Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.

Eine sichere Basis der Verhandlungen war glücklicherweise bereits vorhanden. Noch während wir die Treppe zusammen hinunterschritten, hatte Egbert, mir seinen Arm um die Schulter legend, zugeflüstert: »Sieh zu, wie Du den Schwarzen zufrieden stellst, und wie wir den Vater los werden; ich bin zu Allem und Jedem bereit, und sollte es mich mein Vermögen kosten«, worauf ich in demselben Tone: »just so viel wirds wohl nicht sein, und daß es Dir auf ein paar Tausend in diesem Falle nicht ankommt, weiß ich.« – Sodann hatte mich Herr Bergfeld, als wir kaum das Zimmer betreten, in eine Ecke gezogen, mir die Hände gedrückt und mir zugeraunt: »Sehen Sie, ich habe doch recht gehabt: sie liebt mich, sie will mich heirathen. Ich mache mir gar nichts daraus, daß ihr Vater ein Schneider ist; mein Vater – hier räusperte sich der junge Mann und wurde sehr roth – »mein Vater ist selbst Kammerdiener gewesen.«

Ich drückte dem braven Jungen von Herzen die Hand. Es war ihm schwer geworden, dies Bekenntniß, um so schwerer, als er bisher immer von seiner »Familie« in Ausdrücken gesprochen hatte, die dunkel auf ein uraltes, in letzter Zeit in seinen Vermögensverhältnissen allerdings etwas zurückgekommenes Patriziergeschlecht hindeuteten. Aber die Liebe fällt in gute Herzen wie ein befruchtender Regen auf gutes Land, und der goldene Samen, der verborgen schlief, geht auf und bringt Früchte hundert- und tausendfältig.

»Meine Herren«, sagte ich, als der Kellner, der die Erfrischungen gebracht, uns wieder verlassen hatte, und der Rauch aus einem halben Dutzend Cigarren – auch der Meister war mit einer Havannah – wohl der ersten in seinem Leben – versehen worden – zur Decke des hohen Gemaches stieg – während Alle auf einmal sprachen und Jeder dem Anderen seine individuelle Ansicht von den merkwürdigen Ereignissen begreiflich zu machen suchte – »Meine Herren! in Erwägung, daß die so höchst complicirten Fragen, welche uns zur Beantwortung vorliegen, wie vorauszusehen war, bereits eine ungemein animirte Debatte hervorgerufen haben, möchte ich, der ich, wie ich glaube, fester als einer von Ihnen die verwirrten Fäden dieser verwickelten Angelegenheit in der Hand halte – (Hört! hört! von dem Platze des Herrn Scherzer, der sein Taschenbuch bereits wieder geöffnet hatte) – mir erlauben, mich Ihnen – mit allem schuldigen Respect vor den älteren und erfahrenern Herren der Versammlung – als Präsidenten in Vorschlag zu bringen. Da von keiner Seite ein Widerspruch erhoben wird, nehme ich an, daß die Versammlung meine Wahl billigt, und ertheile demnächst Herrn Büchsenschmied Christian König das Wort, indem ich ihn bitte, uns aus dem Leben seines unglücklichen Bruders, so weit er es selbst kennt, Einiges mitzutheilen, und uns so in den Stand zu setzen, besser, als wir es jetzt vermögen, diesen seltsamen und beklagenswerthen Charakter zu beurtheilen.«

Aller Augen wandten sich auf den ehrlichen Meister, der ohne alle Verlegenheit, wenngleich sichtlich ergriffen, also anhub:

