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Elftes Kapitel.

Auf der Seite, von welcher wir kamen, hat man nur wenige Schritte durch das Dorf bis zum Kurhaus; aber schon auf dieser kurzen Strecke nahm man wahr, daß etwas Außerordentliches vorgefallen sein mußte. Es standen Leute in Gruppen beisammen, die immer dichter wurden, je mehr wir uns dem Kurhause näherten. Vor dem Flügel, wo die Amerikaner und ich wohnten, und wo wir vorfahren mußten, hielt eine große Chaise, angespannt. Ein Haufen Neugieriger umgab sie, der auch sofort unsern Wagen umdrängte.

»Da sind sie, da sind sie!« riefen verschiedene Stimmen durcheinander.

Ich sprang vom Bock und wäre beinahe über Dr. Kühleborn gefallen, der eben auf unseren Wagen zugestürzt kam.

»Sind Sie es, sind Sie es wirklich!« rief der kleine Mann. »Der Himmel sei gelobt! welche Angst haben wir ausgestanden! Wo um Alles in der Welt haben Sie denn gesteckt, meine Damen! Und wo ist der Graf? und wie kommen Sie Alle zusammen?«

»Auf einen Augenblick, Herr Sanitätsrath«, raunte ich dem Eifrigen zu, indem ich ihn, während Egbert und Bergfeld den Damen beim Aussteigen halfen, am Arm ergriff und einen Schritt auf die Seite zog; »hat Ihnen Lindau gesagt« –

»Aber Lindau ist noch gar nicht wieder hier.«

»Unmöglich. Und der alte Meister König –«

»Ist vor einer halben Stunde zu Fuß gekommen, sitzt oben auf Ihrem Zimmer und erwartet Sie. Aber lassen Sie uns zu den Damen!«

Diese waren mittlerweile ausgestiegen. Der Doctor stand wie auf Kohlen. »Und Sie wissen gar nicht, was hier vorgegangen ist?« rief ich, ihn noch immer am Arm festhaltend.

»Nun natürlich«, entgegnete der Doctor; »wir glaubten Alle, den Damen und dem Grafen sei oben in den Bergen ein Unfall begegnet; Mr. und Mrs. Cunnigsby wollten ihnen eben auf gut Glück nachfahren. Aber um Himmelswillen, wo ist denn der Graf?«

»Sie sollen es sogleich erfahren«, murmelte ich, indem ich seinen Arm losließ und mich zu den Andern wandte, die noch immer von dem Haufen umdrängt waren. »Kommen Sie, meine Damen, und Sie, Herr Sanitätsrath, begleiten uns wohl gefälligst.«

Ich hatte Ellens Arm genommen und drängte mich, ohne viel Umstände zu machen, durch die Gaffer. Miß Virginia (der Herr Bergfeld treu an der Seite blieb), Egbert und der Doctor folgten. So schritten wir in das Kurhaus, die Treppe hinauf. Ich fühlte, wie das gute arme Mädchen zitterte und schwankte.

»Muth, Muth, liebes Kind«, flüsterte ich; »er soll Ihnen nichts zu Leide thun dürfen. Es wird noch Alles gut werden.«

Mit diesen Worten öffnete ich die Thür zu dem Salon der Amerikaner, in welchen ich schon einmal so unerlaubt und unerwünscht eingedrungen war.

Mr. Cunnigsby stand mit dem Hut auf dem Kopf, vollständig zur Reise fertig da. Als er uns erblickte, fuhr er einen großen Schritt zurück, mit einem unverständlichen Ausruf, der jedenfalls kein Segen war, und einem Ausdruck des Schreckens in dem erbleichenden Gesicht, der meinen schlimmsten Verdacht vollauf bestätigte. Mrs. Cunnigsby trat eben aus dem Nebenzimmer mit einer Schachtel in der Hand, die sie mit einem lauten Kreischen fallen ließ. Sie war also ebenfalls im Complot.

Ich ließ die arme Ellen, die sich nicht mehr auf den Füßen halten konnte, sich in einen der Fauteuils setzen, und ging auf den Jaguar zu, der in dem Maße, als ich mich ihm näherte, vor mir zurückwich, bis er an den großen runden Tisch stieß, an dem er nothgedrungen, aber nicht ohne die zitternde Hand auf die Platte zu stützen, stehen blieb.

