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Drittes Kapitel.

Egberts Wunsch einer »guten Nacht« ging für mich nicht in Erfüllung; im Gegentheil: ich wandte mein schlummerloses Haupt hin und her auf dem Kissen, und als ich gegen Morgen einschlief, folgten mir die kühnen Entwürfe, die mich wach gehalten hatten, in meine Träume, wo sie dann noch viel kühnere und abenteuerliche Formen annahmen.

Nichtsdestoweniger erwachte ich kampfesmuthig und mit hellem Kopf, als Louis mir den Kaffe brachte.

»Louis,« sagte ich, »werden die Amerikaner heute am Mittagstisch sein?«

» Yes, Sir«, sagte Louis.

»So richten Sie es so ein, daß Herr Egbert und ich in ihrer Nähe zu sitzen kommen.«

»Wird sich schwer machen lassen,« sagte Louis achselzuckend; »die neuen Gäste werden Sie immer, wie sie kommen, angereiht und rücken herauf, wenn alte fortgehen; nur die Amerikaner können Sie sitzen, wo sie wollen.«

»Warum die?«

Louis würdigte eine so lächerliche Frage keiner Antwort.

»Louis«, sagte ich, »dort auf der Kommode liegt einzelnes Geld, bringen Sie mir doch einmal davon einen Thaler.«

Louis that, wie ich ihm geheißen, und lächelte verständnißinnig.

»Nun stecken Sie diesen Thaler in ihre rechte Westentasche und denken Sie darüber nach, wie Sie uns heute Mittag in der angegebenen Weise placiren.«

Louis lächelte noch verständnißinniger.

»Und noch eins, Louis! Sie reden mich über Tisch ein oder paar Mal englisch an; aber mit lauter Stimme, verstehen Sie!«

Louis machte ein bedenkliches Gesicht.

»Louis, Sie haben gesehen, auf dem Tische liegt noch mehr Geld, und in ihrer Westentasche ist ohne Zweifel Platz für mehr als einen Thaler. Sie werden mich für geleistete Dienste erkenntlich finden.«

Ich machte eine majestätische Bewegung mit der Hand, die Louis mehr als der Thaler zu imponiren schien, denn er verbeugte sich, sagte: » Thank you, Sir! very well, Sir!« und verschwand mit meinen Sachen auf dem Arme.

Noch war ich mit meiner Morgentoilette nicht zu Ende, als Egbert ins Zimmer trat. Er hatte augenscheinlich nicht besser, oder vielmehr noch schlechter geschlafen, als ich, denn er hatte tiefe Ränder unter den Augen und begrüßte mich mit einem äußerst matten Lächeln.

»Nun, lieber Freund!« rief ich ihm zu; »diese Livree der hoffnungslosen Verzagtheit kleidet Dich schlecht. Wie! hast Dein halbes Leben auf der Jagd zugebracht, und nun, da es endlich einmal gilt, ein wirklich edles Wild zu jagen, wird Dir das helle Auge trüb, irrt Dir die sichere Hand und wanken Dir die starken Kniee?«

»Das ist etwas Anderes«, sagte er.

»Gar nicht«, sagte ich; »gelernt will Alles sein, vorläufig einmal englisch. Setze Dich; unsere erste Lection beginnt!«

Ich drängte ihn in einen Stuhl, nahm ihm gegenüber Platz und schlug eines der wenigen englischen Bücher auf, die ich glücklicherweise bei mir führte. »Ganz nach dem Basedow'schen System«, sagte ich, »nun gieb Acht!«

Und er gab Acht, der arme Junge und quälte seine Lippen und seine Zunge, um mir die Worte möglichst genau nachzusprechen, und sein Gehirn, die Phrasen zu behalten; aber mit dreißig Jahren lernt sich eine neue Sprache schwer, und der gute Egbert hatte sich Zeit seines Lebens weder um neue noch um alte Sprachen einen Deut gekümmert. Mehr als einmal wollte mir die Geduld reißen, wenn er mit einer Hartnäckigkeit, die der besten Sache würdig gewesen wäre: I am – ich bin; thou amst – du bist conjugirte; aber bei I love – ich liebe, thou lovest – du liebst, ging es entschieden besser, als bei den Hilfsverben, und bewunderungswürdig war die Consequenz, mit der ich ihn anschrie: Do you love me? worauf er in kläglichem Tone: I love you tenderly! erwiderte.

Ich war beinahe heiser und auf seiner ehrlichen Stirn standen die hellen Schweißtropfen, als wir unsere erste Lection, die beinahe drei Stunden gedauert hatte, beendigten. Es war die höchste Zeit, uns zu dem Mittagsmahl anzukleiden. Da ich Egberts Widerspruch fürchtete, hatte ich ihm nichts von meiner Verabredung mit Louis gesagt.

Als ich absichtlich ziemlich früh in dem Speisesaale erschien, zog mich Louis auf die Seite und flüsterte mir zu, daß es ihm nicht möglich gewesen sei, meinem Wunsche wörtlich nachzukommen, denn Frau Justizrath Scherwenzel und Frau Oberpostdirectorin von Dinde, die Geheimräthin von Pusterhausen und die zwei Fräulein Töchter, welche alle in letzterer Zeit des Glückes der unmittelbaren Nachbarschaft der Amerikaner theilhaftig gewesen wären, hätten bei seinem Versuch, sie herunterzurücken, ein solches Zetergeschrei erhoben, daß er davon hätte abstehen müssen. Doch habe er mir und Egbert die darauf folgenden Stühle reservirt; er hoffe, daß ich für dies Mal mit seinem guten Willen fürlieb nehmen würde.

