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Sechszehntes Capitel.

Es war im fünften Sommer nach diesen Ereignissen, da brachte die Augustsonne, welche in strahlender Glorie sich aus den Wäldern hob, den Deutschen am Creek und Mohawk und am Schoharie einen gar herrlichen Tag. Heute mochten Bison und Hirsch unbelästigt ihre Pfade durch den Urwald ziehen – der Jäger nahm den scharfen Schuß aus der Büchse und that dafür eine tüchtige Ladung losen Pulvers hinein: heute blieben Kühe und Schafe in den Koppeln sich selbst überlassen der – Hirt hatte seinen Sonntagsrock sauber gebürstet und einen großen Blumenstrauß an den Hut gesteckt; heute ruhte die Arbeit auf den Feldern und wäre sie noch so dringend gewesen – der Ackersmann hatte Dringenderes zu thun: er und der Hirt und der Jäger und alle Welt, Jung und Alt, Männer, Weiber und Kinder – sie hatten ein großes Fest zu feiern, das große, wunderschöne Friedensfest.

Denn Friede war es wieder auf Erden, die sieben lange Jahre hindurch das Blut ihrer Kinder in Strömen getrunken: Friede drüben in der alten Heimath, Friede hüben in der neuen. Dort war der Held des Jahrhunderts, der alte Fritz, der große Preußenkönig mit seinen Feinden fertig geworden und hatte den Degen in die Scheide gesteckt; so mochte denn auch hier das Kriegsbeil begraben werden.

Zwar war es in den letzten Jahren schon stumpf genug gewesen. Seitdem im Frühsommer 58 der Angriff der Franzosen und ihrer Indianer so wacker von den Deutschen zurückgeschlagen war, hatten sie keinen Einfall mehr über eine Grenze gewagt, die von einem so streitbaren Geschlecht vertheidigt wurde: und als nun gar Fort Frontenac gefallen und endlich Quebeck im folgenden Jahre übergeben war, da war der Sieg Englands entschieden gewesen, und was noch folgte, nur ein letztes Aufflackern und Funkenstieben des großen Brandes.

Aber für ein deutsches Schindel- oder Strohdach sind auch Funken gefährlich, und noch immer hatte sich der Hausherr mit Sorgen zu Bett gelegt, und war am andern Morgen mit der Büchse auf der Schulter an die Arbeit gegangen – nun war auch die letzte Spur der Unsicherheit geschwunden, und Friede, Friede läuteten die Glocken in den Kirchlein weit hinein in die sonnigen Felder und stillen Wälder!

Und aus den Wäldern, über die Felder kamen sie in festlichen Schaaren, zu Fuß und zu Roß, Jung und Alt, blumengeschmückt sich schon von fern fröhlichen Gruß zuschickend und sich herzlich die Hände schüttelnd, wenn sie nun auf den Kreuzwegen zusammentrafen, und trauliches Gespräch pflegend, während sie zusammen weiterzogen durch das lachende Thal zwischen Mohawk und Creek den Hügel hinan, auf welchem die Kirche lag, die heute die Zahl der dankbar frommen Waller nicht zum kleinsten Theil fassen konnte.

Aber Gott wohnt nicht in Tempeln, aus Menschenhänden gemacht! Licht ist das Kleid, das er anhat: der Himmel ist sein Stuhl und die Erde seiner Füße Schemel! Und das ist der Text der Predigt, die der würdige Pfarrer Rosenkrantz heute unter dem lichten Himmel seiner Gemeinde hält, die auf der grünen Erde in weitem, weitem Kreise um ihn her versammelt ist. Er preist in Worten, die wie auf Adlerfittigen über die stille Versammlung rauschen, den großen, guten Gott, zu dem sie gerufen in ihrer Noth und der sie errettet hat aus der Gefahr draußen im wilden Walde, auf einsamer Prairie. Er gedenkt derer, die in diesem Kampfe gefallen sind, und daß sie nicht vergeblich ihr theures Blut vergossen haben für Haus und Hof, darin der Mensch wohnen muß, um im Kreise der Seinen, am häuslichen Heerde, die Tugenden der Liebe, der Hülfsbereitschaft, der Geduld zu üben und zu leben nach dem Bilde dessen, der ihn erschuf. Und daß die Ueberlebenden nun berufen sind und auserwählt, nach der fürchterlichen Arbeit des Krieges zu den köstlichen Werken des Friedens; und daß aller Hader und Zank und Mißgunst und Streit nun verbannt sein müsse aus der Gemeinde, sonst würden die Todten aufstehen und klagen und fragen: warum sind wir gestorben?