»Wir kommen, mein Herr«, sagte ich auf Deutsch, »uns Ihren Dank zu erbitten. Wir, das heißt, die Herren Egbert und Bergfeld dort und ich, haben Ihre Fräulein Töchter so eben von einem Schurken befreit, von dessen Schurkerei Sie wohl keine Ahnung hatten?«

Ich sah, während ich sprach, wie der Mann mit einer Anstrengung, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre, nach Fassung rang, und wie diese Anstrengung keineswegs vergeblich war. Die Blässe der Angst wich aus seinen Zügen, um einer zornigen Röthe Platz zu machen; er schnellte sich wie mit einem Ruck empor, schlug sich den Hut fester auf den Kopf und sagte durch die zusammengeklemmten Zähm, englisch:

»Dies ist ein gemeines Complot, dessen Urheber Sie sind. Aber ich werde Ihre Unverschämtheit nicht dulden. Zuerst ersuche ich Sie, mitsammt Ihren Helfershelfern sofort mein Zimmer zu verlassen!«

Und dabei wies er auf die Thür mit einer Hand, die so befehlshaberisch deutete, und einem Blick, der so drohte, daß Herrn Bergfeld, wie er mir hernach anvertraute, der Muth entsank, und auch ich mich auf einen Moment betreten fühlte.

Aber auch nur für einen Moment. Die Miene der Frau, die sich dicht hinter ihrem Gatten hielt, war zu kläglich und zeigte deutlich, was jener durch seine Frechheit zu verhüllen suchte.

»Ich werde nicht gehen, wenigstens jetzt noch nicht«, erwiderte ich, »und zweitens ersuche ich Sie, im Interesse dieser Herren deutsch zu sprechen, wenn Sie nicht wollen, daß ich als Dolmetscher diene, was aber diese uns Allen peinliche Scene nur verlängern würde. So sage ich Ihnen denn in aller Kürze, daß der Mann, den Sie für einen Grafen gehalten haben, nichts ist, als ein ganz gemeiner Schwindler, nebenbei gewesener Kellner, und daß Ihnen das unbegrenzte Vertrauen, welches Sie diesem Menschen schenkten, um ein Haar sehr theuer zu stehen gekommen wäre.«

»Das ist eine Lüge, eine verdammte Lüge«, donnerte Mr. Cunnigsby, »erfunden von Ihnen und jenem Herrn da (er deutete auf Egbert), aber es soll Ihnen wenig helfen. Ich werde mir vor Ihren Nachstellungen Ruhe zu verschaffen wissen, und Sie« – er fuhr auf Dr. Kühleborn los – »Sie könnten auch etwas Besseres thun, als hier stehen und ruhig zusehen, wie diese jungen Leute einen alten respectabeln Mann und Fremden, der kaum Ihre Sprache sprechen kann, beschimpfen.«

»Mein werther Herr«, sagte der Sanitätsrath; »ich versichere Sie, ich bin so verwirrt, so paralysirt von diesem Auftritt, – von Allem, was ich hier höre und sehe, daß ich mich in einer tödtlichen Verlegenheit befinde. Dies Alles muß ja zweifellos auf gröblichen Mißverständnissen beruhen. Ich bitte, ich beschwöre Sie, verehrtester Herr« – fuhr er, sich zu mir wendend, fort; »sehen Sie wohl zu, was Sie thun! Es ist mir unbegreiflich, wie Sie so etwas denken, geschweige denn sagen können!«

»Einem alten, respectabeln Mann!« wiederholte Mr. Cunnigsby; »es ist eine Schande, es ist unerhört. Aber ich werde mich an unsern Gesandten wenden. Ich will doch sehen, ob ein Bürger der Vereinigten Staaten in Deutschland so straflos verleumdet und beschimpft werden kann.«

Mr. Cunnigsby hatte das so pathetisch, so salbungsvoll gesagt, so ganz mit der Stimme und Miene eines gekränkten Ehrenmannes, dazu klang sein gebrochenes Deutsch so schutz- und schonungsbedürftig, daß Herr Bergfeld abermals unsere Sache als hoffnungslos aufgab; Egbert betreten dastand; der Sanitätsrath nicht wußte, ob er jetzt nicht seine Autorität als Arzt, Direktor und Familienfreund aufbieten und dieser Scene auf jeden Fall ein Ende machen müsse; und ich selbst in Verlegenheit war, wie ich meiner festen Ueberzeugung, daß der Amerikaner sein Kind habe verkaufen wollen, Geltung verschaffen sollte, ohne, was mir unwürdig schien, die Tochter selbst gegen den Vater zum Zeugen aufzurufen.