»Das will ich gern thun, liebe Herren, obgleich ich nicht viel zu erzählen habe. Unser Vater war Büchsenschmied, wie es auch mein Großvater gewesen. Wir waren unser drei Geschwister: ich, als der älteste, sollte Büchsenschmied werden, um das Geschäft übernehmen zu können, Lebrecht wurde zu einem Schneider in die Lehre gethan, die Schwester, die jetzt hier ist, und von dem guten Doctor da nun schon so lange erhalten wird – was ihm der liebe Gott vergelten möge, da ich es nicht kann – war damals schon kränklich, und mußte im elterlichen Hause bleiben, ohne eben helfen zu können. Vielleicht war das für den Lebrecht ein Unglück, daß ihn der Vater just ein so stilles Handwerk lernen ließ. Er war ein starker, wilder, muthiger Knabe, der sich lieber in Feld und Wald umhertrieb, als in der engen Stube hockte, und aus dem man wohl einen rechten Jägersmann oder dergleichen hätte machen können, der aber zum Schneider verdorben war. So hatten denn sein Meister und der Vater viel mit ihm abzusetzen, aber er lernte doch das Seine, denn er war von jeher sehr geschickt, und es gelang ihm eigentlich Alles, was er in die Hand nahm. Dann ging er auf die Wanderschaft und blieb lange fort, kam auch überall herum, bis nach England, wo er ein paar Jahre blieb, und wo er leicht sein Glück hätte machen können, denn die Wittwe seines Meisters hatte ein Auge auf ihn geworfen, da er denn, wie obbemeldet, ein gar stattlicher Bursche war, und begehrte ihn zu ihrem Ehegatten, aber er hatte ja wohl eine andere Liebste – wie er sich denn immer mit den Weibern was zu schaffen machte – die Frau kam dahinter, Summa: er setzte ihr den Stuhl vor die Thür und kam wieder nach Deutschland. Da hat er denn gearbeitet hier und dort, überall nur kurze Zeit, zuletzt in Dresden, wo er seine jetzige Frau kennen lernte, so die Tochter seines Brotherrn und ein gar schönes Mädchen war. Die heirathete er denn vom Fleck weg, und das war gut, weil er es sonst nimmer gethan hätte, und auch nicht gut, denn so ein Gesell, wie der Lebrecht – das giebt mein Tage keinen guten Ehemann. Item: sie waren Mann und Frau, und kamen nach S., eigentlich nur zum Besuch; dann blieben sie da, weil just ein alter Meister gestorben war und ein junger sich setzen konnte, hauptsächlich aber, weil der Lebrecht doch keine bessere Aussicht hatte. Nun ging das Leid für mich an. Unsere Eltern waren gestorben, ich hatte das Geschäft übernommen, war schon so lange verheirathet, daß ich bereits sechs Kinderchen zu ernähren hatte und die Schwester, die immer kränker geworden, mußte ich auch erhalten. Just zu der Zeit fing das auch mit den Fabriken an; wir kleinen Handwerker konnten nicht so billig arbeiten; da war denn der Verdienst schlecht; es ging knapp zu, und manchmal schaute gar der Hunger zur Thür hinein. Das war schon schlimm genug, aber schlimmer wurde es, als der Lebrecht jeden Tag kam und sagte, ich solle ihm helfen und ich müßte ihm helfen, es fehlte ihm dies und es fehlte ihm das in der Wirthschaft, im Laden. Ich half, wo ich konnte, es war freilich blutwenig, aber wenn's auch viel gewesen wäre – ihm würde es doch nichts geholfen haben, denn er konnte das Seine nicht zusammen halten, es war, als ob er an jedem Arm statt der Hand ein Sieb hätte und ein großlöchriges dazu. So ging das Elend mehrere Jahre, und wurde immer größer, als er nun auch noch zwei Kinder in die Ehe bekam, die schönsten Kinderchen, die man sehen konnte. Die Leute im Ort hätten ihn gern unterstützt, schon der Frau und der Kinderchen wegen, aber zuletzt wurden sie es müde, weil sie sahen, daß er sich nicht helfen lassen wollte, denn, je schlechter es ihm ging, desto höher wollte er hinaus, und je mehr er den Leuten schuldig war, um so hochmüthiger sah er sie über die Achsel an und schimpfte über das Lumpenvolk und Krämerpack, denen er noch einmal zeigen werde, was er für ein Kerl sei.

Da kam er eines Tages zu mir und sagte, er wolle nach Amerika; ich sollte ihm das Geld dazu geben. Ich hatte es nicht, aber ich dachte auch, daß es das Beste wäre, wenn er fortginge, und so sammelte ich denn für ihn und bekam endlich die Summe zusammen. Er nahm das Geld, ohne zu danken. Meine Alte hatte für die Frau und die armen Würmer, die damals so ein sieben und acht Jahr zählen mochten, die Bündel zurecht gemacht, und da fuhren sie eines Morgens – ich weiß es noch wie heute; es war ein kalter Februarmorgen und meine Frau war in der Nacht in ihr achtes Wochenbett gekommen – ja, da fuhren sie eines Morgens mit dem Hauderer fort – nach Amerika.«

Der Meister schwieg und rieb sich die buschigen Augenbrauen.

»Hat er denn nie wieder von sich hören lassen?« fragte ich.

»Ein paar Mal noch, im Anfang«, erwiderte der Meister, »um Geld zu fordern, das ich ihm nicht geben konnte, beim allerbesten Willen nicht. Dann schrieb er nicht wieder; aber von Andern, die hinüber geschifft waren, ihr Glück d'rüben zu versuchen, und nach Hause berichteten, erfuhren wir, daß es ihm nicht schlecht gehe; er habe einen Kleiderladen etablirt und ein Putzgeschäft, das vielen Zuspruch habe, da die Töchter, die unterdeß herangewachsen, durch ihr schmuckes Aussehen viel Käufer herbeilockten.«