Die Stimme des Predigers hatte mehr als einmal vor Rührung gezittert. Hatte er doch Alles selbst mit durchgemacht und durchgekämpft! Kam ihm doch jedes Wort aus dem tiefsten Herzen! Und wie es von Herzen gekommen, so war es zu Herzen gegangen. Da war wohl kaum einer unter all den Hunderten, dessen Augen thränenleer geblieben wären: und als er den Segen über die Gemeinde gesprochen, und daß der Herr, der jetzt so sichtbar sein Antlitz über ihnen leuchten lasse und ihnen den Frieden gegeben habe, sie auch ferner segnen und behüten möge und ihnen Frieden geben, Amen! da zitterte das Wort in allen Herzen nach und hunderte von Stimmen murmelten: Amen! Amen! wie wenn der Wind durch die Wipfel des Waldes rauscht. Und dann erhob sich das Rauschen stärker und mächtiger und in feierlichen Accorden fluthete es dahin über die sonnigen Felder:

»Nun danket alle Gott!«

Dann zogen sie davon, stiller als sie gekommen.

Aber das Friedensfest sollte ja auch ein Freudenfest sein, und es waren neben den Alten viel zu viel Junge, als daß die Freude lange still hatte bleiben können. Da wurden zuerst ein paar muntere Worte schüchtern gewechselt und dann hatte ein lustiger Bursch einen neckischen Einfall, den er doch unmöglich bei dem schönen, hellen Sonnenschein für sich behalten konnte, und die Alten lächelten, die Bursche lachten, und die Mädchen kicherten, und das Gelächter und die Fröhlichkeit waren so ansteckend, daß die Büchsen wie von selber losgingen und eine Stunde später hätte, wer es nicht besser wußte, glauben mögen, das Herckheimer'sche Gehöft, das die Franzosen selbst in den Schreckensjahren 57 und 58 nicht anzugreifen gewagt hatten, sollte heute am Friedensfest von deutschen Burschen im Sturm genommen werden.

Das war nun freilich nicht nöthig. Nikolaus Herckheimers großes, immer gastliches Haus hatte heute alle Thüren noch weiter als sonst aufgethan, denn männiglich und weiblich, was am Mohawk wohnte und am Creek und Schoharie, Alles was deutsch war, oder sich freuen wollte mit den Deutschen, war eingeladen und willkommen, von Nikolaus Herckheimers Bier zu trinken und von seinem Braten zu essen und fröhlich mit den Fröhlichen das große Fest feiern zu helfen. Und, wie Alle eingeladen waren, so war Niemand zu Hause geblieben; es wäre denn eine Mutter gewesen, die ihre Kinder nicht hätte allein lassen wollen, oder wer sonst durchaus nicht abkommen konnte, Selbst der dicke Johann Mertens war gekommen und trieb sich schmunzelnd zwischen den Gästen umher, die Daumen in den Taschen seiner langen rothen Weste, außer wenn er Jemand auf die Seite zog, um ihn geheimnißvoll zu fragen, ob es nicht sehr schön von dem Johann Mertens sei, daß er dem Nikolaus Herckheimer den Vorrang gelassen und sogar dessen Fest mit seiner Gegenwart beehre, der er doch ebenso gut eine große Gasterei ausrichten könne und vielleicht noch ein wenig besser. Auch Hans Haberkorn war erschienen und that sogar sehr bescheiden, und erinnerte den Einen oder den Anderen daran, ob er nicht schon damals gesagt habe, drei Fähren über den Fluß seien nicht zu viel. Nun, sie wären jetzt ihrer sechs Fergen und hätten alle ihr gutes Brod. – Einige meinten freilich, Hans Haberkorn spreche nur so, weil er Nikolaus Herckheimer jeden Pfennig schuldig sei, den die Fähre und die Schenke werth seien und noch ein paar hundert Dollars dazu; aber wer hatte jetzt Zeit, dergleichen zu untersuchen?