Mr. Cunnigsby glaubte diesen Augenblick, der für ihn vielleicht so günstig nicht wiederkam, benutzen zu müssen. Er schritt hocherhobenen Hauptes nach der Thür, öffnete dieselbe und sagte mit einer majestätischen Handbewegung: »Darf ich die Herren jetzt ersuchen –«

»Guten Abend, Mr. Jones«, sagte eine Stimme von draußen.

Mr. Cunnigsby fuhr, wie vom Blitz getroffen, von der geöffneten Thür zurück, durch die jetzt ein kleiner schwarzbärtiger, brillentragender Herr und ein anderer, großer, breitschultriger, dem der zugeknöpfte Rock und der starke Schnurrbart etwas Militärisches gaben, in das Zimmer traten. Der letztere Herr schloß die Thür und blieb in der Nähe derselben stehen. Der kleine schwarze Herr kam heran, und war kaum in die Nähe des Tisches, auf dem die Lichter brannten, gelangt, als Mrs. Cunnigsby ebenfalls ihn erkannte und einen noch viel gelleren Schrei ausstieß, als vorhin, und auch die jungen Damen durch mannichfache Zeichen ihre Bestürzung zu erkennen gaben.

»Ah«, sagte der kleine schwarze Herr; »ich sehe zu meiner großen persönlichen Genugthuung, daß mich die verehrten Damen noch nicht ganz vergaßen! – Sehr gut! – Herr Hockelheim, wollen Sie gefälligst ein scharfes Augenmerk auf die Thür haben! Unser lieber Mister Jones entschlüpft einem oft, wo man es am wenigsten erwartet. Erlaube mir, mich den werthen Herren persönlich vorzustellen: Willibald Scherzer, Verlagsbuchhändler aus Berlin. Sie, verehrter Herr, (sich zu mir wendend) habe ich die Ehre, wenigstens von Ansehen zu kennen, abgesehen selbstverständlich von der intellektuellen Kenntniß aus Ihren Werken, die ich verehre – Sie haben mir durch Ihre Briefe an unsern gemeinschaftlichen Freund und Hausarzt, Dr. Tiger, über jenen Herrn da (auf Mr. Cunnigsby deutend) einen sehr großen Dienst erwiesen, indem Sie mich auf die Spur dieses schlauen Herrn brachten, die mir gänzlich verloren gegangen.«

Die Erscheinung des kleinen schwarzen Fremden war (da er mit seinem Begleiter bereits an der Post ausgestiegen, wir ihn mithin nicht einmal hatten vorfahren hören) für uns Alle so überraschend, daß wir Einer den Andern ansahen, als ob immer der Andere im Alleinbesitz der Erklärung dieser seltsamen Geschichte sein müßte. Für den weiblichen Theil der Familie Cunnigsby – von dem Hausvater ganz abgesehen – schien dieselbe eines erläuternden Commentars allerdings weniger zu bedürfen, denn die corpulente Mama (die übrigens auch in Reisekleidern stack) war in einen Stuhl gefallen und rang die Hände, wobei ihre Augen fortwährend starr auf Mr. Cunnigsby gerichtet blieben, und die beiden jungen Damen waren sich, offenbar getrieben von demselben Gefühle derselben Gefahr, in die Arme gesunken und schluchzten still eine an dem Busen der andern.

Dieser Anblick brachte mich zuerst wieder zur Besinnung.

»Ich vermuthe, daß wir die Verhandlungen auch ohne die Damen fortführen können?« sagte ich zu Herrn Willibald Scherzer.

»Ohne Zweifel, ohne Zweifel«, erwiderte dieser mit großer Höflichkeit. »Im Gegentheil! ich bin Ihnen sehr verbunden, daß Sie mich auf die Unschicklichkeit, eine derartige Verhandlung vor Damen zu beginnen, aufmerksam gemacht haben. Allerdings, wenn Madame die Güte haben wollte –«

»So lassen Sie uns wenigstens die jungen Damen entfernen. Darf ich Sie bitten, – nur hier herein; wir werden Sie hoffentlich nicht lange allein zu lassen brauchen.«

Mit diesen Worten führte ich die beiden Mädchen mit sanfter Gewalt in das Nebenzimmer, in welchem bereits Lichter brannten, und welches, so weit ich in der Eile sehen konnte, das Schlafgemach derselben war, und drückte die Thür hinter ihnen in's Schloß.