»Die Sache hat seine Richtigkeit«, rief hier Herr Scherzer, der seine Ungeduld, zu Wort zu kommen, nicht länger zügeln konnte; »stimmt ganz mit dem Resultat der Nachforschungen, die ich in New-York habe anstellen lassen. Sie müssen nämlich wissen, meine Herren, daß durch einen Zufall – aber ich bin Ihnen zuvor eine kurze Relation des Verhältnisses schuldig, in welchem ich selbst mit dem – ehem! – mit dem Manne gestanden habe. Er kam Anfang Februar dieses Jahres nach Berlin, stieg in einem der ersten Hotels ab, suchte nach einer passenden Wohnung; ein Commissionär wies ihn in eines meiner Häuser, wo gerade eine Wohnung leer stand. Ich nahm ihn, wofür er sich ausgab: einen reichen secessionirten Pflanzer, den der Krieg vertrieben, um so mehr, als er sofort auf meine Forderung einging, so daß es mir schon leid that, nicht mehr gefordert zu haben. Der Contract wurde in seinem Hotel abgeschlossen, wo mir die großen Koffer, mit denen der ganze Flur verbarrikadirt war, besonders imponirten. Die Frau war sehr angenehm, die Töchter sehr schön – ich bin sonst ein vorsichtiger Mann, meine Herren, aber ich wäre ein ungläubiger Thomas gewesen, wenn ich in diesem Falle Mißtrauen gehabt hätte. Der sogenannte Mr. Jones erkundigte sich nach meiner Frau, indem er den Wunsch ausdrückte, der Gattin seines Wirthes seine Damen zuführen zu dürfen. Später erfuhr ich freilich, daß er schon damals recht gut gewußt hat, daß ich nicht verheirathet sei. Ich erbot mich natürlich nichts destoweniger zu allen Diensten, besonders auch dazu, die Damen in der Stadt herumzuführen; und unter uns, meine Herren, darauf hatte man es gerade abgesehen. Wir wurden sehr bekannt mit einander, trotzdem ich nicht in demselben Hause wohnte – ich wäre sonst doch wohl früher hinter die Schliche gekommen. Ich machte mir ein Vergnügen daraus, die Bürgschaft für die gekauften Meubel zu übernehmen, da der sogenannte Mr. Jones vorgab, daß seine Creditbriefe ausgeblieben seien.«

Hier seufzte Dr. Kühleborn sehr tief; die Phrase schien ihm bekannt.

»Was soll ich Sie lange aufhalten, meine Herren«, fuhr der schwarze Mann fort; »ich übernahm die Meubel, ich bezahlte die Rechnungen bei G. Herson, ich bezahlte den Restaurant, von dem man das Essen holen ließ. Die Bekanntschaft dieser Damen ist mir sehr theuer zu stehen gekommen.«

Der schwarze Mann lächelte ein sauersüßes Lächeln, indem er einen summirenden Blick über die einzelnen Items in seinem Notizbuch gleiten ließ.

»Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß diese Damen, wie Sie sich auszudrücken belieben, Sie zu diesen Ausgaben verleitet haben«, rief hier Egbert, der schon während der ganzen Rede des Herrn Scherzer Zeichen großer Erregtheit hatte blicken lassen.

Herr Scherzer schaute verwundert von seinem Notizbuche auf.

»Ich habe nicht das Vergnügen, Sie zu verstehen«, sagte er.

»Die Sache ist«, sagte ich –

»Laß mich!« rief Egbert, dem bereits die Röthe des Zornes in die Stirn gestiegen war; »ich wollte dem Herrn nur bemerken, daß ich kein Wort dulden werde, welches auch nur den leisesten Zweifel an der Ehrenhaftigkeit ›dieser Damen‹ (letztere beiden Worte mit großer Emphase) durchblicken läßt; und was besonders Miß Ellen, oder Fräulein Ellen« –

»Lenchen«, sagte hier der Meister.

Egbert warf dem Meister einen wüthenden Blick zu.

»Oder Lenchen – gleichviel! – betrifft, so habe ich die Ehre, Ihnen zu erklären –«

»Aber, geehrter Herr«, rief hier der schwarze Mann, »ich begreife gar nicht, was Sie von mir wollen! ich habe ja keine Sylbe gesagt, welche die Ehre der Damen compromittirte; aber Sie werden mir doch zugeben, daß, – abgesehen von dem ganzen amerikanischen Schwindel, den wir einmal dem Manne allein in Rechnung setzen wollen, obgleich der stillschweigende Consens der Damen strafrechtlich einen dolus involvirt, ich sage: Sie werden mir zugeben, daß, wenn ein vorsichtiger Geschäftsmann, wie ich, sich zu der Höhe einer nicht unbedeutenden Summe für fremde Damen in Kosten setzt, er dies nicht thun wird, ohne eine Hoffnung –«

»Es kommt gar nicht darauf an, was Sie gehofft, oder wie theuer Sie sonst Ihre Großmuth zu verkaufen gedacht haben«, donnerte Egbert; »sondern ob man Ihnen Hoffnungen gemacht hat; und hier erkläre ich noch einmal, daß ich kein Wort dulden werde, welches Fräulein Ellen –«

»Lenchen«, sagte der Meister zur Steuer der Wahrheit, aber offenbar ohne Hoffnung, in dem Lärm gehört zu werden.

»Und ich erkläre ebenfalls nochmals«, schrie der kleine schwarze Herr heftig, »daß ich Fräulein Ellen, oder Fräulein Lenchen weder genannt, noch gemeint habe; aber ich sehe nicht ein, weshalb ich leugnen soll, daß die Avancen, welche mir die ältere der jungen Damen –«

»Wenn Sie damit Miß Virginia meinen sollten«, sagte hier Herr Bergfeld, der sich, vor Aufregung zitternd, von seinem Stuhle erhob, »so bin ich meinerseits in der Lage, Sie ersuchen zu müssen, in Ihren Ausdrücken über Fräulein Virginia –«

»Luischen«, sagte der Meister in resignirtem, aber festem Ton.

Der schwarze Herr fuhr sich mit beiden Händen an den Kopf.