Die wüthenden Blicke, mit welchen mich die genannten Damen, die schon Platz genommen hatten, auszeichneten, bewiesen zur Genüge, daß Louis in der That nicht weiter hatte gehen können; und die erschrockene Miene Egbert's, der bald darauf erschien und sich in so fürchterlicher Nähe des Gegenstandes seiner Anbetung fand, söhnte mich mit dem Arrangement vollends aus. Und dennoch waren die heiligen Stühle, am Ende der Tafel noch leer, trotzdem die ganze übrige, wohl aus hundert Personen bestehende Gesellschaft schon versammelt war, und, wie ich deutlich bemerkte, von Zeit zu Zeit ängstlich harrende Blicke auf die große Hauptthür warf, durch welche »sie« erscheinen sollten.

Und »sie« erschienen.

Voran Mr. Cunnigsby, der Mrs. Cunnigsby am Arm führte; dann Herr, oder vielmehr, da er so hoher Ehre gewürdigt wurde, Mister Bergfeld, an jedem seiner weithin ausgehenkelten Arme eine der jungen Damen zur Tafel leitend. Mr. Cunnigsby präsidirte, ihm zur Rechten Miß Virginia und Mr. Bergfeld, auf der anderen Seite, uns schräg gegenüber, die Mutter und Miß Ellen.

Ich kann nicht behaupten, zu wissen, was für eine Suppe ich bei dieser Mahlzeit gegessen, und ob das Rindfleisch, das der Suppe folgte, mit Senf- oder mit Capernsauce servirt wurde, denn all' mein Sinn war in meinen Augen concentrirt, und ich mußte mir gestehen, daß diesen Augen, so lange sie verständnißvoll in diese Welt blickten, nichts Reizenderes erschienen war, als das junge Mädchen, das mir in der Entfernung von wenigen Schritten gegenübersaß. Es war das Mondscheingesicht von gestern Abend in Tagesklarheit übersetzt; eine unaussprechliche Lieblichkeit der reinen, vornehm feinen Züge, besonders um den reizenden Mund, den ein gewisser Zug von Schwermuth nur noch reizender machte. Alles an diesem holden Geschöpf schien vollkommen: das reiche, hellbraune Haar, das in weichen, natürlichen Wellen das schöne Oval des Kopfes umfloß und hinten im Nacken zu einem griechischen Knoten verschlungen war, der weiße, schlanke Hals, die feinen schmalen Hände, selbst das kleine anliegende, feingeränderte Ohr, das man so selten zu sehen bekommt. Aber das Allerschönste waren vielleicht ihre milden, blauen Augen, über denen sich freilich die langen, seidenen Wimpern nur ein paar Mal während der Mahlzeit hoben. Das Mädchen war so bezaubernd, daß ich Egbert von aller Schuld freisprach, ja mir eingestehen mußte, man brauche keineswegs vierzehn Tage lang so viel Holdseligkeit vor sich hin und wieder schweben zu sehen, um darüber mehr oder weniger von Sinnen zu kommen.

Es dauerte geraume Zeit, bis ich mich von der Trunkenheit, in die mich der Anblick des Mädchens versetzt hatte, so weit erholen konnte, auch auf die übrigen Mitglieder der Familie ein beobachtendes Auge zu wenden. Die Mutter hatte ein rundes Gesicht, das früher vielleicht recht hübsch gewesen war, und dessen gutmüthig behaglicher Ausdruck mit den grauen Locken unter der Spitzenhaube und dem Kleide von schwerer schwarzer Seide vollkommen harmonirte. Einen ganz anderen Eindruck machte die Physiognomie des Paterfamilias: krauses, dunkles, leicht ergrautes Haar über einer hohen nach oben und den Schläfen zu kahlen Stirn; buschige schwarze Augenbrauen über dunklen, stechenden Augen, eine vornehme römische Nase über einem streng geschlossenen, stolzen Mund, ein stark ausgearbeitetes Kinn, zu welchem der mächtige, ebenfalls schon ergrauende Coteletbart majestätisch herabstieg; die Gesichtsfarbe ein Gelb, das die Tropensonne, die über Zuckerplantagen und Baumwollenfeldern brütet, bronzirt zu haben schien; ein Kopf, der einem römischen Imperator hätte gehören können, wenn man nicht zugab, daß er auf den Schultern eines Sclavenzüchters noch mehr an seiner Stelle war. Armer Egbert, seufzte ich unwillkürlich: ein solcher Schwiegerpapa ist in der That eine bedenkliche Zugabe.

Die andere Tochter, die auf derselben Seite des Tisches saß, wie wir, und die ich deshalb weniger deutlich sehen konnte, schien in Allem das Widerspiel von ihrer holden Schwester und mehr nach dem Vater geartet zu sein. Sie war entschieden kleiner und voller als jene, sehr brünet, mit blitzenden dunklen Augen, die offenbar ihr Spiel meisterlich verstanden, und blitzenden weißen Zähnen, über welchen sich die rothen üppigen Lippen selten schlossen, trotzdem sie sich viel mehr mit ihrem Vater, als mit ihrem Nachbar, dem jungen Mercurssohne, unterhielt, dessen albernes Gesicht ich nur sehen konnte, wenn die beiden Fräulein von Pusterhausen neben mir – was sie freilich oft genug thaten – die Köpfe zusammensteckten und kicherten.