»So«, sagte Herr Scherzer, indem er sich einen Reiseshawl von dem Hals wickelte, denselben in seinen Hut that, den Hut auf den Tisch setzte, und sich mit sichtlicher Befriedigung die Hände rieb; »wir sind jetzt in der That ungenirter und können freier reden. So bin ich Ihnen vor Allem, meine Herren – ich habe gewiß die Ehre, in Ihnen Doctor Kühleborn vor mir zu sehen – sehr angenehm, Ihre schätzenswerthe Bekanntschaft zu machen! – die Erklärung schuldig, daß dieser Herr, der sich, wie ich höre, hier Mr. Cunnigsby aus Louisiana nannte, im verflossenen Winter bei mir in Berlin als Mr. Jones aus Virginia, durch den Secessionskrieg aus seiner Heimath vertrieben, introducirt, mir die Hälfte der Beletage eines meiner Häuser für, nebenbei, achthundert Thaler abgemiethet, für ungefähr dieselbe Summe Meubel gekauft und mich verleitet hat, dafür bei dem Verkäufer Bürgschaft zu übernehmen, sodann dieselben Meubel an einen dritten verkauft, das Geld eingesteckt, und schließlich, wie ich wohl kaum hinzuzufügen brauche, ohne von mir oder von dem Meubelhändler Abschied zu nehmen, in einer stürmischen Frühlingsnacht dieses Jahres aus Berlin sich entfernt hat, mit Zurücklassung einiger sehr großer schwarzer Koffer – ganz eben solcher, wie ich da einen stehen sehe, die sich aber bei nachträglicher Untersuchung mit Stroh, Steinen und anderem ebenso nützlichen, wie werthlosen Material angefüllt fanden. Da, wie Sie ganz richtig vermuthen, Mr. Jones die Vorsicht gebraucht hatte, uns seine demnächstige Adresse nicht einmal anzudeuten geschweige denn aufzugeben, und er das Geheimniß versteht, sein Incognito vortrefflich zu bewahren, so würden ich und seine übrigen Geschäftsfreunde wohl noch lange ohne diese wünschenswerthe Auskunft geblieben sein, wenn dieser Herr (mit einer Verbeugung nach mir hinüber) nicht, wie ich schon vorhin anzudeuten mir erlaubte, durch einen Zufall, den ich als einen glücklichen bezeichnen muß, uns den verlorenen Faden gleichsam wieder in die Hand gedrückt hätte. Seine Schilderung des Mannes war – wie man das aus solcher Feder nicht anders erwarten kann – so treffend, daß ich, sobald mir unser gemeinschaftlicher Freund und Hausarzt Einsicht in den betreffenden Brief verstattet, nicht einen Augenblick an der Identität des sehr ehrenwerthen Mr. Augustus Lionel Cunnigsby mit dem nicht minder ehrenhaften Mr. Charles Jones und noch einem dritten Herrn, auf den ich gleich zu sprechen kommen werde, zweifeln konnte, um so weniger, als eine sofort bei T. Grauröder angestellte Recherche ergab, daß ein Mr. Cunnigsby, zum wenigsten in den Büchern von T. Grauröder, nicht existirte. Ich machte mich also heute Morgen mit dem Frühzuge in Begleitung jenes Herrn, in welchem ich Ihnen den Polizeiwachtmeister Hockelheim vorzustellen mir erlaube, auf den Weg, und schätze mich glücklich, meinen Gastfreund aus Berlin in einer so angenehmen Lage wiedergefunden zu haben.«

Der schwarze Herr nahm hier seine Brille ab, rieb, während er uns freundlich anlächelte, die Gläser, setzte die Brille wieder auf, und blickte dann, plötzlich ein sehr ernstes Gesicht machend, auf Mr. Cunnigsby, als erwarte er, daß dieser Herr sich demnächst äußern werde.

Der Amerikaner hatte während der langen Auseinandersetzung des schwarzen Herrn ruhig dagestanden, den Hut immer noch auf dem Kopfe, die Finger der rechten Hand in seinem bis oben zugeknöpften Paletot, die buschigen Brauen so fest zusammengezogen, den Mund in so energische Falten gelegt, daß Herr Bergfeld (wie er mir ebenfalls hernach mittheilte) noch in diesem Augenblicke geschworen haben würde, das Ganze beruhe auf einer heillosen Verwechselung der Personen, und wir Andern wenigstens nicht wußten, was wir denken und glauben sollten. Mit Ausnahme von Mrs. Cunnigsby, die ihr fettes Gesicht in die fetten Hände gedrückt hatte, waren unser Aller Augen auf den so arger Dinge Angeklagten gerichtet, der jetzt die rechte Hand aus dem Rocke nahm, eine wegwerfende Bewegung machte und im wegwerfendsten Tone und seinem gebrochensten Deutsch sagte: » Well! dies mag sein oder es mag auch nicht sein; aber ich habe die Ehre zu sein ein amerikanischer Bürger und Gentleman; und als Gentleman zu Gentlemen fordre ich Sie jetzt zum letzten Male auf, zu verlassen dieses Zimmer, welches ist mein Zimmer. Was diesen Herrn hier angeht, der die hilflose Lage eines Fremden auszubeuten gedenkt, so ist er ein Schwindler und Lügner, upon my word and honour, a swindler and liar, der mir schuldet tausend Dollars, wie ich vor Gericht beweisen werde. Und nun, – good evening, gentlemen