»Aber meine Herren, meine Herren«, schrie er; »ich weiß wahrhaftig nicht mehr, was ich denken soll. Ich glaubte das Opfer eines schändlichen Humbugs, Schwindels und Betruges zu sein, und sehe mich hier einer Behandlung ausgesetzt, stoße auf ein Mißtrauen, eine Feindseligkeit, deren Motive auch nur zu ahnen ich weit entfernt bin. Ich –«

Niemand konnte verstehen, was Herr Scherzer vielleicht noch sagte, denn Alle sprachen jetzt wieder durcheinander. Egbert und Bergfeld – diese geschworenen Freunde – waren aufgesprungen und redeten und gesticulirten auf Herrn Scherzer ein. Ich zog sie an den Rockschößen zurück, und erklärte ihnen auf das Bestimmteste, daß ich sofort gehen und mich zu Bett legen würde, wozu ich überdies die größte Lust hätte, wenn sie mir von diesem Augenblick an nicht die Verhandlung mit Herrn Scherzer ganz allein überließen, und auf ihrem Zimmer das Resultat des Congresses abwarteten. –

Dies wirkte. Die beiden Heißsporne sahen ein, daß ihre Gegenwart hier nur vom Uebel war, und entfernten sich, mit dem Bemerken, daß sie auf Egbert's Zimmer meiner harren würden.

»Und wäre es bis zum ersten Hahnenschrei!« rief Bergfeld.

»Gott sei Dank, daß diese jungen Herren fort sind«, sagte Herr Scherzer, dessen Muth, sobald jene das Zimmer verlassen, außerordentlich gewachsen war, »ich gestehe, daß ich nur noch mit Mühe an mich gehalten habe. Aber, geehrter Herr, sagen Sie mir nur, was wollten die jungen Leute, daß sie bei jedem Worte, das ich sagte, wie toll auf mich losfuhren?«

Ich erklärte nun mit aller möglichen Discretion dem schwarzen Herrn die Lage der Dinge. Er, aber auch der Sanitätsrath, der bei dieser Gelegenheit bemerken mußte, wieviel unmittelbar unter seinen Brillengläsern passirte, wovon sich seine Philosophie nichts träumen ließ, und der gute Meister, dem es, nach dem gespannten Ausdruck seiner ehrlichen Züge zu schließen, blutsauer wurde, sich in den verwickelten Combinationen und Permutationen des Gesellschaftslebens zurecht zu finden – Alle hörten sie mir mit der größten Aufmerksamkeit zu. Als ich zu Ende war, sagte Herr Scherzer mit einem Blick in sein Notizbuch:

»Wenn ich Sie recht verstanden habe, geehrter Herr, so würde Herr Egbert aus Gründen, die sich, wie Sie eben so fein wie richtig bemerkten, einer genaueren Erörterung entziehen, geneigt sein, für Herrn König – König, Königsby, Cunnigsby! sehr gut! – also für Herrn König aufzukommen, so weit überhaupt die Sache mit Geld gut zu machen ist.«

»Verzeihen Sie«, unterbrach ich ihn, »das ist die conditio sine qua non. Wollten meine Clienten den gerichtlichen Weg eingeschlagen wissen, hätte unsere Verhandlung keinen Sinn. Wer geschädigt ist, soll entschädigt werden – damit aber sei es genug.«

»Sehr wohl«, sagte Herr Scherzer, »es kommt also nur darauf an, ob Ihr Freund, oder Ihre Freunde im Stande sind, zu leisten, wozu sie sich verpflichten. Ich bin ein Geschäftsmann, und« –

»Sie sollen jede Sicherheit haben, die Sie wünschen; mein Freund ist sehr vermögend« –

»Ich zweifle nicht daran; aber die Schadenrechnung wird etwas lang werden. Ich habe vorhin schon die einzelnen Items hier untereinandergestellt; wenn Sie gütigst einen Blick auf dies Blatt werfen wollen: 400 Thaler erstes Quartal, 400 Thaler, da nicht contractmäßig gekündigt ist, – der Contract liegt zu Ihrer Einsicht jeder Zeit bereit, – ich habe die Wohnung freilich noch rechtzeitig vermiethet, aber sie hätte doch ebenso gut leer bleiben können – also 400 Thaler zweites Quartal, Möbel 800 Thaler, Restaurateur 180 Thaler, Modehändler 400 Thaler.«

»Gott du Gerechter!« rief der Meister, die Hände über dem Kopf zusammenschlagend.

»Baar 200 Thaler, dito 24. März – Notabene den Tag vor ihrer Abreise – 100 Thaler. Summa 2480 Thaler. Dazu Reise nach Tannenburg und zurück für zwei Personen« –

»Sie gehen sehr in's Detail«, sagte ich.

»Geehrter Herr, man muß wohl – ein Geschäftsmann – ein Verlagsbuchhändler wenigstens muß wohl – Ihr Herren Schriftsteller freilich –«

»Freilich, freilich!« sagte ich; »aber um so mehr wundere ich mich, daß, wenn auch die jungen Damen noch so schön und liebenswürdig waren, Sie so große Summen einem Manne creditiren konnten, den sie nicht kannten« –

»Lieber Freund, ist es mir denn anders gegangen?« sagte der Sanitätsrath seufzend; »auch ich bin das Opfer einer beklagenswerthen Leichtgläubigkeit geworden; und dieser Graf – er hat freilich bezahlt; aber wenn diese Geschichte ruchbar wird, und – Herr des Himmels, daran habe ich ja noch gar nicht gedacht!«

Dr. Kühleborn sprang vom Stuhle, als hätte man ihm eine volle Ladung der elektrischen Batterie, die hinter ihm in einer Ecke des Zimmers stand, in den Nacken geleitet, und fing an, mit kurzen Schritten auf- und abzulaufen.