Die jungen Bursche und Mädchen gewiß nicht, die auf dem Wiesenplan neben dem Hause im Schatten der mächtigen Platanen nach dem munteren Klange einer Violine, zweier Pfeifen und einer Trommel unaufhörlich sich im Tanze schwangen. Und die Aelteren und die Alten, die unter dem langen Vordach des Hauses im Kühlen saßen und bedächtig einen Krug nach dem anderen leerten, hatten auch besseren Stoff zur Unterhaltung. Da erinnerte man sich – weil man es heute durfte – dessen, was man selbst oder doch der Vater – von dem Großvater wußten die Wenigsten zu berichten – ausgestanden hatte drüben in der alten Heimath; wie der böse Feind, der Franzmann, gesengt und gebrannt, den schönen, grünen Rhein hinauf und hinab; und wie der eigne Landesherr, was der Franze ihnen nicht geraubt, durch seine Amtleute habe eintreiben lassen, damit er in seinen herrlichen Schlössern mit seinen Buhlerinnen prassen und glänzende Feste feiern und große Jagden abhalten konnte, während der arme, von Frohnden und Lasten aller Art gedrückte Bauer schier Hungers starb. Und dann die Pfaffenwirthschaft! und der Zehnten! und des heiligen, römischen Reiches deutscher Nation anderer endloser, unnennbarer Jammer! Ja, ja, es hatte drüben schlimm ausgesehen; und wenn es nun auch wohl ein gut Theil besser geworden, seitdem der große Preußenkönig, der alte Fritz, mit seinem Schwerte dazwischengefahren und mit dem Krückstock wacker nachgeholfen – freier und schöner lebte es sich doch hier, wo man, wenn man es recht bedachte, eigentlich gar keinen Herrn hatte, und der Pfarrer – waren just auch nicht alle so brav, wie der Rosenkrantz – doch mit sich sprechen ließ, und man seines Lebens froh werden konnte, besonders jetzt, nachdem der Franze zu Kreuz gekrochen und der Krieg zu Ende!

Und nun kam man auf den Krieg zu sprechen. Das war ein unerschöpfliches Thema. Ein Jeder hatte daran Theil genommen, hatte selber mitgekämpft, und also hatte Jeder seine Geschichte zu erzählen, seine ganz besondere Geschichte, die – wenn auch sonst Niemandem – doch dem Erzähler die bei weitem interessanteste war. Dann aber gab es Ereignisse in dem Kriege, von denen Alle zugaben, daß sich hier gleichsam das Interesse gipfle – Ereignisse, die hundert Mal durchsprochen waren und die man immer wieder gern noch einmal durchsprach, und die, trotzdem die Augenzeugen zum größten Theil noch lebten, sich bereits in ein beinahe sagenhaftes Gewand gehüllt hatten.

Von diesen ganz besonders merkwürdigen Ereignissen war aber keines merkwürdiger, als der Kampf um das Sternberg'sche Haus im Jahre 58. Und wenn die Thatsache, daß sich neun Männer sechs oder sieben Stunden lang gegen hundertundfünfzig wohlbewaffnete Feinde behauptet hatten, schon an sich schier unglaublich war, so spielten in der Geschichte noch ein paar Momente mit, die derselben auch in den Augen der ganz Nüchternen einen romantischen Anstrich gaben. Der Streit der Brüder um das schöne Mädchen, das jetzt als die schönste Frau in dem ganzen Districte galt; die Versöhnung in der letzten Stunde und der gleich darauf erfolgende Heldentod Christian Dittmars und Konrads – des Aeltesten und des Jüngsten der Schaar, und Beide gleich schön gestorben, daß man nichts Besseres thun kann, als ihnen folgen, wie Base Ursel gesagt hatte, da man die Beiden in die kühle Erde senkte. Nun ja, sie war ihnen bald genug gefolgt, die brave, wunderliche Seele, die so rauh that, und deren Herz so weich war, daß sie nicht mehr leben mochte und nicht mehr leben konnte, ohne ihren alten Gatten, mit dem sie vierzig Jahre Freud' und Leid, so viel des Leides! getragen, und ohne ihren wilden, starken, ihren letzten, vielleicht am meisten geliebten Sohn. Ja, ja, das war er Base Ursel gewesen – der Indianer, wie sie ihn schon vorher genannt hatten, der große Jaguar, wie sie ihn noch heute an den Seen nannten – der Konrad Sternberg! Wild und stark! Wenn der heute noch gelebt hätte, würde Cornelius Broomann vom Schoharie vorhin nicht den Sieg über die jungen Männer vom Mohawk davongetragen haben! Nun ja, es war keine Kleinigkeit, was der Cornelius geleistet! Einen Schlitten mit zwölf schweren Männern beladen und auf den ebenen Sandboden gestellt, an der Deichsel anderthalb Fuß breit von der Stelle zu ziehen! Aber Konrad hätte den Schlitten fünf Fuß gezogen und den Cornelius dazu auf die Schultern genommen! Ja, ja, der Konrad Sternberg war mit übermenschlichen Kräften begabt gewesen; würde er sonst – ein einzelner Mann – mit den vierundzwanzig Indianern fertig geworden sein, die schon bis an's Haus vorgedrungen waren! Und war es nicht übermenschliche Kühnheit von ihm, dem jeder einzelne Onondaga den Tod geschworen, trotzdem zu ihnen in's Lager zu gehen und die Onondagas mit den Oneidas und beide wieder mit den Franzosen zu verhetzen und sich dann doch den Onondagas auszuliefern, als sie darauf bestanden, um doch wenigstens eine Sicherheit zu haben; und ihnen zu erklären, er werde bei ihnen bleiben, so lange sie ihn zu halten vermöchten. Und die Tröpfe, die es doch besser wissen konnten, hatten gemeint, daß dazu sechs Mann ausreichten, und hatten die sechs, mit dem Konrad als Wegweiser, in den Vortrab gestellt. Ja, er hatte ihnen die Wege gewiesen, dahin, von wo Keiner zurückkommt! So hatte er das Sternberg'sche Haus gerettet, und wenn man es recht bedachte, alle Häuser am Creek und Mohawk, da die Oneidas, als es eben zum Kampfe gekommen war, übergingen, und die Franzosen und Onondagas froh sein konnten, daß man sie am Abend nicht schärfer verfolgte, weil man die Hälfte der Reiterei an den Creek schicken mußte, das Sternberg'sche Haus zu einsetzen Ja, das war ein Mann gewesen, der Konrad, wie wohl so leicht keiner wieder unter ihnen aufstehen würde, ein Simson unter den Philistern, der sie schlug mit eines Esels Kinnbacken, wie der Pfarrer heut in der Predigt gesagt, wenn er Konrads Namen auch nicht genannt hatte. Der Pfarrer wußte davon zu erzählen! er, war ja selbst dabei gewesen, und könnte noch mehr erzählen, wenn er wollte; aber er ging ja nie mit der Sprache heraus, sobald auf das Capitel die Rede kam.