Er ging auf die Thür zu, als wollte er sie uns öffnen. Der Constabler-Wachtmeister aber, der dort postirt war, mußte die Sache anders auffassen, denn er stellte sich mit seinem breiten Rücken gegen die Thür und rief in dröhnendem Basse: Zaruck!

»Lassen Sie ihn ja nicht hinaus«, schrie der kleine schwarze Herr, den die letzten ehrenrührigen Aeußerungen des Amerikaners einigermaßen aus der Fassung gebracht zu haben schienen; »lassen Sie ihn um's Himmelswillen nicht hinaus; wir könnten lange auf sein Wiederkommen warten. Wie? Mr. Jones, ich bin ein Schwindler und Lügner? ich bin Ihnen tausend Dollars schuldig? ist die Frechheit erhört? Wissen Sie, Herr, daß wir allen Grund zu vermuthen haben, daß Sie ebensowenig Mr. Charles Jones aus Virginia als Mr. Augustus Lionel Cunnigsby aus Louisiana, sondern ein deutscher Schneider aus dieser Gegend sind, der im Jahre Achtzehnhundertsiebenundfünfzig ausgewandert, zuletzt in der zehnten Avenue in New-York gewohnt hat und Gottlieb Lebrecht König heißt?«

Die schwarzen Augen des schwarzen Mannes funkelten ordentlich durch die Brillengläser, während er so keck auf Mr. Cunnigsby, alias Mr. Jones zuschritt, als ob derselbe nie in seinem Leben die Sclavenpeitsche und den Revolver, sondern nur immer Nadel und Scheere gehandhabt hätte. Dieser seinerseits brach, als Herr Scherzer jene neue unerhörte Anschuldigung vorbrachte, in ein schallendes Gelächter aus; aber dies Gelächter klang so hohl und röchelnd, daß, wer Ohren hatte, zu hören, die schuldige Seele des Mannes daraus hervorhören mußte. Wenigstens hatte ich durchaus diese Empfindung; und zugleich fuhr mir, als Herr Scherzer den Namen König nannte, mit der Schnelligkeit des Blitzes ein Gedanke durch den Kopf, der von dem Mittagstische in der Wohnung des ehrlichen Waffenschmiedes in S. ausging, und bei der Person desselben ehrlichen Waffenschmiedes, die gerade über unsern Häuptern in meiner Stube auf mich warten sollte, endete. In demselben Moment war ich auch an dem schnurrbärtigen Wachtmeister, der mir willig Platz machte, vorüber, die Hühnerstiege hinauf, in meine Mansarde hinein, wo denn richtig der würdige Meister an einem Tische saß und sich mit der Lectüre irgend eines meiner Bücher die Zeit vertrieb, die ihm allerdings lang genug geworden sein mochte.

Den trefflichen Mann bitten, mir zu folgen, ihn bei der Hand ergreifend, die Hühnerstiege hinab, in das Zimmer, das ich so eben verlassen, ziehen – das Alles war so schnell geschehen, daß sich die Situation in diesem Zimmer noch nicht im mindesten verändert hatte.

Ich ergriff eines der Lichter, leuchtete damit dem Amerikaner in's Gesicht und rief, zu dem Meister gewandt: »Kennen Sie diesen Mann?«

»Lebrecht!« rief der Meister, die Hände im Uebermaß des Erstaunens emporreckend, »Lebrecht!«

Und zum dritten Male kreischte die arme Frau in ihrem Lehnstuhl auf – diesmal aber so grell, daß die Mädchen aus dem Nebenzimmer weinend und schreiend hervorstürzten und die unglaubliche Verwirrung, welche nach der letzten großen Katastrophe im Zimmer herrschte, nur noch vermehrten.

Aber selbst in diesem entscheidenden Augenblicke bewahrte Mr. Cunnigsby-Jones-König die Kaltblütigkeit, die ihn schmückte.

» Who is this man?« sagte er, mit einer verächtlichen Handbewegung nach dem Meister.