»Morgen sollen die Wagen kommen, die sie nach Malepartus holen! Was soll man sagen? was thun? Se. Durchlaucht wird außer sich sein, und hat er nicht Ursach? eine solche heillose Mystifikation einer allerhöchsten Person ist ja noch nicht dagewesen, so lange die Welt steht. Ich bin um den Titel, um Reputation, die Tannenburger sind um die Eisenbahn, – es ist entsetzlich, entsetzlich! Der Kerl – verzeihen Sie, lieber Meister, aber er verdient wirklich keinen besseren Namen, – er muß exemplarisch bestraft werden; das ist die einzige Genugthuung, die wir Sr. Durchlaucht geben können!«

»Ich sehe nicht, daß die Sache dadurch besser wird«, sagte ich; »im Gegentheil! Wir müssen Alles thun, den Scandal zu verdecken, zu vertuschen. Warum soll ein Reisender nicht eine Nachricht erhalten, die ihn zwingt, über Nacht abzureisen, selbst wenn er für den nächsten Tag bei einer Durchlaucht eingeladen ist? Unser Gefangener aber muß noch heute Nacht fort. – Noch heute Nacht«, wiederholte ich; »noch in dieser Stunde. Ich habe meinen Entschluß gefaßt.«

Ich erhob mich, wie ein Richter, wenn die Sache spruchreif ist.

Meine Bestimmtheit hatte nicht verfehlt, den gewünschten Eindruck zu machen. Der Meister kraute sich in dem buschigen Haar, der Sanitätsrath führte eine sehr bedächtige Priese in seine lange Nase, Herr Scherzer nahm seine Brille ab, und fing an, die Gläser zu putzen.

»Denn sehen Sie, meine Herren«, sagte ich, »auch angenommen, ja zugegeben, daß noch ein oder der andere Hotelwirth in Baden-Baden, oder wo unser Freund sich noch sonst aufgehalten haben mag, in ähnlicher Weise von ihm mystificirt ist, – wir wissen es nicht, und wo kein Kläger ist, da ist kein Richter, und wenn sich nun auch wirklich die Gerichte in die Sache mischten, zu ihrem Gelde können sie den Betrogenen doch nicht verhelfen. Im Gegentheil erweisen wir Allen, die noch betrogen werden könnten und sehr wahrscheinlich betrogen werden würden, einen Dienst, wenn wir den vielgewandten Mann nach Amerika zurückschicken, denn daß er sofort Europa verläßt, wäre natürlich die erste Bedingung, die wir ihm auferlegen.«

»Man kennt ihn in Amerika auch schon«, sagte Herr Scherzer, »und das hat mich ja eben auf die richtige Spur gebracht. Ich fand nämlich, als er fort war, in dem Sekretär einen Brief, der sich unter andre unwichtige Papiere verirrt hatte, und seine, wie ich jetzt weiß und damals gleich ahnte, richtige New-Yorker Adresse trug. In diesem Briefe drohte ein Mr. Smith in Ausdrücken, die ich hier dieses guten Mannes wegen, nicht wiederholen will, mit einer Wechselklage, und deutete auf andre Unregelmäßigkeiten hin, die den geschäftlichen Charakter des Herrn in dem bedenklichsten Lichte zeigten. Der Brief liegt in meinem Koffer; ich kann denselben sofort produciren, wenn Sie sich nur ein paar Minuten –«

»Ich denke, wir lassen das bis morgen«, unterbrach ich den Eifrigen. »Vorläufig wollen wir uns einmal, wenn es Ihnen recht ist, zu unserem Gefangenen verfügen, und ihn mit unserem Beschlusse bekannt machen. Das Weitere findet sich dann schon.«

Herr Scherzer und der Doctor schienen noch immer gewichtige Bedenken gegen meinen Plan zu haben; aber der ehrliche Meister sagte, indem er treuherzig meine Hand ergriff: »Gott segne Sie, lieber Herr, daß Sie dem Unglücklichen forthelfen wollen. Vielleicht bessert er sich, wenn er sieht, daß es noch Menschen giebt, die sich des Sünders erbarmen. Und wenn er ja auch wohl was Schlimmeres verdient hat – es ist hart für einen ehrlichen Kerl, seinen leiblichen Bruder im Zuchthaus zu wissen« –

Die Stimme des braven Mannes zitterte, ich drückte ihm die Hand und sagte:

»Kommen Sie, meine Herren!«

Ich ergriff ein Licht und ging voran; die Andren folgten; zwei davon mehr mechanisch, glaube ich, als aus Ueberzeugung. In dem Kurhause war schon Alles still, die Treppe knarrte unter unsern Schritten, als wir Einer hinter dem Andern hinaufstiegen. Die Thür aus dem Salon nach dem Corridor war weit geöffnet, vermuthlich von Herrn Hockelheim in der Absicht, sich sein Wächteramt zu erleichtern, da die Eckstube, in welcher der Gefangene saß, nur nach dem Salon und dem Corridor je eine Thür hatte, so daß der Verbrecher, falls er ja hätte ausbrechen wollen, jenen oder diesen passiren mußte.