Nun, nun, es war einem Diener des Friedens vielleicht nicht zu verdenken, wenn er jetzt nicht daran erinnert sein wollte, daß er sechs Indianer mit eigener Hand an jenem Tage erlegt habe; und wenn Lambert Sternberg so selten über den Bruder spreche, so habe er vielleicht auch seine Gründe, denn das wisse ja Jedermann, daß die Katharine den Konrad mehr geliebt habe, als ihn, und daß der Lambert, trotz seines Wohlstandes, nachdem er jetzt auch noch Base Ursel beerbt, und trotz der schönen Frau und der schönen Kinder der unglücklichste Mann in dem ganzen Thale sei. Still, da kommt der Lambert mit dem Herckheimer, und welch' sonderbaren kleinen Kerl haben sie denn da aufgegabelt?

Nikolaus Herckheimer und Lambert traten zu den Würdenträgern, deren Unterhaltung eben eine so interessante Wendung genommen hatte, und stellten ihnen Mr. Brown aus New-York vor, welcher in Albany, wo er in Geschäften sich aufgehalten, von dem Friedensfest der Deutschen am Mohawk gehört, und sich, als ein Freund der Deutschen, alsbald aufgemacht habe, demselben beizuwohnen, und dasselbe mit feiern zu helfen. Die Würdenträger hießen den fremden Herrn willkommen und sagten, es sei eine große Ehre, die sie zu schätzen wüßten, und ob Mr. Brown sich nicht mit Lambert – Herckheimer hatte sich bereits entfernt – an ihren Tisch setzen und ein Glas auf das Wohl Sr. Majestät des Königs leeren wolle? Mr. Brown war zu dem letztern sofort bereit, trank auch auf das Wohl der Deutschen, entfernte sich aber dann unter dem Versprechen, später wiederzukommen mit Lambert, da er sich noch ein wenig auf dem Festplatz umzusehen wünsche.

