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Neuntes Kapitel.

Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen, Werthgeschätzter!« sagte Dr. Kühleborn.

Ich rieb mir die Augen, denn mein Schlaf war sehr fest gewesen und ich konnte mich nicht gleich in die Situation finden. Da saß der Doctor, in derselben Position wie gestern Morgen, den Stockknopf an die dünnen Lippen gedrückt, mich mit sorgenvoller Miene betrachtend.

»Ach so!« sagte ich.

»Jawohl,« sagte der Doctor; »ich mußte leider gestern Abend noch einmal nach dem Nonnenkopfe hinauf. Der Zustand der Kleinen war mir beunruhigend erschienen, glücklicherweise hat sich die Natur geholfen; ich habe Alle schon heute Morgen wieder hierher zurückbringen können. Aber kaum bin ich dieser Sorge ledig, als sich bereits eine zweite meldet. Ich höre mit inniger Betrübniß von der gräulichen Scene, die gestern Abend in dem, wenn ich mich so ausdrücken darf, geheiligten Raume des Kursaales statt gefunden hat. Bester, Werthgeschätzter! beruhigen Sie mich, wenn Sie können! Nicht wahr, es wird keinen Skandal geben! Mein Gott, ja! junge Leute sind eben junge Leute, man ist heftig, man wird ausfallend, es kommt zu Worten, oder, wie diesmal zu Real-Injurien Beleidigung durch Tätlichkeiten., aber so etwas läßt sich doch auch wieder beilegen, wenn man will. Und hier bleibt doch gar nichts Anderes übrig, als es zu wollen. Ich bitte Sie, Werthgeschätzter! was wird der Großfürst sagen! wie kann ich wagen, jemals wieder vor den Augen meines gnädigsten Herrn zu erscheinen, wenn er hört, daß einem seiner Gäste, den er morgen in seiner eigenen Equipage nach Malepartus abholen lassen wird, unter meinem Dach eine solche Unbill angethan ist! Ich bin außer mir. Das Wenigste, was geschehen muß, ist, daß Ihr Freund den Grafen in aller Form um Verzeihung bittet. Sie müssen Ihren ganzen Einfluß aufwenden, daß dies in aller Kürze, wo möglich heute Morgen noch geschieht. Nicht wahr, Werthgeschätzter, ich habe nicht vergeblich auf Ihre Unparteilichkeit, Ihre Klugheit, Ihre Discretion, Ihre Humanität gerechnet?«

Dr. Kühleborn nahm eine Priese und blickte mir über die Gläser seiner Brille weg fragend in die Augen. Ich hielt diesen durchbohrenden Blick mit der nöthigen Ruhe aus und sagte:

»Darf ich wissen, ob Sie im Auftrage des Grafen zu mir kommen, Herr Sanitätsrath?«

»Wie können Sie glauben, Werthgeschätzter!« rief der Doctor unwillig, indem er einige verstreute Schnupftabackskörner sorgfältig von seiner Chemisette klopfte.

»Um so besser«, sagte ich; »denn nach meiner Erfahrung thut man in diesen Dingen um so mehr, je weniger man thut. Zwischenträger pflegen den Handel nur zu verwirren. Aus diesem Grunde haben Lindau und ich für heute Morgen eine Wagenpartie verabredet; wir hätten gern Egbert mitgenommen, aber er muß nothwendig Briefe an seinen Verwalter und seinen Rechtsanwalt schreiben, so daß er uns erst gegen Mittag nachfolgen kann. Auf den Grafen habe ich natürlich keinen Einfluß. Diesen Theil der diplomatischen Aufgabe muß ich Ihnen überlassen. Und nun erlauben Sie, daß ich mich erhebe, Herr Sanitätsrath; sonst bekomme ich Schelte von Lindau.«

»Sie sind mein guter Engel«, rief der Doctor, indem er sich erhob. »Sie verdienen einen Orden. Im Ernst! Soll ich Ihnen einen verschaffen? Ich gelte etwas bei Sr. Durchlaucht. Er ist freilich mehr Jäger, als Gelehrter, mehr Krieger, als Beförderer der Künste und Wissenschaften, aber –«

»Lassen Sie es gut sein, Herr Sanitätsrath, ich nehme Ihren guten Willen für die That.«

»Nun denn, adieu, adieu! kommen Sie wohlbehalten wieder!«

Und der Doctor tänzelte, mir Kußhände zuwehend, aus dem Zimmer.