Die jungen Damen hatten augenscheinlich mit jenem Scharfsinn ihres Alters und Geschlechts herausgebracht, weshalb wir uns in ihre Nähe gedrängt hatten, denn sie blickten bald den armen Egbert an und bald die schöne Ellen und drückten dann wieder wechselseitig den Schwestermund auf das Schwesterohr. Durch dies Hinüber und Herüber der Mädchen wurde ich selbst erst auf einen Umstand aufmerksam, der mir bis dahin entgangen war, daß nämlich – so weit dies möglich – die Gesichter Egberts und Miß Ellens denselben Ausdruck scheuer Verlegenheit trugen, daß Beide kaum einmal von ihren Tellern aufsahen und doch eigentlich auf denselben nichts zu suchen hatten, da sie die Speisen fast unberührt an sich vorüber gehen ließen. Die Schwestern von Pusterhausen mußten ihre scharfsinnige Entdeckung der Mutter signalisirt und diese wiederum ihren Freundinnen, Frau Justizrath Scherwenzel und Frau Oberpostdirectorin von Dinde die interessante Mittheilung gemacht haben, denn wir kamen jetzt unter ein Kreuzfeuer ärgerlicher und hämischer Blicke, das auch das Herz des Braven hätte einschüchtern können, besonders wenn er, wie ich, die halblaut gesprochenen Worte hörte: also er will wirklich Ernst machen, nun, Gott helf! Er wird dabei seinen dreisten Freund dringend nöthig haben.

Frau von Pusterhausen! Frau von Pusterhausen! bin ich zu dreist, wenn ich behaupte, daß Deine Gänschen von Töchtern aus dem nächsten Teiche sich mit den Schwänen vom Missisippi nicht messen können! ist es Dreistigkeit, wenn ich über die undankbare Mühe, die Ihr Euch Alle gebt, den kleinbürgerlichen Anstrich Eurer Garderobe, Eurer Manieren, Eurer Sprache zu übertünchen, lachen muß! Ihr müßtet ja selbst lachen, wenn Ihr Euch nur einen Augenblick sehen könntet, wie Fräulein Emma die Stellung von Miß Virginia nachzuahmen versucht, die sich in ihren Stuhl hintenüberlehnt und sich dicht in den weichen Weißen Cachemirshawl hüllt oder wie Fräulein Käthchen jetzt die Stirn in die Hand stützt, wie Miß Ellen, oder wie Sie selbst, Frau von Pusterhausen, jetzt an Ihrem Zwirnsfaden von Uhrkettchen zupfen, gerade wie Mrs. Cunnigsby an der zolldicken Kette, die auf ihrem Busen so behaglich thront! Daß Ihr Euch natürliche Blumen in die Haare gesteckt habt, wie die amerikanischen Damen, darüber will ich nicht spotten, denn erstens ist es eine anmuthige Sitte, die meinen Beifall hat, zweitens werdet Ihr es sicherlich mit der Zeit zu einer größeren Fertigkeit in dieser Art des Putzes bringen, als Ihr heute an den Tag gelegt habt, und drittens sehe ich, daß fast alle Damen im Saal sich ebenso coiffirt haben. Dergleichen ist ansteckend; aber das kann ich Euch versichern, wenn ich zufällig ein Pflanzer aus Louisiana, oder, sagen wir, eine Frau oder ein Fräulein Pflanzerin wäre, ich machte nicht mehr Wesens aus Euch, als diese Amerikaner da am Ende der Tafel aus Euch machen.

»Rinderbraten oder Hammelbraten, Herr?« fragte Louis auf englisch, unserer Verabredung gemäß.

»Keins von beiden, aber sorgen Sie dafür, daß die Thür geschlossen wird, es ist ein schauderhafter Zug hier«, erwiderte ich, ebenfalls englisch und mit lauter Stimme.

Ich hatte meine Absicht erreicht. Sämmtliche amerikanische Augen (von einem halben hundert deutscher Sehwerkzeuge gar nicht zu sprechen) richteten sich in demselben Moment auf mich, während ich einerseits, um doch auch nicht müßig zu sein, Mr. Cunnigsby fixirte. Ich hatte die Genugthuung, daß der Sclavenhalter, nachdem er mich unter seinen buschigen Brauen wie einen armen Nigger, den er beim Reisstehlen ertappt, angestarrt hatte, zuerst den Blick abwandte, und die noch größere, daß er bald darauf Louis zu sich winkte, augenscheinlich um zu fragen: »wer zum Teufel der Bursche da sei?«

Nicht lange darauf wurde die Tafel aufgehoben. Der Sclavenhalter bot seiner Gemahlin wieder den Arm, und schritt hoch erhobenen Hauptes durch die weitgeöffnete Thür hinaus, hinterher die Töchter und Herr Bergfeld.

»Was wolltest Du um Alles in der Welt mit Deinem Englisch?« fragte Egbert ärgerlich; »Du hast ja eine ordentliche Scene provocirt!«

»Laß mich nur machen, Schatz!« erwiderte ich, indem ich ihn in den Kurgarten zog, in welchem sich nach Tische die ganze Gesellschaft zu versammeln pflegte.