Mr. Brown hatte nicht nur in eigenen Geschäften, und nicht aus bloßer Sympathie mit den Deutschen den weiten Weg von New-York nach Albany, von Albany hierher gemacht. Er kam im Auftrage der Regierung, welche den Werth der deutschen Ansiedelungen am Mohawk und weiter hinauf nach den Seen endlich begriffen, und den ernsten Willen hatte, zur Förderung derselben nach Kräften beizutragen. Mr. Brown, als ein durch seine lange geschäftliche Verbindung mit den Deutschen zu dem Zwecke besonders geeigneter Mann, war mit der Mission betraut worden. Er sollte sich mit den angesehensten der deutschen Männer, wie Nikolaus Herckheimer und Lambert Sternberg, in Verbindung setzen, und deren Vorschläge entgegennehmen. Er hatte bereits mit Nikolaus Herckheimer eine längere Unterredung in diesem Sinne gehabt, und theilte jetzt dem jüngeren Freunde, während er mit demselben über den Festplatz weiter schritt, seine Ansichten mit. Still und aufmerksam hörte Lambert zu. Es entging ihm nicht, daß der Engländer im Grunde nur immer das Interesse seiner Nation im Auge hatte, wenn er von den Vortheilen sprach, welche den Deutschen aus dem Allem erwachsen sollten, und Mr. Brown leugnete das auch gar nicht.

»Wir sind ein praktisches Volk, mein lieber, junger Freund,« sagte er, »und thun nichts um Gotteswillen; Geschäft ist eben Geschäft, aber dies hier ist ein ehrliches, ich meine eines, bei welchem beide Theile gewinnen. Natürlich sollt Ihr uns in erster Linie als Wall und Schutzmauer dienen gegen unsere Feinde, die Franzosen; sollt uns die Herrschaft über den Continent, die Uns nun einmal zukommt, immer weiter ausbreiten und befestigen helfen. Aber, wenn Ihr uns die Kastanien so aus dem Feuer holt, kommen Euch die süßen Früchte nicht ebenfalls zu gute? und wenn Ihr Euch für den König Georg schlagt, kämpft Ihr nicht ebenso gut für Euer eigen Haus und den eigenen Hof? Was da, Mann! so lange man nicht in seinen eigenen Schuhen feststeht, muß man sich wohl an den Andern lehnen. Macht, daß Ihr Deutschen in die Lage kommt, für eigene Rechnung und Gefahr auf dem Weltmarkt handelnd auftreten zu können; bis dahin werdet Ihr Euch schon damit begnügen müssen, Euch von uns in's Schlepptau nehmen zu lassen, oder, wenn Ihr lieber wollt: unsre Wegemacher und Pioniere zu sein.«

Der lebhafte, alte Herr hatte seiner Gewohnheit gemäß zuletzt sehr laut gesprochen und dabei mit den mageren Aermchen gesticulirt und sein spanisches Rohr auf den Boden gestoßen. Jetzt blickte er sich beinahe scheu um, faßte Lambert unter den Arm und fuhr, indem er sich von demselben weiter führen ließ, mit leiserer Stimme fort:

»Und dann will ich Euch etwas anvertrauen, mein junger Freund, wovon ich um Alles in der Welt nicht möchte, daß es Mrs. Brown zu Ohren käme, und was Ihr auch sonst für Euch behalten mögt. Ihr erinnert Euch, Lambert, wie Ihr vor fünf Jahren in New-York wart, und wir am Quai standen und Eure Landsleute ausschiffen sahen, die armen Tröpfe. Es regnete heftig und die trübselige Scene wurde dadurch nicht gerade heitrer. Wohl! an diesen Morgen habe ich jetzt, während wir hier herumschlendern, immerfort denken müssen, und habe mir gesagt: welche unermeßliche Lebenskraft muß in dieser Race stecken, die nur ein Menschenalter braucht, um sich aus halbverhungerten, scheublickenden, Alles duldenden Sclaven in vollsaftige, breitschultrige, sich den Teufel um Andre scheerende Freimänner zu verwandeln! Wie grenzenlos muß ein solches Geschlecht gelitten haben, um so tief zu sinken! wie hoch muß es steigen, wenn diese Leiden von ihm genommen sind, wenn es sich selbst, seinen guten Instinkten überlassen ist; wenn das Glück ihm gestattet, die ungeheure Kraft, die verborgen schlummerte, die jetzt kaum geweckt ist, frei zu entfalten! Wie hoch muß es steigen! wie weit muß es sich ausbreiten! was ist ihm nicht erreichbar! Lachen Sie mich nicht aus, mein junger Freund: ich zittre, wenn ich das bedenke, wenn ich bedenke: was ein Heer, wie dieses, zur Zeit noch ohne Officiere, nur dem Gesetz der Schwere gleichsam folgend, erobern kann und erobern wird, wenn es sich selbst zu lenken und zu leiten und in Reih und Glied zu marschiren lernt! Wie dem aber auch sein mag, so viel ist mir schon jetzt klar: Ihr, die Ihr hier im Vordertreffen steht, seid nur scheinbar unsere Avantgarde; im Grunde bereitet Ihr Euren eigenen Landsleuten den Weg, seid Ihr wahr und wahrhaftig deutsche Pioniere. Aber, noch einmal: Kein Wort davon, wenn Ihr diesen Herbst nach New-York kommt! Meine Nachbarn nennen mich so schon unter sich einen Dutchman, und Mrs. Brown würde nie wieder – wohl! und da wir gerade von den Damen sprechen: wo ist denn Eure Frau, mit der Ihr damals so eilig davongegangen seid? Ich gedenke, morgen Eure Gastfreundschaft auf einige Tage in Anspruch zu nehmen, und möchte denn doch gerne meiner schönen Wirthin vorgestellt sein.«