»Gott sei Dank!« dachte ich, während ich mich schneller als gewöhnlich ankleidete; »den wäre ich los! Er würde die Polizei in zehnmeiligem Umkreise aufbieten, wenn er wüßte, wie weit die Sache schon gediehen ist. Freilich, vom Standpunkte jener Tugenden, die er mir angedichtet, sollte man Alles thun, was man kann, ein solches Attentat gegen die gesunde Vernunft zu verhindern; aber Egbert würde schöne Augen machen, wenn ich ihm damit käme.«

Ich seufzte tief, indem ich das Nöthige in meine kleine Reisetasche packte, und seufzte abermals, als ich an den Thüren der Amerikaner, hinter denen Alles still war, vorüberschritt. Ich hatte schon einen Fuß auf der ersten Treppenstufe, als plötzlich die taube Alte hinter mir stand, mir einen Zettel in die Hand gab, und dann mit wunderlichen Gebehrden, die vermuthlich ausdrücken sollten, daß ich um Gottes und aller Heiligen Willen sie nicht verrathen solle, in derselben Thür, aus der sie so plötzlich gekommen, verschwand.

Da der Zettel offen und nicht adressirt war, so konnte er eben so gut auch an mich gerichtet sein. Er war sehr kurz, nichtsdestoweniger brauchte ich einige Zeit, bevor ich ihn entziffern konnte, denn er war mit Bleifeder, sehr flüchtig, und – gestehe ich es nur! – wieder sehr unorthographisch, wenngleich diesmal deutsch geschrieben. Er lautete (corrigirt) so:

»Ich bleibe dir treu, Geliebter, bis in den Tod!«

Und wiederum seufzte ich. Armes Kind! es ist gewiß keine Phrase bei ihr. Sie denkt an den Tod in dieser seligen Maienzeit der ersten Liebe, wo andere junge Mädchen mit Fug und Recht nur Lebensgedanken haben!

Mir wurden die Augen feucht, als ich noch einmal, langsam die Treppe hinabschreitend, auf die kindische Handschrift blickte. Wie hilflos war diese Hand! wie mochte sie gezittert haben, als sie dies Bekenntniß von dem klopfenden Herzen riß! und doch, welche Energie lag in den einfachen Worten! welche stille Kraft, die zerreißbar scheint, wie ein Florband, und doch fest hält bis an den Tod, bis in den Tod!

Und wüßte sie nun gar erst, was im Werke ist! daß, wenn es das Unglück will, ihre Liebe bis über den Tod sich wird schwingen müssen in eine dunkle trauervolle Zukunft …

Ich verscheuchte diese bösen Gedanken so gut es gehen wollte, und eilte über den Platz vor dem Kurhause, wo der Einspänner, der uns nach S. bringen sollte, schon bereit stand, zu Egbert hinauf.

»Wie geht es, Egbert?«

»Gut.«

»Und Du bist Deiner Sache, bist Deiner Hand sicher?«

»Da sieh' selbst«, ewiderte Egbert lächelnd, indem er mir seine Hand reichte.

Sie lag so ruhig in der meinen. Ich drückte sie herzlich und sagte: »Hier ist auch noch Etwas für Dich, und nun gehab' Dich wohl!«

Ich verließ ihn eilends; er sollte sein Entzücken für sich haben.

Als ich nach unten kam, fand ich Lindau, wie er eben auf den Wagen stieg. Ich stieg von der andern Seite herein, wir reichten uns, indem wir uns setzten, die Hände; das leichte Fuhrwerk rollte schnell davon, zum Dorfe hinaus, hinein in die sonnige morgenfrische Welt.

