritt, und genese!«« – Ich folgte seiner Lehre, ich betete, schlug das Kreuz und genas doch nicht. Im Gegentheil, ich lernte immer mehr das verführerische Siechthum lieben, in das ich verfallen war.«

»Ihr Glücklicher!« rief Fiorilla, ausbrechend in wehmüthige Theilnahme. »Euch haben die Rosen des Lebens geblüht; nicht Jeder sieht diese Blüthen mit unentweihtem Sinn!«

»Mein Sinn war rein und ist es noch jetzt,« betheuerte Dagobert, »aber im selben Grade ist kräftig meine Brust und gesund mein Herz. Der Trübsinn, eine fremde Erscheinung in meinem Leben, ward nach einiger Dauer von der Fröhlichkeit niedergekämpft. Ich nahm wieder Theil an den Festlichkeiten der Stadt und der Geschlechter, an den Gelagen meiner Jugendgesellen und Gefährten und stieg wieder zu Pferd. Endlich glaubte ich es ohne Nachtheil wagen zu dürfen, meine Thorheit, wie ich's nannte, herauszufordern. Ich ritt durch die Judengasse und hoffte diejenige zu sehen, die mir's angethan, hoffte dem unbegreiflichen Zauber Hohn zu sprechen mit gestähltem Herzen. Aber . . . seltsam . . . schon beim Eintritt in die schmutzige Straße wirkte der Bann auf's neue. Ich, der sonst nur Muthwillen halber hier meinen Weg durchnahm, die Buben und Mägdlein der Ebräer durch das wüthende Dahersprengen meines Rosses in die Flucht treibend; . . . ich, der zuerst unter dem Jubelruf der Freunde es unternommen hatte, in eine jener altertümlichen Judenhütten einzureiten, zu Pferd meinen Besuch in der Stube zu machen, wo der Hausvater mit den Seinen zu Tische saß und beinahe den Tod hatte vor Schrecken, ich ließ jetzt das Pferd langsam gehen und spähte sorgsam nach beiden Seiten zu den erblindenden Fenstern auf, ob ich nicht die Holde gewahren möchte, welche mich berückt. Und siehe . . . wie verabredet erschien ihre Gestalt unter der Thüre eines Hauses, des Ansehnlichsten der Gasse. Mit überraschter Aufmerksamkeit schaute sie zu mir empor, und ein neuer Reiz schmückte ihr heute von Locken und zierlichen Zöpfen bekränztes Haupt, die Rosenglut der Scham, der feurige Wiederschein erfüllter Sehnsucht. Ich zwang meine hochklopfende Brust zur Ruhe, meine Züge zu kalter Gleichgültigkeit und trabte vorüber. Die Dirne grüßte nicht . . . . . . obgleich sie mich nur allzuwohl erkannte; die Vorsichtige schonte mein Gefühl. Sie blickte mir aber nach, so weit die krumme Gasse es verstattete, und da ich an der Ecke zurückschaute, winkten mir noch ihre Augen, wie freundliche Sterne. Seitdem trieb mich der neugestärkte Zauber Tag für Tag zur selben Stunde durch den von Pferden und Reitern selten besuchten Stadttheil. Und wie an der eingestürzten Pforte der Straße meines Rosses erster Hufschlag erklang, so klang auch das Fensterlein jenes Hauses, und das Zauberkind umgarnte mich mit neuen, allzu lieben Schlingen. Ihr lächelt wohl, lieb Mühmchen, wenn ich Euch sage, daß über ein Jahr diese seltsame Minne bestand, ohne ein dolmetschendes Wort zu finden; kaum einen dolmetschenden Blick, da ich immerfort, wenn gerade nicht Kälte, doch eine Ruhe heuchelte, die mir so fremd war, wie der Galle die Süßigkeit des Honigs.«

»O, ihr Deutsche!« lächelte Fiorilla, »zögernd legt ihr selbst die Riegel vor das Paradies.«