»Meine Frau,« sagte Lambert, »ist nicht hier. Sie –«

»Verstehe, verstehe,« unterbrach ihn der redselige alte Herr: »Kleine häusliche Ereignisse, kommen in den bestregulirten Familien vor. Verstehe!«

»Nun,« sagte Lambert lächelnd, »Unser Kleinstes ist freilich schon ein halbes Jahr alt; aber meine Frau trennt sich doch ungern auf längere Zeit von den Kindern; und überdies ist gerade für meine Familie dieser Freudentag auch ein Tag traurigen Gedenkens.«

»Weiß, weiß,« sagte der alte Herr: »Euer Bruder – wir haben davon gehört in New-York. Was wollt Ihr, Mann? Eure kühne That ist im Munde des Volkes. Die Bänkelsänger singen sie auf den Gassen:

 

» A Story, a Story
Unto you I will tell,
Concerning a brave hero
« –

 

Sollte heißen two brave heroes; aber das Volk hält sich gern an Einen. Ihr müßt mir das Alles ausführlich erzählen, wenn ich morgen zu Euch komme.«

»Das soll gern geschehen,« erwiederte Lambert, »und so will ich mich denn heute von Euch verabschieden. Die Sonne steht schon tief und ich möchte gern bei guter Zeit zu Hause sein.«

Lambert geleitete den alten Herrn zum Festgeber, der ihm herzliche Grüße an seine Frau auftrug und morgen mit dem Gaste zu kommen versprach, um weitere Rücksprache zu nehmen und auf dem Wege seine Schwiegertochter, die ihn vor vierzehn Tagen mit einem Enkelchen beschenkt, zu besuchen. Denn Richard hatte nach Base Ursels Tode das Dittmar'sche Anwesen Lambert abgekauft und war jetzt Lamberts nächster Nachbar.

Richard trat herzu; er wollte Lambert begleiten. Das hätten auch Fritz und August Volz vielleicht gethan, aber ihre Frauen mochten sich noch nicht von dem Feste trennen, das gerade jetzt auf seinem Höhepunkt stand. Und dann hatten sich die Frauen in den Kopf gesetzt, daß heute oder nie der Tag sei, an welchem ihr Bruder Adam seine so lange behauptete Freiheit verlieren und zu den Füßen von Margareth Biermann, Anton Biermanns Schwester, niederlegen müsse. Adam trat herzu; er hatte geröthete Augen und stand nicht mehr ganz sicher auf seinen langen Beinen. Er umarmte Lambert und versicherte ihn unter heißen Thränen, daß der Mensch nur ein Herz habe und daß sein einziges Herz ein- für allemal vergeben, daß er aber, wenn es für Lamberts Ruhe nöthig sei – eine Notwendigkeit, die er vollkommen begreife – Jakob Ehrlichs kürzlich gegebenem Beispiel folgen und eine Biermann heirathen wolle, obgleich der Mensch nur ein Herz habe und Margareth nicht halb so schön klinge, wie ein anderer Name, der nie über seine Lippen kommen werde, denn der Mensch habe nur ein Herz, und sein Herz –

Hier kamen Anton Biermann und sein Schwager Jakob, um den treulosen Ritter zu holen, und Anton, der die letzten Worte überhört hatte, versicherte Lambert, Adam sei ein completer Narr, aber im Grunde ein herzensguter, braver Kerl und die alten Bellingers hätten eine hübsche runde Summe hinterlassen außer dem Anwesen, und wenn seine Schwester Gretchen wolle, so sei es ihm schon recht. Was Lambert dazu sage?

Lambert sagte, daß er Adam immer das Wort geredet habe und es auch in diesem Falle thue, und in diesem Sinne sprach er sich auch gegen Richard Herckheimer aus, als die beiden Männer zwei Stunden später das Thal des Creek hinauftrabten.