Herr Hockelheim richtete sich, als wir in den Salon traten, so strack aus dem Fauteuil, in welchem er gesessen hatte, auf, und öffnete seine Augen so weit, daß die Vermuthung, der Brave sei nach der anstrengenden Reise bei der Flasche (die übrigens leer war) ein wenig eingenickt, nahe lag.

»Nun wie steht's, Hockelheim?« fragte Herr Scherzer mit leiser Stimme.

»Alles in Ordnung«, brummte der Wachtmeister und räusperte sich. »Er hat sich seit einer Stunde nicht gerührt.«

Ich unterdrückte die Bemerkung, daß diese zarte Rücksicht für die gegenseitige Ruhe auch wohl von Herrn Hockelheim gewissenhaft beobachtet sei, und ersuchte ihn, uns die Thür zu dem Gefangenen zu öffnen.

»Ich glaube, er schläft«, sagte Herr Hockelheim, den Schlüssel umdrehend und die Thür aufstoßend.

Die Lichter brannten auf dem Tisch in der Mitte, das Zimmer war nicht eben groß, man konnte es also sehr gut mit einem Blick übersehen, aber obgleich zehn Augen (worunter vier mit Brillen und zwei durch ein Pince-nez) auf einmal hineinschauten, konnte doch keiner desselben sich rühmen, Herrn Cunnigsby-Jones-König zu entdecken.

»Donnerwetter!« sagte Herr Hockelheim.

Wir andern sagten nichts, sondern blickten uns mit Mienen an, die nicht eben viel, dafür aber alle dasselbe ausdrückten.

»Donnerwetter!« sagte Herr Hockelheim noch einmal.

Ich ging an das Giebelfenster, es war geschlossen; ich ging an das Fenster in der Fronte – es war nur zugedrückt. Ich stieß es auf – der Nachtwind rauschte in den Pappeln, von denen die eine ihre schlanken elastischen Zweige beinahe ins Fenster streckte.

»Glauben Sie, daß er da hinaus ist?« fragte der Sanitätsrath, der mir über die rechte Schulter schaute.

»Meinen Sie, daß man da hinab kann?« fragte Herr Scherzer, der mir über die linke Schulter blickte.

»Das sieht ihm ähnlich«, sagte der Meister.

»Donnerwetter!« sagte Herr Hockelheim zum dritten Male.

»Hier liegt ein Papier – an Sie«, rief Herr Scherzer, der wieder an den Tisch getreten war.

Es war ein Blatt, das aus einem Portefeuille gerissen schien. Die Handschrift war, obgleich nur mit Bleifederzügen, deutlich, ja kühn. Die Zeilen lauteten:

 

Herrn …

Geehrter Herr!

Wenn dieses Ihnen zu Händen kommt, bin ich hoffentlich schon einige Meilen von hier. Ich habe geschwankt, ob ich Ihre Rückkehr abwarten, oder Tannenburg verlassen solle, mich aber bei reiflicher Ueberlegung zu dem Letztern entschlossen. Nach meinem Gefühl kann die Angelegenheit besser in meiner Abwesenheit arrangirt werden, als wenn ich zugegen bin, um so mehr, als ich mich überzeugt halte, daß Sie meinen Vortheil nicht minder gewissenhaft wahren werden, als den Ihrer Freunde, mit deren Interessen ja, genau besehen, die meinigen zusammen fallen. Lassen Sie mich Ihnen nur noch wiederholen, daß ich zu der Verbindung meiner Kinder mit ihren Freunden zum Voraus meinen Segen gebe. Ich bin noch hinreichend mit Geld versehen, um bis nach Hamburg zu gelangen, wo ich unter der Adresse Mr. Philip Phillips aus Boston, zur Zeit Hamburg, Hotel de l'Europe, weiteren Nachrichten, vor Allem einer Anweisung auf einen dortigen Banquier, behufs der Deckung der Hotelrechnung, und der Ueberfahrt nach New-York, binnen hier und drei Tagen entgegensehe. Sie werden zugeben müssen, ich gehe ganz loyal zu Werke und ich hoffe zuversichtlich, daß Sie ebenso handeln werden. Ich wünsche nicht, daß meine Frau mir nachkommt. Sie wird bei einem ihrer Kinder eine friedlichere Heimath finden, als ich ihr bereiten kann. Ich höre die Post von Fichtenau kommen. Leben Sie wohl, empfehlen Sie mich meiner Frau und meinen Kindern, meinem Bruder, sowie den übrigen Freunden, Se. Durchlaucht nicht zu vergessen, und lassen Sie sich nicht durch eine übel angebrachte Milde verleiten, jenen schlechten Mann, der uns in einer so grausamen, eines Gentleman vollständig unwürdigen Weise getäuscht hat, die ganze Strenge unseres gerechten Zornes empfinden zu lassen. Ihr

sehr ergebener

Philip Phillips.

Grüßen Sie auch den braven Constabler, der in dem Zimmer nebenan so gesund schnarcht.

 

»Wie finden Sie das?« sagte Herr Scherzer.