Auch die Amerikaner waren da, auf einer erhöhten Stelle des Gartens in dem dichten Schatten einer Platane. An einer anderen Stelle, in nicht allzugroßer, aber doch respectvoller Entfernung hatte das englische Kränzchen Platz genommen; die Debatten waren sehr animirt, Gegenstand der Tagesordnung schien meine Wenigkeit zu sein. Wiederum an einem anderen Baume saßen – zu meiner nicht geringen Verwunderung – Herr Lindau neben dem Fräulein Kernbeißer und der schwarzäugigen Frau Herkules, während die schönen schwarzäugigen Kinder vor ihnen auf dem Rasen spielten. Vermuthlich verarbeitete die Habichtsnase heute mich mit demselben Wohlwollen, wie sie gestern Herrn Lindau zerhackt hatte. Herr Bergfeld strich mit seinem albernen Gesicht an uns vorüber. Ich grüßte und sagte zu Egbert: »Willst Du nicht die Güte haben, mich dem Herrn vorzustellen!«

»Bin sehr erfreut, sehr!« sagte der junge Dandy und wollte weiter.

»Wir müssen uns, wie mir däucht, schon in Berlin irgendwo in Gesellschaft getroffen haben«, sagte ich, ohne seine Eilfertigkeit zu beachten, mit kühner Stirn.

»Sehr wohl möglich, sehr wohl möglich, bewege mich viel in Gesellschaft. Sprechen auch englisch, wie ich höre!«

»Nicht mit der Meisterschaft, die man Ihnen hier gewiß mit Recht nachrühmt, aber doch ein wenig, genug, um mich verständlich zu machen. Und, um nicht lange damit hinter dem Berge zu halten, Herr Bergfeld, ich wollte Sie um die Gefälligkeit bitten, mich mit Ihren amerikanischen Freunden bekannt zu machen.«

Egbert ließ vor Schreck meinen Arm fahren, der Dandy machte ein verlegenes Gesicht.

»Wie, Herr Bergfeld«, rief ich, »soll ich glauben, daß ein kühner junger Ritter, wie Sie, in mir alten Familienvater einen Nebenbuhler sehen kann? unmöglich.«

»O Gott, das ist es nicht; auf Ehre nicht!« sagte der Dandy, der sehr roth geworden war. »Im Gegentheil, ich wünschte sogar, daß einer oder der andere der Herren –«

»Sich mit Ihnen in das mühselige Geschäft, der Cavalier dreier Damen zu sein, theilte? Habe ich Sie errathen? Gestehen Sie!«

»Allerdings, allerdings!« sagte Herr Bergfeld, mit dem wehmüthigsten Blick auf einen Shawl, den er auf dem Arm trug und der für den Platz unter der Platane bestimmt schien; »man wird in Athem gehalten; aber das ist es nicht. Im Vertrauen, ganz entre nous, ich weiß selbst nicht, ob ich noch lange hier bleibe!«

In dem kleinen Gesicht des jungen Mannes lag ein Verlangen, sich mittheilen zu dürfen, dem ich entgegenkommen zu müssen glaubte.

»Sie fürchten – verzeihen Sie die Indiscretion! – Sie fürchten, daß, wenn Sie länger bleiben, Herzen brechen! Miß Virginia? habe ich es errathen?«

Herr Bergfeld erröthete abermals. »Wenn Sie es denn wissen wollen: ja, oder auch nein: man kann niemals sagen, wie man mit dem Mädchen daran ist. Wir standen wirklich schon sehr gut mit einander, auf Ehre; aber seit vorgestern, wo Mr. Cunnigsby in Fichtenau gewesen ist, weiß ich nicht mehr, woran ich bin. Man spricht fortwährend von einem Grafen, den er dort kennen gelernt hat und der, ich glaube heute schon, hierher kommen wird. So etwas ist nicht angenehm, werden Sie mir zugeben; aber jetzt muß ich fort; bemerke, daß Miß Virginia nach uns herübersieht – freue mich außerordentlich, Ihre werthe Bekanntschaft gemacht zu haben« –

»Aber so erlauben Sie mir doch, Verehrtester«, rief ich, indem ich, den verwunderten Egbert stehen lassend, den Arm meines neuen Bekannten ergriff; »ich nehme keine Weigerung an; ich habe mir nun einmal in den Kopf gesetzt, die Bekanntschaft dieser Amerikaner zu machen.«

Ich gestehe, daß, während wir auf die Gruppe unter der Platane zuschritten, mein Herz heftiger, als mir lieb war, schlug – nicht für mich – was hat ein Gatte und Vater von vier Kindern zu fürchten! – wohl aber für meinen Freund, dem ich das schöne Mädchen dort aus den Tatzen ihres grimmigen Jaguar-Vaters reißen sollte. Dennoch bewahrte ich die Haltung vollkommen; mein Hut verließ den Kopf nicht eine Sekunde zu früh oder zu spät und meine Verbeugung fiel mit mathematischer Genauigkeit in den für solche Gelegenheiten vorgezeichneten Winkel.

