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Achtes Capitel.

Lambert hatte den ungeschickten Reiter bald genug eingeholt. Die beiden jungen Leute trabten eine Zeit lang schweigend nebeneinander her, bis die Liese plötzlich schnaufend still stand, und Adam, der dabei auf dem Hals des Thieres zu sitzen gekommen war, erklärte: Die Liese sei ein gar kluges Geschöpf und wisse sehr wohl, daß es in dem Tempo unmöglich fortgehen könne; sie stehe dann immer still, um dem Reiter Zeit zur Ueberlegung zu geben, und er habe noch jedesmal gefunden, daß man im Schritt endlich auch an das Ziel komme, und noch dazu viel bequemer.

»Aber auch ebenso viel später,« sagte Lambert ungeduldig: »wenn Du durchaus nicht mitkannst, muß ich Dich allein lassen und voran reiten.«

»Um Gotteswillen,« schrie Adam, und stieß die Liese mit beiden Hacken so heftig in die Seiten, daß sie ganz erschrocken vorwärts sprang und wieder in Trab fiel; »um Gotteswillen! das fehlte noch gerade.«

»Du bist ein Hasenfuß, der sich durch ein Mädchen beschämen läßt;« sagte Lambert.

Er wandte sich im Sattel zurück nach dem Blockhaus, bevor es hinter der jäh vorspringenden, waldbekränzten Felsenhöhle, um welche sie eben bogen, seinen Blicken entschwand. Katharine stand auf derselben Stelle, vor der Hausthür; er winkte mit der Hand, obgleich es nicht wahrscheinlich war, daß sie den Gruß noch sehen konnte, und jetzt hatte sich der Felsen dazwischen geschoben. Eine namenlose Traurigkeit überfiel Lambert, und es fehlte wenig, so hätte er den Hans herumgeworfen und wäre mit verhängtem Zügel zurückgesprengt; aber mit einem kräftigen Entschluß überwand er das Wehgefühl. »Ich bin ein eben so großer Feigling,« sprach er bei sich, »und ein größerer, denn ich sollte besser wissen, um was es sich handelt, und daß mir nichts schwer fallen dürfte, was ich für sie thue.«

»Du hast gut reden,« unterbrach Adam Lamberts Selbstgespräch

»Weshalb?« fragte Lambert.

»Wenn sie Dir den Schopf über die Ohren ziehen, kräht kein Hahn darnach; aber meine alte Mutter würde sich die Augen ausweinen.«

»Vielleicht findet sich doch Jemand, der meinen Schopf lieber auf meinem Kopf, als an dem Gürtel eines Indianers sieht.«

»Du meinst das junge Frauenzimmer?« fragte Adam, seinen Mund von einem Ohr bis zum andern ziehend, und für einen Moment den Sattelknopf loslassend, um mit dem Daumen über die Schulter rückwärts zu zeigen.

»Vielleicht,« sagte Lambert.

»Na, da sei nur ruhig,« sagte Adam in tröstendem Ton; »die heirathe ich dann; Mutter will schon lange, daß ich heirathe; aber ich nehme nicht jede, weißt Du, und das Mädchen gefällt mir.«

»So,« sagte Lambert.

»Ja,« sagte Adam; »das Barbche, das Gustche und das Annche werden wohl im Anfang ein wenig zetern; aber das giebt sich mit der Zeit, und Fritz und August Volz sind, glaube ich, mit dem Barbche und dem Gustche schon einig, und wir denken immer, Du heirathest doch noch das Annche.«

»Mit oder ohne Schopf?« sagte Lambert.

Adam fand diesen Scherz so ausgezeichnet, daß er die Liese anhalten mußte, um sich die Fäuste in beide Seiten zu stemmen und in ein schallendes Gelächter auszubrechen. Ein Reiher, der sich in das Röhricht des Ufers geduckt hatte, flog erschrocken auf und ließ seinen Warnruf erschallen.

»Ach, Du mein blutiger Heiland!« sagte Adam, »ich glaubte wahrhaftig, es sei schon einer von den schuftigen Franzosen und Rothhäuten.«

»Habt Ihr denn während dieser Zeit öfter von ihnen gehört?« fragte Lambert, indem sie weiter ritten.