»Mit Recht!« erwiderte Dagobert, »steht die Pforte offen, so ist's das Paradies nicht mehr. Hinter den Bergen, die unsere Fluren begrenzen, denken wir uns schönere Auen und finden – haben wir die Höhen überklettert – nur die gewohnten Büsche und Felder wieder. Begehren ist Lust, im Genusse wird sie stumpf. – Ich ritt also fort und fort meiner schönen Jüdin zu Hofe und gefiel mir in der Sonderbarkeit meiner Neigung. Da geschah es, daß an einem Abend des verwichenen Sommers – die Wächter hatten die zehnte Stunde abgerufen – Feuer entstand in der Nähe der Judengasse. Ein Reiterknecht war mit brennendem Span in den Stall seines Gauls gegangen, und ein Funke hatte den Brand geweckt. Die Feuerglocke heulte vom Thurme, und auch in meine Klosterstille drang das Getümmel der zum Brand flutenden Menschenmenge. Schnell war ich entschlossen, meine thätige Hilfe nicht zu versagen, und kam athemlos auf dem Platze an, wo längs dem Mainstrom eine Reihe von Ställen, Heuschobern und Werkhütten in vollen Flammen stand. Unser Volk ist brav und rüstig, wo es zu retten gilt. Wasser wurde herbeigeschleppt von allen Orten und Enden; schon einige Male hatte ich auf meinem Rücken den vollen Bottich herzugetragen, und noch einmal ihn zu füllen, lief ich weg aus dem Getöse, da fiel mir eine weibliche Gestalt in die Augen, die, da wo man eingeht in die Judengasse, unter dem Vorsprung eines Hauses auf eine Bank niedergesunken schien. Entfernt von dem Gewühle der Menschen, forderte der Anblick der vielleicht Ohnmächtigen mein Mitleid auf. Ich trat zu ihr; erstaunt, ein köstlich geschmücktes Mädchen zu finden, dem nur der Schrecken die Kraft versagt hatte, weiter zu gehen; . . . entzückt zugleich in der festlich Geputzten die zu erkennen, die schon so lang in meiner Seele lebte. Wir waren Beide nur allzusehr betroffen, und kaum konnte ich die Worte stammeln: »Mein schönes Kind, wie kommst du hieher in diesen Gewändern?« – »O Herr!« versetzte sie hierauf schüchtern und demüthig, »das Entsetzen mag mich entschuldigen, wenn ich Unziemliches gethan. Wir feierten den Sabbath, der gerade heute eingegangen, geschmückt mit unserm Köstlichsten, als die Feuerglut entstand. Mein Vater und Großvater wurden aus dem Hause gerissen und mit Schlägen zum Löschen angetrieben. Die Angst vermochte mich, ihnen zu folgen, doch verlor ich sie aus den Augen und sank hier halb ohnmächtig zur Erde.« – Während dieser Rede hatte ich mich nicht abwenden können von der hohen Schönheit, die hier, in abenteuerlichen Prachtgewändern, wie sie wohl nur das Morgenland erfunden, vom fernen Glutschein zauberisch beleuchtet, der Reize höchste dem Bewunderer verrieth. Die funkelnden Ketten und Armbänder, das Geschmeide im Haare, der Perlengürtel konnten die Herrliche nicht schöner machen, aber zu einer jener Feenköniginnen verklären, von denen die Minnedichter singen, und die schon oft das Glück eines Sterblichen begründet haben sollen. »Wie hold bist du!« flüsterte ich der Lieblichen in's Ohr, und stürmisch klopfte mein Herz, da sie züchtig und leise antwortete. »Niemand begehre ich zu gefallen, denn Euch, mein Herr.« – »Herr?« fragte ich mit leisem Vorwurf; »Herr? warum nicht Freund?