Wir hatten schon beinahe eine Meile zurückgelegt, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Ich hing meinen eigenen Gedanken nach, und Lindau schien gänzlich von seiner Cigarre in Anspruch genommen. Mit einem Male schnellte er die Asche heftig fort und sagte, sich zu mir wendend:

»Es ist doch nichts unleidlicher, als wenn man eine echte Havannah angebrannt zu haben glaubt, und nach den ersten paar Zügen in Zweifel geräth, ob es nicht eine ganz gemeine Pfälzer ist.«

»Passirt Ihnen das eben?« fragte ich.

»Ist mir wenigstens heute Morgen passirt«, erwiderte Lindau verdrießlich.

»Es wäre indiskret von mir, wollte ich Sie mit Fragen belästigen«, sagte ich, da ich zu bemerken glaubte, daß der Dichter zu weiteren Mittheilungen aufgefordert zu sein wünsche.

»O nein«, erwiderte er, »es belästigt mich gar nicht, wenn Sie wissen wollen, was es ist. Im Gegentheil! es entlastet mein Gemüth, das sich von der Sache bedrückt fühlt. Ich habe, trotz meines Skepticismus, von Zeit zu Zeit katholisch-naive Anflüge, in denen man nach einem Beichtiger verlangt. Sie sind zu diesem ehrwürdigen Amt besonders geschickt, denn Sie sind, als Novellist, wenigstens der Halbbruder des Dichters, um mit Schiller zu reden, und können sich, in Folge dieser nahen Verwandtschaft, hoffentlich ungefähr in dem Labyrinth eines Dichterherzens zurecht finden. Folgen Sie mir in einen besonders dunklen Gang. Was sehen Sie! nichts! aber, nachdem sich Ihr Auge an die Dämmerung gewöhnt, welches Bild erblicken Sie, anfangs in undeutlichen Umrissen, dann immer farbenbestimmter, farbenprächtiger? Sie täuschen sich nicht! ich bin es! und die Dame, die eben an meinen Busen sinkt, ist Miß Virginia, oder genauer Frau Virginia Lindau-Cunnigsby, denn die Trauung hat eben stattgefunden. Der stattliche Herr, der die Hände segnend über uns ausstreckt, ist mein Schwiegervater, Mr. Augustus Lionel Cunnigsby. Im Mittelgrund bemerken Sie meine corpulente Schwiegermama, meine schöne Schwägerin, Ellen, seit vier Wochen Gräfin Saros, in einer reizenden Familiengruppe. Der Hintergrund: eine vornehme Villa irgendwo in einer anmuthigen Gegend. Sie sehen das Bild ganz deutlich? Gut. Genau so deutlich sah ich es gestern Abend, als wir den schändlichen Berg von dem Waldrand in dem grausamen Wetter herunterkletterten, und die kleine Pflanzerhexe sich so verführerisch fest auf meinen Arm, auf meine Schulter lehnte. Es waren himmlische Momente! ich glaubte, ganz Louisiana und Texas da an mein Herz zu drücken! Was soll ich weiter sagen! ich hätte kein Dichter sein müssen, und ich hätte das treulose Käthchen nicht eben erst verloren haben müssen, wenn diese glorreiche Eroberung, die mir, wie alles Gloriose, im Traum geschenkt war, mir nicht den Kopf hätte verrücken sollen. Der Realisirung dieses Traumes hätte ich eine Welt geopfert, weshalb sollte ich ihr nicht Ihren Freund opfern! Ich that es, that es mitleidslos. Man muß in großen Augenblicken groß handeln können.«

»Ich verstehe Sie nur halb«, sagte ich.

»Wie das von dem Halbbruder des Dichters auch nicht anders zu erwarten ist«, entgegnete Lindau ruhig; »aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, mich Ihnen ganz verständlich zu machen. Um also ganz offen zu sein: der Graf war, als wir ihn auf sein Zimmer gebracht hatten, streng genommen, in einem unzurechnungsfähigen Zustande. Ich nahm die Verantwortung auf mich, die Duellbedingungen zu dictiren. Seine Antworten waren unklar, man spricht nicht eben deutlich mit einem nassen Schwamm auf dem Gesicht. So kam das Duell zu Stande.