»Ganz im Styl des Mannes«, erwiderte ich, das Blatt zusammenfaltend; »übrigens glaube ich, daß er wirklich uns Allen durch seine Entfernung einen großen Gefallen erwiesen hat.«

»Mir nicht!« brummte Herr Hockelheim.

Ich mußte unwillkürlich lachen; Dr. Kühleborn, der in seiner Eigenschaft als Badedirector einen feinen Sinn für Humor hat, stimmte mit ein, Herr Scherzer ließ sich durch unsere Heiterkeit anstecken; der brave Meister lachte, weil er uns Andere lachen sah; wir Alle lachten, nur Hockelheim nicht, den ich aber gleich in Verdacht gehabt hatte, ein hoffnunglos prosaisches Gemüth zu sein.

Wir gingen durch den Salon leise zurück, um die Damen, falls sie schliefen, nicht zu wecken. Sie würden, was heute Nacht geschehen, morgen auch noch früh genug erfahren.

Dafür suchte ich versprochenermaßen noch Egbert auf, der, gewaltig rauchend, auf seiner Stube in dem Lehnstuhl saß, und Herrn Bergfeld, der auf dem Sopha eingeschlafen war, mit seinem Plaid zugedeckt hatte.

Ich theilte ihm das eben Erlebte mit. Er wollte es anfangs gar nicht glauben, dann brach auch er in ein Gelächter aus, das ihn um so mehr erschütterte, als er, des Schläfers auf dem Sopha wegen, nicht in sein gewöhnliches schallendes Stentor-Gelächter ausbrechen wollte. Plötzlich wurde er wieder ernsthaft und sagte flüsternd:

»Das arme Mädchen! es ist doch furchtbar, einen solchen Vater zu haben.«

»Vollkommen ist nichts unter der Sonne, lieber Freund!« erwiderte ich; »ihr wird dafür ein desto besserer Mann, wie es in Don Juan heißt: Der Gatte wird Vater nun ihr sein.«

Wir drückten uns kräftiglich die Hände.

»Soll ich unsern Freund dort mitnehmen?« fragte ich.

»Laß ihn schlafen«, erwiderte Egbert; »den armen Kerl! seine Beinchen mögen ihm müde genug geworden sein; aber er hat sich wie ein Mann gehalten. Ich werde ihm noch eine Decke überdecken.«

Nochmals ein Händedruck; dann ging ich.

Meine Glieder waren wie zerschlagen, ich hatte Mühe, die Hühnerstiege hinauf zu kommen; aber in meinem Kopf war es ganz licht und in meinem Herzen wogte es, wie lauter freundlich-schöne Melodien.

»Sonderbar«, sagte ich, während ich mich auf mein hartes Lager streckte, »höchst sonderbar! fast unglaublich! wenn ich das in eine Novelle brächte, sie würden sagen: wie übertrieben! wie unwahrscheinlich! welche Verletzung der Bescheidenheit der Natur!«


Meine Geschichte ist zu Ende, denn, was noch kommt, das versteht sich ja von selbst. Oder soll ich noch erzählen, wie wir am nächsten Morgen in aller Frühe den Herrn Grafen aus seiner Polterkammer erlösten und ihn mit der Ermahnung, sich nicht wieder unter anständigen Leuten sehen zu lassen, laufen ließen? Soll ich das Erstaunen Lindau's schildern, als er am andern Tage in Tannenburg wieder eintraf, das poetische Herz zum Ueberströmen voll von dem Eindruck einer himmlischen jungen Schwedin – sie hat ungeheure Güter in Dalekarlien und er ist entschlossen, sie zu heirathen! – die er gestern in Fichtenau auf einem Gang durch den Garten des Kurhauses – o, es war die anmuthigste Begegnung von der Welt! – gesehen, d. h. geliebt, d. h. besiegt hatte? was denn nebenbei auch der Grund gewesen war, weßhalb er nicht mit dem Meister hatte zurückkommen können? Oder soll ich schildern die mundaufsperrende Verwunderung unserer eigenen Gesellschaft, als, trotzdem wir alle Betheiligten zum strengsten Stillschweigen verpflichtet, die Wundermähr von dem amerikanischen Pflanzer, der kein Amerikaner und auch kein Pflanzer, sondern ein Schneider aus Deutschland, von dem ungarischen Grafen, der kein Ungar und auch kein Graf, sondern ein Billardkellner aus Wien gewesen, sich verbreitete? wie Fräulein Kernbeißer sagte, die Welt sei absolut zu schlecht und zu verlogen für ein gutes, offenes Herz (womit sie ihr eigenes meinte!); wie Frau Herkules seufzend eingestand, ihr Gefühl habe sie von Anfang an vor dem Grafen gewarnt; – wie das englische Kränzchen den »Vicar of Wakefield« still zuklappte und Frau Scherwenzel und Frau v. Dinde versicherten, der Accent jener Menschen sei ihnen sofort verdächtig gewesen? wie Frau v. Pusterhausen erklärte, in einem Bade, wo so etwas vorfalle, anständigerweise nicht länger bleiben zu können, und mit ihren Töchtern abreiste in Begleitung des Herrn A. B. Meyer aus Bremen, Firma A. B. Meyer u. Co., der sich acht Tage später mit Fräulein Käthchen öffentlich verlobte (heimlich waren sie schon seit dem stürmischen Rückzuge vom Nonnenkopf verlobt gewesen)? Soll ich erzählen, daß die Wagen Serenissimi am folgenden Tage wirklich eintrafen, und nach Malepartus nur mit einem Briefe beschwert zurückkehrten, in welchem Doctor Kühleborn seinem gnädigsten Herrn ich weiß nicht welches X für ein U machen zu müssen in der schauderhaften Lage war?