Daß der Empfang, der mir zu Theil wurde, für meine Eitelkeit besonders schmeichelhaft gewesen wäre, kann ich freilich nicht behaupten. Nur in den braunen Augen von Miß Virginia blitzte so etwas wie Neugier; aber Miß Ellen hob die blauen Augen nicht von der Tischplatte, Missis Cunnigsby blickte fragend auf ihren Gatten, ihr Gatte blickte stirnrunzelnd auf Herrn Bergfeld, Herr Bergfeld, der sehr verlegen aussah, blickte mich an mit kläglichen Augen, die deutlich sagten: Nun reden Sie doch wenigstens!

»Ich habe mir das Vergnügen nicht versagen können«, begann ich in meinem besten Englisch.

»Amerikaner, Herr?« fragte Mr. Cunnigsby, ohne mich anzusehen.

» No Sir

Mr. Cunnigsby wandte sein stattliches Haupt zu mir, lächelte und sagte in gebrochenem Deutsch:

»Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen; bitte um Verzeihung, wenn ich war etwas scheu; hielt Sie für einen Landsmann; habe schlechte Erfahrungen mit meinen Landsleuten gemacht; überdies der letzte Krieg – Norden und Süden – Bruderkrieg – verheirathet, Herr?«

» Yes Sir

»O, bitte, sprechen Sie immerhin deutsch, ich sehr gut verstehe deutsch! Darf ich Sie machen bekannt mit meine Damen?«

»Sie sprechen gar nicht deutsch, Madam?« wandte ich mich an Mrs. Cunnigsby.

Ein einfaches » No Sir«, war die Antwort.

»Und die jungen Damen?« fuhr ich fort, mich zu Miß Ellen wendend, die über ihre Arbeit gebeugt dasaß.

»Ebensowenig«, erwiderte der Vater an Stelle der Tochter.

»Das muß Ihnen den Aufenthalt hier einigermaßen erschweren«, sagte ich zu Miß Virginia, die ebenfalls eifrig mit ihrer Arbeit beschäftigt schien.

»Man hilft sich, wie man kann;« erwiderte Mr. Cunnigsby.

Der trockene Ton, in welchem er das sagte, ließ das Vergnügen, welches ihm meine Unterhaltung gewährte, nicht durchhören. Auch sah es fast so aus, als ob er mich so viel als möglich von der Gesellschaft seiner Damen ferne halten wollte, denn er stellte sich breit zwischen sie und mich, und fragte, immer in demselben trocknen Ton, von welcher Stadt ich käme?

Ich nannte Berlin.

Er blickte mich scharf mit seinen stechenden Augen an und fragte:

»Kennen Sie unsern Gesandten dort?«

Ich mußte es verneinen.

»Oder« – er nannte die Namen von verschiedenen Personen, die mir sämmtlich unbekannt waren.

»Sind Sie in Baden-Baden gewesen?«

»Vor einigen Jahren.«

»Ah! Kennen Sie den Grafen Saros? Angenehmer junger Mann. Hatte das Vergnügen, ihn vorgestern in – wie heißt es doch – ah! Fichtenau zu treffen; langweilt sich dort ebenso, wie ich mich langweile hier; habe ihn überredet, nach hier überzusiedeln; erwarte ihn jeden Augenblick. Hoffe, noch sonst das Vergnügen zu haben.«

Und damit machte mir Mr. Cunnigsby eine stattliche Verbeugung, die Damen nickten in ihre Arbeitskörbe und ich war entlassen.

Entlassen – und empört über meinen Mißerfolg, noch mehr über die Insolenz dieser Amerikaner. Wie? dieser Jaguar, dieser Sclavenzüchter, dieser Cottonlord, dieser Rebell – er wagte es, seine Unverschämtheit auch an mir zu probiren? mich kaum besser zu behandeln, als einen seiner Niggers? mich mit seinem erbärmlichen Deutsch zu regaliren? von der Gesellschaft seiner Damen auszuschließen, während er diesen Fant von einem Kaufmannsknaben der Ehre seines intimen Umgangs würdigt? Und diese fette Lady! sieht sie nicht aus, als ob sie ihr Leben lang auf einem Wollsack gesessen und Zuckerrohr gekaut hätte! und diese zimperlichen, hochnasigen Dämchen, die vermuthlich nichts gelernt haben, als sich in Hängematten zu wiegen, von Sclavinnen Blumen in's Haar stecken zu lassen, und schön auszusehen! Was schön! sie sind nicht einmal so schön! ich weiß nicht, wo ich über Tisch meine Augen gehabt habe. Diese Miß Virginia sieht aus wie eine hübsche Grisette, die ihre braunen Augen noch einmal zu Schaden bringen werden, und diese Miß Ellen ist zweifellos ein Gänschen, eine vollständige Gans. Ich werde dem Egbert –

»Nun, Sie sind ja schnell zu hohen Ehren gekommen«, sagte Fräulein Kernbeißer, als ich, um Egbert, der sich zu dieser Gruppe gesetzt hatte, abzuholen, herantrat. »Wie finden Sie denn die jungen Damen?«

»Charmant, ganz charmant!« sagte ich, indem ich mich in einen Stuhl sinken ließ; »bezaubernd.«

»Doch schien die Unterhaltung nicht sehr lebhaft;« meinte Frau Herkules.