Sie sehen mich voller Entsetzen an, aber hören Sie weiter. Was Sie mir sagen wollen, habe ich mir Alles noch während der Nacht gesagt. Ich stand auf mit dem festen Entschluß, das Duell, das ich gestern so eifrig zu Stande gebracht, heute, wenn es irgend möglich sein würde, zu verhindern.

Ich ging zum Grafen und that, als ob noch Nichts beschlossen, Alles noch in der Schwebe sei, es noch jeden Augenblick bei ihm stände, die Sache in Güte beizulegen. Ich brachte alle nur erdenklichen Gründe vor, von denen ich hoffen mußte, daß sie für ihn von Gewicht sein müßten; sein provocirendes Betragen gegen Egbert, Egbert's sehr verzeihliche Gereiztheit, die Wahrscheinlichkeit, daß das Duell für ihn einen schlimmen Ausgang nehmen könne, die Verzweiflung Ellen's, wenn er fallen sollte, der Schmerz seiner erlauchten Verwandten im fernen Ungarlande bei der Nachricht von seinem Tode – ich war scharfsinnig, gefühlvoll, weise, beredt, ich hoffte das Beste von meiner Beredtsamkeit. Und was war das Resultat? Haben Sie wohl schon einmal eine Hyäne beobachtet in den Augenblicken, bevor der Wärter, der jetzt mit den Fleischstücken noch beim Barribal Amerikanischer Schwarzbär. ist, zu ihr kommt? wie sie den borstigen Rücken sträubt, die Zähne fletscht, vor Wuth und Ungeduld heult, in dem Käsig auf- und abläuft, und an den Wänden hinaufspringt? Nun – das ist das Bild des Grafen, wie ich ihn vor einer Stunde sah. Genau so lief er vor mir in dem Zimmer auf und ab; ja er sprach in seiner Wuth ganz geläufig deutsch und schwur, daß er Ihres Freundes Blut haben müsse. Ich kann Ihnen nicht sagen, welch' abscheulichen Eindruck der Mensch auf mich gemacht hat. Sie wissen, ich habe niemals für ihn geschwärmt und stets gefunden, daß er eher wie ein aufgeputzter Pferdeknecht aussieht, als wie ein Graf; aber heute, wo er gar nicht geputzt war, sondern in einem, nebenbei sehr unsauberen, Schlafrock steckte, – das dicke Haar ungekämmt, der Schnurrbart zerzaust, die kleinen stechenden Augen noch von gestern verschwollen, auf der Wäsche noch Tropfen des Blutes, das gestern seiner erlauchten Nase entflossen – er sah nicht aus wie ein Pferdeknecht, er sah aus wie ein – ja, ich weiß keinen menschlichen Vergleich – er sah aber aus wie eine Bestie, und eine recht gemeine dazu.«

Lindau schwieg. Ich hatte – zum ersten Male, seitdem ich ihn kannte – den Eindruck, daß es ihm möglicherweise Ernst war um das, was er sagte. Auch fuhr er nach einer kurzen Pause mit noch erregterer Stimme fort:

»Sie können sich denken, daß ich die größte Luft hatte, meine Hand von dem unsaubern Ungethüm abzuziehen und ihm meine Cartellträgerschaft zu kündigen. Wenn ich es nicht that, so war es, um mir nicht die Möglichkeit zu rauben, den schlimmen Handel, den ich hatte einfädeln helfen, zu einem guten Ausgang zu bringen. Und ich habe noch nicht alle Hoffnung aufgegeben. So seltsam es klingen mag: trotz des Wüthens der Bestie hatte ich den ganz bestimmten Eindruck, daß sie feig ist. Ich möchte darauf schwören, und darauf baue ich meinen Plan. Wir müssen den rechten Augenblick abpassen, etwa, wenn sie auf die Mensur treten und ihm der Pistolenkolben anfängt in der Hand heiß zu werden. Ich denke, er wird auf jede nur einigermaßen anständig aussehende Bedingung zurücktreten, und Ihre Aufgabe würde es dann eben sein, Egbert, dessen Gutmüthigkeit mir über jeden Zweifel erhaben scheint, zu einer solchen Bedingung zu vermögen.«