»Ach, Lebrecht, Lebrecht«, rief hier seine Gattin, indem sie sich aus ihrem Fauteuil erhob und mit gefalteten Händen und thränenüberströmten Augen auf ihn zuschritt. »Laß es sein! es hilft Dir doch nichts mehr!«

Ein Wuthgeheul brach aus der breiten Brust des zu Boden gehetzten Jaguars. »Verdammtes Weib!« knirschte er; »ich wußte es ja, daß Du mich verrathen würdest.«

Die arme Frau bebte vor dem Wüthenden zurück. Ich unterstützte die ganz Geknickte und rief: »Nun, meine Herren, ich dächte, dies löste jeden Zweifel. Es bedarf wahrhaftig keines großen Scharfblicks, um zu sehen, daß diese Zwei Brüder sind!«

In der That war die Aehnlichkeit zwischen den beiden hochgewachsenen, breitschultrigen, grauhaarigen, bärtigen Männern unverkennbar, so unverkennbar, daß ich kaum begriff, wie sie mir nicht im ersten Momente aufgefallen war. Zwar, wer hätte in dem ehrlichen deutschen Handwerksmeister und Kleinbürger den Bruder des Sclavenzüchters und Baumwollenjunkers aus Louisiana suchen sollen!

Doch an Dies und Aehnliches zu denken, war jetzt keineswegs die Zeit. Zweierlei schien für den Augenblick vor Allem geboten, einmal: im Interesse des Herrn Scherzer uns der Person des Delinquenten zu versichern, sodann: ihn von seiner Familie zu trennen, für die nach meinem Gefühl und nach dem, was ich bis dahin und jetzt eben beobachtet und gesehen, von dem bösen und jetzt so schwer gereizten Menschen das Schlimmste zu befürchten stand. Meine Kenntniß des Lokals kam mir in diesem Dilemma zu Statten. Das Zimmer links neben dem Salon, in welchem wir uns befanden, war ein Eckzimmer, und konnte außer der Thür in den Salon nur noch eine auf den Corridor haben. Ich theilte Herrn Scherzer mit wenigen Worten meinen Plan mit, den dieser Herr mit schnellem Verständniß durchaus billigte. Dann schritt ich auf Herrn Lebrecht König, der sich jetzt, da er sich rettungslos von allen Seiten umgarnt sah, in einen Stuhl geworfen hatte und in dumpfem Brüten vor sich hinstarrte, zu und fragte ihn höflich, ob er sich gutwillig in jenes Eckzimmer begeben und sich dort einschließen lassen wolle? Er erhob sich schweigend, und schritt mit mir und dem Wachtmeister, der sich uns auf einen Wink von mir anschloß, nach jenem Zimmer, die Augen auf den Boden geheftet, ohne auch nur einen Blick auf seinen Bruder, oder seine Frau oder seine Töchter zu werfen. Das Eckzimmer war, wie ich vermuthet hatte, sein Schlafzimmer. Es sah sehr wüst in demselben aus; eine Menge Sachen lagen durcheinandergestreut auf dem Bett, den Stühlen, auf der Erde, wie wenn Jemand in aller Eile das Nothwendigste zu einer Reise zusammengesucht und das Andere den Zurückbleibenden aufzuräumen gelassen hatte. In einer Ecke stand noch einer jener schwarzen riesenhaften Koffer, deren Bedeutung nach Herrn Scherzers scharfsinniger Analyse mir nun ebenfalls klar war. Ich entzündete an dem mitgebrachten Licht eines der beiden, die auf dem Tische standen, während der Herr Wachtmeister einen technischen Blick über das Lokal gleiten ließ, und sodann, auf Herrn Lebrecht König zutretend, im Tone väterlicher Ermahnung also sprach: »Nun will ich Ihnen was sagen, Männecken, machen Sie keine Fisematenten nicht, sondern verhalten Sie sich hübsch ruhig und ordentlich, sonst kriegen Sie es directe mit mir zu thun, und das könnte sehr ecklig für Sie werden.«

»Darf ich noch ein paar Worte mit diesem Herrn hier reden?« fragte hier Herr Lebrecht König, indem er plötzlich das stattliche, jetzt so tief gebeugte Haupt hob, und mich fixirte.

»Wenn der Herr mit Ihnen reden will, warum nicht?« sagte der Wachtmeister, indem er eines der Fenster öffnete und die Entfernung desselben von dem Erdboden maß.