»Ein einziges Mal,« sagte Adam: »vor einem Monat etwa; der Vater war nach Shenectady mit dem Korn, und ich war wieder gerade allein auf dem Felde, als Antonche gelaufen kam und schrie, die Indianer seien über den Creek geschwommen und schon in unserm Hause. Mir fuhr der Schrecken so in die Beine, daß ich nicht wußte, wo mir der Kopf stand, und ich eigentlich nach Hause wollte und den Frauenzimmern helfen: aber als ich wieder zu Athem kam, stand ich vor Eisenlords Thür, wo der Alte grade daheim war, und schnell seinen jüngsten Buben zu Peter Volz' schickte, von denen dann auch bald drei, der Alte selbst und Fritz und August, kamen. Da gingen wir denn muthig vorwärts, obgleich uns die heulenden Weiber nicht fortlassen wollten und unterwegs stießen auch noch Christian Eisenlord und der junge Peter Volz zu uns, so daß wir unserer sechs oder sieben waren, obgleich, offen gestanden, auf mich nicht viel gerechnet werden konnte, denn ich weinte mir bald die Augen aus vor Jammer und Herzeleid, daß ich nun unser Haus niedergebrannt finden sollte, und meine schönen Blessen weggetrieben, und die vier englischen Schweine, die ich erst an demselben Morgen von Johann Merten, gekauft, und die Mutter und das Barbche und das Gustche und das Annche ohne Schopf; aber als wir aus dem Wald herauskamen, denn wir hatten uns gut herangeschlichen, lag unser Haus ganz ruhig da, und die Frauenzimmer standen vor der Thür, und schalten auf das Antonche ein, das ganz heillos schrie.«

»Nun und die Indianer?« fragte Lambert.

»Du mußt mich nicht unterbrechen, wenn ich meine Geschichte ordentlich erzählen soll,« sagte Adam. »Wo war ich stehen geblieben?«

»Bei dem Anton, der heillos schrie.«

»Der arme Junge,« sagte Adam; »ich konnt's ihm nicht verdenken; er sollte hineingehen und den Indianer zudecken, der so gut wie gar nichts anhatte, daß sich die Frauenzimmer schämten.«

»Es war also doch einer da?«

»Nun freilich, und war wirklich durch den Creek geschwommen und lag an dem Heerd, so betrunken, wie nur eine Rothhaut sein kann, und schnarchte, daß wir es draußen hörten. Da haben mich die Andern schön ausgelacht und mich seitdem immer mit dem betrunkenen Kerl gefoppt, obgleich man den Teufel nicht an die Wand malen soll und ich doch eigentlich gar nichts dazu konnte, sondern das Antonche, der auch gescheidter hätte sein können; und so wollten sie denn heute auch gar nicht an meine Botschaft glauben, und wenn ich nicht gesagt und beschworen hätte, der Herckheimer selber habe es dem Vater gesagt, so wären sie Alle zu Hause geblieben, außer Base Ursel natürlich, die gleich die beiden Gäule sattelte.«

»So ist der Ohm auch mit?« fragte Lambert erstaunt.

»Wir werden es ja gleich erfahren,« sagte Adam: »ich werde einmal rufen.«

Sie hielten vor dem Dittmar'schen Hause; Adam hob sich in den Bügeln und ließ, die beiden Hände an den Mund legend, sein: »He, holla, Christian Dittmar, holla, he!« erschallen, daß die Tauben auf dem Dache erschreckt davonflogen, und Melac, der Kettenhund auf dem Hofe, fürchterlich zu heulen und zu bellen begann. Trotz alledem wollte sich in der obern Oeffnung der Thür, durch die man in das Innere des Hauses sah, die lange Gestalt des alten Dittmar nicht zeigen, und Lambert mahnte zur Eile, gestattete auch nicht, daß man bei Wilhelm Teichert vorsprach. Dessen Farm lag etwas abseits am Rande des Waldes, welcher jetzt in einem großen Bogen vom Bach zurücktrat, und erst bei Peter Volz' Hof wieder hart heranschnitt. Hier mußte freilich angehalten werden, denn Mutter Volz hatte die Reiter schon von weitem kommen sehen und stand nun vor der Thür, in jeder Hand einen Krug selbstgebrauten Braunbieres, das Peter, ihr jüngster Sohn, schnell von einem frischen Faß hatte zapfen müssen. Mutter Volz war sehr aufgeregt, und dicke Thränen liefen ihr über die dicken Backen, als sie den Reitern die Krüge darreichte, und dabei auf die Franzosen und auf ihren Peter schalt, diesen Guck in die Welt, der durchaus mit zur Versammlung und sie alte hülflose Frau allein lassen wollte.