»Ich weiß nicht, ob wir die Rechnung nicht ohne den Wirth machen«, entgegnete ich; »ich glaube, die einzige Bedingung, auf die hin Egbert zurücktreten würde, wäre die, daß der Graf die Bewerbung um Ellen in aller Form aufgäbe, und so feig, wie der Graf sein mag, – und ich glaube ebenfalls, daß er feig ist – dazu wird er sich denn doch nicht verstehen wollen.«

Lindau zuckte die Achseln: »Der Tod ist ein bittres Kraut; und ich möchte wetten, daß der Herr Graf einen ganz ordinären Abscheu vor diesem vulgären Gericht hat.«

Er zündete sich eine frische Cigarre an und Jeder von uns versank wieder in Schweigsamkeit. Trotz der Hoffnung auf einen friedlichen Ausgang der Affaire, die Lindau in mir zu erwecken versucht, blieb mein Herz beklommen. So fest ich auch auf Egbert's vielerprobte Kaltblütigkeit, auf sein falkenscharfes Auge und seine sichere Hand rechnete – welcher Zufall treibt nicht oft in diesen Dingen sein plumpes Spiel! und wenn die Welt auch nicht viel an diesem ungarischen Grafen verlor, so konnte ich mich doch mit dem Gedanken nicht aussöhnen, daß gerade Egbert's freundliches Gemüth für alle Zukunft durch eine so häßliche Erinnerung verdüstert werden sollte. Und dann, würde man ihm je vergeben, daß er die entente cordiale zwischen dem übrigen Theile der Familie Cunnigsby und dem Grafen so grausam zerstört? war er nicht im günstigsten Falle dem Ziele seiner Wünsche ferner als je? – Ich wetterte im Stillen auf diese böse Welt, in der das Einfache, Natürliche, Selbstverständliche immer und immer auf Hindernisse stößt, und anstatt der Vernunft und Schicklichkeit die Unvernunft und die Unschicklichkeit triumphiren. Selbst das herrliche, mir noch unbekannte Thal, durch das wir fuhren, mit seinen schroffen Tannenhöhen, zwischen denen sich die chaussirte Straße in mäandrischen Windungen bergab schlängelte – das Plätschern des Baches, den wir bald zur Rechten, bald zur Linken hatten, da wir ihn oft auf hölzernen Brücken überschritten – der helle Sonnenschein, der die herbstlich klare Luft durchleuchtete und nach der Sturmesnacht doppelt erquicklich war – Nichts war im Stande, mich aus meinem dumpfen Brüten zu erwecken. Die Schattengestalt der Sorge, die mit auf's Schiff steigt, und sich zu dem flüchtigen Reiter auf's Pferd setzt, hatte eben auch auf unserm Gefährt, so klein es war, einen Platz gefunden.

Das enge Thal erweiterte sich, die Ebene that sich auf; aus der Ebene ragten vor uns die Thürme des Städtchens, das wir erstrebten. Nicht lange, und unser Wägelchen rollte über ein urvorweltliches Pflaster durch ein enges, alterthümliches Thor fast unmittelbar auf den Marktplatz, wo es vor dem »Deutschen Hause« mitten in einer ansehnlichen Burg von durcheinandergeschobenen Kärrner- und Bauerwagen still hielt. Lindau, den Geschäftsreisen oft nach S. gebracht, wurde von dem jungen Wirth des Gasthofes, der selbst an den Wagen kam, ehrfurchtsvoll begrüßt. Es sei gerade Jahrmarkt und das Haus überfüllt, für solche Gäste finde sich aber immer ein Platz –

»Und ein gutes Mittagsessen, wie es des Deutschen Hauses würdig ist«, bemerkte Lindau.

Der Wirth lächelte. Die Herren sollten zufrieden sein und von dem alten Chateau Margaux sei auch noch ein Fläschchen im Keller.

Die Aussicht auf ein gutes Diner versetzte den betrübten Dichter sofort in die behaglichste Laune, die sich noch steigerte, als die Schwester des Wirthes – ein junges, schwarzäugiges, rothbäckiges, schlankes Mädchen – ebenfalls in der Thür erschien und den Herrn Kreisrichter knixend willkommen hieß.