Der Ex-Sclavenzüchter trat an mich heran und sagte mit gedämpfter Stimme und zum ersten Male sehr fließend deutsch sprechend:

»Können Sie mir Ihr Ehrenwort geben, daß es sich mit dem Grafen wirklich so verhält, wie Sie gesagt haben?«

»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf«, erwiderte ich.

»Und ich habe mich von diesem Schurken täuschen lassen!« murmelte er, »ich!«

Er versank für ein paar Augenblicke in Nachdenken; plötzlich hob er den Kopf wieder und sagte mit einem cynischen Lächeln:

»Ich will Ihnen reinen Wein einschänken, Herr. Jener alte Mann ist wirklich mein Bruder. Wie er plötzlich hierher geschneit ist, will ich nicht fragen; er hat mir immer im Wege gestanden. Ich bin aus Amerika nach Deutschland gekommen, auf Kosten meiner Landsleute, deren Gutmüthigkeit und Leichtgläubigkeit ich von früher her kannte, zu leben; vielleicht auch durch meine Töchter eine Fortune zu machen. Meine Töchter sind unschuldig. Da mich der Graf so unerhört beschwindelt hat, mögen die beiden andern Herren sie heirathen. Es kann Ihrem Freund nicht daran liegen, den Vater seiner Frau im Zuchthause zu wissen; Herr Bergfeld ist ein grüner Junge, aber wie der Fall nun liegt, mag er passiren. Vor Allem werden Sie sich mit Herrn Scherzer auseinandersetzen müssen. Was mich selbst betrifft, so sollen Sie mich billig finden, wenn man mir billige Bedingungen stellt. Und nun gehen Sie in – Gottes Namen! Sie sind es, der mich in diese Lage brachte; Sie haben die Pflicht, mich wieder herauszureißen. Auf Wiedersehen also!«

Er nahm den Hut, den er bis dahin noch immer auf dem Kopfe gehabt, ab und machte mir eine stattliche Verbeugung, die ich – vermuthlich in Anerkennung der unvergleichlichen Geistesgegenwart und Kaltblütigkeit dieses kostbaren Hallunken, der meiner Klugheit und meinem Einfluß noch eben ein so schmeichelhaftes Compliment gemacht hatte, – ebenso höflich erwiderte. Dann verließen der Wachtmeister und ich das Zimmer, jener durch die Thür nach dem Corridor, die er hinter sich abschloß, ich durch die in den Salon, wo ich die Gesellschaft in verschiedenen Situationen fand, die einem Genremaler die kostbarsten Motive geliefert haben würden.

Nicht weit von dem runden Tisch, und noch im vollen Lichte der Kerzen, das von ihren dicken thränenüberströmten Wangen reflectirte, saß Mrs. Cunnigsby-Jones-König, die mit dem Reisehute, der nun nicht mehr nothwendig war, in der Eile auch die ehrwürdigen grauen Locken abgenommen hatte, und in Folge dessen einen mit blondem, bereits ergrauendem Haar spärlich bedeckten Kopf präsentirte. Sie hatte mit beiden Händen die Hände ihres Schwagers, des ehrwürdigen Meisters, der auf dem Rande eines Stuhles vor ihr saß, erfaßt, und schüttete ihm mit von Thränen vielfach unterbrochener Stimme ihr übervolles Herz aus.

Neben ihnen, den kahlen Kopf nachdenklich auf die eine Seite geneigt, den goldenen Knopf seines Stockes an die dünnen Lippen gepreßt, stand der Sanitätsrath, die wunderbare Mähr von dem Betrug, den man ihm gespielt, mit durstigen Ohren einsaugend. An dem Tische selbst auf der anderen Seite saß Herr Willibald Scherzer, der mit einem Bleistift sehr eifrig in seinem Taschenbuche Zahlen schrieb – möglicherweise diejenigen, welche die Summe, um die ihn der »Gastfreund« betrogen, ausdrückten – und nur von Zeit zu Zeit seine funkelnden Brillengläser auf Mrs. Cunnigsby-Jones-König wandte, die jetzt, die amerikanische Lady gänzlich aufgebend, im reinsten Dresdener Dialect erzählte, wie sie unter dem Vorwande, die Vermißten aufzusuchen, Tannenburg hätten verlassen wollen, um nicht wieder zurückzukehren; wie sie nichts besäße, als das schwarzseidene Kleid, das sie trage (die dicke Uhrkette sei unächt), und wie ihre Töchter ihre paar »Fahnen« immer wieder auseinandergetrennt und wieder zusammengenäht hätten, daß es »nach was aussehe«. In den großen schwarzen Koffern sei nichts als –

»Stroh und Steine, Stroh und Steine«, murmelte Herr Scherzer, der sich wieder über seine Zahlen beugte.