»Aber was verlangen Sie von einer ersten Vorstellung, gnädige Frau! Man kann doch nicht gleich von Sonne, Mond, Sternen reden!«

»Ich begreife diese Schwärmerei für unsere transatlantischen Schönheiten in der That nicht«, sagte Lindau; »man sieht sich bald an Feld und Wiesen satt, und an Gänseblümchen doch am Ende auch. Da lobe ich mir unsere deutschen Frauen. Sie verhalten sich zu jenen, wie ein Original zu einer schlechten Übersetzung, wie ein Flügel, von Meisterhand gespielt, zu einer Spieldose;« und der Lyriker warf einen schmachtenden Blick in die schönen Augen der kleinen Frau Herkules.

»Gott, ich möchte Sie küssen für diese Worte!« rief das sanguinische Fräulein Kernbeißer.

Herr Lindau verbeugte sich lächelnd, indem er dabei die rechte Hand auf sein Dichterherz legte. Egbert hatte sich erhoben; ich folgte seinem Beispiel; wir verließen den Kurgarten und wandten uns in den Wald.

»Nun?« fragte Egbert, als ich schweigend neben ihm herschritt.

Ich zündete mir eine Cigarre an.

»Nun?« fragte Egbert noch einmal.

»Lieber Junge«, sagte ich – »aber willst Du nicht auch rauchen? es philosophirt sich besser dabei. Also, was ich sagen wollte: schlag Dir die Grillen aus dem Kopf. Sieh, mein Sohn, eine Minute Praxis ist mehr werth, als tausend Jahre Theorie, und man weiß auch nicht, wie naß ein Teich ist, bis man zufälligerweise einmal hineinfällt. Und davor, nämlich vor dem Hineinfallen möchte ich Dich in Freundschaft bewahren. Du würdest es aber thun, wenn Du – ich nehme gleich den Superlativ – diese Miß Ellen zu Deinem ehelichen Weibe bekämst. Nein, laß mich noch ein paar Minuten fortreden, denn ich habe für ein paar Stunden auf dem Herzen. Gesetzt also, Du überwändest alle Schwierigkeiten, Du lerntest englisch, der Jaguar verspeiste Dich nicht lebendig, sondern legte eure Hände ineinander, sagte: hier sind zwei Zuckerplantagen, so und so viel Acres Baumwollenpflanzungen und fünfhundert Neger beiderlei Geschlechts in Wechseln auf Rothschild, – nehmt dies, und seid glücklich! würdet ihr, ich meine: würdest Du glücklich sein? Ich zweifle daran; was sage ich: ich weiß: Du würdest es nicht sein. Denke Dir erstens, mit Deiner Frau, dem Weibe, das an Deinem Herzen ruht, der Mutter Deiner Kinder, stets eine fremde Sprache sprechen zu müssen, die Dir nur mühsam von den Lippen, nie aus dem Herzen kommt: den Laut der Zärtlichkeit, der aus Deiner tiefsten Seele quillt, nicht articuliren, das rechte Wort, das sie überzeugen müßte, überzeugen würde, nicht finden zu können! Du fragst, weshalb das? weshalb sollte sie nicht … Unglücklicher: sie wird nie die Sprache Deiner Väter sprechen lernen; die Tochter eines Sclavenzüchters wird sich nie so weit herablassen; und eben so wenig, wie in Deine Sprache, wird sie sich in die Sitten Deiner Heimath hineinleben: unserer Heimath, Egbert! Ich werde kommen, Dich zu besuchen, und das alte Haus wird nicht mehr das alte Haus sein! Wehe der Cigarre, die durch den langen Corridor dampft! Der Duft des Theekessels und der steifleinenen Langeweile wird es vom Boden bis zum Keller durchwehen; der drawing-room – Du weißt ja gar nicht einmal, was ein drawing-room ist! – wird das Grab Deiner Gemüthlichkeit, Deines Friedens, Deiner Hoffnungen auf Ruhe diesseits und jenseits des Grabes sein. Und Egbert – Du heirathest doch nicht blos für Dich! Du heirathest auch für Dein Hof-Gesinde, für Deine Kathenleute, selbst für Deine Milchkälber und Deinen Hühnerhof. Für diese Alle und dies Alles und für noch viel mehr soll und muß das treue Auge Deiner Hausfrau wie die Sonne sein, und was kannst Du von jenem Mädchen erwarten? sie, die im Schooße eines brutalen Reichthums erzogen, in der Hängematte der Willkür groß geschaukelt ist, wie kann sie, selbst wenn sie den guten Willen hätte, mit Deinen Dreschern und Pflügern sich auch nur verständlich machen, geschweige denn herausfinden, wo die armen Leute der Schuh drückt und wie ihnen geholfen werden muß? Oder wolltest Du vielleicht das Gesetz der Natur umkehren, und Deiner Frau nachfolgen, anstatt sie Dir: wohin sollte das führen? würde es Dir vielleicht am Golf von Mexico unter den Baumwoll-Junkern des Südens behagen, die Dich als einen fremden Eindringling immer über die Achsel ansehen würden? oder wolltest Du am Busen von Neapel Dein Leben in Ruhe verdehnen, oder auf den Boulevards von Paris vertändeln? Du bist zu dem Einen so wenig geschaffen, wie zu dem Andern. Du würdest Dich immer und überall nach dem Wogenschlage unserer geliebten Ostsee sehnen und nach dem ehrlichen Platt unserer Landleute und Fischer; Du bist ein treues deutsches Blut, an dessen Herzen kein Herz schlagen kann, in welchem nicht dasselbe treue Blut pulsirt, und nun gieb mir einmal Deine Cigarre, denn die meine ist mir über dieser langen Rede ausgegangen.«