»Mein Gott«, rief Lindau, »ist denn das –«

»Jettchen«, sagte der junge Mann, »nun natürlich, Herr Kreislichter; sie ist ja drei Jahre fort gewesen, um die Landwirthschaft aus dem Grunde zu lernen. Jetzt ist sie hereingekommen, um mir bei meiner Hochzeit zu helfen, die in vier Wochen sein soll.«

Lindau war mit einem Sprunge aus dem Wagen, und reichte dem jungen Mädchen mit einer Lebhaftigkeit die Hand, welche deutlich genug bewies, wie empfänglich sein großes Herz für die Schönheit in jeder Gestalt war, und wie erhaben über das engherzige Vorurtheil der Standesunterschiede. Dann wandte er sich zu mir und sagte:

»Wenn es Ihnen recht ist, so setze ich mich mit unserer reizenden Wirthin hier über die wichtige Frage des Mittagsessens in Vernehmen, und Sie besorgen während der Zeit das Andre, – ein Geschäft, auf das Sie sich auch jedenfalls besser verstehen, als ich Mann des Friedens.«

»Selig sind die Friedfertigen«, dachte ich, als ich mich durch die Wagenburg hindurch und über den Marktplatz weg, in die engen Gassen des Städtchens wandte; »und glücklich die Dichter, die, dem Finken gleich, von jedem neuen Zweige lustig das alte Lied singen, während wir prosaischen Kinder dieser Welt die Sorgen und Mühen des Lebens geduldig auf die vielerprobten Schultern nehmen. Meinst Du nicht auch, altes Bäuerlein, das Du Deine drei magern Gänse, die Dir Niemand abnehmen will, wahrscheinlich schon seit dem frühen Morgen durch diese Gassen karrst? und Du, graubärtiger Mann des Handwerks, der Du eben in Deine niedere Hausthür trittst, Dir den sauren Schweiß von der rußigen Stirn zu wischen und für einen Augenblick das rosige Licht zu athmen! Und siehe! Du hast, was ich suche. Da stehen und hängen ja Büchsen, Jagdflinten und Pistolen in Deinem bescheidenen Schaufenster. Dir lieber, als jedem Andern will ich das Sündengeld zu verdienen geben.«

Ich trat auf den bärtigen Mann zu, und trug ihm mein Verlangen vor.

»Damit kann ich dienen, Herr«, sagte der Bärtige, indem er mit mir aus der Hausthüre in den Flur trat, der zugleich der Laden war; »ich habe keine große Auswahl, da wir kleinen Handwerker den großen Fabriken darin keinen Widerpart halten können, aber es findet sich schon, was Sie suchen, und gute Waare ist Alles – darauf können Sie sich verlassen.«

Der Mann hatte mehrere Pistolen aus dem Schaufenster und dem Schranke genommen und zeigte mir dieselben. Die Arbeit war, so weit ich es beurtheilen konnte, ausgezeichnet und ich fühlte die Wärme, mit welcher der Meister sich über die Einzelnheiten der Construktion und Ausschmückung verbreitete, und die Mordwaffen so liebevoll handhabte und so sorgsam wieder auf die Seite legte, als ob es seine Kinder wären. Und waren sie es denn nicht? hatte er nicht in innerem Herzen gespürt, was er mit seiner Hand erschuf? hatte er nicht Vaterfreude empfunden, wenn es ihm gut gerathen, und den Schmerz eines Vaters, wenn Fleiß und Mühe und Zeit vergebens gewesen war?