»Der Adam ist gar kein solcher Narr,« sagte er; »der Bursche hat Mutterwitz genug; und wenn er sich gern necken läßt, so kommen seine Gegner meistens auch nicht ungerupft davon. Brav ist er auch, wenn er es sein muß, das hat er damals bewiesen; und in der Ehe muß man eben brav sein. Darum rede ich immer und überall zu, wenn es gilt, einen neuen Heerd zu gründen. Und dann, Richard, der Deutsche zumal gedeiht nur, wenn er einen eigenen Heerd hat, wenn er für Haus und Hof, für Weib und Kind sorgen und schaffen kann. So begrüße ich den Rauch, der von einem neuen Heerde aufsteigt, wie eine Fahne, um die sich eine Schaar sammeln wird: deutsche Pioniere, wie Mr. Brown sagt, die dem Heere vorausziehen, das nach uns kommen wird.«

Richard schaute seinen Begleiter ein wenig verwundert an. Der Lambert hatte immer so seltsame Gedanken und Worte! Er hätte gern gefragt, was Lambert unter dem Heere, das nach ihnen kommen werde, verstehe; aber da waren sie gerade an seinem Hause angelangt und Lambert bat ihn, Aennchen, seine Frau, zu grüßen, drückte ihm die Hand und trabte davon.

Ja, Lambert hatte immer so seltsame Gedanken, seltsam für alle Anderen, nur nicht für Katharine. Ihr durfte er Alles sagen, was sein warmes Herz ihm eingab, worüber sein allezeit geschäftiger Geist grübelte. Sie, die Schöne, Gute, Kluge verstand es, fühlte es mit, und oft genug brachte sie Klarheit in die Dinge, die sich ihm nicht erhellen wollten. Was würde sie zu den Vorschlägen sagen, die ihm Mr. Brown gemacht? »Fort, Hans, alter Bursche; noch einen kleinen Trab!«

Hans war es zufrieden: die fünf Jahre hatten ihm die Kräfte nicht geschmälert; er konnte, wenn's auf einen langen und scharfen Trab ankam, es noch mit jedem Pferde zehn Meilen in der Runde aufnehmen.

Aber für diesmal wurde die allbekannte Ausdauer des wackern Pferdes auf eine harte Probe gestellt. Es hatte kaum ein paar hundert Schritte getrabt und fing eben an, an der Sache Vergnügen zu finden, als sein Herr es mit einem plötzlichen Ruck anhielt und schon im nächsten Augenblick aus dem Sattel gesprungen war.

»Katharine!«

»Lambert!«

»Wie geht's den Kindern?«

»Alle wohlauf! Konrad wollte nicht zu Bett gehen, bevor er Dich gesehen.«

»Und Urselchen?«

»Hat heute ihren dritten Zahn bekommen.«

»Und Käthchen?«

»Schläft wundervoll.«

Sie schritten nebeneinander her, am Ufer hin, er den Hans lose am Zügel.

»Denkst Du noch?« sagte Katharine.

Lambert brauchte nicht zu fragen, woran er denken sollte. Dergleichen vergißt sich nicht; es war ihm, als wäre es gestern gewesen.

Und doch hatte sich so viel verändert seit jenem Abend! Wo sie damals den selten betretenen Wiesenpfad schritten, gingen sie jetzt durch wogende Aehrenfelder, auf einem wohlgebahnten Wege, dem eine tiefe, feste Wagenspur eingedrückt war. Und angebaute Felder überall bis zu dem Rande des Waldes, der jetzt an mehr als einer Stelle viel weiter als damals zurücktrat; und wo zwischendurch Stücke der alten Waldwiese sich zeigten, da waren sie mit großen Hecken eingefaßt, über welche hier und da ein Füllen oder ein Rind die Vorüberwandelnden mit den großen, mattglänzenden Augen anstarrte, während weiterhin in der Koppel die andern in dem saftigen Grase weideten. Und über die Wiesen und Felder fort blickten die Schindeldächer eines großen Gehöftes, neben welchem der alte, abgebrannte Hof sich gar dürftig ausgenommen haben würde: und auf der Stelle, wo das Blockhaus gestanden, ragte jetzt ein stattliches, steinernes Haus, dessen Giebelfenster im letzten Abendsonnenschein glühten.

Ja, es hatte sich viel verändert seit jenem Abend, von dem Lambert war, als wäre er gestern gewesen, und dann wieder, als wäre er nie gewesen, als habe es nie ein Leben gegeben ohne sein Weib, ohne seine Kinder!