»Wenn ich ein Guck in die Welt bin,« sagte Peter, »kann ich Dir auch nicht helfen, Mutter; aber ich soll immer zu Hause bleiben und Nesthäkchen spielen, das ist die Sache.«

»Ja, das ist die Sache,« sagte Adam, der sich sein Bier trefflich schmecken ließ, »und wir Andern müssen es uns sauer werden lassen.«

»So gieb mir die Liese und bleib hier;« sagte der muthige Peter.

Adam hatte nicht übel Lust, einem so annehmbaren Vorschlage zu willfahren, und wollte eben aus dem Sattel klettern, als die Liese – sei es, daß sie die Bewegung des Reiters falsch verstand, sei es, daß sie die Nähe ihres heimathlichen Stalles spürte – sich plötzlich in Trab setzte, zu Adams Entsetzen und Lamberts Freude, dessen Ungeduld durch die unnöthigen Verzögerungen bereits auf's höchste gestiegen war.

Nun aber, Dank Liese's festem Entschluß, mit der ungewohnten Arbeit für heute ein Ende zu machen, ging es unaufhaltsam weiter, schnell und schneller, daß dem Adam, der sich krampfhaft am Sattelknopf festhielt, die langen gelben Haare um die großen Ohren flogen: immer am Bach entlang, vorbei an Johann Eisenlords Haus, wo die Frauen ebenfalls an die Thür liefen, und den Dahinstürmenden zuriefen und verwundert nachblickten; – weiter und weiter, und schneller und schneller, bis Liese vor dem Bellinger'schen Gehöft mit einem Ruck anhielt, und ihren Reiter über den Hals in den Sand warf, unmittelbar zu den Füßen seiner Mutter und seiner drei Schwestern und seines jüngsten Bruders, dem die Mutter zuschrie: »lauf, Antonche, und mach der Liese den Stall auf, daß sie sich nicht den Schädel an der Thür einrennt, das arme Vieh!« Um Adam bekümmerte sich Niemand. In der That war dies die gewöhnliche Weise, in welcher ihn die Liese nach einem derartigen Ausfluge den Seinen wieder zustellte, und er kam denn auch diesmal bald genug wieder auf und rieb sich weinerlich die langen Beine, während die Frauen Lambert umstanden und ihn nach seiner Reise befragten: wann er zurückgekommen sei? und weshalb er nur gestern in aller Welt den bösen Weg durch den Wald gemacht habe? und wie sich denn seine neue Magd anlasse? und weshalb er sich funfzig Meilen weit geholt, was er aus der Nähe bequemer und vielleicht auch besser hätte haben können?

Lambert dankte kurz für gütige Nachfrage, erkundigte sich, wie lange es sei, daß die Männer aufgebrochen; gab seinem Gaul die Hacken und trabte mit kurzem Gruß davon, zu nicht geringer Bekümmerniß der hübschen, blonden Annche, die sich von ihren beiden Schwestern Bärbche und Gustche sagen lassen mußte: nun sehe man ja klar, was sie immer behauptet, daß der Lambert Sternberg nicht der Tannen wegen die lange Reise nach New-York gemacht habe! Annche erwiederte: daß sie nicht an den Lambert denke und Fritz und August Volz sich auch noch nicht erklärt hätten. Die Mutter nahm die Partei der Annche, und der Streit drohte heftig zu werden, bis man sich glücklicherweise daran besann, daß man ja Adam noch nicht einmal gefragt habe, was für eine Person denn eigentlich das neue Mädchen sei? und nun von dem kühnen Ritter, der sich in dem Hause die Schienbeine mit Branntwein rieb, erfuhr, daß keineswegs Lambert, sondern er selbst das Mädchen heirathen werde, sobald die Indianer Lambert den Schopf abgezogen hätten, und daß er darüber mit Lambert vollkommen einig sei.

Während so in der Bellinger'schen Familie über Katharine's Schicksal entschieden wurde, setzte Lambert, die verlorene Zeit einzubringen, im schnellsten Trabe seinen Weg fort. Er hatte aus den Fragen der Frauen, noch mehr aus dem Tone, in welchem man fragte, wohl herausgehört, daß man nicht eben günstig über seine Handlungsweise dachte. Er war darauf gefaßt gewesen und hatte gestern, um dieser nachbarlichen Theilnahme zu entgehen, den Weg nicht durchs Thal genommen: dennoch fühlte er sich gekränkt und zürnte der Base, welche allein die Kunde von seiner Rückkehr und seinem Verhältniß zu Katharine verbreitet haben konnte, und sagte sich dann wieder, daß man es ja doch in aller Kürze erfahren mußte und es daher das beste war, wenn man es so früh als möglich erfuhr. Wie dem aber auch sein mochte, er sah wohl, daß er einen schweren Stand in der Gemeinde haben würde, so lange Katharine nicht seine Frau war und vermuthlich auch noch nachher; daß es aber jedenfalls seine Pflicht sei, vor aller Augen Klarheit in sein Verhältniß zu Katharine zu bringen. Er nahm sich vor, noch heute, wenn sich irgend dazu Gelegenheit fand, mit dem Pfarrer zu sprechen und sich den Rath und die Hülfe des trefflichen Mannes zu erbitten.