Wir waren schon längst über ein Paar schöner gezogener Pistolen Handels einig, als wir noch immer – er hinter dem Ladentisch, ich vor demselben – in eifriges Gespräch verwickelt waren. Des Meisters biedre Art gefiel mir ungemein; die hohen Begriffe, die er von seinem Handwerk hatte, seine altfränkische Weise, die Dinge und Menschen von heute zu sehen, selbst mancher Urväterausdruck, der ihm im Laufe des Gespräches, als müßte es nur so sein, von den bärtigen Lippen kam, dazu die sonderbare Umgebung – der enge Waffenladen, in den durch die blinden in Blei gefaßten Scheiben des schmalen hohen Fensters das Licht der Sonne nur gedämpft fiel, – von dem Hofe her, nach welchem die Thür offen stand, das Gackern von Hühnern und das Pochen des Hammers aus der Werkstatt – das Alles gab mir das köstlichste Bild einer längst vergangenen Zeit, als lese ich ein Kapitel aus der Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand, von ihm selbst geschrieben. Auch sagte mir der Meister, daß er nur selten aus seinem Städtchen herausgekommen sei, und es seit zehn Jahren nicht ein einziges Mal verlassen habe, als höchstens des Sonntags Nachmittags einmal, mit seinen Kindern einen Spaziergang vor das Thor zu machen. Er schäme sich fast, es zu sagen, aber er habe in Tannenburg, von wo ich heute Morgen gekommen, eine kranke Schwester, die nun schon so viele Jahre da sei, daß sie es nun kaum wohl lange noch treiben werde, und die so sehr verlange, ihn noch einmal vor ihrem Tode zu sehen. –

»So heißen Sie König?« fragte ich, da mir der Name einfiel, den mir die arme Kranke in dem Rollstuhl genannt hatte.

»Ja wohl, Christian König«, versetzte der Meister, »hat der Herr vielleicht meine Schwester einmal gesehen?«

»Gewiß«, erwiderte ich, und ich theilte ihm mit, wie ich seine Schwester getroffen an jenem Morgen, als Ellen ihr das Kissen zurecht rückte, und wie sie mir von ihrem Bruder erzählt habe, und wie es mir allerdings, wenn er sie noch einmal sehen wolle, hohe Zeit scheine, daß er sich nach Tannenburg auf den Weg mache.

Der Meister seufzte und sagte: »Ja, ja, es muß nun auch geschehen. Es ist immer ein verlorener Tag, und das ist viel, wenn man vierzehn Kinder hat, aber das arme Wurm soll nicht sterben, ohne daß ihr Wunsch in Erfüllung gegangen ist.«

»Wissen Sie was, Meister«, sagte ich; »frische Fische gute Fische; auf meinem Wagen ist noch ein Platz, fahren Sie mit mir; ich habe freilich noch ein Geschäft in Fichtenau, aber von Fichtenau ist es nur eine kleine Stunde bis nach Tannenburg. So können Sie noch zu guter Zeit da sein. In Tannenburg sind Sie mein Gast, und morgen, oder wann Sie wollen gehen Sie wieder zurück, falls Sie nicht erlauben, daß ich Sie zurückfahren lassen darf.«

Der Meister kraute sich in dem dichten grauen Haar.

»Der Herr ist sehr gütig, und ich würde es schon annehmen, aber was wird meine Alte dazu sagen?«

»Das können wir sogleich von ihr erfahren«, erwiderte ich, als jetzt eine kleine, resolut aussehende Frau mit einer großen Suppenschüssel von dem Hofe, wo die Küche liegen mochte, hereintrat, hinter ihr her ein paar halbwüchsige Bursche und Mädchen, welche der wichtigsten Angelegenheit des Tages bis zu ihrem geheimnißvollen Ursprung auf dem heiligen Feuer des Heerdes nachgespürt hatten.

»Erst muß er vor allen Dingen essen«, sagte die resolute Frau König, als ich ihr meinen Wunsch vortrug, »komme der Herr mit herein: so was muß man bei Tisch abmachen; da verliert man keine Zeit, und die Jungen müssen auf's Feld, um die Kartoffeln aufzuheben.«

Ich sah, daß ohne meine Vermittelung der Meister schwerlich Urlaub von seiner gestrengen Ehehälfte erhalten würde, und folgte mit den Anderen der Suppenschüssel in das ärmliche und niedere, aber ungemein saubere Wohngemach, wo auf einem tischtuchlosen massiven Tannentisch sieben irdene Teller (mit obligaten zinnernen Löffeln) standen, die alsbald aus der dampfenden Suppenschüssel bis an den Rand gefüllt wurden. Ich setzte mich, nachdem das Gebet gesprochen, in bescheidener Nähe des Tisches nieder, und sah mit Vergnügen, wie Vater, Mutter, Kinder und Lehrbursche es sich schmecken ließen. Unterdessen wurden die Verhandlungen über das von mir angeregte tollkühne Project lebhaft fortgesetzt, unter dem Vorsitz der resoluten Frau Meisterin, die auch sonst die Kosten der Debatte mit großer Zungenfertigkeit fast allein bestritt.