Egbert, der nachdenklich neben mir hergeschritten war, hob seine guten Augen und sagte: »Wie kommst Du nur gerade jetzt auf dies Alles?«

»Mau muß beide Seiten der Medaille betrachten«, erwiderte ich; »ich habe eben einen Schimmer von der anderen Seite gehabt, einen flüchtigen Schimmer nur, aber genug für mich, wie für den Naturforscher der Knochensplitter genügt, das ganze Gerippe zu construiren. Oder, wenn Du mich nicht für einen Gelehrten in diesen Dingen anerkennen willst, nimm mich für einen Propheten, einen Inspirirten, dessen Visionen anticipiren, was da kommen wird, oder doch kommen könnte.«

»Ich will es Dir nur gestehen«, sagte Egbert; »was Du mir da gesagt hast, oder wenigstens das Meiste davon, ist mir auch wohl schon durch den Kopf gegangen; ich habe mir gesagt: das ist keine Frau für dich, oder auch: du bist kein Mann für sie; ich habe mir jeden Tag und jede Stunde gesagt: es ist dein Unglück und du willst es dir aus dem Kopf schlagen, aber so bald ich sie wieder sehe, ist Alles vergessen; ich sehe nur sie, ich kann nicht anders. Weißt Du, Fritz, es geht mir wie den armen Schnepfen, die das Licht von unserem Leuchtthurm auf Arcona durch die Nacht glühen sehen und herbei fliegen und sich an den dicken Scheiben die Köpfe einrennen. Da findet sie denn der Wächter am andern Morgen zerbrochen und zerschmettert auf der Erde liegen, und so wird man mich über kurz oder lang auch wohl einmal finden.«

»Lieber Junge«, sagte ich, »eine Schnepfe ist eben eine Schnepfe, und hat einen Schnepfenverstand in ihrem kleinen dummen Schädel. Sei, was Du bist, ein Mann; renne nicht mit offenen Augen in Dein Verderben. Wenn der Leuchtthurm nicht zu Dir kommt, und dazu ist wenig Aussicht, – komme Du nicht zum Leuchtthurm. Steure einen andern Cours, es ist noch viel Platz unter dem Himmel. Du bist nur schon zu lange hier gewesen. Laß uns heute noch unsere Sachen packen; komm zu uns! meine Frau wird mit sanfterem Wort, als ich es vermag, Deine Wunden pflegen. Oder laß uns zusammen durch die Berge ziehen, die Wandertasche um die Schultern, den Stab in der Hand. Mit jeder Meile, die wir durchmessen, wird Dein Blut leichter fließen, und eines schönen Morgens, wenn Du aufwachst, wirst Du Dir die Augen reiben, und sprechen: Gott sei Dank! es war ein böser Traum.«

»Nein, nein!« rief Egbert; »ich kann nicht fort; ich habe es schon, ich weiß nicht wie oft, versucht; aber ich kann nicht.«

»Der Mensch kann, was er soll, und, wenn er sagt: ich kann nicht, so will er nicht.«

Egbert hatte nicht mehr gehört, was ich sagte. Er hatte sich an der Wegseite in das Heidekraut geworfen; die Thränen stürzten ihm aus den Augen, er war außer sich.

Ich wußte nicht mehr, was ich sagen sollte. Daß die Leidenschaft so tiefe Wurzeln bei ihm geschlagen, hatte ich nicht geglaubt; ich hatte nicht bedacht, daß Egbert einer von den ganzen Menschen war, die noch einer ganzen, vollen Leidenschaft fähig sind, eines von den guten Kindern, die nie mit dem Feuer gespielt haben, und wenn es sie nun erfaßt, sich nicht zu rathen und zu helfen wissen. Diesem Liebesfeuer, das sah ich nun wohl, war mit Palliativen nicht beizukommen; man mußte es ausrasen lassen, und von der kräftigen Natur des Kranken die Genesung hoffen.

So setzte ich mich denn zu ihm ins Heidekraut, und es gelang mir nach einiger Zeit, ihn wenigstens so weit zu beruhigen, daß er sich eine neue Cigarre anzünden und mit mir vernünftig überlegen konnte, was denn nun, wenn einmal dageblieben werden mußte und sollte, demnächst für Schritte zu thun seien, dem Feinde näher zu kommen oder sonst einen Vortheil abzugewinnen. Ich erzählte Egbert ausführlich, wie man mich empfangen, was der Jaguar mit mir gesprochen und wie ich den Eindruck empfangen habe, als ob man sich in der That für zu gut halte, mit einem gewöhnlichen, d. h. voraussichtlich weder reichen noch vornehmen Menschen zu verkehren. Dagegen scheine allerdings der Umstand zu sprechen, daß man mit Herrn Bergfeld – der doch gewiß ein gewöhnlicher Sterblicher sei – so intim geworden, indessen sei der junge Kaufmann wohl nur ein pis aller gewesen, und er scheine selbst unter dem Gefühle zu stehen, demnächst einem höheren, nämlich dem angekündigten Grafen mit dem ausländischen Namen, weichen zu müssen. Unter allen Umständen sei es gut, daß ich mich habe vorstellen lassen, und daß man drüben wisse, ich sei der englischen Sprache mächtig. Es werde sich schon Gelegenheit finden, an diesen Punkt wieder anzuknüpfen, auf miserable Behandlung mache ich mich gefaßt, dergleichen dürfe, wo es sich um einen Freund handle, nicht in Rechnung gesetzt werden.