»Nu eben!« sagte die arme Frau; »aber ich bin ja nicht schuld daran, und meine armen Kinder sind nicht schuld daran! Ach herrcheses! meine armen Kinder!«

Meine Blicke richteten sich auf die beiden andern Gruppen im Zimmer, von denen die eine, in der Nähe des Fensters, mich innig rührte. Es waren Ellen und Egbert. Das schöne Mädchen saß da, bleich, mit verweinten Augen, die in diesem Momente mit einem rührenden Ausdrucke der Liebe und Dankbarkeit zu dem Geliebten erhoben waren, der, eine ihrer Hände in der seinen haltend, über sie gebeugt stand, und mit jener Beredtsamkeit, die nur die Liebe lehren kann, eifrig und leise zu ihr sprach. Die zweite Gruppe befand sich in der Tiefe des andern Fensters, zum Theil von dem Vorhange bedeckt, so daß ich von der Dame nur den Saum des Kleides, und von dem Herrn nur die carrirten Beinchen sehen konnte und einen carrirten Arm, der fortwährend eine Bewegung von einer Stelle, wo unter der unsichtbaren carrirten Weste das Herz sitzen mochte, in die Luft und wieder zurück nach der besagten unsichtbaren Stelle machte.

So leid es mir that, die Herzensergießungen so vieler Menschen auf einmal zu unterbrechen, war ich mir doch der Dringlichkeit des mir so eben zu Theil gewordenen Auftrages zu bewußt, als daß ich nicht mit einem energischen Räuspern die Aufmerksamkeit auf mein Wiedererscheinen hätte lenken sollen. Herr Scherzer schloß sein Notizbuch und erhob sich, der Medicinalrath nahm den Stockknopf von den Lippen; beide traten auf mich zu.

»Meine Herren«, sagte ich; »diese wunderbare Angelegenheit erfordert unsre ganze Umsicht und Energie. Dazu kommt, daß wir die Schritte, über die wir uns hoffentlich einigen werden, bald thun müssen.«

Die beiden Herren sahen mich, weiteren Aufklärungen entgegen harrend, fragend an.

»Lassen Sie uns«, sagte ich, »zu einer Conferenz zusammentreten, an welcher auch dieser würdige Mann« – ich deutete auf den Meister – »Theil nehmen muß. Unterdessen mag der Diener der irdischen Gerechtigkeit« – Herr Hockelheim trat eben wieder in den Salon – »hier Platz nehmen und unsern Gefangenen bewachen, während die Damen sich in ihr Zimmer« –

»Ihre Zimmer«, verbesserte der Sanitätsrath; »die Unglücklichen haben ja vier Zimmer nun schon über vier Wochen gehabt!«

»Desto besser«, sagte ich; »also in ihre Zimmer zurückziehen, wohin wir ihnen sofort das Abendbrot schicken wollen, lieber Sanitätsrath – die armen Mädchen müssen ja vor Aufregung, Hunger und Kummer beinahe ohnmächtig sein.«

Offen gestanden fühlte ich selbst meine Kräfte nach den gewaltigen Strapazen des Tages fast erschöpft, indessen hier mußte gehandelt sein; das Glück der beiden lieben Menschenkinder, die sich unter so sonderbaren Umständen gefunden, und dort in der Ecke sich versicherten, daß sie sich liebten und nie, nie wieder von einander lassen wollten, mußte sicher gestellt werden, trotz aller Müdigkeit in den Gliedern. Die weinende Mutter – diese entthronte Königin, die jetzt ihre graue Lockenkrone demüthig in der Hand trug und noch immer versicherte, daß sie keine Schuld und daß sie es ja immer gesagt habe – die weinende Mutter und die weinenden Töchter, die beide von der Schönheit waren, welche durch Thränen nur noch schöner wird, – wurden von dem Sanitätsrath in ihre Zimmer – auf der anderen Seite des Salons – geführt; der Wachtmeister Herr Hockelheim nahm in dem Salon selbst neben einer Flasche Rothwein Platz, und wir, das heißt: Kühleborn, Herr Scherzer, der Meister, Egbert, Bergfeld und ich begaben uns eine Treppe tiefer in das »Sprechzimmer« des Sanitätsraths, um uns vorerst einmal an schnell herbeigeschaffter kalter Küche und einem paar Gläser Champagner zu restauriren und dann, oder vielmehr schon während dessen, gemeinsam zu berathen, »was nun geschehen solle?«



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