Dies und anderes der Art könnte ich noch erzählen, aber es versteht sich das Alles, wie gesagt, von selbst; auch verließen wir – Madame König und ihre Töchter Helene und Louise – Egbert, Bergfeld und ich – Tannenburg in aller Kürze, um uns zuvörderst in das Bad zu begeben, wo meine Frau weilte, die, wie Jeder, der sie sah, die liebliche Helene sofort ins Herz schloß, und um ihretwillen auch die andere Schwester und die Mutter in Gnaden aufnahm.

 

Seitdem ist ein Dreivierteljahr verflossen. Egbert und Bergfeld sind beinahe eben so lange glückliche Gatten. Von dem Letzteren glaube ich, daß er glücklich ist. Wenigstens versichert er es Jeden; er betet seine Frau an, die er stets Virginia nennt und immer nennen wird, und schwört, daß eine wirthschaftlichere, sorgsamere Frau in der ganzen Königsstraße nicht existire. Die Mutter lebt bei ihnen. Bergfeld ist stolz auf sie; er behauptet, die Frau sei ein Schatz, sie verbreite über sein ganzes Geschäft einen Nimbus von Respectabilität; das schwarze Seidenkleid und die goldene Kette seiner Schwiegermutter – dem Guten scheint noch immer keine Ahnung von der Unächtheit – der Kette nämlich – aufgegangen zu sein! – haben seinen Credit um das Doppelte erhöht.

Von Egbert weiß ich, daß er glücklich ist, obgleich er sich weniger geläufig, als sein Schwager (in dessen Geschäft er ein paar tausend Thaler angelegt hat) über sein Glück ausspricht. Selbst der Schatten, der von der Gestalt jenes bedenklichen Mannes, welcher der Vater seiner Helene ist, in sein Glück fällt, ist weniger schwarz, als wir Alle fürchteten. Er zahlt jenem Manne eine jährliche Leibrente, die sofort erlöschen soll, sobald auch nur die mindeste Klage über ihn von dem Rechts-Anwalt in New-York, durch dessen Hände das Geld geht, Egbert zu Ohren kommt. Und dann, sagt Egbert, wenn sie keinen guten Vater hat – so ist sie doch aus guter Familie, denn einen besseren Mann als ihren Onkel, den braven Büchsenschmied in S., giebt es nicht. Egbert bezieht seine Jagdflinten nur von ihm, und hat unter den Jägern, seinen Nachbaren und Freunden, so viele Bestellungen zusammengebracht, daß der Meister jetzt mit drei Gesellen arbeitet, und kaum im Stande ist, die Menge der Aufträge auszuführen. Ein Sohn des Meisters, ein prächtiger Bursche von sechszehn Jahren, ist bei Egbert auf dem Gute, die Landwirthschaft zu erlernen. Die alte paralytische Tante ist diesen Frühling in Tannenburg gestorben.

So sagte mir ein guter Bekannter aus Tannenburg, der dieser Tage hier war, um ebenfalls zu Egbert zu gehen, der ihn als Kammerdiener, Hausdiener, was weiß ich, engagirt hat. Es ist Louis. Er war sehr glücklich, denn eine derartige Stellung zu erlangen, sei von jeher der höchste Wunsch seines Lebens gewesen. Während er mir das erzählte, hatte er eines seiner krummen Beine vor das andere gesetzt, ganz wie er in Tannenburg stand, wenn er mir des Morgens den Kaffe gebracht hatte, und mich einer privaten oder confidentiellen Unterhaltung würdigte. Englisch habe ich ihn diesmal nicht sprechen hören.

Für diesen Sommer werde ich nicht nach Tannenburg, sondern in ein anderes Bad gehen. Hernach soll ich an die See. Meine Freunde, der Vergnügungs-Commissar und Egbert, streiten sich um die Ehre, mich nebst meiner ganzen Familie beherbergen zu dürfen. Um Niemand zu beleidigen, werde ich die eine Hälfte der Zeit bei dem Einen, die andere Hälfte bei dem Andern zubringen.

Wenn Du auch hinkommen willst, lieber Leser, verspreche ich Dir, im Falle Du, wie ich voraussetze, ein guter Mensch bist, die beste Aufnahme. Meine Freunde sind die Gastfreiheit selbst. Da sie Gutsnachbarn sind, gilt dieselbe Reiseroute für Beide. Die Reise wirst Du am bequemsten so machen. Du nimmst ein Billet auf der Eisenbahn und fährst, bis Du an's Meer kommst. Dort steigst Du zu Schiff und bittest den Kapitän: Nord-Nord-Ost, oder Süd-Süd-West, oder wie der Wind gerade weht, zu steuern, bis Du an eine Bucht kommst, wo rechts und links ein paar stattliche Landhäuser zwischen mächtigen Buchen über grüne Parkwiesen zu Dir herüberschimmern. Da soll er die Segel reffen und den Anker fallen lassen, denn da ist es.


 


 << zurück