Unter solchen Gesprächen, die, wie das in solchen Dingen zu sein pflegt, auf meilenlangen Umwegen immer wieder zu demselben Punkte zurückführten, war der Abend hereingebrochen. Ich hatte eben zum Aufbruch gemahnt, als wir Jemand mit raschen Schritten durch den Wald kommen hörten. Im nächsten Augenblicke trat eine Gestalt um die Biegung, die der Weg gerade an dieser Stelle machte und kam auf uns zu. Wir hatten noch gerade Zeit, den Fremden zu mustern.

Es war ein hochgewachsener junger Mann, dem man den Ausländer schon auf die dreißig Schritte, die er noch von uns entfernt war, ansah. Er trug einen enganliegenden, mit Schnüren besetzten, kurzen dunklen Rock, der seine zugleich kräftige und schlanke Gestalt vortheilhaft hervorhob; ebenfalls enganliegende und gleicherweise schnurbesetzte Beinkleider wurden nach unten zu von Stiefeln, die bis zur Wade reichten und vorn mit kleinen Troddeln geschmückt waren, begrenzt. Eine barettartige Mütze bedeckte den dunklen Krauskopf und stand sehr gut zu dem Gesicht, von dem ein mächtiger, an den Enden zu haarscharfen Spitzen zusammengezwickelter und gewichster Schnurrbart einen halben Fuß lang nach beiden Seiten ausstrahlte. Einen dunklen Mantel oder etwas der Art hatte er nachlässig um die Schulter geworfen; so kam er auf uns zu, die er nicht bemerkt haben mußte, denn er fuhr, als er dicht vor uns unserer ansichtig wurde, wie erschrocken einen Schritt zurück, faßte sich dann aber schnell und fragte uns, indem er mit höflicher Beugung sein Barett lüftete, in gebrochenem Deutsch: ob dies der rechte Weg nach Tannenburg sei? Auf meine bejahende Antwort schien er zu zögern, und ich war im Begriff, ihm unsere Begleitung anzubieten, unterließ es aber, als ich an dem finstern Ausdruck von Egberts Gesicht sah, daß er meine menschenfreundliche Absicht errathe und mißbillige. Der Fremde verbeugte sich noch einmal und entfernte sich durch den Wald mit schnellen Schritten.

Wir folgten ihm langsam.

»Ich will verdammt sein«, sagte Egbert durch die Zähne, »wenn das nicht der Herr Graf ist, auf den sie warten.«

»Natürlich ist er es«, erwiderte ich; »und Du hast sehr unrecht gethan, seine schätzenswerthe Bekanntschaft nicht auf der Stelle zu machen. Einem möglichen Nebenbuhler die Zähne zu zeigen, wenn man ihm statt dessen eine Gefälligkeit erweisen kann, ist eine schlechte Philosophie. Du wirst auf diesem Wege nicht weit kommen.«

Egbert biß sich auf die Lippen, erwiderte aber nichts. Vermuthlich überlegte er bei sich, während wir schweigend nach Tannenburg zurückgingen, wie ein beschnürter und betroddelter ungarischer Graf sich wohl am besten ausnehme: ob mit einem blanken Degen durch den Leib, oder mit einer Kugel durch die Brust, oder mit gespaltetem Schädel? Ich für meinen Theil war ebenfalls nachdenklich gestimmt. Der seltsame Handel, in den ich so unvermuthet verwickelt worden, war ohne Zweifel in ein neues Stadium getreten. Mich überkam eine Ahnung, daß Egberts Spiel verloren sei, nachdem es eigentlich noch nicht begonnen, und wenn ich auch auf der einen Seite eine schnelle, radicale Cur seines Liebesleidens einem langsamen Hinsiechen entschieden vorzog, so hatte ich doch Egbert zu lieb, als daß ich ihm nicht die bei der Operation unerläßlichen Schmerzen gern erspart hätte. Und dann – sage ich es nur! – die rührende Schönheit der jungen Amerikanerin hatte einen Eindruck auf mich gemacht, den die Insolenz des Jaguars nicht hatte aufheben können. Ich wünschte dem holdseligen Geschöpf, während ich sie Egbert gegenüber nicht höher als eine schöne Blume oder einen bunten Colibri zu achten schien, in der Stille alles Heil und allen Segen, und war, wenn ich mich recht prüfte, mehr als je entschlossen, dem Freunde in dieser Haupt- und Staatsaction seines Lebens ein treuer Pylades zu sein. Vorläufig wurde mit Orest verabredet, daß er sich morgen früh um neun Uhr zur englischen Lection auf meinem Zimmer einzufinden habe. Von dem ungarischen Grafen sprach ich nicht weiter; ich war überzeugt, daß bei dem hohen Interesse, dessen sich fremde Culturformen in den bildungseifrigen Kreisen der Tannenburger Kurgesellschaft zu erfreuen hatten, von dieser neuen auffallenden Erscheinung hinreichend gesprochen werden würde.



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