« Ich schmiegte sie in meinen bebenden Arm, sie entzog sich aber demselben und küßte meine Hand. »Nicht so,« sprach sie, »Freund dürft Ihr mir nicht sein, wohl darf ich Euch jedoch meinen Herrn nennen, dem ich zu eigen sein muß für und für.« – »Du mußt,« versetzte ich lächelnd; »warum?« – Nun drückte sie meine Hand von neuem an den Mund und ich meinte, sie würde meine Finger versengen mit dem glühenden Hauche ihrer Lippen. Befremdet ob solch leidenschaftlichem Thun, richtete ich das Mädchen ernst auf und sagte zu ihr im selben Tone: »Nicht wolle es sich länger ziemen, mit ihr auf freier Straße zu kosen; ich sei bereit, sie nach Hause zu geleiten.« Sie wollte das nicht zugeben, und wir hatten den Streit nicht beigelegt, als eine lange grobe Gestalt um die Ecke tölpelte und mein Mädchen plötzlich sich in den tiefsten Schatten des Vorsprungs zurückzog. »Esther! Esther! wo steckst du denn?« rief der ungebetene Gast mit rauher Stimme, in der ich gleich die des Buben erkannte, der mich auf dem Turniere beleidigt hatte. Nun juckte es in meiner Faust, aber ich bezwang mich und gestattete es, daß die Gerufene sich völlig hinter mir verbarg. Der rothköpfige Knecht starrte mich einen Augenblick an, wich aber auf mein rauhes: »Wer geht da?« scheu zurück und näherte sich dem Gewühle der Löschenden, immer den Namen des Mädchens rufend. Wir schlüpften alsdann in die menschenleere Straße und gelangten unter freundlichem Kosen an Esther's Haus. Die Schatten des Hausganges nahmen uns auf. Hier fragte mich Esther, ob sie mich wiedersehen werde. Bald zum letzten Male, antwortete ich und vertraute ihr, ohne meinen Namen genannt zu haben, wie ich zum Dienste des Altars bestimmt sei. – Sie seufzte tief, faßte sich jedoch bald. »Als Priester dürft Ihr Euch nicht verehelichen, nicht wahr?« fragte sie lebhaft. Kopf schüttelnd schwieg ich. »O, dann ist's recht!« sprach sie, »dann bleibt Ihr mein Gebieter und ich Eure Magd, wenn uns auch weite Länder trennen. Dann werde ich nicht sterben vor Gram, Euch an der Seite einer geliebten Hausfrau zu wissen.« – »Wie kannst du meiner ferner gedenken?« fragte ich, »meiner? den Priester eines Glaubens, den du hassest?« – »Denket das nicht,« antwortete sie, »ich hasse nicht Eure Lehre, nicht Euren Messias.« – »Wenn auch das wäre,« fuhr ich fort, »so wird es, fürchte ich, Sünde sein, wenn ich dein Bild bewahre, das der Verleugnenden?« – »Ist das eine Sünde,« erwiderte sie schnell, »so kommt zurück, wenn Ihr Priester seid und tauft mich. An Eurer Hand gehe ich gern in Euer Himmelreich, ohne das ewige Jerusalem zu schauen. Aber freilich,« setzte sie stockend hinzu, »freilich müßte das erst geschehen, wenn der Vater todt sein wird und der Altvater Jochai. Denn es würde ihnen das Herz brechen und ich möchte sie gerne in Frieden dahinscheiden sehen.« – Dieser ungeheuchelte Beweis einer reinen Seele zog meine Lippen an die ihrigen. Der erste und der letzte Kuß ward zwischen uns gewechselt. Herannahendes Geräusch scheuchte mich aus dem Hause, und nimmer habe ich seitdem die Reizende gesehen, und mein Schicksal riß mich von dannen, ohne mir das Glück des Lebewohls zu gönnen.«