»Ja sehen Sie, lieber Herr: Reisen kostet Geld und wo nichts ist, da hat der Kaiser sein Recht verloren. Kinder sind ein Segen, aber viele Hunde sind des Hasen Tod. Zwar geht es uns jetzt, wo unsere acht ältesten aus dem Hause sind, besser, und könnte noch besser gehen, wenn er« – mit einem Seitenblick auf den Meister, der ehrbar seine Suppe aß – »in eine der großen Fabriken als Werkführer gehen wollte, was sie ihm oft genug angeboten haben, und das mit Grund, denn einen besseren Büchsenschmied finden sie nicht, aber, jung gewohnt, alt gethan; wer nicht wagt, nicht gewinnt; wie ich mich bette, so liege ich, und wer sich grün macht, den fressen die Ziegen. Der« – abermals mit einem Blick auf den Meister, welcher eben jedem der Kinder ein großes Stück Brot zum Dessert abschnitt – »ist viel zu gut. Wenn der könnte, er schnitte sich selbst entzwei und fütterte die schlechten Menschen mit seinem eignen Fleisch und Blut!«

»Frau«, sagte der Meister, dem bei diesem kannibalischen Gedanken der Bissen im Munde stecken zu bleiben schien.

»Nun marsch, ihr Buben«, rief die Meisterin, »ja so, der Vater muß noch erst das Gebet sagen; man vergißt noch wahrhaftig den lieben Herrgott über all' den Geschäften! – So, nun macht, daß ihr fortkommt; Liesel kann auch mitgehen, Dörthe bleibt hier und hilft mir beim Flachs.«

Die kleine Frau verließ mit den Kindern die Stube, der Meister schüttelte den Kopf: »Das geht wie ein Mühlrad, und mahlt Alles ohne Unterschied, grob und fein, wie's eben kommt.«

Da kam die mit dem Mühlrad schon wieder in's Zimmer. Sie hatte einen alten Ranzen in der Hand, den der Meister als Handwerksbursche auf der Wanderschaft getragen haben mochte.

»So«, sagte sie, »das wird ausreichen, ein paar Strümpfe und ein Hemde habe ich schon hineingepackt. Und nun mach' Du auch, daß Du fortkommst, damit der Herr hier nicht ewig und drei Tage auf Dich zu warten hat. Und für die alte Grete habe ich eine Flanelljacke eingepackt, sie sollte sie erst zu Weihnachten haben, aber wer weiß, ob sie den noch erlebt. Na, Mann, brauchst nicht so finster d'rein zu sehen. Ich meine es nicht bös mit der Grete, trotzdem ich auch nicht viel Liebes von ihr erlebt habe; besser ist sie immer als Dein Bruder, der schlechte Mensch, dem Gott verzeihen möge, was er an uns gethan hat; ich kann's nicht. Und nun Gott befohlen, Christian, und das bindest Du um den Hals – dummes Zeug! was gut gegen die Kälte ist, ist auch gut gegen die Wärme; und komm gesund wieder!«

Bei diesen Worten hatte die Meisterin ihrem Eheherrn ein dickes wollenes Shawl um den Hals gewickelt, den fast Erstickten umarmt, mir die harte schwielige Hand gereicht, und uns im eigentlichen Sinne des Wortes zum Hause hinaus geschoben.

Als ich mich noch einmal umblickte, sah ich sie in der Thüre stehen und sich mit der Schürze die Augen wischen. Der Meister – dieser kluge Odysseus – sah sich nicht um. Vielleicht konnte er vor dem wollenen Shawl den Kopf nicht bewegen; vielleicht traute er der Festigkeit seiner Entschließungen nicht und fürchtete, er werde ganz und gar umwenden, sobald er nur erst den Kopf nach seiner weinenden Penelope zurückgewandt.



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