Sie hatten Konrad zu Bett gebracht und Katharine hatte mit ihrer sanften Stimme den wilden Buben eingesungen, während die beiden andern Kleinen bereits mit rothen Bäckchen in ihren Bettchen ruhig schlummerten. Jetzt saßen sie vor der Thür in der Gaisblattlaube, durch deren dichtes Gezweig der laue Sommernachtwind spielte.

Lambert hatte seiner Gattin die Ereignisse des Tages berichtet, und von Mr. Brown erzählt, und sie hatten Mr. Browns Plan durchsprochen, die deutschen Ansiedelungen weiter den Creek hinaufzuführen, hinüber bis zum Black River, womöglich bis zum Oneida-See: und wie Mr. Brown und Nikolaus Herckheimer und er selbst das Land kaufen würden, und er den neuen Ansiedlern ein Führer und Herzog sein sollte in der Wildniß. Und er theilte Katharinen mit, was der alte Herr von der Zukunft der Deutschen in Amerika gesagt, und wie der Engländer fürchte, daß diese arbeitsame, zähe, ausdauernde deutsche Race am Ende gar die englische überflügeln und ihr die Herrschaft über den Continent entreißen werde.

»Dies Wort aus dem Munde eines so klugen Mannes könnte uns sehr stolz machen,« sagte Katharine.

»So dachte auch ich,« erwiederte Lambert; »und jetzt, wenn ich reiflicher nachdenke, macht es mich sehr traurig.«

»Wie meinst Du, Lambert?«

»Ich meine, der Fleiß, die Mühe, die Arbeit, die Kraft, der Muth, die Unternehmungslust, die wir aufwenden müssen, um es hier so weit zu bringen, sie wären in der alten Heimath besser an ihrem Platz. Wie Du mir Deinen Vater schilderst: mild, edel, hülfreich, gelehrt; wie mein Vater war: rasch, entschieden, weitschauenden Blickes: wie mein Ohm Dittmar war: unbeugsam, starr und trotzig: wie unser herrlicher Konrad war und unsere prächtige Base Ursel – welch' theures Blut, das dieser neue Boden schon getrunken hat und in Zukunft trinken wird! Und bringt er nun die rechte Frucht der kostbaren Saat? Ich weiß es nicht. Gesetzt, wir erreichten Alles, was uns der alte englische Freund verheißt, – obgleich das ja wie ein Märchen klingt und vielleicht ein Märchen ist – aber gesetzt, wir erreichten es und wir hätten dermaleinst das reiche Erbe mit den Engländern zu theilen – würden wir Deutsche bleiben? Ich zweifle daran und Du selbst, Katharine, hast mich diesen Zweifel gelehrt. Was wäre ich ohne Dich! und Du mußtest mir aus der alten Heimath kommen, konntest mir nur aus der alten Heimath kommen. In Deiner Seele klingt ein reinerer, tieferer Ton, gerade wie aus den schönen Liedern, die Du mit herübergebracht hast und die Keiner singen kann, wie Du. Wird dieser Ton in den Seelen unserer Kinder weiter klingen? Und was wird aus ihnen, wenn er verklingt?«

Lambert schwieg, Katharine lehnte das Haupt an seine Schulter; sie fand keine Antwort auf eine Frage, die ihre eigene Brust schon oft mit trüber Sorge erfüllt hatte.

»Und so,« fuhr Lambert fort: »ist mein Herz zwiefach getheilt. Wenn morgen der alte Freund kommt, werde ich mit ihm hinausgehen in die Wälder und ihm die Wege deuten, welche die Kommenden ziehen, die Stellen bezeichnen, auf denen sie ihre Hütten bauen müssen. Und ich selbst – ich möchte die Hütte abbrechen und Dich nehmen und die Kinder – Wie lautet doch das Lied, Katharine, mit dem Du vorhin unsern Buben in den Schlaf gesungen, das liebe, alte Lied aus der lieben, alten Heimath:

 

›Wär' ich ein wilder Falke,
Ich wollt mich schwingen auf!‹«

 

Und er deutete gen Osten, wo in den heiligen Mutterarmen der dunklen Nacht die Glorie des kommenden Tages schlummerte.


Anhang


Zur zweiten Fassung von
»Deutsche Pioniere«.

Spätere Auflagen sind um die Passagen im ersten Kapitel nach »… vor seinen Ankern schaukelte.« bis einschließlich »… rüstige Magd auftreiben lassen sollte.« gekürzt.


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