Fiorilla trocknete eine Thräne und neigte sich dankend zu dem Erzähler. – »Wie soll ich Euch das Vertrauen vergelten, dessen Ihr mich gewürdigt? Ihr habt mir das Geheimnis Eures Lebens geschenkt, . . . ich kann Euch kein ähnliches vertrauen.«

»Vertraut mir nichts, Fiorilla!« unterbrach sie Dagobert ernst, »ich bin Euch zu hold, als daß ich Euch vor mir erröthen sehen möchte. – Bedauert hingegen mein Mißgeschick, das mich beinahe zwingt, das Andenken, das ich treu bewahrte, aufzugeben für ein andres. Ich hätte meinem Herzen nicht so viel Wankelmuth zugetraut. Ein ander Frauenbild hat mich schier bethört; Esther und dieses holde Weib streiten in meiner Brust, und dennoch ist keine auf Erden mir bestimmt und erlaubt.«

»Verwahrt darum Euer Herz,« entgegnete Fiorilla schelmisch. »Wer ist aber die, die Ihr zu lieben besorgt?«

Dagobert erzählte das Nachspiel zu dem Abenteuer auf der breiten Straße, wo er den gefangenen Huß gegen die Roheit seines Beleidigers vertheidigt hatte. Und da er nun die Gestalt seiner neuen Huldin, wie das Haus beschrieben hatte, in das sie gegangen, so warf sich Fiorilla lachend in den Polstersessel zurück. »Grollt mir nicht,« stammelte sie, nach Luft athmend, »das Zusammentreffen ist zu seltsam und zu lustig. Man rede noch einmal von der Stimme des Bluts, von angebornem Haß und Vorurtheil, der auch mit verbundenem Auge seinen Feind erkenne. Diejenige, die Ihr meint, ist niemand anders als Eure Schwester Wallrade, die sich gewiß nicht träumen ließ, daß es ihr gelingen würde, den abgeneigten Bruder in einen sehnsüchtigen Minneknaben zu verwandeln . . .«

»Wallrade!« fragte Dagobert staunend, »Wallrade, das Fräulein von Baldergrün?« – »Der Name des Besitzthums, das ihr Monsignore zum Geschenk machte,« erklärte Fiorilla. »Sie verabscheut ihren Geschlechtsnamen, da Eure Stiefmutter ihn führt.«

»Eitle, selbstsüchtige Thörin!« rief Dagobert. »Wahrlich, lieb Bäschen, Ihr hättet mir keine wirksamere Arznei geben können, als mir der Name Wallrade wurde. Wo hatte ich meine Augen, daß ich, wenngleich nach so langer Zeit, diejenige nicht erkannte, die mir des Leid's viel gethan. Toller, toller Zufall! Mich ergötzt es, daß auch sie blind gewesen und mich nicht erkannt. Wie gut ist's, daß sich noch nicht die Gelegenheit dargeboten, ihr den Hof zu machen. Wie würde der Hageprunk über meine Kurzsichtigkeit gespöttelt haben! Habt Dank, gute Fiorilla. Ich bin nun gesund und kann über meine Narrheit lachen.« – Er überließ sich auch dem ungebundensten Frohsinn.

»O, des leichten, wandelbaren Bluts!« scherzte Fiorilla. »Arme Esther! Bei solchem Flattersinn wird dein Gedächtnis schwinden, früh oder spät, wenn ich's gleich heute vor aller Gefahr zu schützen so glücklich war.«

»Ihr bereut den Dienst doch nicht, den Ihr dem Judenmägdlein erwiesen?« fragte lächelnd Dagobert. »Ihr, die Nichte . . . die Freundin eines rechtgläubigen Prälaten? Wahrhaftig, ich muß Eure Duldung bewundern, die Kirche, Gesetz und des Pöbels Eigensinn verdammen.«

»Leider!« erwiderte Fiorilla seufzend. »Ihr möchtet leichtlich staunen, eine Wälsche, welche die Madonna verehrt, also sprechen zu hören. Vielleicht wird Euch jedoch meine Hinneigung zu der liebenswürdigen Esther erklärlicher, wenn ich Euch sage, daß ich keineswegs aus Cesena, sondern aus dem Ghetto zu Rom stamme, meine Eltern früh verlor, und durch die Milde Eures Ohms in eine Bekehrte verwandelt wurde.«

Dieses überraschende Geständnis kitzelte Dagobert's Zwerchfell auf's Heftigste. »Hoho!« rief er lachend wie ein Verrückter, »kann denn auf dem Brocken in der Walpurgisnacht einem Hexlein etwas Tolleres begegnen als mir? Es grenzt an's Märchenhafte. Ich liebe eine Jüdin und meine Schwester und meine Vertraute ist eine Neugetaufte! Nein, ich muß mich lossagen von solchen Banden, damit mir's nicht ergehe, wie den böhmischen Ketzern, und darum guten Abend, holdes Heidenkind!«

Schnell hatte er einen Kuß auf Fiorillens Wange gepreßt und polterte lachend die Treppe hinunter. Unter der Pforte rannte er an seinen heimkehrenden Oheim, der ihn, Dank sei es der Dämmerung, nicht erkannte, aber durch ein halb ängstliches: »Wer da! wer seid Ihr?« festzuhalten dachte. »Ein Rabbiner, der von Euch bekehrt sein möchte!« brummte der Spottvogel im tiefsten Register und entsprang.


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