Er war jetzt, nahe an der Mündung, aus dem eigentlichen Thale des Creek herausgekommen. Rechts von ihm lag die weite Fläche in der Gabel zwischen dem Creek und dem Mohawk: fruchtbares, dem Urwald schon länger abgewonnenes Land, mit seiner in fast ununterbrochener Linie fortlaufenden Reihe von Ansiedlungen, in der Mitte auf einem Hügel die kleine Kirche und das Pfarrhaus. Vor ihm, bereits jenseits des Mohawk, dessen klares Wasser zwischen den bebuschten Ufern hier und da hervorblickte, erhob sich, ebenfalls auf einem Hügel, wie eine kleine Festung anzuschauen, das Ziel seines Rittes: Nikolaus Herckheimers stattliches Haus.

Und jetzt sah er auch, daß er nicht, wie er schon gefürchtet, der Letzte sein würde. In der Ebene tauchten zwischen den Kornfeldern und dem Buschwerk, einzeln oder zu zweien und dreien, die Gestalten von Fußgängern und Reitern auf, die sich aus den verschiedenen Richtungen sämmtlich nach derselben Stelle bewegten: einem einzeln gelegenen Hause auf dieser Seite des Flusses, der Herckheimer'schen Farm schräg gegenüber, wo Hans Haberkorn, der Fährmann, wohnte.

Hier traf Lambert einige Minuten später mit mehreren der Männer zusammen, welche er schon von weitem hatte kommen sehen, und von denen er um so lebhafter begrüßt wurde, als Alle wohl von seiner Reise nach New-York, aber noch Niemand von seiner Rückkehr gehört hatte.

Man wollte wissen, wie die Sache abgelaufen? und vor Allem, was er in der Stadt über den Krieg in Europa in Erfahrung gebracht habe! ob die Franzosen wirklich im vorigen Jahre bei Roßbach so heillose Schläge bekommen? und ob es dem Könige Von Preußen, der doch ein ganzer Mann sein müsse, auch in diesem Jahre gelingen werde, sich gegen seine zahllosen Feinde im Felde zu behaupten?

Lambert erzählte, was er wußte und erkundigte sich seinerseits nach dem Stande der heimischen Dinge. Von den fünf oder sechs Männern, die sich bereits zusammengefunden, gab jeder seine Ansicht zum Besten, wobei sich herausstellte, daß genau so viele Ansichten zu Tage kamen, als Köpfe in der kleinen Versammlung waren. Ja, während man Hans Haberkorns Rum eifrig zusprach, wurde man so hitzig, daß man ganz zu vergessen schien, weshalb man eigentlich hier war, bis Lambert dringend zum Aufbruch mahnte. Hans Haberkorn meinte freilich, die Sache habe gar keine Eile, und man könne hier eben so gut Rath pflegen, als drüben bei dem Herckheimer; nun aber wollten die Andern auch nicht zurückbleiben. Man band die Pferde der Reihe nach in dem offenen Schuppen an die Krippe und bestieg das Floß, um auf der kurzen Ueberfahrt den angefangenen Streit noch heftiger als vorher fortzusetzen, ja es fehlte nicht viel, so wäre es auf dem schwanken Fahrzeuge zu Thätlichkeiten gekommen.

Es war daher ein Glück zu nennen, daß, als man drüben landete, sich sofort noch Einige dazu fanden, welche zum Theil bereits früher übergesetzt waren, zum Theil, von der andern Seite kommend, am Ufer auf die im Fahrboot gewartet hatten, um mit ihnen gemeinsam weiter zu gehen. Ueber der Begrüßung vergaß man für den Augenblick, daß man sich gestritten, hatte aber kaum ein paar Schritte zurückgelegt, als der Wortwechsel von neuem und heftiger als zuvor begann, denn die neu Hinzugekommenen mischten sich, auf dieser oder jener Seite Partei nehmend, hinein. So gelangte man, zankend und streitend, auf den Vorplatz des Herckheimer'schen Hauses.



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